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06.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123357

Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 31.08.2012 – 4 U 218/11

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Düsseldorf

I-4 U 218/11

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Düsseldorf vom 17.10.2011 (11 O 325/07) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, ebenso das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte ge-gen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 03.07.2012 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K., die Richterin am Oberlandesgericht D. und den Richter am Landgericht Dr. L.

für R e c h t erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Düsseldorf vom 17.10.2011 (11 O 325/07) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, ebenso das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist bei der Beklagten mit Vertrag vom 04.03.2002 und Nachtrag vom 16.02.2006 unfallversichert. Dem Vertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUB) der Beklagten zugrunde. Zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin hatten die Parteien eine Invaliditätssumme in Höhe von 31.000,00 Euro sowie eine monatliche Unfallrente in Höhe von 375,00 Euro vereinbart, die bei einer Invalidität von mindestens 50 Prozent zu zahlen ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 75 Prozent verdoppelt sich die Unfallrente. Ferner hatten die Parteien vereinbart, dass die Beklagte bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 Prozent die doppelte und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 75 Prozent die vierfache Invaliditätsleistung zu erbringen habe.

In der Nacht vom 16.07.2004 auf den 17.07.2004 fiel die Klägerin aus ihrem Schlafzimmerfenster. Dabei erlitt die Klägerin eine Deckplattenimpressionsfraktur am ersten bis vierten Lendenwirbel. Sie wurde bis zum 31.07.2004 im Klinikum O. stationär behandelt. Die Klägerin erhielt Schmerzmittel, ihr wurde Krankengymnastik verschrieben und sie musste ein vier-Punkt-Korsett tragen. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule war schmerzhaft eingeschränkt. Ihr war es in der Folgezeit nicht möglich, längere Zeit zu stehen oder zu laufen. Auch konnte sie keine schweren Sachen heben oder sich bücken.

Eine gutachterliche Stellungnahme des Klinikums O. vom 27.09.2005 attestierte der Klägerin eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in Höhe von 50 Prozent, wobei die voraussichtlich dauernde Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit noch nicht abschätzbar war. Ein von der Beklagten eingeholtes fachorthopädisches Gutachten der Universitätsklinik F. vom Oktober 2006 kam zu dem Ergebnis, dass als unfallbedingte Verletzungsfolge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 Prozent anzunehmen sei. Demgegenüber bestimmte der von der Klägerin beauftragte Arzt Dr. M. in seinen Gutachten vom 09.07.2008 / 24.07.2008 den unfallbedingten Invaliditätsgrad der Klägerin auf 80 Prozent. Wegen der Einzelheiten wird auf die schriftlichen Gutachten verwiesen.

In dem fachorthopädischen Gutachten der Universitätsklinik F. vom Oktober 2006 ist zur unfallabhängigen Vorgeschichte ausgeführt, dass die Klägerin infolge einer Synkope von ihrem Bett gefallen sei, auf dem sie gesessen habe. Im Glauben, dass frische Luft ihr gut tun würde, sei sie, nachdem sie wieder zu sich gekommen sei, aufgestanden und an das offene Fenster gegangen, wo sie eine erneute Synkope erlitten habe und aus dem ersten Stock auf die Straße vor ihrem Haus gefallen sei.

Die Beklagte zahlte der Klägerin – neben einem Schmerzensgeld in Höhe von 2.800,00 Euro und einem Krankenhaustagegeld in Höhe von 416,00 Euro – insgesamt 6.200,00 Euro auf ihre Invalidität, wobei sie auf einen Invaliditätsgrad von 20 Prozent abstellte. Mit Schreiben vom 26.10.2006 lehnte sie nach dem fachorthopädischen Gutachten der Universitätsklinik F. weitere Leistungen ab.

Die Klägerin hat behauptet, der Grad der Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit betrage unfallbedingt mindestens 80 Prozent. Durch den Sturz habe sie sich eine Querschnittslähmung zugezogen, was ein neuroradiologischen Befund des Klinikums O. vom 09.09.2011 zeige, so dass sämtliche Beschwerden durch den Sturz verursacht worden seien.

Die Klägerin hat zunächst auf der Grundlage einer Invalidität von 50 Prozent beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 55.800,00 Euro Invaliditätssumme sowie 12.375,00 Euro Invaliditätsrente zu verurteilen, und dann die Klage auf der Grundlage einer Invalidität von 80 Prozent auf Zahlung von 99.200,00 Euro Invaliditätssumme sowie 36.650,00 Euro Invaliditätsrente erweitert.

Die Beklagte hat behauptet, dass eine unfallbedingte Invalidität lediglich in Höhe von maximal 20 Prozent vorliege.

