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  • Abrechnungsbetrug

    Strafrechtliche Vorwürfe gegen Ärzte: Konsequenzen und Verteidigungsstrategie

    von Rechtsanwälten Jürgen Althaus und Dr. Karl- Heinz Schnieder, Fachanwälte für Sozialrecht, Münster (www.rechtsanwaelte- moenig.de)

    Es kommt immer wieder vor, dass Mediziner durch Veröffentlichungen im Zusammenhang mit betrügerischen Abrechnungen und sonstigen medizinrechtlichen Straftaten in großem Stil in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. So wurden erst kürzlich von der AOK Niedersachsen massive Betrugsvorwürfe erhoben: Danach soll jede fünfte ärztliche Abrechnung fehlerhaft sein; zum Teil seien sogar Leistungen für bereits Verstorbene in Rechnung gestellt worden.

    Es hat sehr häufig den Anschein, dass – teils durch ermittelnde Krankenkassen und teils durch die Bevölkerung – nahezu alle Mediziner oder aber alle Ärzte bestimmter Fachrichtungen „in einen Topf geworfen“ werden. Über der Ärzteschaft liegt dann so etwas wie ein Pauschalverdacht. Leider ist es oft so, dass die Ärzte wegen eines Betrugsvorwurfs am Pranger stehen, ohne dass die Ermittlungen und sich unter Umständen daran anschließenden Gerichtsverfahren abgeschlossen sind. Erst im Anschluss daran kann man allgemein beurteilen, welches Ausmaß der „Skandal“ tatsächlich hat. Beispiel: Betrachtet man den „Herzklappenskandal“, der 1984 seinen Ausgang nahm, so zeigt sich, dass von einem – seinerzeit zunächst angenommenen – flächendeckenden betrügerischen Verhalten der Ärzteschaft nicht die Rede sein konnte: Von etwa 1.500 Ermittlungsverfahren, die die Staatsanwaltschaft damals eingeleitet hatte, führten noch nicht einmal fünf Prozent zu einer rechtskräftigen Verurteilung von Ärzten.

    Richtiges Verhalten im Falle eines Betrugsvorwurfs

    Sollte sich jedoch der Betrugsvorwurf gegen einzelne Ärzte bestätigen, so müssen die betroffenen Ärzte mit strengsten Konsequenzen rechnen. So sieht zum Beispiel das Gesetz hierfür eine Geldstrafe sowie eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen gar bis zu zehn Jahren vor. Auch drohen die Entziehung von Zulassung und Approbation. Daher sollten Ärzte einerseits wissen, wann der Tatbestand eines Abrechnungsbetruges erfüllt ist, um von vornherein ein strafbares Verhalten vermeiden zu können. Andererseits sollten auch die Konsequenzen und verfahrensrechtlichen Möglichkeiten bekannt sein, wenn der Vorwurf einer Straftat – insbesondere eines Abrechnungsbetruges – erhoben wird.

    Wann liegt ein Abrechnungsbetrug vor?

    Ein Arzt begeht dann einen Abrechnungsbetrug, wenn er wissentlich oder willentlich die Krankenkasse, die KV oder den Patienten täuscht, indem er eine nicht oder nicht in diesem Umfang erbrachte Leistung abrechnet, um dadurch einen Vermögensvorteil zu erlangen. Für die Strafbarkeit ist es keineswegs Voraussetzung, dass dem Arzt die Strafbarkeit seines Handelns bekannt ist. Ausreichend ist vielmehr, dass er die Handlungen, die Voraussetzung für einen Betrug sind, bewusst vornimmt, um sich zu bereichern. Das Strafgesetzbuch spricht hier von einem vorsätzlichen Handeln.

    Wenn allerdings der Arzt guten Gewissens davon ausgeht, dass er seine Leistung tatsächlich erbracht hat und diese in der von ihm vorgenommenen Form abzurechnen ist, so fehlt es an einem Vorsatz bzw. an der Bereicherungsabsicht. Der Arzt will niemanden täuschen. Ferner will er auch keine Vermögensschädigung der Krankenkasse durch eine ungerechtfertigte Vergütung hervorrufen. Schließlich hat der Arzt auch nicht das Bewusstsein, auf den Vermögensvorteil (Vergütung) kein Recht zu haben.

