Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Reisekosten

BFH-Reisekostenurteile für nicht ortsfest eingesetzte Arbeitnehmer ‒ Folgen für Agenturen

von StB Dipl.-Finw. (FH) Susanne Weber, WTS Steuerberatungsges. mbH, München

| Das steuerliche Reisekostenrecht, das seit dem 01.01.2014 gilt, gilt auch für nicht ortsfest eingesetzte Arbeitnehmer. Das hat der BFH in mehreren Verfahren entschieden. Der BFH hat damit weitgehend die Regelungen bestätigt, die die Finanzverwaltung zur Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte anhand der Zuordnung des Arbeitgebers getroffen hat. WVV erläutert Ihnen die Folgen der Urteile für Ihre Versicherungsagentur. |

Grundsätze zur ersten Tätigkeitsstätte

Mit dem seit 2014 geltenden Reisekostenrecht wurde der bisherige Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte durch den Begriff „erste Tätigkeitsstätte“ ersetzt. Die Folgen sind jedoch weitgehend gleich geblieben:

 

  • Die Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte darf Ihr Mitarbeiter in seiner Einkommensteuererklärung nur in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungskosten geltend machen. Nutzt Ihr Mitarbeiter für diese Fahrten einen Dienstwagen, den Sie ihm zur Verfügung gestellt haben, ist ein geldwerter Vorteil zu versteuern. Nutzt Ihr Mitarbeiter sein privates Fahrzeug, können Sie ihm die Kosten nicht steuerfrei erstatten. Seit 2019 können Jobtickets steuerfrei bleiben, wenn sie zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn erstattet werden.

 

  • Auch für die Berechnung der Verpflegungsmehraufwendungen ist die Abwesenheit Ihres Mitarbeiters von seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte maßgebend.

 

Nach § 9 Abs. 4 S. 1 EStG ist die erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Ohne Zuordnung kann eine erste Tätigkeitsstätte vorliegen, wenn der Arbeitnehmer an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft in einem bestimmten zeitlichen Umfang tätig werden soll.

Tätigkeitsstätte ‒ ortsfeste betriebliche Einrichtung

Nur ortsfeste betriebliche Einrichtungen, also etwa Ihre Agentur, können erste Tätigkeitsstätte sein. Eine erste Tätigkeitsstätte kann sich aber auch in der betrieblichen Einrichtung eines Dritten (z. B. bei einem Kunden) befinden.

Zuordnung durch dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung

Die Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Der BFH bestätigt die Sicht der Finanzverwaltung, dass hierzu alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen zählen (BFH, Urteil vom 11.04.2019, Az. VI R 40/16, Abruf-Nr. 210003).

 

Zuordnungsentscheidung ist maßgebend

Sie können die Zuordnung bereits im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts vornehmen. Auch eine Zuordnungsentscheidung, die vor 2014 getroffen wurde, kann maßgebend sein. Es ist nicht Voraussetzung, dass Sie sich der steuerrechtlichen Folgen der Zuordnung bewusst sind, so der BFH.

 

Die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte muss nicht ausdrücklich erfolgen. Und sie muss für ihre steuerliche Wirksamkeit auch nicht ausdrücklich dokumentiert sein. In diesem Punkt widerspricht der BFH der Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 24.10.2014 (Az. IV C 5 ‒ S 2353/14/10002, Rz. 10, Abruf-Nr. 143138).

 

  • Beispiel

Ihr Mitarbeiter ist seit 2010 im Innendienst tätig. Er fährt jeden Tag von seiner Wohnung zu Ihrer Agentur. Fahrtkosten erstatten Sie ihm, wenn er etwa zu einer Weiterbildung an einen anderen Ort oder zu einer Filiale Ihrer Agentur fährt. In seinem Arbeitsvertrag ist kein Tätigkeitsort festgelegt.

 

Ergebnis: Ihr Mitarbeiter ist der Agentur dauerhaft zugeordnet ‒ trotz fehlender schriftlicher Zuordnung. Denn die Zuordnung wird durch die Tatsache dokumentiert, dass Sie ihm für die Fahrten zur Agentur keine Reisekosten erstatten.

 

Ordnen Sie Ihren Mitarbeiter z. B. der Agentur zu, weil er dort seine Arbeitsleistung erbringen soll, ist diese Zuordnung steuerrechtlich maßgebend. Einer gesonderten Zuweisung für steuerrechtliche Zwecke bedarf es nicht (BFH, Urteil vom 11.04.2019, Az. VI R 40/16, Abruf-Nr. 210003). Entscheidend ist, ob Ihr Mitarbeiter aus der ex-ante-Sicht nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen dort tätig werden sollte (BFH, Urteil vom 04.04.2019, Az. VI R 27/17, Abruf-Nr. 209985). Sie können aber weiterhin auch ausdrücklich erklären, dass die Zuordnung keine steuerliche Wirkung hat, und dass die erste Tätigkeitsstätte nach den zeitlichen Kriterien bestimmt werden soll. Das hat das FG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 09.04.2019 (Az. 5 K 5268/17, Abruf-Nr. 210276) bestätigt.

