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  • 15.02.2023 · IWW-Abrufnummer 233788

    Oberverwaltungsgericht Bremen: Beschluss vom 09.11.2022 – 2 LC 116/21

    Zur Frage, innerhalb welcher Frist eine nicht zugelassene Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden kann.


    Oberverwaltungsgericht Bremen

    Beschluss vom 09.11.2022


    In der Verwaltungsrechtssache
    - Klägerin und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    gegen
    die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Deutsche Post AG vertreten durch die Deutsche Post NL Multikanalvertrieb, vertreten durch die Mitglieder des Vorstands,
    Sträßchensweg 10, 53113 Bonn,
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigter:

    hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. xxx, den Richter am Oberverwaltungsgericht xxx und die Richterin am Oberverwaltungsgericht xxx am 9. November 2022 beschlossen:

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 6. Kammer - vom 02.02.2021 wird verworfen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zum Schadensersatz wegen eines bei einem Unfall mit ihrem Dienstwagen entstandenen Schadens.

    Die Beklagte und die Klägerin, eine damals bei der Niederlassung Privatkunden/Filialen, Gebietsleitung Bremen, der Deutschen Post AG beschäftigte Beamtin, schlossen am 25.08.2015 eine Vereinbarung über die Errichtung einer außerbetrieblichen Arbeitsstätte in einer Mitarbeiterwohnung. Gegenstand der Vereinbarung war auch die Bereitstellung eines Dienstwagens. Für dessen Rückgabe wurde vereinbart, dass der Dienstwagen unverzüglich an die Deutsche Post AG zurückzugeben ist "bei Erhebung der Disziplinarklage" oder "bei einer vorläufigen Dienstenthebung nach dem Bundesdisziplinargesetz". Auf Grundlage dieser Vereinbarung stellte die Beklagte der Klägerin als Dienstwagen eine Mercedes Benz Limousine (Typ 245 G) zur Verfügung.

    Im Rahmen eines Disziplinarverfahrens wurde die Klägerin mit Verfügung vom 04.03.2019 nach § 38 BDG vorläufig des Dienstes enthoben. Mit Schreiben vom 18.03.2019 und 03.04.2019 wurde die Klägerin zur Rückgabe des Dienstwagens aufgefordert. Gegen die Schreiben legte sie Widerspruch ein. Den Dienstwagen gab sie nicht zurück.

    Am 26.06.2019 war die Klägerin an einem Unfall beteiligt. Sie befuhr gegen 8:45 Uhr mit ihrem Dienstwagen die in und wechselte im Rahmen des Reißverschlussverfahrens den Fahrstreifen. Hierbei kam es zu einem Unfall mit einem anderen Fahrzeug, welches die Fahrspur befuhr, auf die die Klägerin wechseln wollte. Die verwarnte die Klägerin aufgrund dessen wegen der Verursachung eines Unfalls mit einem Verwarngeld. Die Klägerin zahlte das Verwarngeld; Rechtsbehelfe nahm sie insoweit nicht in Anspruch.

    Mit Bescheid vom 05.03.2020 wurde die Klägerin aufgefordert, 11.600,20 Euro an die Beklagte zu zahlen. Für die Regulierung des beim Unfall entstandenen Fremdschadens und die Kosten der Schadenbearbeitung habe die Deutsche Post AG insgesamt 7.536,99 Euro aufgewandt. Der Schaden am Dienstwagen betrage 4.063,21 EUR. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 25.03.2020 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.04.2020 zurück; die Zustellung erfolgte am 09.04.2020.

    Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 02.02.2021 den Bescheid vom 05.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2020 aufgehoben, soweit er einen Betrag von 11.526,65 Euro übersteigt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts, dessen Rechtsmittelbelehrung auf den Antrag auf Zulassung der Berufung als statthaftes Rechtsmittel hinweist, wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12.02.2021 zugestellt. Die Klägerin hat durch ihren Prozessbevollmächtigten am 11.03.2021 (Donnerstag) beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt. Mit elektronischem Schriftsatz vom 12.03.2021, der am 15.03.2021 auf dem Server des Oberverwaltungsgerichts eingegangen ist, hat der Klägervertreter mitgeteilt, dass die Berufung vom 11.03.2021 gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 02.02.2021 zum Aktenzeichen 6 K 821/20 als Antrag auf Zulassung der Berufung verstanden werden solle. Mit Schriftsätzen vom 19.03.2021, auch gerichtet an das Verwaltungsgericht, hat der Klägervertreter wegen des erst am 15.03.2021 zugegangenen Schriftsatzes Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, mit der Begründung, die Ablauffrist zwecks Antrag auf Zulassung der Berufung sei nicht im Fristenkalender eingetragen gewesen.

