07.06.2019 · IWW-Abrufnummer 209282
Oberlandesgericht Naumburg: Urteil vom 22.02.2016 – 4 U 17/16
Die Kinderwunschbehandlung kann in den Bedingungen der privaten Krankenversicherung zumindest außerhalb des Basistarifs von der Leistungspflicht des Versicherers ausgenommen werden.
Oberlandesgericht Naumburg
In dem Rechtsstreit
...
Urt. v. 22.02.2018
Az.: 4 U 17/16
In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 2018 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krause, die Richterin am Oberlandesgericht Grimm und den Richter am Oberlandesgericht Scholz
f ü r R e c h t e r k a n n t :
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 8. Juli 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
und b e s c h l o s s e n :
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 15.440 € festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1, 544 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.
II.
Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst formell zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf keiner Rechtsverletzung, da die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen keine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Das Landgericht hat dem Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenübernahme der durchgeführten Kinderwunschbehandlung zu Recht versagt.
Die zwischen den Parteien bestehende Krankheitsversicherung nimmt nach den zugrunde liegenden Bestimmungen des Tarifes Intro/Privat-Spezial in 1.1.2 die Kosten einer Kinderwunschbehandlung von einer Erstattungsfähigkeit aus.
Wenn es dort heißt: "Nicht erstattungsfähig sind Aufwendungen für ... assistierte Reproduktion ("künstliche Befruchtung") bei unerfülltem Kinderwunsch (§ 5 Abs. 1.3 Allgemeine Versicherungsbedingungen, Teil II findet im Tarif Intro/Privat-Spezial keine Anwendung)" ist diese Formulierung angesichts ihres Regelungsgehaltes eindeutig, weshalb für eine Auslegung dahingehend, dass Kosten für eine "extrakorporale Befruchtung", wie sie in § 5 Abs. 1.3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Teil II genannt werden, weiter erstattungspflichtig sein sollen, kein Raum bleibt. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an. Ein solcher Versicherungsnehmer wird zunächst vom Wortlaut der Bedingungen ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgebend ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2017, IV ZR 116/15, Rdnr. 12, 13 m. w. N., zitiert nach juris). Danach bezieht ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Leistungsbeschreibung in § 5 Abs. 1.3 Satz 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen auf sämtliche Formen einer künstlichen Befruchtung.
Denn extrakorporal bedeutet außerhalb des Körpers, d. h. eine nicht auf natürlichem Wege stattfindende Befruchtung, die gleichermaßen auch als künstliche Befruchtung bezeichnet wird. Beide Begriffe - extrakorporal und künstlich - werden erkennbar synonym verwendet, woran die Verknüpfung mit einem "oder" nichts ändert. Hinzu kommt, dass die betreffende Regelung in I.1.1.2 des Tarifes Intro/Privat-Spezial mit der Erläuterung in der Klammer "§ 5 Abs. 1.3 Allgemeine Versicherungsbedingungen Teil II findet im Tarif Intro/Privat-Spezial keine Anwendung" eindeutig klarstellt, dass die gesamte in § 5 Abs. 1.3 Satz 1 umschriebene Leistungspflicht, d. h. für künstliche und für extrakorporale Befruchtung, nicht zur Anwendung kommen soll.
Diese Regelung lässt auch sonst, was das Verhältnis zu den hier zugrunde liegenden Rahmenbedingungen (MB/KK 2008) anbelangt, keine Transparenzdefizite im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB aufkommen. Denn für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der die gebotene Sorgfalt bei der Lektüre des Regelwerkes aufbringt, erschließt sich problemlos, dass die Beklagte derartige Kosten für eine Kinderwunschbehandlung ausweislich der tariflichen Regelung in I.1.1.2 der Bestimmungen des Tarifes Intro/Privat-Spezial nicht zu erstatten hat.
Auf diese Konsequenz wird der Versicherungsnehmer bereits in den MB/KK 2008 hingewiesen, wenn es dort in § 1 (3) heißt: "Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich aus dem Versicherungsschein, späteren schriftlichen Vereinbarungen, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Musterbedingungen mit Anhang, Tarif mit Tarifbestimmungen sowie den gesetzlichen Vorschriften". Zudem stellt § 4 Abs. 1 MB/KK unmissverständlich Folgendes klar: "Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen".
Hieraus entnimmt ein Versicherungsnehmer, dass der von ihm gewählte Tarif mit dem dort genannten Leistungsumfang bzw. mit den dort vorgesehenen Leistungseinschränkungen für sein Vertragsverhältnis maßgeblich ist.
Genauso wenig handelt es sich bei dem Kostenausschluss für Kinderwunschbehandlungen um eine überraschende Bestimmung im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB. Ausgehend von dem Hauptleistungsversprechen und dem in § 1 Abs. 1a) MB/KK 2008 weitgesteckten Leistungsrahmen, Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen zu übernehmen, rechnet ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer damit, dass ein solches Leistungsversprechen näherer Ausgestaltung bedarf, welches auch mit Einschränkungen für ihn verbunden sein kann. Hierauf weist § 4 Abs. 1 MB/KK 2008 ausdrücklich hin, wenn es dort heißt, dass sich Art und Höhe der Versicherungsleistungen aus dem Tarif mit Tarifbedingungen ergeben.
