08.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111895
Verwaltungsgericht Düsseldorf: Urteil vom 22.02.2011 – 3 K 8454/09
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Datum:22.02.2011
Verwaltungsgericht Düsseldorf
3. Kammer
Urteil
Aktenzeichen:3 K 8454/09
Tenor:
Die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 9. Dezember 2009 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.
Die Klägerin ist ein Krankenhaus der Regelversorgung; auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer sind die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR DW EKD) anwendbar.
Im Juni 2007 verlangte die Bezirksregierung Düsseldorf von der Klägerin wie von allen anderen Krankenhäusern des Regierungsbezirks die Übersendung der für ihre Ärzte geltenden Arbeitszeitregelungen. Im Hinblick auf die Antwort für den Fachbereich Chirurgie äußerte die Beigeladene Bedenken insbesondere in Bezug auf den Übergang von Vollarbeit zu Bereitschaftsdienst sowie die steigenden "gefühlten" Belastungen ohne aktuelle Aufschreibungen der Arbeitszeit. Im September 2007 erläuterte die Bezirksregierung der Klägerin die ihrer Ansicht nach rechtskonforme Auslegung der Tarifverträge in Krankenhäusern. Nach einer Beschwerde von Assistenzärzten über zu intensive Arbeitszeiten wertete die Bezirksregierung eingereichte Dienstpläne der Chirurgie aus und besprach die Arbeitszeitnachweise im November 2008 mit der Klägerin. Die für Juli 2009 vereinbarte Einführung eines neuen Dienstplans verzögerte sich. In der Folgezeit konnten Klägerin und Beigeladene zunächst keine Einigung über ein wochentägliches Spätdienstmodell für die Chirurgie erzielen. Später kam dann eine solche zustande, die ab dem 1. September 2009 eingeführt werden sollte. Danach sollten sich die Dienste Montag bis Donnerstag auf den Zeitraum von 12.00 bis 7.30 Uhr – davon Bereitschaftsdienst von 20.00 bis 7.00 Uhr – erstrecken, Freitag von 8.30 bis 8.30 Uhr – Bereitschaftsdienst von 16.00 bis 8.15 Uhr; für die Wochenenden und Feiertage war eine Übergangsregelung (mit 24-Stunden-Diensten einschließlich 23 Stunden Bereitschaftsdienst) vorgesehen. Dieses vereinbarte Modell stufte die Bezirksregierung Düsseldorf als zu beanspruchend ein und äußerte die Erwartung, dass spätestens bis zum 1. November 2009 ein rechtskonformes Arbeitszeitmodell eingeführt werde. Im Anhörungsverfahren legte die Klägerin am 4. November 2009 dar, dass sie den Dienstplan vor der Durchführung einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung nicht ändern werde. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung konstatierte die Betriebsärztin der Klägerin eine sehr hohe physische und psychische Belastung der Assistenzärzte der Chirurgie auf Grund der 24 Stunden-Dienste am Wochenende. Ein so entstandener gehäufter Schlafmangel führe zu Konzentrationsbeeinträchtigungen und erhöhter Krankheitsanfälligkeit.
