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17.10.2016 · IWW-Abrufnummer 189275

Bundesgerichtshof: Urteil vom 03.04.1996 – VIII ZR 54/95

Ein Versicherungsunternehmen ist grundsätzlich nicht nach Treu und Glauben verpflichtet, einem ausgeschiedenen Versicherungsvertreter zur Vorbereitung eines Ausgleichsanspruchs Auskunft über die weitere Entwicklung der von dem Vertreter vermittelten Versicherungsverträge zu erteilen.


Bundesgerichtshof

Urt. v. 03.04.1996

Az.: VIII ZR 54/95

Tatbestand:

1

Der Kläger war in der Zeit vom 1. Mai 1985 bis 28. Februar 1990 für die Beklagten, zwei Versicherungsgesellschaften, als Versicherungsvertreter tätig. Das Vertragsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung der Beklagten. Für seine Tätigkeit erhielt der Kläger Abschluß-, Erneuerungs- und Bestandspflegeprovisionen. Die Vereinbarungen der Parteien sahen vor, daß bei Beendigung des Vertragsverhältnisses Provisionsansprüche entfallen und ein etwa gegebener Ausgleichsanspruch unter Anwendung der "Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs" ermittelt werden sollte.

2

In erster Instanz hat der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von 65.000 DM Handelsvertreterausgleich nebst Zinsen in Anspruch genommen und darüber hinaus beantragt, "die Beklagte" zur Auskunft über "den Bestand des Oberinspektorats 17 per 1. Mai 1985 und 28. Februar 1990" zu verurteilen. Das Landgericht, dessen Urteil allein die Erstbeklagte als beklagte Partei aufführt, hat "die Beklagte" zur Zahlung von 3.049,02 DM Handelsvertreterausgleich nebst Zinsen verurteilt, die weitergehende Klage abgewiesen und über die Kosten des Rechtsstreits entschieden. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er seinen erstinstanzlichen Zahlungsantrag gegen beide Beklagte als Gesamtschuldner, hilfsweise allein gegen die Zweitbeklagte und "äußerst hilfsweise" allein gegen die Erstbeklagte weiterverfolgt hat. Zugleich hat er hilfsweise hierzu eine Stufenklage angekündigt, diese aber erst durch Verlesung der entsprechenden Anträge in der ersten Berufungsverhandlung vom 9. Juni 1994 erhoben. In der letzten mündlichen Verhandlung zweiter Instanz hat der Kläger in erster Linie die Anträge der zunächst hilfsweise erhobenen Stufenklage, ergänzt um ein weiteres Auskunftsbegehren, gestellt, und zwar primär hinsichtlich der Erstbeklagten und hilfsweise hinsichtlich der Zweitbeklagten. Hilfsweise hierzu hat er den ursprünglichen Hauptantrag auf Zahlung von 65.000 DM Handelsvertreterausgleich nebst Zinsen weiterverfolgt, und zwar gleichfalls primär gegen die Erstbeklagte und hilfsweise gegen die Zweitbeklagte.

3

Das Oberlandesgericht hat die Berufung, soweit sie sich gegen die Zweitbeklagte richtet, als unzulässig verworfen, die Erstbeklagte zur Erteilung eines Buchauszuges für die Monate Januar und Februar 1990 verurteilt, die weitergehende Stufenklage - mit Ausnahme etwaiger Ansprüche auf Abrechnung und Auszahlung von Provisionen für die Monate Januar und Februar 1990 - abgewiesen und hinsichtlich des hilfsweise weiterverfolgten bezifferten Ausgleichsbegehrens die Berufung zurückgewiesen.

4

Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, hat der Kläger hinsichtlich der Erstbeklagten die in zweiter Instanz zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Insoweit hat der erkennende Senat die Annahme der Revision abgelehnt. Hinsichtlich der Zweitbeklagten bekämpft der Kläger die Verwerfung der Berufung als unzulässig.

Entscheidungsgründe

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I. Das Oberlandesgericht hat die Berufung für unzulässig gehalten, soweit diese sich gegen die Zweitbeklagte richte. Dem Kläger könne, so hat es gemeint, zunächst nicht darin gefolgt werden, daß im Verhältnis zur Zweitbeklagten keine Berufung eingelegt sei. Der Kläger habe vielmehr in der Berufungsbegründungsschrift ohne Vorbehalt die Verurteilung auch der Zweitbeklagten erstrebt. Darin liege im Verhältnis zu dieser die Einlegung einer Berufung, nachdem die ursprüngliche Berufung sich ausweislich der Berufungsschrift allein gegen die Erstbeklagte gerichtet habe. Die gegen die Zweitbeklagte eingelegte Berufung sei schon deshalb unzulässig, weil sie erst mit Einreichung der Berufungsbegründungsschrift und damit nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt worden sei. Überdies fehle es hinsichtlich der Zweitbeklagten an einer erstinstanzlichen Entscheidung. Wie sich aus dem Zusammenhang zwischen Rubrum und Tenor des erstinstanzlichen Urteils ergebe, habe das Landgericht im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten keine Entscheidung getroffen, auch wenn es selbst irrtümlich der Meinung gewesen sei, ein Endurteil zu erlassen. Die in Wahrheit unvollständige Entscheidung könne nur als verstecktes Teilurteil gewertet werden, so daß die Klage gegen die Zweitbeklagte noch in erster Instanz anhängig sei.

