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03.01.2020 · IWW-Abrufnummer 213353

Finanzgericht Bremen: Urteil vom 19.09.2019 – 1 K 20/19 (3)

Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.




Änderbarkeit von Schätzungsbescheiden über Einkommensteuer; Stehen der Schätzungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung in einem Steuerbescheid

In dem Rechtsstreit
Kläger,
gegen
Beklagter,
wegen Einkommensteuer 2014-2016
hat das Finanzgericht Bremen - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. September 2019 durch
den Präsidenten des Finanzgerichts...,
den Richter am Finanzgericht...,
die Richterin am Finanzgericht...,
den ehrenamtlichen Richter...,
den ehrenamtlichen Richter...,
für Recht erkannt:
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Änderbarkeit von Schätzungsbescheiden über Einkommensteuer.

Der Kläger ist Jurist und erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbstständiger und aus selbstständiger Arbeit. Trotz Erinnerung an die Abgabe von Steuererklärungen und eines darin enthaltenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Schätzung gab der Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2016 ab.

Daraufhin erließ der Beklagte am 09.08.2017 für 2014 und 2015 und am 19.03.2018 für 2016 Einkommensteuerbescheide, denen er geschätzte Besteuerungsgrundlagen zugrunde legte. Diese Bescheide ergingen ohne Vorbehalt der Nachprüfung im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Sie enthielten u.a. folgende "Erläuterungen zur Festsetzung":

    "Das Finanzamt hat die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO geschätzt, weil Sie trotz Aufforderung bisher keine Steuererklärung abgegeben haben. Trotz der Schätzung kann eine Steuerstraftat / Steuerordnungswidrigkeit vorliegen. Reichen Sie bitte Ihre Steuererklärung unverzüglich nach, denn die Schätzung befreit sie nicht von ihrer Erklärungspflicht."

Die den Bescheiden angefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthielt u.a. folgende Hinweise:

    "Die Festsetzung der Einkommensteuer, (...) können mit dem Einspruch angefochten werden. (...)

    Die Einsprüche sind bei dem vorbezeichneten Finanzamt oder bei der angegebenen Außenstelle schriftlich einzureichen, diesem / dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären. (...)

    Die Frist für die Einlegung eines Einspruchs beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieser Bescheid bekannt gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass der Bescheid zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist."

Am 24./25.05.2018 übermittelte der Kläger dem Beklagten Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre. Dies deutete der Beklagte als Antrag auf Änderung der betreffenden Schätzungsbescheide.

Mit Bescheid vom 05.07.2018 lehnte der Beklagte diesen Änderungsantrag mit der Begründung ab, der Antrag und die Steuererklärungen seien verspätet eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO lägen nicht vor. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei nicht möglich, da den Einspruchsführer grobes Verschulden treffe. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO bzw. § 177 Abs. 1 AO sei lediglich bis zur ursprünglich festgesetzten Steuer möglich und könne daher nicht zu einer niedrigeren Steuer führen.

Am 10.08.2018 erhob der Kläger hiergegen Einsprüche. Diese richtete er gegen die Festsetzung von Einkommensteuer für die Streitjahre durch die Bescheide vom 09.08.2017 bzw. 19.03.2018 und vom 05.07.2018. Der die Änderung der Schätzungsbescheide ablehnende Bescheid sei bei ihm am 10.07.2018 eingegangen.

Der Kläger begründete seine Einsprüche damit, Schätzungsbescheide würden regelmäßig unter Vorbehalt der Nachprüfung ergehen. Dies sei auch im Anwendungserlass zu § 162 AO so vorgesehen. In seinem Fall habe es keinen Anlass gegeben, hiervon abzuweichen. Wenn sich das Finanzamt dennoch für eine Schätzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung entscheide, so müsse es den Steuerpflichtigen hierauf und auf die Folgen für die Änderbarkeit des Bescheides hinweisen. Denn dann seien die Schätzungsbescheide bei Bestandskraft nur zu Lasten, nicht aber zu Gunsten des Steuerpflichtigen änderbar. Die übliche Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 Abs. 1 AO genüge in diesem Fall nicht. Das ergebe sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Situation sei vergleichbar mit der in § 277 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Belehrungspflicht über die Folgen der Versäumung einer Klageerwiderungsfrist und den Belehrungspflichten über die Folgen von Fristversäumnissen gemäß § 364b AO und § 79b FGO.