Mit Ordnungsverfügung vom 9. Dezember 2009 ordnete die Bezirksregierung Düsseldorf für die chirurgische Klinik und die urologische Station der Klägerin unter Androhung eines näher bestimmten Zwangsgelds an, dass die ärztlichen Arbeitnehmer gemäß § 3 ArbZG maximal 10 Stunden am Tag beschäftigt werden dürften. Die wöchentliche Arbeitszeit dürfe im Durchschnitt von 6 Monaten 48 Stunden nicht überschreiten. Die Ruhezeit nach einem Dienst mit Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst müsse mindestens 10 Stunden betragen. Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis zu 9 Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden insgesamt seien zu gewähren. Bei Inanspruchnahme der Arbeitnehmer der Klägerin während einer Rufbereitschaft müsse die zusammenhängende Ruhezeit mindestens 5,5 Stunden betragen, sonst seien diese am nächsten Tag freizustellen. Die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft sei der werktäglichen Arbeitszeit zuzurechnen. Ferner seien alle Arbeitszeiten von mehr als 8 Stunden werktäglich aufzuschreiben. Danach schloss sich ein "Hinweis" an, wonach die Klägerin von den Öffnungsklauseln gemäß § 7 ArbZG in den AVR DW EKD erst Gebrauch machen dürfe, wenn der Nachweis erbracht werde, dass die Voraussetzung für deren Nutzung erfüllt seien; dieser gelte erst mit einer entsprechenden Bescheinigung der Bezirksregierung Düsseldorf als erbracht. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Klägerin habe die Voraussetzungen für den Gebrauch der Öffnungsklauseln zur Verlängerung der Arbeitszeiten aus § 7 ArbZG nicht erfüllt, da es an einem "erheblichen Anteil an Bereitschaftsdienst" mangele. Die Klägerin habe als Arbeitgeberin nachzuweisen, dass ab dem von ihr angeordneten Zeitpunkt Bereitschaftsdienst auch tatsächlich vorliege. Dies sei indes erst dann der Fall, wenn die Inanspruchnahme bezogen auf ein Stundenintervall (auf der Grundlage einer dreimonatigen Aufzeichnung) erstmalig unter 50 Prozent falle. Falls dieser Nachweis nicht gelinge und das Vorliegen von Bereitschaftsdienst zu dem entscheidenden Zeitpunkt auch nicht offensichtlich ist, müsse die Zeit als Vollarbeit qualifiziert werden. Es könne daher sein, dass nach mehreren Stunden zulässig angeordneten Bereitschaftsdiensts bei Erreichen der 50 Prozent-Grenze der Inanspruchnahme eine Stunde Vollarbeit anfalle, bevor erneut in den Bereitschaftsdienst übergegangen werden könne. Die Klägerin habe diese Grenze ausweislich der Aufzeichnungen insbesondere in den ersten Stunden des angeordneten Bereitschaftsdiensts mit Werten der Inanspruchnahme zwischen 50 und 73 Prozent mehrfach überschritten. Der Stundenwert von 50 Prozent für die Bereitschaftsdienstschwelle orientiere sich an dem allgemein anerkannten Grundsatz, wonach Bereitschaftsdienst nur angeordnet werden d ürfe, wenn zu erwarten sei, dass Arbeit anfalle, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiege. Die Schwelle von 50 Prozent diene schließlich auch dazu, den Übergang von der vorherigen Vollarbeit zum Bereitschaftsdienst hinreichend deutlich zu kennzeichnen. Die Frage der Erheblichkeit des Bereitschaftsdienstanteils könne aus Gesundheitsschutzgründen nicht pauschal mit einem Prozentsatz von rund 30 Prozent beantwortet werden, sondern sei abhängig von der Schichtlänge zu beurteilen. Selbst wenn aber die Voraussetzungen für abweichende Regelungen nach § 7 ArbZG erfüllt wären, sei die Dienstplanung der Klägerin auch im Übrigen rechtswidrig. Die Klägerin habe die ihr durch die Öffnungsklausel in Abschnitt A Abs. 2 Anlage 8 AVR DW EKD eröffneten weiten Handlungsspielräume bei der Gestaltung der Dienstplanung mit Blick auf mögliche Variationen des Bereitschaftsdienstanteils und der Gesamtlänge vor allem angesichts mehrerer Überlastungsanzeigen der Assistenzärzte und der Feststellungen der Betriebsärztin nicht ordnungsgemäß ausgefüllt. Ferner sei die seitens der Klägerin vorgelegte Gefährdungsbeurteilung mangels konkreten Tätigkeits- bzw. Arbeitsplatzbezugs unzureichend gewesen und habe verschiedene weitere Mängel aufgewiesen. Ebenso wenig habe eine ausreichende Prüfung alternativer Arbeitszeitmodelle unter Gesundheitsschutzaspekten stattgefunden. Schließlich seien keine hinreichenden Maßnahmen, beispielsweise in arbeitsorganisatorischer Hinsicht, in Bezug auf die Belastungen durch die Verlängerung der Arbeitszeiten getroffen worden.