    So verhalten Sie sich in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren

    Sobald die Ermittlungsbehörden – also Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei – den Verdacht des Vorliegens einer strafbaren Handlung haben, wird gegen den betroffenen Arzt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ein derartiges Ermittlungsverfahren ist oft sehr unangenehm, zumal in dessen Rahmen häufig Haus- und Praxisdurchsuchungen sowie Beschlagnahmen von Patientenkarteikarten und Praxiscomputern erfolgen. Dabei wird nicht gerade darauf Rücksicht genommen, ob das Wartezimmer der Praxis gut besucht ist oder nicht.

    Wer von einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren betroffen ist, wird schnell mer- ken, dass eine derartige Situation einen erheblichen Einschnitt in das private und berufliche Leben darstellt und dass man von dieser Situation sehr schnell überfordert werden kann. Aus diesem Grunde werden nachfolgend einige wichtige Verhaltenshinweise und Empfehlungen gegeben. Diese beziehen sich ausschließlich auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, und zwar unabhängig von dem erhobenen strafrechtlichen Vorwurf.

    1. Ruhe bewahren

    Bewahren Sie Ruhe! Ein „kopfloser“ Beschuldigter ist der denkbar schlechteste Anwalt in eigener Sache.

    2. Versierten Rechtsanwalt einschalten

    Schalten Sie unverzüglich nach Bekanntwerden des erhobenen Vorwurfs einen Rechtsanwalt ein. Dieser sollte sich nicht nur im Strafrecht, sondern darüber hinaus auch mit den vertragsärztlichen Zusammenhängen auskennen. Auf Grund der persönlichen und beruflichen Anspannung und wegen der Risiken möglicher Fehler ist dringend davon abzuraten, sich selbst zu verteidigen.

    3. Zunächst keine Angaben zum erhobenen Vorwurf machen

    Schweigen ist zunächst die beste Verteidigung. Über die persönlichen Angaben hinaus sollten gegenüber den Ermittlungsbehörden keine Angaben gemacht werden – insbesondere keine zum erhobenen Vorwurf. Ein falsches Harmonisierungsbedürfnis gegenüber den Ermittlungsbehörden ist unangebracht. Jede zur Sache gemachte Angabe kann im Zweifel gegen den Arzt verwendet werden. Das Recht, zu den erhobenen Beschuldigungen zu schweigen, ist in der Strafprozessordnung niedergelegt. Grundsätzlich darf einem Beschuldigten aus seinem Schweigen kein Nachteil erwachsen.

    Der Ladung zu einer polizeilichen Vernehmung sollte – zumindest so lange kein Verteidiger beauftragt wurde – nicht Folge geleistet werden. Es besteht keine Verpflichtung, einer derartigen Ladung nachzukommen. Die Berufung auf das Aussageverweigerungsrecht ist anzuraten.

    4. Zurückhaltung bei polizeilichen Durchsuchungen

    Im Falle einer polizeilichen Durchsuchung der Praxis empfiehlt es sich, den Dialog mit den Ermittlern soweit wie möglich zu vermeiden. Auch sollten dabei keine Unterlagen freiwillig herausgegeben werden. Wer zu sehr mit den Ermittlern kooperiert, erregt dadurch oft mehr Verdacht, als dass er sich entlastet.

    5. Rechte zur Einsicht in Unterlagen und Akten wahrnehmen

    In § 107 Straf- Prozess- Ordnung (StPO) ist das Recht auf Aushändigung eines genauen Verzeichnisses sämtlicher eventuell sichergestellter Unterlagen (Patientenkarteikarte) und Gegenstände (Computer und Ähnliches) niedergelegt. Auf dieses Verzeichnis sollte bestanden werden.

    Das Recht auf Akteneinsicht ist in § 147 Abs. 1 StPO normiert und kann nur über den Verteidiger geltend gemacht werden. Allein dieser Umstand sollte bereits ein zwingendes Argument für die Einschaltung eines Verteidigers sein.