Mit Einspruchsentscheidung vom 27.12.2018 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, es bestehe keine Änderungsmöglichkeit für die Schätzungsbescheide.

Die Schätzungsbescheide seien nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden. Hierzu habe auch keine Verpflichtung bestanden. Der Änderungsantrag in Form der eingereichten Steuererklärungen sei nicht, wie gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) AO erforderlich, innerhalb der Einspruchsfrist gestellt worden. Die Rechtsbehelfsfrist habe einen Monat betragen. Sie sei nicht gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO wegen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung verlängert gewesen. Die Rechtsbehelfsbelehrung in den Schätzungsbescheiden habe korrekt auf die Einspruchsmöglichkeiten hingewiesen. Hierdurch sei der Anspruch auf Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gewahrt. Ob der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden sei oder nicht, mache hierfür keinen Unterschied. Eine Belehrungspflicht über das Bestehen oder Nichtbestehen weiterer Änderungsvorschriften bestehe nicht. Die vom Kläger in Bezug genommenen Vorschriften zu den Belehrungspflichten über die Folgen von behördlich oder gerichtlich gesetzten Fristen seien insoweit nicht übertragbar. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO lägen nicht vor. Der Kläger habe auf die Einspruchseinlegung verzichtet, weil er gemeint habe, er könne auch nach Ablauf der Einspruchsfrist durch die Abgabe der Steuererklärungen eine Änderung der Steuerbescheide erwirken. Darin liege keine unverschuldete Versäumnis der Einspruchsfrist.

Am 28.01.2019 hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger trägt unter nochmaliger Darlegung seiner Argumente aus dem Einspruchsverfahren ergänzend vor, er habe die Schätzungsbescheide binnen Jahresfrist angefochten. Dies sei aufgrund unzureichender Belehrung durch den Beklagten rechtzeitig gewesen. Da die Schätzungsbescheide nicht unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, habe die Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 Abs. 1 AO nicht genügt. Vielmehr hätte der Beklagte den Kläger zur Beachtung von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG darauf hinweisen müssen, dass bei Versäumnis der Einspruchsfrist ein besonderer Rechtsnachteil drohe. Der offenkundige Umstand, dass Schätzungsbescheide in aller Regel unrichtig seien, begünstige den Irrtum des Steuerpflichtigen dahin, der Bescheid könne unbefristet abänderbar sein. Eine Verpflichtung zu einer weitergehenden Rechtsbehelfsbelehrung könne unmittelbar aus dem Grundgesetz hergeleitet werden. Die Rechtsnachteile aus der Versäumung der Einspruchsfrist seien vergleichbar mit den Rechtsnachteilen aus der Versäumung behördlicher oder gerichtlicher Fristen nach § 364b Abs. 3 AO oder § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FGO. Eine Ergänzung der Rechtsbehelfsbelehrung um einen Hinweis auf das Fehlen eines Vorbehalts der Nachprüfung sei für den Beklagten ein Leichtes.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 05.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.12.2018 zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 vom 09.08.2017 und den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 19.03.2018 unter Berücksichtigung der abgegebenen Steuererklärungen zu ändern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Einspruchsentscheidung und weist darauf hin, dass die Voraussetzungen für die fristgemäße Einlegung eines Einspruchs getrennt von den Voraussetzungen für die Änderung eines Steuerbescheids zu prüfen seien. Die nach § 356 Abs. 1 AO erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung beziehe sich ausschließlich auf die Einlegung eines Einspruchs. Damit werde Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG Genüge getan.