 

Qualitativer Schwerpunkt der Tätigkeit unerheblich

Auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die Ihr Mitarbeiter dort ausübt oder ausüben soll, kommt es nicht an (BFH, Urteil vom 04.04.2019, Az. VI R 27/17, Abruf-Nr. 209985).

 

Es reicht aus, dass Ihr Mitarbeiter am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu seinem ausgeübten Berufsbild gehören (BFH, Urteil vom 11.04.2019, Az. VI R 40/16, Abruf-Nr. 210003). Ein Ort, an dem er nicht tätig wird (bzw. im Normalfall nicht tätig werden soll), kann aber nicht erste Tätigkeitsstätte sein.

 

  • Beispiel

Ihr angestellter Außendienstmitarbeiter verbringt seine Arbeitszeit meist im Außendienst. Seine Büroarbeiten erledigt er von zu Hause aus. In der Agentur nimmt er nur an Besprechungen einmal pro Woche teil. Sie haben die Agentur als Arbeitsort im Arbeitsvertrag festgelegt.

 

Ergebnis: Die Agentur ist erste Tätigkeitsstätte des Außendienstmitarbeiters qua Zuordnung. Nutzt Ihr Mitarbeiter für die Fahrten Wohnung ‒ Agentur einen Dienstwagen, den Sie ihm zur Verfügung gestellt haben, ist ein geldwerter Vorteil zu versteuern.

 

Dauerhafte Zuordnung

Eine dauerhafte Zuordnung liegt nach § 9 Abs. 4 S. 3 EStG insbesondere vor, wenn Ihr Mitarbeiter an einer Tätigkeitsstätte

  • unbefristet,
  • für die Dauer des Dienstverhältnisses oder
  • über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus tätig werden soll.

 

  • Unbefristete Zuordnung: Unbefristet ist eine Zuordnung laut BFH, wenn die Dauer der Zuordnung aus der ex-ante-Sicht nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Eine Zuordnung „bis auf weiteres“ ist daher nicht nur vorübergehend. Auch eine jederzeitige Versetzungsmöglichkeit führt nicht zu einer befristeten Zuordnung.

 

  • Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses: Eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses liegt vor, wenn sie aus der ex-ante-Sicht für die gesamte Dauer Bestand haben soll. Bei einem befristeten Beschäftigungsverhältnis ist zu prüfen, ob Ihr Mitarbeiter der Tätigkeitsstätte für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses zugeordnet wurde. War er im Rahmen eines befristeten Dienstverhältnisses einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf (z. B. im Rahmen einer Verlängerung) einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, ist Ihr Mitarbeiter ab der zweiten Zuordnung auf Auswärtstätigkeit bzw. Dienstreise (BFH, Urteil vom 10.04.2019, Az. VI R 6/17, Abruf-Nr. 209989).

 

  • Beispiel

Sie stellen eine Mitarbeiterin befristet für ein Jahr als Elternzeitvertretung am Standort A ein und legen A als Arbeitsort im Arbeitsvertrag fest. Nach vier Monaten versetzen Sie sie vorübergehend als Krankheitsvertretung an den Standort B.

 

Ergebnis: Der Standort A ist die erste Tätigkeitsstätte, da zum Zeitpunkt der Einstellung davon ausgegangen wurde, dass die Mitarbeiterin für die gesamte Dauer des befristeten Dienstverhältnisses am Standort A tätig werden sollte. Standort B ist nur vorübergehend und daher nicht die erste Tätigkeitsstätte. Ihre Mitarbeiterin ist am Standort B auswärts tätig.

 

Bestimmung der Tätigkeitsstätte aufgrund zeitlicher Kriterien

Ordnen Sie einen Mitarbeiter arbeitsrechtlich nicht einer ersten Tätigkeitsstätte zu oder ist diese Zuordnung nicht eindeutig, dann liegt eine erste Tätigkeitsstätte vor, wenn der Mitarbeiter an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft

  • typischerweise arbeitstäglich,
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder
  • mindestens ein Drittel seiner regelmäßigen Arbeitszeit dort verbringt.

Umsetzung in der Praxis

Legen Sie die erste Tätigkeitsstätte durch Zuordnung fest, ist es unerheblich, wie oft Ihr Mitarbeiter diese Tätigkeitsstätte aufsucht und welche Tätigkeiten er dort erbringt. Legen Sie ausdrücklich keine Zuordnung fest, dann greifen die zeitlichen Kriterien. Sind diese nicht erfüllt, hat der Mitarbeiter in diesen Fällen keine erste Tätigkeitsstätte. Er ist dann immer auswärts tätig.

 

Nutzen Sie das folgende Prüfschema, um zu entscheiden, ob eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt.

Quelle: Ausgabe 09 / 2019 | Seite 11 | ID 46047518