Die Klägerin stellte unter dem 21. Dezember 2009 bei der Bezirksregierung Düsseldorf den Antrag, festzustellen, dass bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern im Rahmen näher dargelegter Arbeitszeitmodelle – welche die seitens der Behörde geforderten inhaltlichen Kriterien beachteten – die Voraussetzungen für die Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit gemäß Abschnitt A Abs. 2 Anlage 8 AVR DW EKD gegeben seien.
Am 23. Dezember 2009 hat die Klägerin – gleichzeitig mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (3 L 1988/09) – Klage erhoben.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der in der streitgegenständlichen Verfügung enthaltende "Hinweis" sei als eigenständige Verfügung zu qualifizieren, da er die Verpflichtung enthalte, eine aufsichtsbehördliche Bewilligung einzuholen. Die Statuierung einer Handlungspflicht hätte aber einer förmlichen Maßnahme bedurft. Weiterhin seien die Voraussetzungen des § 7 ArbZG für die Verlängerung der Arbeitszeit durch Bereitschaftsdienst erfüllt. Bereits ein Bereitschaftsdienstanteil von 25 bis 30 Prozent weise ohne Weiteres einen erheblichen Umfang im Sinne des § 7 ArbZG auf. Die Annahme einer maximal zulässigen durchschnittlichen Aktivzeit von weniger als 50 Prozent innerhalb des ersten Stundenintervalls des Bereitschaftsdiensts sowie aller weiteren Stundenintervalle ergebe sich weder aus den AVR DW EKD noch aus arbeitsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen des Arbeitszeitgesetzes oder der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Das Kriterium des Überwiegens inaktiver Zeiten beziehe sich vielmehr auf die gesamte Zeitspanne des jeweiligen Bereitschaftsdiensts. Durch die gegenteilige Auffassung werde die Dauer des zulässigen Bereitschaftsdiensts von vornherein in unzulässiger Weise verengt. Eine intervallbezogene Betrachtung der Inanspruchnahme im Bereitschaftsdienst sei für die Unterscheidung der Arbeitszeitformen auf Tatbestandsebene ohne Bedeutung, sondern habe allein im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung unter Belastungsgesichtspunkten zu erfolgen. In diesem Zusammenhang sei eine 70-Prozent-Schwelle für Aktivzeiten innerhalb eines Stundenintervalls eine praxisgerechte Orientierungsgröße, weil sie der Gefahr einer faktischen Aushebelung der Obergrenze der maximal zulässigen Vollarbeitszeit ausreichend begegne. Des Weiteren habe sie – so meint die Klägerin – eine ordnungsgemäße Alternativenprüfung als Voraussetzung für die Arbeitszeitverlängerung gemäß Abschnitt A Abs. 2 Unterabs. 2 Anlage 8 AVR DW EKD durchgeführt. Dabei habe sich das von ihr präferierte Spätdienst-Modell vor allem auch gegenüber Schichtmodellen sowie weiteren kombinierten Modellen unter dem Blickwinkel der Belastung und Organisation als vorzugswürdig erwiesen. Die vorgenommene Belastungsanalyse gemäß § 5 ArbSchG in Form einer arbeitsschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung sei ebenfalls nicht zu beanstanden gewesen, weil sie alle Belastungen im Zusammenhang mit den verlängerten Arbeitszeiten unter Beachtung der Erkenntnisse der Betriebsärztin tätigkeitsspezifisch berücksichtigt habe. Infolge der ergänzenden Stellungnahme der Betriebsärztin vom 15. Dezember 2009 sei schließlich für die Wochenenden eine Umstellung der 24-Stunden-Dienste auf zwei separate Dienste erfolgt. Der Beklagte habe darüber hinaus ermessensfehlerhaft gehandelt, weil er keine weniger belastenden Mittel als ein Drei-Schicht-Modell, das faktisch zu einer Schließung der Fachabteilung für Chirurgie in absehbarerer Zeit führen könnte, in Erwägung gezogen habe. In Betracht gekommen wären als verhältnismäßige Maßnahmen unter anderem Auflagen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung oder die Beschränkung der Verlängerung der Arbeitszeit durch Bereitschaftsdienst allein im Umfang von Abschnitt A Abs. 2 Unterabs. 1 Anlage 8 AVR DW EKD auf insgesamt maximal 16 Stunden, da dieses Grundmodell ohnehin keine arbeitsschutzrechtliche Prüfung erfordere. Letztlich könne der Beklagte die Notwendigkeit des Erlasses der Ordnungsverfügung auch nicht auf etwaige Gesundheitsgefahren der Assistenzärzte stützen. Zum einen habe er die Vorwürfe hinsichtlich vermeintlicher Arbeitszeitüberschreitungen nicht hinreichend substantiiert dargetan, zum anderen seien die fest beschäftigten Assistenzärzte zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung durchschnittlich nur noch zu ungefähr eineinhalb Bereitschaftsdiensten pro Monat eingeteilt worden, um die Belastung für die betroffenen Ärzte so weit wie möglich zu reduzieren.