Das Landgericht hat Beweis erhoben zu der Frage, wie hoch der Invaliditätsgrad der Klägerin sei, durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 04.12.2009 und die Ergänzung vom 17.09.2010 verwiesen. Das Landgericht hat den Parteien zuletzt bis zum 14.03.2011 Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß §§ 411 Abs. 4, 296 Abs. 1, 4 ZPO gegeben und die Frist auf den Antrag der Klägerin vom 14.03.2011 nicht mehr verlängert. Mit Versäumnisurteil vom 23.05.2011 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat form- und fristgerecht Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und sich zur Begründung lediglich auf ihren bisherigen Vortrag berufen. Vier Tage vor der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin den neuroradiologischen Befund des Klinikums O. vom 09.09.2011 vorgelegt. Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten.

Mit ihrer Berufung greift die Klägerin an, dass das Landgericht zu Unrecht davon abgesehen habe, eine psychosomatische bzw. neurologische Begutachtung entsprechend der Anregung in dem gerichtlichen Sachverständigengutachten vorzunehmen. Ferner behauptet sie, vor dem Unfall – bis auf eine Herzerkrankung – nicht beeinträchtigt gewesen zu sein und über Jahre hinweg Tennis und Volleyball gespielt und Jogging betrieben zu haben. Schließlich sei die Vorgeschichte des Unfalls in dem fachorthopädischen Gutachten nicht vollständig zutreffend wiedergegeben. Sie habe dem Gutachter seinerzeit gesagt, dass der 16.07.2004 ein drückend heißer Hochsommertag gewesen sei; auch in der Nacht habe es sich nicht wesentlich abgekühlt. Aufgrund der Hitze sei sie im Bett aufgewacht, habe Übelkeit verspürt und sich benommen gefühlt. Sie habe sich dann entschlossen, an das gekippte Fenster zu gehen, um es zu öffnen. Was nach dem Öffnen des Fensters passiert sei, wisse sie nicht mehr. Keineswegs habe sie dem Gutachter gesagt, sie sei aus dem Bett gefallen; von einer Synkope sei nicht die Rede gewesen. Sie sei auch niemals wegen Synkopen behandlungsbedürftig gewesen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 17.10.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Düsseldorf, Az. 11 O 325/07, die Beklagte zu verurteilen, an die sie 99.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 36.750,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe gegenüber dem Gutachter der Universitätsklinik F. den Vorfall so beschrieben, dass sie seinerzeit eine kurzzeitige Ohnmacht erlitten habe bzw. ihr „schwarz vor Augen“ geworden sei.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus der Unfallversicherung Nr. ... aufgrund des Fenstersturzes am 16.07.2004. Dabei kann dahingestellt bleiben, welche langfristigen Folgen im Einzelnen durch den Unfall verursacht worden sind. Denn ein Anspruch gegen die Beklagte ist schon dem Grunde nach ausgeschlossen.

Gemäß § 2 I. (1) der Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUB) der Beklagten fallen Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen nicht unter den Versicherungsschutz. So liegt es auch hier: Schon aus dem eigenen Vortrag der Klägerin ergibt sich, dass sie wegen einer Bewusstseinsstörung aus dem Schlafzimmerfenster gestürzt ist.

Eine Bewusstseinsstörung im Sinne der Ausschlussklausel setzt nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus, es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen, die also den Versicherten außer Stande setzen, den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt zu genügen. Ob eine Bewusstseinsstörung in diesem Sinne vorgelegen hat, hängt damit sowohl vom Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit als auch von der konkreten Gefahrenlage ab, in der sich die Klägerin als Versicherte befunden hat. Um dies zu beurteilen ist eine fallbezogene Betrachtung erforderlich. Dabei ist eine Bewusstseinsstörung im vorbeschriebenen Sinne nicht von vornherein dadurch ausgeschlossen, dass der entsprechende Zustand nur einige Sekunden gedauert hat. Denn auch eine solche nur kurzzeitige gesundheitsbedingte Störung der Aufnahme- und Gegenwirkungsmöglichkeit kann geeignet sein, dem Versicherten die Fähigkeit zu nehmen, die konkrete Gefahrenlage, in der er sich befindet, zu beherrschen (BGH NJW 2008, 3644 Rn. 3; OLG Hamm, RuS 2009, 30 Rn. 41 f.). Damit ist unter einer Bewusstseinsstörung auch eine kurzfristig aufgetretene gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine gebotene und erforderliche Reaktion auf eine Gefahrenlage nicht mehr zulässt, zu verstehen, wie eine vorübergehende Kreislaufreaktion („Schwarz vor Augen werden“) oder ein plötzlicher Schwindelanfall (OLG Hamburg, RuS 2007, 386 Rn. 4). Ob hiernach eine Bewusstseinsstörung vorliegt, ist aus dem Verhalten des Versicherten vor dem Unfall, seiner allgemeinen konstitutionellen Veranlagung und auch aus dem Unfallhergang selbst zu folgern (vgl. Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 28. Aufl. 2010, Nr. 5 AUB 2008 Rn. 7).