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II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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1. Die mit der Berufung angefochtene landgerichtliche Entscheidung ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein verdecktes Teilurteil. Tatbestand und Entscheidungsgründe lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß das Landgericht im Verhältnis zu beiden Beklagten über die Klage vollständig und instanzbeendend entschieden hat. Daß dies der Wille und die Vorstellung der Erstrichterin war, bezweifelt auch das Berufungsgericht nicht. Soweit das erstinstanzliche Urteil im Rubrum als beklagte Partei allein die Erstbeklagte aufführt und in Rubrum, Tenor und Tatbestand den Begriff "Beklagte" ausnahmslos in der Einzahl verwendet, handelt es sich mithin um offenbare Unrichtigkeiten der erstinstanzlichen Entscheidung, die gemäß § 319 Abs. 1 ZPO jederzeit - auch vom Rechtsmittelgericht (BGHZ 106, 370, 373) - berichtigt werden können. Dies ist mit der Neufassung der landgerichtlichen Urteilsformel geschehen.

8

2. Unter diesen Umständen richtet sich auch die Berufung des Klägers von Anfang an gegen beide Beklagte. Anhaltspunkte für eine nur teilweise Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils sind der Berufungsschrift nicht zu entnehmen. Daß darin allein die Erstbeklagte als Beklagte und Berufungsbeklagte aufgeführt ist, erklärt sich zwanglos aus der Unvollständigkeit des Rubrums der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung und wäre selbst dann unschädlich, wenn das Rubrum des Landgerichtsurteils vollständig wäre (Senatsurteil vom 19. März 1969 - VIII ZR 63/67 - WM 1969, 863 unter 2). Da die Berufung des Klägers sich somit bei richtiger Auslegung einerseits des angefochtenen Urteils, andererseits der Berufungsschrift von Anfang an gegen die Klageabweisung hinsichtlich beider Beklagter richtete und in diesem Umfang auch hinreichend begründet worden ist, ist die Berufung in vollem Umfang zulässig.

9

III. Die Verwerfungsentscheidung der Vorinstanz kann somit keinen Bestand haben. Da der Rechtsstreit, soweit er in die Revisionsinstanz gelangt ist, zur Endentscheidung reif ist, kann der erkennende Senat ohne Verstoß gegen das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 2 ZPO in der Sache selbst entscheiden (BGHZ 102, 332, 337 f, MünchKommZPO-Walchshöfer, § 547 Rdnr. 13, Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 547 Rdnr. 8). Die Berufung und die in zweiter Instanz erweiterte Klage haben auch im Verhältnis zur Zweitbeklagten nur in dem Umfang Erfolg, in dem das Berufungsgericht der Klage gegen die Erstbeklagte stattgegeben hat.

10

1. Die Erteilung eines Buchauszuges kann der Kläger allein noch für die Monate Januar und Februar 1990 verlangen. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1990 sind Provisionsansprüche des Klägers nach § 88 HGB verjährt. Nach dieser Bestimmung hat der Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist für alle im Jahre 1989 fällig gewordenen Provisionsansprüche mit dem Schluß des Jahres 1989 begonnen. Verjährung ist daher mit Ablauf des 31. Dezember 1993 eingetreten. Als verjährungsunterbrechende Maßnahme kommt im Streitfall allein die Erhebung der Stufenklage in Betracht. Erhoben hat der Kläger die Stufenklage indessen erst in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 9. Juni 1994. Zu diesem Zeitpunkt war bereits Verjährung eingetreten. Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben.

11

Soweit Provisionsansprüche verjährt sind, kann der Handelsvertreter auch die Hilfsansprüche nach § 87 c HGB nicht mehr mit Erfolg geltend machen. Diese unterliegen zwar einer eigenen vierjährigen Verjährung, deren Beginn nicht mit dem der Verjährung der Provisionsansprüche übereinstimmen muß. Sie werden aber gegenstandslos, wenn der Provisionsanspruch, dessen Vorbereitung sie dienen sollen, verjährt ist oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden kann (BGH, Urteile vom 1. Dezember 1978 - I ZR 7/77 = WM 1979, 304 unter 1, vom 31. Januar 1979 - I ZR 8/77 = WM 1979, 463 unter 1, vom 22. Mai 1981 - I ZR 34/79 = WM 1981, 991 unter I 2 c). Auskunft über verjährte Provisionsansprüche kann der Vertreter auch nicht mit der Begründung verlangen, er benötige die Auskunft zur Vorbereitung seines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB (BGH, Urteil vom 22. Mai 1981 aaO. unter I 2 d).