Die Klägerin beantragt,
die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 9. Dezember 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung der angegriffenen Ordnungsverfügung entgegen. Ergänzend trägt er vor, der Hinweis in der Ordnungsverfügung enthalte keine eigenständige Anordnung; stattdessen sei er nur als informelle Bezugnahme auf § 21 OBG NRW zu verstehen.
Im Rahmen eines Erörterungstermins am 5. März 2010 hat die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgenommen. Zugleich hat der Beklagte zugesagt, den Antrag der Klägerin auf Austausch der Mittel vom 21. Dezember 2009 vorbehaltlich einer noch einzuholenden Stellungnahme der Betriebsärztin positiv zu bescheiden. Einen entsprechenden Austausch der Mittel, demgemäß Dienste nach dem Grundmodell des Abschnitts A Abs. 2 Unterabs. 1 Anlage 8 AVR DW EKD unter den von dem Beklagten genau bezeichneten Kriterien angeordnet werden dürfen, hat die Bezirksregierung Düsseldorf der Klägerin unter dem 16. März 2010 gestattet.
Die Beigeladene äußert sich nicht und stellt auch keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der weiteren Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg.
Sie ist als Anfechtungsklage (im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) – auch nach dem gestatteten Austausch der Mittel im Hinblick auf die unveränderten Regelungen und Rechtsstandpunkte – zulässig und auch begründet, denn die angegriffene Ordnungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zunächst bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW) der Ordnungsverfügung vom 9. Dezember 2009. Diese ergeben sich nicht nur aus dem Nebeneinander des eigentlichen Tenors und des ebenfalls unter Punkt I. enthaltenen Hinweises, sondern darüber hinaus aus der Komplexität der insgesamt fast zwanzig Seiten umfassenden Begründung, die teilweise alternative Stränge – wie beispielsweise auf Seite 13 oben abstellend auf die "vorgelegte Dienstplanung" – enthält; auch die zusammenfassende Aussage auf Seite 19 ("Sie haben im Fazit somit die Voraussetzungen für die Nutzung der Öffnungsklauseln nicht erfüllt.") trägt nicht zur Klarstellung bei, sondern legt vielmehr nahe, dass die Bezirksregierung Düsseldorf das konkrete Arbeitszeitmodell der Klägerin auf seine Übereinstimmung mit den AVR DW EKD hin (mit negativem Ergebnis) geprüft hat. Mit diesem Ansatz ist allerdings wiederum die im ersten Satz des (eingerückten) Tenors enthalte Anordnung, die ärztlichen Arbeitnehmer gemäß (der gesetzlichen Grundnorm des) § 3 ArbZG nur maximal 10 Stunden am Tag zu beschäftigen, nicht vereinbar. Diese zentrale (zudem in Punkt V. 1. zwangsgeldbewehrte) Regelung der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung passt nicht zu dem vorgenannten Befund, sondern wäre die richtige Konsequenz aus der Feststellung, dass die AVR DW EKD keine wirksamen abweichenden Regelungen im Sinne des § 7 ArbZG enthalten; eine derartige Feststellung hat die Bezirksregierung Düsseldorf aber gerade nicht getroffen, wie insbesondere die Ausführungen am Ende der Seite 8 ("Andernfalls müsste die Regelung als nichtig betrachtet werden.") zeigen. Eine dem oben angeführten Prüfungsergebnis entsprechende Regelung, in der chirurgischen Klinik und der urologischen Station der Klägerin die Vorgaben der AVR DW EKD einzuhalten, vermag die Kammer der Ordnungsverfügung vom 9. Dezember 2009 jedoch nicht zu entnehmen; auch der "Hinweis" (auf Seite 2) kann nicht dahingehend umgedeutet werden.