Die Ausnahme einer Kostenerstattung für Kinderwunschbehandlungen bedeutet ebenso wenig eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB. Eine Vertragszweckgefährdung liegt nicht vor. Dies wäre erst dann der Fall, wenn mit der Einschränkung der Leistung der Vertrag quasi ausgehöhlt würde und dieser in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos erschiene. Die eng umgrenzte Beschränkung auf Kosten einer Kinderwunschbehandlung lässt den Kern einer Kostenübernahme für medizinisch-notwendige ärztliche Heilbehandlung im Übrigen unangetastet. Eine derartige Beschränkung ist auch keineswegs unangemessen. Denn aus Sicht der Beklagten als Versicherer wird damit nicht einseitig versucht, ein Kosteninteresse durchzusetzen. Vielmehr handelt die Beklagte auch im Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten.
Auf diese Weise ist es der Beklagten nämlich eröffnet, ihre Einstandspflicht zu kalkulieren und angemessen zu begrenzen, um so günstige Tarife anbieten zu können. Die Kinderwunschbehandlung knüpft zwar auch am Vorliegen eines krankhaften Zustandes an und ist deshalb dem Bereich der Heilbehandlung zuzuordnen, nimmt aber in diesem Rahmen eine gewisse Sonderstellung ein. Denn sie bedeutet keine quasi reflexhafte Reaktion auf eine aufgetretene Krankheit, sondern beinhaltet vielmehr ein voluntatives Element des Versicherten. Ob jemand einen Kinderwunsch hegt oder nicht, hängt von seiner eigenen Lebensplanung und damit letztlich von seinem eigenen Willen ab. Die Kosten einer Kinderwunschbehandlung sind zudem weitgehend überschaubar und nicht vergleichbar mit einer nicht absehbaren Kostenlast für die Behandlung einer unerwartet auftretenden, womöglich lebensbedrohlichen oder dringend behandlungsbedürftigen Erkrankung. Denn über eine fehlende Übernahme der Kosten einer Kinderwunschbehandlung hinaus bedeutet der Leistungsausschluss kein Gesundheitsrisiko für den Versicherten. Es bestehen deshalb keine Bedenken, es der individuellen Entscheidung des Versicherungsnehmers zu überlassen, ob er, um in den Genuss eines kostengünstigen Tarifes zu gelangen, auf die Kostenübernahme für Kinderwunschbehandlungen verzichtet oder nicht.
Auch vor dem Hintergrund eines nach neuer Gesetzeslage aus § 193 Abs. 3 VVG folgenden Mindestversicherungsschutzes in der privaten Krankenversicherung lässt sich keine unangemessene Benachteiligung herleiten. So hat der BGH mehrfach betont, die Tarifbestimmungen der privaten Krankenkostenversicherung müssten sich selbst in Ansehung des § 193 Abs. 3 VVG und der Substitutionsfunktion der privaten Krankenversicherung nicht in der Weise an den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung messen lassen, als dass sie deren Leistungsumfang nicht unterschreiten dürfen. Auf Grund der Strukturunterschiede beider Systeme kann der privat Krankenversicherte nicht erwarten, in gleicher Weise versichert zu sein, wie Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gilt zumindest für eine Krankenkostenversicherung, die nicht zum Basistarif abgeschlossen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2015, IV ZR 181/14, Rdnr. 22 und zuletzt Beschluss vom 4. Juli 2017, IV ZR 116/15, Rdnr. 19, 20 beides zitiert nach juris). Danach scheidet eine unangemessene Benachteiligung bei der hier zugrunde liegenden, nicht zum Basistarif abgeschlossenen Krankenversicherung aus.
Damit kommt es auf die Frage, ob ein Leistungsausschluss für Kinderwunschbehandlungen darüber hinaus, unabhängig von den tariflichen Bestimmungen, auch aus einem individuell von den Parteien ausgehandelten Leistungsausschluss zu folgern ist, wovon das Landgericht mit Blick auf die Vereinbarung vom 12. Dezember 2007 ausgegangen ist, nicht mehr entscheidungserheblich an.
Auf einen Schadensersatzanspruch wegen eines Beratungsverschuldens der Beklagten kann sich der Kläger ebenfalls nicht erfolgreich berufen.
Dabei mag dahinstehen, ob auf Seiten des Klägers wegen des eingeschränkten Leistungsumfanges überhaupt konkreter Beratungsbedarf bezogen auf die nicht umfassten Kosten einer Kinderwunschbehandlung bestand. Denn der Abschluss der gegenständlichen Versicherung ist - was von den Parteien auf Befragen im mündlichen Termin übereinstimmend klargestellt worden ist - von einem Makler vermittelt worden. Danach hätte eine Beratungspflicht allein den, im rechtlichen Lager des Klägers stehenden Makler treffen können, wohingegen die Beklagte als Versicherer von einer ausreichenden Beratung durch den Makler ausgehen durfte und deshalb keine eigene Beratung schuldete.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit dieses und des angefochtenen Urteils beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verb. mit § 26 Nr.8 EGZPO.
Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf noch verlangen die Fortbildung des Rechts oder die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
VorschriftenB/KK 2008 § 1 Abs. 1a); § 305c Abs. 1 BGB