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2. Zur Vorbereitung des Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Auskunft über die nach Vertragsende eingetretene Entwicklung der Versicherungsverträge zu, deren Abschluß oder erhebliche Erweiterung er vermittelt hat.

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Ein Anspruch auf Auskunft kann sich aus Treu und Glauben ergeben, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchführung seines Zahlungsanspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer zu geben vermag (BGHZ 95, 285, 287 f [BGH 13.06.1985 - I ZR 35/83], st.Rspr.). Im Streitfall fehlt es indessen an der Erforderlichkeit der verlangten Auskunft zur Vorbereitung und Durchführung des Ausgleichsanspruchs, wie das Berufungsgericht für das gleichgelagerte Verhältnis des Klägers zur Erstbeklagten zutreffend entschieden hat. Grundlage der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB ist eine Prognose über die nach Vertragsbeendigung zu erwartenden Unternehmervorteile und Provisionsverluste (§ 89 b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 HGB), die auf der Grundlage der vom Handelsvertreter darzulegenden Entwicklung seiner bis zum Vertragsende erzielten Provisionseinkünfte aufzustellen ist. Das gilt grundsätzlich auch für den Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters (Staub/Brüggemann, HGB, 4. Aufl., § 89 b Rdnr. 136), soweit er Provisionsverluste aus solchen Verträgen abgelten soll, die nach Beendigung des Vertreterverhältnisses abgeschlossen worden sind, aber in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit von dem Vertreter früher vermittelten Verträgen stehen, insbesondere eine Verlängerung oder Summenerhöhung solcher Verträge zum Inhalt haben (BGHZ 34, 310, 315 ff; 55, 45, 52; 59, 125 [BGH 06.07.1972 - VII ZB 75/71]; BGH Urteil vom 21. März 1963 - VII ZR 95/61 = VersR 1963, 556 unter II 5). Für diese Prognose ist es erforderlich, aber auch ausreichend, daß der Versicherungsvertreter darlegt, in welchem Umfang Verlängerungen und Summenerhöhungen während der Dauer seiner Vertretertätigkeit vorgekommen sind, denn hieraus kann auf eine entsprechende weitere Entwicklung nach seinem Ausscheiden geschlossen werden (BGHZ 55, 45, 52 f). Die Darlegungslast wird dem Versicherungsvertreter zudem dadurch erleichtert, daß er auf Durchschnitts- und Erfahrungswerte sowie auf das gerade im Versicherungsgeschäft meist vorhandene statistische Material zurückgreifen kann (BGHZ 34, 310, 319; 59, 125, 130) [BGH 06.07.1972 - VII ZB 75/71]. Unter diesen Umständen war der Kläger zur Darlegung der Voraussetzungen seines Ausgleichsanspruchs auf die geforderte Auskunft nicht angewiesen.

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3. Unbegründet ist schließlich auch die Klage auf Zahlung eines angemessenen Ausgleichs, hilfsweise auf Zahlung von 65.000 DM, denn der Kläger hat, wie das Berufungsgericht für die gegen die Erstbeklagte gerichtete Klage zutreffend entschieden hat, zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 89 b Abs. 1 HGB (Unternehmervorteile, Provisionsverluste) nichts vorgetragen, obgleich er dazu in der Lage gewesen wäre (oben III 2) und das Berufungsgericht ihn in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 1994 - gut ein halbes Jahr vor der letzten mündlichen Verhandlung zweiter Instanz - auf die Ergänzungsbedürftigkeit seines Vorbringens hingewiesen hat. Da es mithin an der Schlüssigkeit der Zahlungsklage fehlt, war diese abzuweisen. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger den Zahlungsantrag in erster Linie als unbezifferten Antrag im Rahmen einer Stufenklage gestellt hat. Zwar kann im Rahmen einer Stufenklage der Zahlungsanspruch regelmäßig nicht wegen unzureichender Substantiierung abgewiesen werden, denn diese Substantiierung ist dem Kläger im Regelfall erst nach Erteilung der auf der ersten Stufe eingeklagten Auskunft möglich. Im Streitfall fehlt es indessen an einem Auskunftsanspruch (oben III 2), so daß der Kläger gehalten war, die Anspruchsvoraussetzungen des mit der Stufenklage verfolgten Ausgleichsanspruchs sogleich darzulegen. Da er dies trotz gerichtlichen Hinweises nicht getan hat, besteht kein Anlaß, die Klageabweisung zunächst auf die Auskunftsklage zu beschränken und die mangels Schlüssigkeit gebotene Abweisung der Zahlungsklage aufzuschieben.

RechtsgebietHGBVorschriften§ 92 HGB