Die zentrale Regelung in Gestalt der Anordnung der Arbeitszeiten des § 3 ArbZG ist unabhängig von der aufgezeigten Bestimmtheitsproblematik schon deshalb rechtswidrig, weil die AVR DW EKD wirksame abweichende (Arbeitszeit-)Regelungen im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und Abs. 2a i. V. m. Abs. 4 ArbZG beinhalten bzw. (durch Dienstvereinbarung) zulassen. § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ArbZG erlaubt abweichend von § 3 ArbZG, die Arbeitszeit in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung über zehn Stunden werktäglich zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt. Nach § 7 Abs. 2a ArbZG kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung abweichend von den §§ 3, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 zugelassen werden, die werktägliche Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über acht Stunden zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Die AVR DW EKD, die als (kirchliche) Regelungen im Sinne von § 7 Abs. 4 ArbZG anzusehen sind, erfüllen bei der gebotenen abstrakten – nicht am konkreten Arbeitszeitmodell der Klägerin orientierten – Betrachtung die Voraussetzungen der beiden vorgenannten Öffnungsklauseln. Dabei ist vorauszuschicken, dass der Gesetzgeber durch die neue Bestimmung (des Abs. 2a) dem mit der Einordnung des Bereitschaftsdiensts als Arbeitszeit durch den Europäischen Gerichtshof verbundenen Verlust an Flexibilität bei den Arbeitszeiten, vor allem im Bereich der medizinischen Versorgung und Pflege, entgegenwirken wollte. Vgl. Bundestags-Drucksache 15/1587 vom 25. September 2003, S. 34.
An diese Intention des Gesetzgebers knüpfen die AVR DW EKD in der Anlage 8 unter A. ("Regelung für Ärztinnen, Ärzte, Zahnärztinnen, Zahnärzte, Hebammen, Entbindungspfleger, medizinisch-technische Assistentinnen und Gehilfinnen und medizinisch-technische Assistenten und Gehilfen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflegedienst") an, die zunächst in Abs. 1 eine rechtlich nicht zu beanstandende Umschreibung des Bereitschaftsdiensts enthält, die sich am "aktuellen Stand der Rechtsprechung" (vgl. Seite 12 oben der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung) orientiert, wonach Bereitschaftsdienst nur angeordnet werden darf, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Die in A. Abs. 2 Unterabs. 1, 2 und 3 unmittelbar vorgesehenen (Unterabs. 1) bzw. durch Dienstvereinbarung zugelassenen (Unterabs. 2 und 3) Verlängerungen der Arbeitszeit erfüllen allesamt die maßgebliche Voraussetzung der Regelmäßigkeit und des erheblichen Umfangs von Bereitschaftsdienst im Sinne der oben genannten Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und Abs. 2a (des § 7 ArbZG). Angesichts des Umstands, dass der Bereitschaftsdienst gerade im Bereich des Krankenhauswesens das Berufsbild mitprägt, ist das (erste) Erfordernis der Regelmäßigkeit ohne Weiteres gegeben. Auch das (zweite) Erfordernis des erheblichen Umfangs liegt vor. Zwar gibt es keine gesetzliche Präzisierung, was hierunter genau zu verstehen ist, allerdings wird im Schrifttum – weitgehend übereinstimmend – ein Anteil von einem Drittel bis einem Viertel (der verlängerten Arbeitszeit) als erheblicher Umfang angesehen. Vgl. nur Schliemann, ArbZG, Kommentar zum Arbeitszeitgesetz mit Nebengesetzen, 2009, § 7 ArbZG Rn. 41 m. w. N. und Schubert / Jerchel, WSI-Mitteilungen 2011, S. 76 ff. (S. 80: "Richtwert 30 %"); vgl. auch den auf Seite 9 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung genannten Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 24. Januar 2006 - 1 ABR 6/05 -