    6. Einstellung des Verfahrens anstreben

    Gemeinsam mit dem Verteidiger ist zu prüfen, ob und inwieweit überhaupt eine Einlassung zur Sache – also zum erhobenen Vorwurf – abgegeben werden sollte. Dies hängt im Wesentlichen von dem Inhalt der Ermittlungsakte und dem Stand der Ermittlungen ab. Unter Umständen kann es sachgerechter sein, sich zu dem erhobenen Vorwurf auch schriftlich nicht zu äußern. Wenn der Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte jedoch ergibt, dass das Verfahren in eine für den Arzt ungünstige Richtung läuft, kann die Abgabe einer schriftlichen Einlassung auch vorteilhaft sein.

    Als oberstes Ziel einer gemeinsamen Verteidigung muss die Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO stehen. Bei dieser Einstellung wird von der Staatsanwaltschaft ein „hinreichender Tatverdacht“ verneint. Demgegenüber kann bereits eine Einstellung gemäß § 153 a StPO – also eine Einstellung gegen Weisungen und Auflagen (Geldbuße) – erhebliche Nachteile mit sich bringen. Eine Einstellung gemäß § 153 a gegen eine Geldauflage setzt einen hinreichenden Tatverdacht voraus. Es verbleibt somit ein Schuldvorwurf. Dies kann präjudizierende Auswirkungen haben und Disziplinar- , Zulassungsentziehungs- und Approbationsentziehungsverfahren nach sich ziehen (siehe unten). In jedem Falle ist aber selbstverständlich eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 a StPO vorteilhafter als eine Anklageerhebung und die sich möglicherweise daran anschließende öffentliche Hauptverhandlung vor dem Strafgericht.

    Gefahr auch durch nicht- strafrechtliche Verfahren

    Neben der strafrechtlichen Relevanz sind auch die weiteren Aspekte, die sich aus dem Vorwurf eines Abrechnungsbetrugs ergeben, nicht aus den Augen zu verlieren. Auch die KV, die Krankenkassen und die Approbationsbehörde werden Verfahren aufnehmen. Hier ist eine detaillierte Kenntnis der unterschiedlichen Verfahren und eine Koordination dringend erforderlich.

    1. KV- Honorarberichtigungsverfahren

    In den Fällen, in denen durch strafrechtliches Verhalten Honorarschäden bei den Kostenträgern bzw. bei der KV entstanden sind, wird die KV die betroffenen Honorarbescheide aufheben und einen entsprechenden Honorarrückforderungsbetrag festsetzen. In diesen Fällen gilt es, sehr dezidiert in die Verhandlungen mit der KV einzusteigen, um den möglichen Rückforderungsbetrag zu ermitteln. Gegenüber den Kostenträgern haben die KVen die Gewähr dafür übernommen, dass die Abrechnungen der Vertragsärzte ordnungsgemäß sind. Damit besteht für die KV eine Verpflichtung zur Honorarrückführung an die Kostenträger. Allerdings ist in der Praxis festzustellen, dass die Honorarrückforderungen der Kostenträger oft weit überzogen sind.

    2. Berufsgerichtsverfahren

    Erfährt eine Ärztekammer von einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren oder deckt sie durch eigene Ermittlungen einen Abrechnungsbetrug auf, so wird der Vorstand beschließen, ein berufsgerichtliches Verfahren zu beantragen. Hierfür gibt es eine eigene Gerichtsbarkeit, die in der Regel entweder bei den Verwaltungsgerichten oder bei den Landgerichten angesiedelt ist. Gemäß § 1 Abs. 1 Musterberufsordnung Ärzte ist der ärztliche Beruf mit besonderen Berufspflichten verbunden. Insbesondere ist demnach der Arzt verpflichtet, dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen.

    Als Sanktionen sieht das Berufsgerichtsverfahren zunächst die weniger einschneidenden Maßnahmen einer Verwarnung oder eines Verweises vor. Es können jedoch auch empfindliche Maßnahmen ausgesprochen werden – zum Beispiel Geldbußen bis zu 50.000 Euro oder die Feststellung, dass der Beschuldigte unwürdig ist, seinen Beruf auszuüben.

