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· Fachbeitrag · Agenturvertrag

Versicherer darf ersparte Aufwendungen bei der Freistellungsvergütung nicht abziehen

von Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht, Kanzlei Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth & Kollegen München

| Was passiert bei Ende des Agenturvertrags? Muss sich der Vertreter fiktiv ersparte Aufwendungen von der im Agenturvertrag geregelten Freistellungsvergütung abziehen lassen? Die Antwort lautet: Nein. WVV bringt Sie in punkto Freistellungsvergütung auf den aktuellen Stand. |

Freistellungsklauseln und Entschädigungszahlung

Freistellungsklauseln in Agenturverträgen sind nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 29.03.1995, Az. VIII ZR 102/94, Abruf-Nr. 102319) zulässig, wenn

  • die Freistellung zusammen mit einem eventuellen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nach § 90aHGB den Zeitraum von 2 Jahren nicht überschreitet und
  • die Klausel eine ausreichende Freistellungsentschädigung enthält.

 

In den Agenturverträgen der meisten Versicherer ist eine Freistellungsklausel enthalten. Diese berechtigt den Versicherer, den Vertreter ab Ausspruch einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freizustellen.

 

Diskussionen gibt es immer wieder, wie die Freistellungsvergütung konkret berechnet wird. Als angemessen wird eine Entschädigungsregelung angesehen, die die Fortzahlung der bisherigen Einkünfte bis zum Vertragsende sicherstellt. Das LG Münster hat sich jetzt mit deren Höhe befasst.

LG Münster: Kein Abzug von fiktiv ersparten Aufwendungen

Im konkreten Fall hatte der Vertreter den Vertrag ordentlich gekündigt. Der Versicherer hatte ihn daraufhin für die restliche Dauer der Kündigungsfrist (11 Monate) freigestellt. Der Agenturvertrag enthielt folgende Regelung:

 

  • Regelung zur Freistellung und Vergütung

Nach erfolgter Kündigung ist das Versicherungsunternehmen berechtigt, den Versicherungsvertreter von jeder weiteren Tätigkeit zu entbinden, ohne dass dadurch seine Provision oder etwaige sonstige Bezüge bis zum Ablauf der Kündigungsfrist berührt werden.

 

So rechnet der Versicherer

Im ersten Schritt hatte der Versicherer anhand der Einkünfte aus dem Vorjahr eine durchschnittliche monatliche Vergütung errechnet. Diese Berechnung hatte der Vertreter akzeptiert. Im zweiten Schritt hatte der Versicherer allerdings diese durchschnittliche monatliche Vergütung um ‒ fiktive ‒ Aufwendungen gekürzt, die sich der Vertreter durch die Freistellung erspart hatbe. Als Freistellungsvergütung zahlte er nur den gekürzten Betrag aus.

 

So rechnen der Versicherungsvertreter und das LG Münster

Diese Kürzung wollte sich der Vertreter nicht gefallen lassen. Nachdem die Freistellungszeit abgelaufen war, erhob er Klage auf Auszahlung des Differenzbetrags in Höhe von ca. 170.000 Euro beim LG Münster. Er wies darauf hin, dass der Abzug von ersparten Aufwendungen bereits durch die vertragliche Regelung nicht gerechtfertigt sei. Im Übrigen sei eine Freistellungsentschädigung ein vertraglicher Vergütungsanspruch und kein Schadenersatzanspruch, bei dem ersparte Aufwendungen abgezogen werden können.

 

Das LG Münster hat dem Vertreter recht gegeben. Es hat den Versicherer verurteilt, die unberechtigten Abzüge an den Vertreter auszuzahlen. Ersparte Aufwendungen können nach Ansicht des LG bei der Berechnung einer Freistellungsvergütung nicht abgezogen werden, weil

  • bereits der Wortlaut der vertraglichen Regelung nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass ersparte Aufwendungen abgezogen werden können,
  • auch eine Anrechnung von ersparten Aufwendungen gemäß § 615 S. 2 BGB nicht möglich ist, weil durch die Freistellung kein Annahmeverzug vorliegt (LG Münster, Urteil vom 06.04.2017, Az. 22 O 131/16, Abruf-Nr. 202021).

 

Wichtig | Der Versicherer hat Berufung zum OLG Hamm eingelegt. Auf Anraten des OLG hat der Versicherer die Berufung zurückgenommen, sodass das Urteil des LG rechtskräftig ist.

Freistellungsvergütung mit und ohne Freistellungsklausel

In vielen Fällen verwenden Versicherer eine Freistellungsklausel im Agenturvertrag. Ist in ihr ausdrücklich der Abzug von ersparten Aufwendungen von der Durchschnittsvergütung des letzten Jahres vor der Freistellung enthalten, spricht viel dafür, dass diese AGB-Klausel nach § 307 BGB unwirksam ist. Sie haben dann Anspruch auf eine ungekürzte Freistellungsvergütung.

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Spricht ein Versicherer eine Freistellung aus, obwohl keine Freistellungsklausel im Agenturvertrag enthalten ist, haben Sie die Wahl:

 

  • Sie können die Freistellung ausdrücklich akzeptieren, wobei es sich empfiehlt, die Zustimmung hierzu schriftlich zu erklären. In diesem Fall kommt nachträglich eine vertragliche Freistellungsregelung zustande. Für die Freistellungsvergütung gilt dann das oben Ausgeführte.

  • Sie können die Freistellung ablehnen und den Versicherer auffordern, die gekappten EDV-Zugänge wieder freizuschalten, um Ihnen Ihre Vertriebstätigkeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu ermöglichen. Kommt der Versicherer dem nicht nach, kann nach vorheriger Abmahnung eine fristlose Kündigung in Betracht kommen. Sofern Sie dann einen Schadenersatz in Höhe des entgangenen Gewinns bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist geltend machen, dürfte eine Anrechnung von ersparten Aufwendungen durch den Versicherer möglich sein, da ein Schadenersatz- und kein vertraglicher Vergütungsanspruch geltend gemacht wird.
Quelle: Ausgabe 10 / 2018 | Seite 3 | ID 45379198