Dieser Anteil wird jeweils erreicht bzw. (sehr) deutlich überschritten (Unterabs. 1: mindestens 6 von 16 Stunden Bereitschaftsdienst = 37,5 Prozent bzw. Unterabs. 2 und 3: mindestens 16 von 24 Stunden Bereitschaftsdienst = 66,67 Prozent). Sonstige tatbestandliche Einschränkungen hinsichtlich der Abgrenzung und der Ausgestaltung des Bereitschaftsdiensts enthalten die angeführten gesetzlichen Öffnungsklauseln nicht. Vor diesem Hintergrund könnten die (einschlägigen Bestimmungen in Anlage 8 der) AVR DW EKD auch nicht etwa deshalb als unwirksam angesehen werden, weil sie nicht den von der Bezirksregierung Düsseldorf offenbar favorisierten "Stundenwert von 50 Prozent für die Bereitschaftsdienstschwelle" (sondern nur die Abgrenzung von Vollarbeit und Bereitschaftsdienst konkretisierende Anmerkungen – u. a. zu Anlage 8 A. Abs. 1) enthalten. Schließlich fordern die AVR DW EKD in den Unterabs. 2 und 3 eine Prüfung alternativer Arbeitszeitmodelle, eine Belastungsanalyse gemäß § 5 ArbSchG sowie daraus ggf. resultierende Maßnahmen des Gesundheitsschutzes und binden damit in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Partner einer Dienstvereinbarung an das zusätzliche Kriterium des § 7 Abs. 2a ArbZG in Gestalt der Sicherstellung der Gesundheit der Arbeitnehmer. Vgl. hierzu nur BAG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 10 AZR 543/09 -, juris, Rn. 25 ff.
Die Frage, ob sich das konkrete Arbeitszeitmodell der Klägerin in dem durch die AVR DW EKD erlaubten (gegenüber § 3 ArbZG erweiterten) Rahmen bewegt oder nicht, stellt sich in diesem Zusammenhang nicht, weil die Bezirksregierung Düsseldorf der Klägerin die Einhaltung bzw. Umsetzung deren (quasi tarifvertraglicher) Regelungen gar nicht aufgegeben hat. Selbst wenn man dies im Hinblick auf den in der Ordnungsverfügung vom 9. Dezember 2009 enthaltenen "Hinweis" anders sähe, wäre diese als rechtswidrig einzustufen. Rechtlich bedenklich ist bereits, ob die für die Überwachung des Arbeitszeitgesetzes zuständige Behörde – hier die Bezirksregierung Düsseldorf – eine auf die Einhaltung eines Tarifvertrags bzw. einer diesem entsprechenden kirchlichen Regelung im Sinne von § 7 Abs. 4 ArbZG abzielende Maßnahme überhaupt auf die – vorliegend herangezogene – Ermächtigungsgrundlage des § 17 Abs. 2 ArbZG stützen kann. Diese Vorschrift erlaubt die Anordnung von erforderlichen Maßnahmen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten zu treffen hat. Anders als in § 17 Abs. 4 ArbZG ist in Abs. 2 von Tarifverträgen allerdings keine Rede, sodass der Schluss nahe liegt, dass die Aufsichtsbehörde auf dieser Grundlage keine Anordnungen zur Einhaltung tariflicher Arbeitszeitregelungen treffen kann. Für eine derartige Interpretation der Vorschrift könnte ferner der Zweck der Tariföffnungsklauseln sprechen, den Tarifvertragsparteien bestimmte Regelungsbefugnisse (mit der Folge einer entsprechenden Verlagerung der Verantwortung) zu übertragen; hiermit könnten behördliche Eingriffsbefugnisse zumal dann als unvereinbar angesehen werden, wenn sich die Abweichung von den tariflichen Vorgaben nicht zugleich als Nichterfüllung der gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Pflichten darstellt. Angesichts der eröffneten individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Klärungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten (etwa im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Feststellungsklage) erscheint eine entsprechende behördliche Kompetenz zur Wahrung des