Die Klägerin hat selber vorgetragen, dass sie in der Nacht vom 16.07.2004 auf den 17.07.2004 aufgrund der wetterbedingten Hitze im Bett aufgewacht sei, Übelkeit verspürt und sich benommen gefühlt habe. Sie habe sich dann entschlossen, an das lediglich gekippte Fenster zu gehen, um es zu öffnen. Was nach dem Öffnen des Fensters passiert sei, wisse sie nicht mehr.

Nach diesem Vortrag der Klägerin ist der Senat davon überzeugt, dass sie aufgrund einer Kreislaufschwäche oder eines plötzlichen Schwindelanfalls aus dem Fenster gestürzt ist. Dabei kann der Senat unterstellen, dass die Klägerin dem Gutachter T. nicht gesagt hat, dass sie eine Synkope erlitten habe und dann auf die Straße gefallen sei. Auch kann der Senat dahingestellt lassen, ob die Klägerin tatsächlich eine Synkope im medizinischen Sinne erlitten hat und ob bei der Klägerin zuvor entsprechende Fälle aufgetreten sind. Jedenfalls steht für den Senat schon nach den eigenen Angaben der Klägerin fest, dass sie einen - kurzzeitigen - Verlust der Haltungskontrolle erlitten hat und deshalb zu Fall gekommen ist.

Ein anderer Grund für den Sturz wird von der Klägerin nicht genannt. Sie trägt im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast (vgl. OLG Hamburg, RuS 2007, 386 Rn. 7; OLG Hamm, RuS 2009, 30 Rn. 53) auch keine Umstände vor, die eine äußere Ursache für den Sturz plausibel erscheinen lassen. Vielmehr ist es einzig lebensnah, dass die Klägerin wegen kurzzeitiger Kreislaufprobleme aus dem Schlafzimmerfenster gefallen ist. Denn abgesehen davon, dass eine andere Ursache weder vorgetragen noch ersichtlich ist, trägt die Klägerin selber vor, dass ihr übel gewesen sei und sie sich benommen gefühlt habe. Ihr augenblicklicher Körperzustand war demnach schon beeinträchtigt und der Grund dafür, dass sie frische Luft in das Schlafzimmer lassen wollte. Auch wenn sie nicht aus dem Bett gefallen sein sollte, spricht dies deutlich dafür, dass sie jedenfalls am Fenster kurzzeitig eine Kreislaufstörung oder einen Schwindelanfall erlitten hat.

Für eine Kreislaufstörung oder einen Schwindelanfall spricht auch, dass die Klägerin ausweislich des von Dr. Ta. am 27.09.2005 ausgefüllten Fragebogens und nach ihren dem Gutachten vom Oktober 2006 zugrunde liegenden Angaben unter Bluthochdruck und einer Herzinsuffizienz leidet. Auch in der Berufungsbegründung gibt die Klägerin an, bereits geraume Zeit zuvor an einer Herzerkrankung gelitten zu haben. In Gesamtschau mit den eigenen Angaben der Klägerin (Übelkeit / Benommensein) ist der Senat daher davon überzeugt, dass der Sturz über die Fensterbrüstung auf eine vorherige Bewusstseinsstörung zurückzuführen ist. Für die nach § 286 BGB erforderliche Überzeugungsbildung reicht der hier vorliegende für das praktische Leben brauchbare Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen; eine jede andere Möglichkeit ausschließende absolute Gewissheit ist nicht erforderlich. Eine Beratung durch einen medizinischen Sachverständigen braucht der Senat dabei nicht. Zum einen liegen die aus den Angaben der Klägerin gezogenen Schlussfolgerungen bereits für einen medizinischen Laien mit Lebenserfahrung auf der Hand. Zum anderen hat der im Schwerpunkt mit Versicherungssachen befasste Senat auch aus einer Reihe von Unfallversicherungsprozessen, in denen medizinische Gutachten zu komplexeren Fragen der Ursächlichkeit von Bewusstseinsstörungen für einen Unfall eingeholt wurden, ebenso die erforderliche Sachkunde gezogen wie aus der Verfolgung der einschlägigen Rechtsprechung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

V.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 135.950,00 Euro festgesetzt.