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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Honorarkürzung erst ab einem Praxisumfang von 250 Prozent über dem Fachgruppendurchschnitt

    von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de

    | Weiterbildungsassistenten dürfen nicht für die Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs eingesetzt werden. Es kann jedoch nicht automatisch von einem unzulässigen Praxisumfang ausgegangen werden, sobald die Zahl der behandelten Patienten das Doppelte des durchschnittlich Üblichen beträgt. Erst ab einem Praxisumfang von 250 Prozent über dem Durchschnitt der Fachgruppe liegt ein übergroßer ‒ und damit eine Honorarkürzung rechtfertigender ‒ Praxisumfang vor. Und selbst dann muss die KV zusätzlich noch beweisen, dass der überdurchschnittliche Praxisumfang auch tatsächlich auf dem missbräuchlichen Einsatz von Assistenten beruht (Sozialgericht [SG] Berlin, Urteil vom 13.09.2017 Az. S 83 KA 423/14). |

    Der Fall

    Die Klägerin ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und seit 2007 Vertragsärztin in Berlin. Seit 2012 beschäftigte sie eine Weiterbildungsassistentin. Für das IV. Quartal 2012 und das I. Quartal 2013 kürzte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin das Honorar der Klägerin aufgrund der Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin um insgesamt rund 32.000 Euro. Zur Begründung führte sie aus, dass die Fallzahlen der Klägerin 200 Prozent über dem Durchschnitt gelegen hätten und die Praxis damit übergroß gewesen sei. Bei einer so überdurchschnittlich großen Zahl von Patienten habe ein Arzt nicht mehr ausreichend Zeit, seine Weiterbildungsassistenten ordnungsgemäß anzuleiten und zu überwachen.

     

    • Hintergrund

    Die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten darf vom ausbildenden Arzt nicht zur Vergrößerung seiner Kassenpraxis oder zur Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs genutzt werden (§ 32 Absatz 3 Ärzte-ZV). Ein derartiger Missbrauch von Weiterbildungsassistenten als billige Arbeitskräfte berechtigt die KV zu Honorarkürzungen gemäß § 106a Abs. 2 SGB V (Fassung zum Zeitpunkt 2012/2013, heute § 106d Abs. 2 SGB V).

     

    Die Entscheidung

    Gegen die Honorarkürzung erhob die Ärztin Klage vor dem SG Berlin. Ihrer Meinung nach sei es nicht zulässig, bei einem Überschreiten der Fallzahl von 200 Prozent des Fachgruppendurchschnitts automatisch von einer übergroßen Praxis auszugehen. Die Größe ihrer Praxis sei unter anderem durch externe Faktoren wie z. B. den Wegfall der Praxisgebühr beeinflusst worden.

     

    Das SG gab der Hausärztin recht, verneinte einen übergroßen Praxisumfang und verurteilte die beklagte KV zur Nachzahlung des Honorars.

     

    Zur Begründung führte das Gericht aus: Die Praxis der Klägerin habe schon keinen „übergroßen Praxisumfang“ i. S. d. § 32 Abs. 3 Ärzte-ZV. Nach Auffassung des SG Berlin lasse sich dem in diesem Zusammenhang maßgeblichen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.09.2005 (Az. B 6 KA 14/04 R) nicht entnehmen, dass für die Prüfung des übergroßen Praxisumfangs, in welchem auf Fallzahlen abgestellt wird, auch schon das Doppelte des Fachgruppendurchschnitts ausschlaggebend sein kann. Das BSG-Urteil sei in diesem Punkt missverständlich.

     

    Und weiter: Der beklagten KV sei es grundsätzlich nicht verwehrt, Honorarabrechnungen richtigzustellen, wenn Leistungen in übergroßem Umfang mithilfe eines Weiterbildungsassistenten erbracht wurden. Allerdings sei ein übergroßer Praxisumfang nicht schon automatisch ab dem Doppelten des Fachgruppendurchschnitts gegeben. Es müsse vielmehr berücksichtigt werden, dass die Gruppe der Hausärzte in Berlin nicht homogen sei. Der Durchschnitt der Fallzahlen bilde nicht den Leistungsumfang einer voll ausgelasteten Hausarztpraxis ab.

     

    Wenn man ‒ wie die beklagte KV dies bislang praktiziert ‒ einen festen Grenzwert für alle Fallkonstellationen und Fachgruppen der Prüfung des übergroßen Praxisumfangs zugrunde lege, sei bei einem Vergleich der Fallzahlen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG der Grenzwert bei 250 Prozent des Fachgruppendurchschnitts anzusetzen. Dies zugrunde gelegt, führe die Klägerin ihre Praxis nicht in einem übergroßen Umfang:

     

    • Im Quartal IV/2012 lag die Fallzahl der Klägerin bei 1.990,00. Die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe betrug 859,76. Das Zweieinhalbfache davon liegt bei 2.149,40.

     

    • Im Quartal I/2013 lag die Fallzahl der Klägerin bei 2.252,00. Die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe betrug 909,32. Das Zweieinhalbfache davon liegt bei 2.273,30.

     

    Zudem spiegelten allein die Fallzahlen in den unterschiedlichen Arztgruppen und angesichts der unterschiedlichen Therapieangebote auch nur unzureichend wider, wie viel Zeit dem weiterbildenden Vertragsarzt tatsächlich für die Weiterbildung verblieb. Deshalb müsse zusätzlich darauf abgestellt werden, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der Beschäftigung des Weiterbildungsassistenten und dem übergroßen Praxisumfang bestehe. Hierfür trage die beklagte KV die Beweislast. Darüber hinaus sei die klagende Hausärztin auch schon vor Einstellung der Weiterbildungsassistentin in der Lage gewesen, eine ‒ nach Auffassung der Beklagten ‒ übergroße Praxis mit hohen Fallzahlen zu führen.

     

    MERKE | Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann von der KV Berlin mit der Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam angefochten werden. Beim SG Berlin sind derzeit noch rund 60 weitere Fälle wegen Honorarkürzungen aufgrund der Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten anhängig.

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2018 | Seite 11 | ID 44989337