Gesundheitsschutzes überdies nicht zwingend erforderlich. Ob sich Abweichendes aus der durch den Beklagten im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Anlage zu TOP 9.2 der 48. LASI-Sitzung – Punkt 18 – ("Nach h. A. in der Kommentarliteratur, dem BAMS und den obersten Landesbehörden treten Tarifregelungen nach § 7 ArbZG an die Stelle der Grundnormen des ArbZG. Sie werden damit zu öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitnormen, deren Einhaltung durch die Aufsichtsbehörden zu überwachen ist.") ergibt, kann hier letztlich auf sich beruhen, weil die angegriffene Ordnungsverfügung jedenfalls im Hinblick auf die (im Mittelpunkt stehende) Vorgabe des Stundenwerts von 50 Prozent für die Bereitschaftsdienstschwelle materiell rechtswidrig ist.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass die AVR DW EKD eine derartige Bereitschaftsdienstschwelle – wie bereits oben in anderem Zusammenhang angeführt – gar nicht enthalten; sie beschränken sich nämlich auf die bereits erwähnten konkretisierenden Anmerkungen zur Abgrenzung von Vollarbeit und Bereitschaftsdienst in dem Fall, dass eine Tätigkeit zum dienstplanmäßigen Ende der Vollarbeit nicht unterbrochen werden kann. Die Vorgabe des Stundenwerts von 50 Prozent für die Bereitschaftsdienstschwelle kann in die AVR DW EKD auch nicht etwa "hineingelesen" werden, denn es fehlen entsprechende gesetzliche oder verordnungsrechtliche Bestimmungen und es gibt auch sonst keine allgemeine Anerkennung dieses Abgrenzungskriteriums, das sich so noch nicht einmal in der Neufassung der Veröffentlichung des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) "Arbeitszeitgestaltung in Krankenhäusern" von Juni 2009 (unter Punkt 5.7 "Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft") findet. Unabhängig davon, dass in Tarifverträge und Betriebs- oder Dienstvereinbarungen eine derartige Vorgabe sicherlich ohne Weiteres aufgenommen werden könnte, erscheint sie der Kammer als behördliche Anordnung auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtlich bedenklich. Dabei steht die auch von dem Prozessbevollmächtigen der Klägerin betonte Notwendigkeit einer "arbeitszeitschutzrechtlichen" Abgrenzung von Vollarbeit und Bereitschaftsdienst nicht in Frage.27Vgl. Schlottfeldt / Herrmann, Arbeitszeitgestaltung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Rechtskonforme Bereitschaftsdienstmodelle, 2008, S. 19 ff. (Punkte 1.1.2 und 1.1.3).
Diese im Sinne der "hinreichenden Wahrscheinlichkeit" der "Erwartung einer Ruhepause mit dem Beginn des Bereitschaftsdienstes" (vgl. Seite 11 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung) sicherzustellen, erfordert jedoch jedenfalls nicht die durchgängige Vorgabe des Stundenwerts von 50 Prozent (für jede einzelne Bereitschaftsdienststunde). Vielmehr dürfte einiges dafür sprechen, dass es zur (§ 1 ArbZG entsprechenden) Verwirklichung des von der Bezirksregierung Düsseldorf verfolgten "arbeitszeitschutzrechtlichen" Zwecks ausreicht, wenn die erste Stunde des Bereitschaftsdiensts einer solchen begrenzenden Vorgabe entspricht und damit die Zäsur zwischen Vollarbeit und Bereitschaftsdienst verdeutlicht. Dabei lässt es die Kammer gerade auch im Hinblick auf weitere denkbare – unter anderem von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgeschlagene – Abgrenzungsmodelle ausdrücklich offen, ob ein hierauf reduzierter "Stundenwert von 50 Prozent für die Bereitschaftsdienstschwelle" ohne Weiteres als verhältnismäßig eingestuft werden könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.