Ob ein Bescheid vorläufig sei oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe, habe keinerlei Auswirkung auf die Voraussetzungen für eine wirksame Einspruchseinlegung. Es sei nicht die Funktion der Rechtsbehelfsbelehrung, den Steuerpflichtigen über die Korrekturvorschriften der AO aufzuklären. Wenn der Kläger in dem Glauben, der Bescheid stehe unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, auf eine Einspruchseinlegung verzichtet habe, es dabei jedoch versäumt habe zu prüfen, ob der Bescheid tatsächlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe, sei dieses Versäumnis nicht der Rechtsbehelfsbelehrung anzulasten. Ein besonderer Hinweis, dass auch im Falle von Schätzungsbescheiden ohne Vorbehalt der Nachprüfung eine fristgemäße Einspruchseinlegung erforderlich sei, sei weder gesetzlich vorgeschrieben noch der Sache nach erforderlich. Ein auf einer Schätzung beruhender Steuerbescheid habe in verfahrensrechtlicher Hinsicht keinen geringeren Rechtsgeltungsanspruch als andere Steuerbescheide. Der Vortrag des Klägers, der Steuerpflichtige könne trotz Nichteinlegung eines Einspruchs nicht damit rechnen, dass ihm Rechtsnachteile drohten, sei für den Beklagten nicht nachvollziehbar. Die Vorschriften zum Belehrungserfordernis bei einer behördlich oder gerichtlich gesetzten Frist (§ 364b Abs. 3 AO, § 79b Abs. 3 Nr. 3 FGO, § 277 ZPO) seien nicht übertragbar.

Gegen den in der Sache ergangenen Gerichtsbescheid vom 26.06.2019 hat der Kläger fristgerecht Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger, wie vorab angekündigt, nicht erschienen.

Die für den Kläger geführten Steuerakten des Beklagten (1 Band Einkommensteuerakten, 1 Band Umsatzsteuerakten, 1 Band Sonderakten, 1 Band Rechtsbehelfsakten) haben vorgelegen. Ihr Inhalt ist, ebenso wie der der Gerichtsakten, Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen, soweit die Entscheidung darauf beruht. Insoweit wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Denn der Kläger war ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und darauf hingewiesen worden, dass bei seinem Ausbleiben auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO).

Die Klage ist als Verpflichtungsklage i.S.d. § 40 Abs. 1 2. Alt. FGO zulässig aber unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 05.07.2018 ist nicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist formell rechtskräftig geworden. Der Einspruch des Klägers vom 10.07.2018 war fristgemäß. Da sich ein Vermerk über die Absendung des Ablehnungsbescheides nicht in den Finanzamtsakten befindet, geht das Gericht davon aus, dass dieser Bescheid dem Kläger -wie von ihm vorgetragen- erst am 10.07.2018 zugegangen ist.

Der Kläger kann mit seinem Verpflichtungsbegehren aber keinen Erfolg haben, weil die Ablehnung der Änderung der Schätzungsbescheide über Einkommensteuer 2014 - 2016 vom 05.07.2018 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27.12.2018 nicht rechtswidrig sind und der Kläger hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt ist (vgl.

§ 101 Satz 1 FGO). Denn es liegt keine Rechtsgrundlage für eine Änderung der Schätzungsbescheide vom 09.08.2017 bzw. 19.03.2018 vor.

1. Eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO kommt nicht in Betracht, weil die gegenüber dem Kläger ergangenen Schätzungsbescheide nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 AO ergangen sind.

Gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden, solange ein Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 AO wirksam ist. Ein Vorbehalt der Nachprüfung wurde bei Erlass der Schätzungsbescheide vom 09.08.2017 bzw. 19.03.2018 nicht ausgesprochen.

Die Frage, ob der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Schätzungsbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen, ist im hiesigen Verfahren nicht zu klären. Denn die nachträgliche Beifügung eines Vorbehalts der Nachprüfung, die eine Änderungsmöglichkeit eröffnen könnte, kommt jedenfalls nach Eintritt der formellen Bestandskraft durch Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr in Betracht, weil damit die gesetzlichen Änderungsvoraussetzungen unterlaufen würden (BFH, Beschluss vom 24. Februar 2010 VIII B 208/09, BFH/NV 2010, 1080). Zum Ablauf der Einspruchsfrist gegen die Schätzungsbescheide wird auf die Ausführungen unter 2. verwiesen.