    3. Disziplinarverfahren

    Neben den allgemeinen berufsrechtlichen Pflichten sieht sich der Vertragsarzt auch dem Disziplinarrecht ausgesetzt. Seine gesetzliche Grundlage findet dieses in § 81 Abs. 5 SGB V und wird näher ausgeformt im Bundesmantelvertrag sowie den jeweiligen Disziplinarordnungen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Mit einem Abrechnungsbetrug verstößt der Vertragsarzt auch gegen seine vertragsärztlichen Pflichten.

    Liegt ein entsprechender Antrag auf Durchführung eines Disziplinarverfahrens vor, so hat der Disziplinarausschuss über die Frage eines Verstoßes und der Art der Disziplinarmaßnahme zu entscheiden. Es kommen auch hier eine Verwarnung und ein Verweis sowie eine Geldbuße bis zu 10.000 Euro in Betracht. Bei einem Abrechnungsbetrug in nicht unerheblichem Umfang kann jedoch auch die schärfste Disziplinarmaßnahme – die Anordnung des Ruhens der Zulassung für die Dauer von bis zu zwei Jahren – nicht ausgeschlossen werden.

    4. Zulassungsentziehungsverfahren

    Während das Disziplinarrecht als schärfste Maßnahme das Ruhen der Zulassung von bis zu zwei Jahren vorsieht, zielt das Zulassungsentziehungsverfahren darauf ab, einen Arzt durch die Entziehung der Zulassung aus der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen. Eine Abstufung der zu treffenden Maßnahmen gibt es also im Rahmen des Zulassungsentziehungsverfahrens nicht. Gemäß § 85 VI SGB V ist einem Arzt die Zulassung zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung zählt zu den Grundpflichten eines jeden Vertragsarztes. Das Bundessozialgericht sieht deshalb in der Regel in einem Verstoß gegen die Pflicht zur genauen Abrechnung eine gröbliche Pflichtverletzung, die zur Entziehung der Zulassung führt.

    5. Approbationsentzug

    Die Approbation stellt die staatliche Erlaubnis dar, den Beruf des Arztes auszuüben. Sie ist demnach Grundlage für jegliche ärztliche Tätigkeit, egal ob privatärztlicher oder vertragsärztlicher Art. Auch die einmal erteilte Approbation kann – genau wie die vertragsärztliche Zulassung – wieder entzogen werden. Dies ist dann der Fall, wenn sich der betreffende Arzt eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich eine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Im Gegensatz zum Berufsgerichts- und Disziplinarverfahren sowie der Entziehung der Zulassung gibt es beim Approbationsentzug allerdings kein Verfahren vor einem Gericht oder einem Ausschuss, bevor eine entsprechende Entscheidung getroffen wird. Die Approbationsbehörde selbst entscheidet, ob die Approbation entzogen wird oder nicht. Dem betroffenen Arzt muss allerdings vor Ausspruch einer entsprechenden Maßnahme hinreichend Gelegenheit gegeben werden, sich dazu zu äußern.

    Fazit: Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, welche existenzvernichtenden Auswirkungen das Fehlverhalten eines Arztes nach sich ziehen kann. Eine besondere Belastung stellt der Umstand dar, dass die dargestellten Folgen alle nebeneinander auftreten können. Lediglich das Disziplinarverfahren schließt sich bei gleichzeitigem Zulassungsentziehungsverfahren aus. Gegen den Arzt kann also gleichzeitig oder nacheinander ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, ein Berufsgerichtsverfahren, ein Disziplinar- /Zulassungsentziehungsverfahren sowie ein Verfahren zur Entziehung der Approbation durchgeführt werden. Hinzu kommen dann eventuell noch Schadenersatzforderungen der Krankenkassen und von Patienten.

    Quelle: Abrechnung aktuell - Ausgabe 06/2003, Seite 4

    Quelle: Ausgabe 06 / 2003 | Seite 4 | ID 100175