    Die Klägerin beantragt sinngemäß,

    auf die als Antrag auf Zulassung der Berufung zu verstehende Berufung und nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 02.02.2021 zuzulassen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

    Der Senat hat die Beteiligten zu seiner Absicht, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 02.02.2021 (6 K 821/20) gemäß § 125 Abs. 2 VwGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, mit Schreiben vom 22.09.2022 angehört.

    II.

    Die Entscheidung ergeht gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss.

    Die eingelegte Berufung ist unzulässig. Die Berufung gegen Endurteile des Verwaltungsgerichts setzt ihre vorherige Zulassung durch das Verwaltungsgericht oder das Oberverwaltungsgericht voraus (§ 124 Abs. 1 VwGO). Eine Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 02.02.2021 ist jedoch nicht erfolgt.

    Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 11.03.2021 Berufung eingelegt und keinen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 11.03.2021 ist mit "Berufung" in Fettdruck überschrieben, die Klägerin wird als Berufungsklägerin, die Beklagte als Berufungsbeklagte benannt, und das eingelegte Rechtsmittel wird, wiederum durch Fettdruck hervorgehoben, als Berufung bezeichnet. Die unzulässige Berufung kann grundsätzlich nicht in einen zulässigen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden. Eine solche Umdeutung scheidet aus, weil die beiden Rechtsbehelfe nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bezweckt die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das Berufungsgericht, während sich die Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache richtet. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar. Sie stehen vielmehr in einem Stufenverhältnis zueinander, weil erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung die prozessrechtliche Möglichkeit eröffnet, die erstinstanzliche Entscheidung mit diesem Rechtsmittel anzugreifen (BVerwG, Beschl. v. 15.03.2018 - 4 B 14/18 -, Rn. 7, juris). Eine Umdeutung kommt nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn innerhalb der laufenden Einlegungsfrist zunächst "Berufung" eingelegt, dann aber ebenfalls noch innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO beantragt worden ist, diese Prozesshandlung als Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln (BVerwG, Urt. v. 27.08.2008 - 6 C 32/07 -, Rn. 25, juris). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Am 15.03.2022, im Zeitpunkt des Eingangs der Mitteilung der Klägerin, ihre Berufung solle als Antrag auf Zulassung der Berufung verstanden werden, bei Gericht, war die Frist für die Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung bereits abgelaufen. Die Monatsfrist gemäß § 124a Abs. 4 VwGO nach der am 12.02.2021 erfolgten Zustellung des Urteils vom 02.02.2021 endete mit Ablauf des 12.03.2021, einem Freitag (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Klägerin wurde über das statthafte Rechtsmittel und die einzuhaltende Frist ordnungsgemäß belehrt.

    Der Klägerin kann wegen der Versäumung der Frist zur Stellung des Berufungszulassungsantrages auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Sie hat nicht - wie nach § 60 VwGO erforderlich - innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Monatsfrist einzuhalten. Ein Verschulden des Prozessvertreters ist dabei als eigenes Verschulden der durch diesen vertretenen Klägerin anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernimmt, so ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung der Fristen eigenverantwortlich überwacht. Nach der Rechtsprechung darf er allerdings, ohne dass ihm ein Verschulden zum Vorwurf gemacht werden könnte, die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine rechtlichen Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen (BVerwG, Beschl. v. 10.12.1991 - 5 B 125/91 -, Rn. 2, juris). Es ist vorliegend schon nicht glaubhaft gemacht, dass der Prozessvertreter der ihm obliegenden Pflicht nachgekommen ist, durch eine ordnungsgemäße Büroorganisation dafür Sorge zu tragen, dass Rechtsmittelfristen zuverlässig in den Fristenkalender eingetragen und kontrolliert werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.04.2006 - 10 B 83/05 -, Rn. 12, juris). Weiterhin ist nicht dargelegt, inwieweit Ausbildung und Überwachung seines Büropersonals es rechtfertigten, diesem die eigenverantwortliche Fristenberechnung und -kontrolle zu überlassen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin kann sich deshalb nicht durch den bloßen Hinweis darauf, die Frist sei nicht im Fristenkalender eingetragen gewesen, von einem eigenen Verschulden an der Fristversäumung freizeichnen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

    Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen würden (§ 132 Ab. 2 VwGO), liegen nicht vor.

    RechtsgebieteVerwaltungsprozess, RechtsmittelVorschriften§ 124a Abs. 4 S. 1 VwGO