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02.11.2007 · IWW-Abrufnummer 073325

Oberfinanzdirektion Hannover: Verfügung vom 27.06.2007 – S 2137 - 106 - StO 222/221


Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen


Informationen über Steuerfragen I/2006, lfd. Nr. 11, vom 8. Mai 2006


Oberfinanzdirektion Hannover

S 2137 - 106 - StO 222/221
27. Juni 2007

I. Rückstellung dem Grunde nach

Für die zu erwartenden Aufwendungen für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, weil dafür eine öffentlich-rechtliche Aufbewahrungspflicht (§ 257 HGB, § 147 AO sowie Einzelsteuergesetze) besteht (BFH-Urteil vom 19. August 2002, BStBl 2003 II S. 131). Die Passivierungspflicht besteht sowohl in der Handelsbilanz als auch (über den Maßgeblichkeitsgrundsatz) in der Steuerbilanz.

Bei der Bildung dieser Rückstellung ist zu berücksichtigen, welche Unterlagen tatsächlich aufbewahrungspflichtig sind und wie lange die Aufbewahrungspflicht für einzelne Unterlagen noch besteht (vgl. H 6.11 - Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen - EStH 2006).

Es besteht nicht für alle Unterlagen eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht von zehn Jahren. Einige Unterlagen sind nur über einen kürzeren Zeitraum oder auch gar nicht gesetzlich aufzubewahren. Zehn Jahre lang aufzubewahren sind insbesondere Jahresabschlüsse mit allen dazugehörenden Unterlagen, Buchungsbelegen (§ 257 Abs. 1 Nr. 1 und 4 i. V. m. Abs. 4 HGB, § 147 Abs. 1 Nr. 1 und 4 i. V. m. Abs. 3 AO) sowie Ein- und Ausgangsrechnungen (§ 14 b UStG). Handels- und Geschäftsbriefe sowie sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind, sind sechs Jahre lang aufzubewahren (§ 257 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i. V. m. Abs. 4 HGB, § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i. V. m. Abs. 3 AO). Werden Unterlagen freiwillig länger aufbewahrt, fehlt es an der rechtlichen Verpflichtung. Eine Rückstellung kommt insoweit nicht in Betracht. Die Höhe des rückstellungsfähigen Aufwandes kann daher nur im Einzelfall festgestellt werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie sich die aufbewahrten Unterlagen zusammensetzen. Sind Feststellungen zur Zusammensetzung der aufbewahrten Unterlagen im Einzelfall nicht oder nur unter erheblichem Aufwand möglich, bestehen keine Bedenken, für Unterlagen, zu deren Archivierung der Unternehmer nicht verpflichtet ist, einen Abschlag von 20 v. H. von den Gesamtkosten vorzunehmen.

II. Rückstellung der Höhe nach

a) Berücksichtigungsfähige Kosten

Die Rückstellung ist mit dem Betrag zu passivieren, der nach den Preisverhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtages für die Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich notwendig ist. Die Sachleistungsverpflichtung ist mit den Einzelkosten und einem angemessenen Teil der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 a Buchstabe b EStG).

Bei der Berechnung sind folgende Kosten einzubeziehen:

- einmaliger Aufwand für die Einlagerung der am Bilanzstichtag noch nicht archivierten Unterlagen für das abgelaufene Wirtschaftsjahr, ggf. für die Mikroverfilmung bzw. Digitalisierung der Unterlagen, für das Brennen von CD und für die Datensicherung (Sach- und Personalkosten),

- Raumkosten (anteilige Miete bzw. Gebäude-AfA, Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Instandhaltung, Heizung, Strom). Der anteilige Aufwand kann aus Vereinfachungsgründen entsprechend dem Verhältnis der Nutzfläche des Archivs zur Gesamtfläche ermittelt werden (vgl. H 4.7 - Nebenräume - EStH 2006 und das dort genannte BFH-Urteil vom 5. September 1990, BStBl II 1991, 389, betreffend ein Archiv in einem Kellerraum eines Wohnhauses), es sei denn, dies führt zu einem (offenbar) unangemessenen Ergebnis (vgl. a. R 4.2 Abs. 6 EStR 2006, ggf. bei Bankgebäuden).