§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO kann nicht angewendet werden, wenn ein Vorbehalt der Nachprüfung der Steuerfestsetzung nicht beigefügt wurde. Das gilt auch dann, wenn eine solche Beifügung sachgerecht gewesen sein sollte, oder wenn der Steuerpflichtige eine Festsetzung unter Vorbehalt erwartet hatte. Die Beifügung eines Vorbehalts hat nämlich weitreichende Folgen, indem sie die grundsätzlich mit Ablauf der Einspruchsfrist eintretende formelle Bestandskraft des Steuerbescheids suspendiert (BFH, Beschluss vom 12. Juli 2012 I R 32/11, BFHE 237, 307, BStBl II 2015, 175). Soweit keine Vorbehaltsfestsetzung vorliegt, gelten die allgemeinen Regeln. Weder ist insoweit eine Regelungslücke zu erkennen, noch erscheint § 164 Abs. 2 Satz 1 AO angesichts seines Ausnahmecharakters analogiefähig.

2. Eine Änderung kann nicht auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) AO gestützt werden, weil der Änderungsantrag nicht vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt wurde.

Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat.

a) Die Einspruchsfristen für die Schätzungsbescheide vom 09.08.2017 bzw. 19.03.2018 sind am 14.09.2017 bzw. 23.04.2018 abgelaufen (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 108 Abs. 1 und Abs. 3 AO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Wegen der Einzelheiten der Fristberechnung wird auf die (bis auf den Tippfehler in der letzten Tabellenzelle: 23.03.2018 statt richtigerweise 23.04.2018) korrekte Darstellung auf Seite 7 der Einspruchsentscheidung vom 27.12.2018 Bezug genommen. Der Änderungsantrag in Form der eingereichten Steuererklärungen ging bei dem Beklagten erst am 24./25.05.2018 und damit verspätet ein.

Die Einspruchsfrist betrug gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO einen Monat ab Bekanntgabe der Schätzungsbescheide. Die Einspruchsfrist war nicht wegen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr verlängert. Denn die Rechtsbehelfsbelehrung entsprach auch ohne Hinweis auf die unterlassene Beifügung eines Vorbehalts der Nachprüfung den Anforderungen des § 356 Abs. 1 AO.

Gemäß § 157 Abs. 1 Satz 3 AO ist schriftlichen Steuerbescheiden eine Belehrung darüber beizufügen, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und binnen welcher Frist und bei welcher Behörde er einzulegen ist. Statthafter Rechtsbehelf gegen Steuerbescheide ist gemäß § 347 Abs. 1 Satz 1 AO der Einspruch. Der Einspruch ist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen. Ergeht ein Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch, so beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs gemäß § 356 Abs. 1 AO nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Einspruchs gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig.

Für die Entscheidung darüber, welchen Inhalt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung haben muss, sind der verfassungsrechtliche Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 19 Abs. 4 GG) und die hieraus abzuleitenden Gebote der prozessualen Fürsorgepflicht und der Rechtsmittelklarheit zu berücksichtigen (BFH, Urteil vom 07. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455).

Allerdings folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz, nicht ohne Weiteres eine Pflicht, Entscheidungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Verfassungsrechtlich ist danach eine Rechtsmittelbelehrung nur geboten, wenn diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten des Rechtswegs auszugleichen, die die Ausgestaltung eines Rechtsmittels andernfalls mit sich brächte. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Formerfordernisse des Rechtsmittels so kompliziert und schwer zu erfassen sind, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtsuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber rechtzeitig Aufklärung verschaffen können. Auftretenden Härten kann ggf. durch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begegnet werden (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99).

Erteilte Rechtsmittelbelehrungen sollten so einfach und klar wie möglich gehalten werden. Im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter ist eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden, die statt Klarheit zu schaffen wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet (BFH, Urteil vom 07. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455).

