12.07.2004 · IWW-Abrufnummer 041725
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 16.07.1997 – 5 AZR 312/96
1. Zeitungszusteller können je nach Umfang und Organisation
der übernommenen Tätigkeit Arbeitnehmer oder Selbständige
sein.
2. Kann ein Zusteller das übernommene Arbeitsvolumen in der
vorgegebenen Zeit nicht bewältigen, so daß er weitere Mitarbeiter
einsetzen muß, so spricht das gegen die Annahme eines
Arbeitsverhältnisses.
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil
des Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 5. März
1996 - 16 Sa 1532/95 - aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Oktober 1995
- 2 Ca 4124/95 - wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der
Revision zu tragen.
V o n R e c h t s w e g e n !
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis
besteht.
Die Beklagte betreibt eine Agentur zum Vertrieb von Presseerzeugnissen.
U.a. verteilt sie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
(FAZ) und den "Blick durch die Wirtschaft" (BDDW). Sie beschäftigt
nach eigenen Angaben 48 Zeitungszusteller, sog. Zeitungsjungen,
auf Geringverdienerbasis mit Arbeitszeiten von 5 bis
90 Minuten pro Arbeitstag. Daneben sind weitere Personen, u.a.
der Kläger, als Zusteller für sie tätig, deren rechtlicher Status
teilweise streitig ist.
Der Kläger war zunächst gem. Anstellungsschreiben vom
28. Juli 1980 ab 1. August 1980 als Zeitungszusteller der Beklagten
für den Zustellbezirk N I tätig. In dem Anstellungsschreiben
heißt es:
"Sie sind verpflichtet, die Exemplare der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung am Erscheinungstag an
der vereinbarten Stelle abzuholen und die Abonnenten
pünktlich, regelmäßig und ordentlich zu beliefern. Jeder Abonnent ist bis spätestens
7.00 Uhr zu beliefern.
Für die Zustellung der Zeitungsexemplare erhalten
Sie eine stückzahlbezogene Vergütung von z.Zt.
DM 3,20 pro Monat zuzüglich der von der Hauptagentur
genehmigten und schriftlich bestätigten
Kostenerstattungen.
...
Die Namen und Adressen der Abonnenten sind entsprechend
der Auslieferung im Zustellbuch einzutragen,
gleiches gilt für die von der Hauptagentur
gemeldeten Bestandsveränderungen (Bezugsunterbrechung,
Zugang, Abgang). Bei Beendigung der
Zustelltätigkeit ist das Zustellbuch unverzüglich
an die Hauptagentur zurückzugeben. Es ist Ihnen
untersagt, das Zustellbuch Dritten auszuhändigen
oder zugänglich zu machen.
Im Falle der Erkrankung sind Sie verpflichtet,
die Hauptagentur unverzüglich zu benachrichtigen
und für eine vorübergehende Vertretung zu sorgen.
..."
Die Zeitungen wurden dem Kläger ab 23.00 Uhr des Vortages
zur Verfügung gestellt. Nach übereinstimmender Auffassung der
Parteien handelte es sich bei diesem Vertragsverhältnis um ein
Arbeitsverhältnis. Mit Schreiben vom 1. Juni 1987 kündigte der
Kläger das Vertragsverhältnis zum 30. Juni 1987. Ab 1. Juli 1987
war die im Jahre 1991 verstorbene Ehefrau Vertragspartnerin. Sie
kündigte den Vertrag zum 31. Dezember 1988. In der Folgezeit trug
zeitweise der Sohn des Klägers für die Beklagte Zeitungen aus.
Spätestens ab 1. Januar 1990 war wieder der Kläger für die
Beklagte tätig. Einen erneuten schriftlichen Vertrag schlossen
die Parteien nicht ab. Der Kläger bediente die Zustellbezirke 090
und 029 in D und übernahm Vertretungen für andere Zusteller
der Beklagten. Nach ihrem Vortrag gab die Beklagte dem
Kläger und dessen Sohn Schecks zur Weiterleitung an die vom Kläger
auf Geringverdienerbasis beschäftigten Zusteller, und zwar
ohne daß der Kläger dafür Rechnungen erstellte. Spätestens ab
Juli 1990 stellte der Kläger der Beklagten Rechnungen aus, überwiegend
in monatlichen Abständen, und zwar bis August 1990 unter
der Firmenbezeichnung "B und R P - Transporte Kurierdienst",
ab Oktober 1990 unter der Bezeichnung "B P Vertragsauslieferung"
und spätestens seit Juli 1994 unter der Bezeichnung
"B P Vertragsauslieferung Kurierdienst".
In der Zeit von Juli 1990 bis Februar 1991 beliefen sich die
monatlichen Rechnungsbeträge für die Zustellung der beiden Zeitungen
auf Beträge zwischen ca. 2.400,-- und 3.300,-- DM. Weiter
stellte der Kläger der Beklagten unter dem 13. August 1990 für
die Auslieferung der FAZ in einem anderen Bezirk und für die Verteilung
von 10.000 Werbebriefen 1.368,-- DM in Rechnung.