- Einrichtungsgegenstände (AfA für Regale und Schränke), es sei denn, diese sind bereits abgeschrieben. (Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Archivierung weiterhin mit den vorhandenen Regalsystemen erfolgt.)

- anteilige Personalkosten z. B. für Hausmeister, Reinigung, Lesbarmachung der Datenbestände.

Nicht rückstellungsfähig sind

- anteilige Finanzierungskosten für die Archivräume (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 a Buchstabe b EStG - Beschränkung auf Einzel- und notwendige Gemeinkosten),

- die Kosten für die zukünftige Anschaffung von zusätzlichen Regalen und Ordnern (§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG),

- die Kosten für die Entsorgung der Unterlagen nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist,

- die Kosten für die Einlagerung künftig entstehender Unterlagen.

b) Berechnung der Rückstellung

Die Rückstellung kann nach zwei Methoden berechnet werden:

1. Möglichkeit:

Die jährlichen Kosten werden für die Unterlagen eines jeden aufzubewahrenden Jahres gesondert ermittelt. Dieser Betrag ist dann jeweils mit der Anzahl der Jahre bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist zu multiplizieren.

2. Möglichkeit:

Die jährlich anfallenden rückstellungsfähigen Kosten für einen Archivraum, in dem die Unterlagen aller Jahre aufbewahrt werden, können mit dem Faktor 5,5 multipliziert werden (arithmetisches Mittel der Jahre eins bis zehn). In der Praxis wird die Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen üblicherweise nach dieser Berechnungsmethode ermittelt. Eine Unterscheidung zwischen den zehn und sechs Jahre lang aufzubewahrenden Unterlagen kann in der Regel aus Vereinfachungsgründen unterbleiben.

Die Aufwendungen für die Einlagerung, Mikroverfilmung, Digitalisierung und Datensicherung fallen nur einmal an; sie sind deshalb nicht zu vervielfältigen.

c) Abzinsung der Rückstellung

Eine Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen ist nicht abzuzinsen. Für die Abzinsung ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 a Buchstabe e S. 2 EStG der Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung maßgebend. Da die Aufbewahrungspflicht aber mit dem Entstehen der Unterlagen beginnt, ergibt sich hier kein Abzinsungszeitraum.

III. Bilanzberichtigung

Die nachträgliche Bildung einer Aufbewahrungsrückstellung (Bilanzberichtigung) ist nicht möglich, wenn die Bilanz vor dem 19. August 2002 (Datum des BFH-Urteils, a. a. O.) aufgestellt wurde. Für Bilanzen, die in der Zeit zwischen dem 19. August 2002 und dem 10. März 2003 (Tag der amtlichen Veröffentlichung des Urteils im BStBl, a. a. O.) aufgestellt wurden, kann eine Bilanzberichtigung erfolgen. Für am 10. März 2003 und später aufgestellte Bilanzen besteht eine Verpflichtung zum Ausweis einer entsprechenden Rückstellung. Voraussetzung für eine Bilanzberichtigung ist dabei immer, dass der betroffene ESt- oder Feststellungsbescheid verfahrensrechtlich noch änderbar ist, z. B. wegen eines Vorbehalts der Nachprüfung oder eines Einspruchs.

IV. Beispiel

Einzelunternehmen X bewahrt seine Geschäftsunterlagen in einem Nebenraum seines Betriebsgebäudes auf. Nach dem Bilanzstichtag ist mit folgenden Aufwendungen für die Auf-bewahrung von (vorhandenen) Geschäftsunterlagen zu rechnen:

Anteilige AfA und Unterhaltskosten für den Nebenraum (jährlich) 800,00 EUR
AfA für Einrichtungsgegenstände (jährlich) 300,00 EUR
Kosten für die Soft- und Hardware für die Lesbarmachung der Daten 200,00 EUR
Kosten für die Datensicherung (einmalig) 100,00 EUR

Die Rückstellung kann wie folgt berechnet werden:

Anteilige AfA und Unterhaltskosten für den Nebenraum 800,00 EUR
AfA für Einrichtungsgegenstände 300,00 EUR
Kosten für die Hard- und Software zur Lesbarmachung der Daten 200,00 EUR
jährlich anfallende rückstellungsfähige Kosten 1.300,00 EUR
x 5,5 = 7.150,00 EUR
Kosten der Datensicherung 100,00 EUR
Rückstellungsbetrag 7.250,00 EUR