Es entspricht der ständigen finanzgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Rechtsbehelfsbelehrung richtig erteilt ist, wenn sie die in § 356 Abs. 1 AO geforderten Angaben enthält (BFH, Beschluss vom 12. Dezember 2012 I B 127/12, BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272; BFH, Beschluss vom 10. November 2016 X B 85/16, BFH/NV 2017, 261). Gemessen an diesen Anforderungen stellen die Rechtsbehelfsbelehrungen in den streitgegenständlichen Schätzungsbescheiden vollständige und richtige Rechtsbehelfsbelehrungen dar, weil sie die in § 356 Abs. 1 AO geforderten Angaben enthalten.

Eine weitergehende Belehrungspflicht bestand nicht. Insbesondere musste der Beklagte nicht in der Rechtsbehelfsbelehrung darüber belehren, dass eine Änderung über § 164 Abs. 2 AO mangels Vorbehalts der Nachprüfung nicht in Betracht kam.

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass keine Verpflichtung besteht, über außerordentliche Rechtsbehelfe zu belehren (BFH, Beschluss vom 30. Juni 2005 III B 63/05, BFH/NV 2005, 2019). Auch bei einer mit der Aufhebung des Nachprüfungsvorbehaltes verbundenen Bescheidänderung besteht keine Verpflichtung, zusätzlich zur Rechtsbehelfsbelehrung auf die Folgen der Vorbehaltsaufhebung hinzuweisen oder die Einlegung eines Einspruchs zu empfehlen, weil eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO danach nicht mehr in Betracht kommt (BFH, Beschluss vom 12. April 2016 III B 114/15, BFH/NV 2016, 1249). Dementsprechend besteht auch keine Verpflichtung, in der Rechtsbehelfsbelehrung auf das Fehlen eines Vorbehalts der Nachprüfung hinzuweisen.

Mit der vom Beklagten in den Schätzungsbescheiden erteilten Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die Einspruchsmöglichkeit, ihre zeitlichen Grenzen und die zu adressierende Behörde hinwies, lagen dem Kläger alle Informationen vor, die er benötigte, um sein Einspruchsrecht ausüben zu können. Es würde die Rechtsbehelfsbelehrung überfrachten, wenn dort stets auch die außerhalb des Einspruchsverfahrens einschlägigen oder -wie es der Kläger offenbar für erforderlich hält- auch die nicht einschlägigen Änderungsnormen benannt werden müssten.

Die vom Kläger herangezogenen Belehrungspflichten gemäß § 277 Abs. 2 ZPO, § 364b Abs. 3 AO und § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FGO führen zu keiner anderen Bewertung. Nach diesen Vorschriften kann der Betroffene bei Versäumung von durch das Gericht bzw. die Behörde gesetzten Fristen mit verspätetem Vorbringen ausgeschlossen sein. Diese besonderen Belehrungsvorschriften bestehen aber insbesondere deshalb, weil die an die Fristversäumnis geknüpfte Präklusion strengen Ausnahmecharakter hat. Die Nichtbeifügung eines Vorbehalts der Nachprüfung ist demgegenüber der gesetzliche Normalfall. Die Beifügung eines Vorbehalts liegt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO im Ermessen der Finanzbehörde und ist nicht abhängig von der Einhaltung bestimmter Fristen durch den Steuerpflichtigen. Dem Steuerbescheid lässt sich unmittelbar und unproblematisch entnehmen, ob er unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt ist oder nicht. Auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung hat der vorhandene oder nicht vorhandene Vorbehalt der Nachprüfung keinen Einfluss. Es besteht deshalb kein schutzwürdiges Interesse an einer Belehrung, dass ein Bescheid ohne Vorbehalt der Nachprüfung (nur) nach den allgemeinen Regeln anfechtbar ist.

Die subjektive Erwartung des Klägers, Schätzungsbescheide würden grundsätzlich unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassen und seien deshalb auch nach Ablauf der Einspruchsfrist stets umfassend änderbar, kann demgegenüber keine rechtliche Relevanz entfalten.

Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch nicht wegen des in den Erläuterungen zur Festsetzung der Schätzungsbescheide enthaltenen Hinweises auf die fortbestehenden Erklärungspflichten unrichtig.

Auch wenn sie die nach § 356 Abs. 1 AO erforderlichen Angaben enthält, kann eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sein, wenn sie aufgrund darüber hinausgehender unrichtiger oder missverständlicher Angaben geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abhält, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BFH, Beschluss vom 12. Dezember 2012 I B 127/12, BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste (sog. objektiver Verständnishorizont, vgl. BFH, Beschluss vom 09. November 2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448).

Der Hinweis auf die fortbestehende Erklärungspflicht war in den streitgegenständlichen Bescheiden indes nicht Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung. Vielmehr war er in den deutlich abgegrenzten Erläuterungen zur Festsetzung enthalten. Zudem war dieser Hinweis inhaltlich richtig und erfolgte ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Hinweis auf mögliche Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten. Zu den Voraussetzungen der Einspruchseinlegung oder zum Umfang von Änderungsmöglichkeiten enthalten diese Erläuterungen keine Ausführungen. Sie waren deshalb nach objektiven Maßstäben nicht geeignet, einen Irrtum über die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen.

b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO liegen nicht vor, weil der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 110 Abs. 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß § 110 Abs. 2 AO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

Wer bewusst eine Frist verstreichen lässt, ist regelmäßig nicht verhindert gewesen, die Frist zu wahren (Bruns in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 144. Lieferung, § 110, Rn. 14). Irrtümer über Verfahrensrecht -insbesondere über die Existenz einer gesetzlichen Frist-, können aber einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn sie ohne Verschulden des Steuerpflichtigen bestanden (BFH, Urteil vom 25. März 2015 X R 20/14, BFHE 249, 475, BStBl II 2015, 709).

Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden verhindert, fristgerecht Einspruch gegen die Schätzungsbescheide einzulegen. Der Kläger hat nach seiner Darstellung deshalb keinen Einspruch eingelegt, weil er von einer Änderbarkeit der Schätzungsbescheide nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO ausging und weil er in den Erläuterungen zu den Bescheiden unter Hinweis auf die fortbestehende Steuererklärungspflicht aufgefordert wurde, seine Steuererklärungen nachzureichen.

Der Kläger hat sich demnach bewusst für die Nichteinlegung eines Einspruchs entschieden, ohne sich zu vergewissern, ob die Schätzungsbescheide tatsächlich entsprechend seiner Erwartung unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden waren. Den Schätzungsbescheiden war ohne Weiteres zu entnehmen, dass ein Vorbehalt der Nachprüfung nicht ausgesprochen worden war. Die Erläuterung über das Fortbestehen der Steuererklärungspflicht erfolgte ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Hinweis auf mögliche Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten. Die Rechtsbehelfsbelehrung wies korrekt auf die Einspruchsmöglichkeit und die Einspruchsfrist hin. Der Kläger, dem als Jurist sogar ein besonderes rechtliches Verständnis unterstellt werden kann, hätte bei sorgfältiger Lektüre der Schätzungsbescheide demnach unproblematisch erkennen können, dass zur Vermeidung der formellen Bestandskraft innerhalb der Monatsfrist Einspruch eingelegt (oder ein Änderungsantrag gestellt) werden musste. Der Irrtum des Klägers, dass die Schätzungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, war somit leicht vermeidbar. Unter diesen Umständen ist kein Raum für die Annahme einer unverschuldeten Versäumung der Einspruchsfrist.

3. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO kommt nicht in Betracht, weil, soweit durch die eingereichten Steuererklärungen Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind, den Kläger grobes Verschulden daran trifft. Denn der Kläger hat entgegen seiner Verpflichtung gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) EStDV und § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und trotz entsprechender Erinnerungen seine Steuererklärungen nicht fristgerecht eingereicht, ohne dass entschuldigende Gründe ersichtlich sind. In solchen Fällen liegt grobes Verschulden regelmäßig vor (vgl. BFH, Urteil vom 28. März 1985 IV R 159/82, BFHE 144, 521, BStBl II 1986, 120).

Ein Fall der Unbeachtlichkeit des Verschuldens nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO liegt schon deshalb nicht vor, da in Schätzungsfällen die Besteuerungsgrundlagen insgesamt eine (im Streitfall steuermindernde) Tatsache bilden (vgl. BFH, Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 17/05, BFHE 214, 154, BStBl II 2006, 806, m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben sind.