Für die Zeit ab Juni 1994 bis März 1995 beliefen sich die
Rechnungsbeträge für die monatliche Zustellung auf ca. 2.850 bis
6.430,- DM. Unter dem 30. März 1995 stellte der Kläger der Beklagten
weiter für 38,5 Stunden "Etikettieren der FAZ für die
WestLB" zu einem Stundensatz von 20,-- DM, insgesamt also
770,-- DM in Rechnung. Ferner befinden sich bei den Akten - von
der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht
eingereichte - Kopien zweier Rechnungen, mit denen
der Kläger einer "Firma W D Kleintransporte" für die
Zustellung der Zeitungen FAZ und BDDW in der Zeit vom 21. Oktober
bis zum 30. November 1994 6.769,02 DM und für die Zustellung dieser
Zeitungen im Dezember 1994 5.206,86 DM in Rechnung stellt.
Die der Beklagten für die Monate Oktober bis Dezember 1994 in
Rechnung gestellten Beträge belaufen sich auf 4.236,31 DM,
3.010,59 DM und 3.142,95 DM.
Neben der Tätigkeit für die Beklagte übernahm der Kläger zumindest
zeitweise zusätzliche Zustelldienste bei Dritten für andere
Zeitungen, u.a. die "Neue Rhein-Ruhr-Zeitung" und die "Rheinische
Post".
Mit Schreiben vom 6. März 1995 kündigte die Beklagte das
Vertragsverhältnis zum 31. März 1995. Hiergegen wandte sich der
Kläger mit einer beim Arbeitsgericht Düsseldorf erhobenen Kündigungsschutzklage
(- 8 Ca 1941/95 -). Die Parteien schlossen am
19. Mai 1995 einen Vergleich, wonach sie sich darin einig sind,
daß das "Rechtsverhältnis durch die ... Kündigung nicht aufgelöst
worden ist, sondern zur Zeit fortbesteht".
Mit seiner am 27. Juni 1995 bei Gericht eingegangenen Klage
begehrt der Kläger nunmehr die Feststellung, daß es sich bei dem
Vertragsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt. Dazu hat er
vorgetragen: Tatsächlich habe sich an dem seit August 1980 bestehenden
Arbeitsverhältnis nichts geändert. Auch während der Zeit,
als das Vertragsverhältnis mit seiner Ehefrau bestanden habe, sei
der Vertrag ausschließlich von ihm erfüllt worden. Seine Ehefrau
habe zu keiner Zeit Zeitungen zugestellt. Das Vertragsverhältnis
mit seiner schon damals schwerkranken Ehefrau sei nur deshalb begründet
worden, um dieser eine höhere Rente zu verschaffen. Vertretungen
für andere Zeitungen habe er nur übernommen, wenn die
Beklagte keine Vertretungen für ihn gehabt habe. Er habe sämtliche
Leistungen in Person erbracht - so sein schriftsätzlicher
Vortrag in erster Instanz. 1990 sei man einvernehmlich zu den Modalitäten
des Vertrages vom 28. Juli 1980 zurückgekehrt. Die Beklagte
habe dann von sich aus die Entlohnungsmethode umgestellt
und Nettobeträge plus Mehrwertsteuer gezahlt, für die sie später
Rechnungen verlangt habe. In Wirklichkeit handele es sich aber um
ein Arbeitsverhältnis. Er unterliege dem Weisungsrecht der Beklagten;
seine Arbeit sei fremdbestimmt. Aus der Natur der Sache
ergebe sich, daß der zur Zustellung von Zeitungen Verpflichtete
kein freier Mitarbeiter sein k önne. Bei krankheits- und urlaubsbedingter
Abwesenheit habe die Beklagte Vertretungen eingesetzt
und bezahlt.
Der Kläger beantragt festzustellen,
daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis
besteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat
vorgetragen: Es handele sich nicht um ein Arbeitsverhältnis. Der
Grund, weshalb der Kläger sein damaliges Arbeitsverhältnis zum
30. Juni 1987 von sich aus gekündigt habe und seine Ehefrau anschließend
tätig geworden sei, liege vermutlich darin, sich Lohnpfändungen
zu entziehen. 1990 habe der Kläger darum gebeten, das
bisherige Vertragsverhältnis umzustellen. Er und sein Sohn wollten
nunmehr eine Firma für Zustelldienste gründen und für mehrere
Verlage gleichzeitig arbeiten, und ihr, der Beklagten, Rechnungen
erteilen. Damit habe sie sich einverstanden erklärt. Der Kläger
habe Wert darauf gelegt, wegen diverser Pfändungen keinen festen
Arbeitsvertrag abzuschließen.
Während der gesamten Dauer des Rechtsverhältnisses habe der
Kläger zusätzlich für andere Auftraggeber gearbeitet. Ab Mai 1989
sei er bei der Neuen Rhein-Ruhr-Zeitung in Düsseldorf als Arbeitnehmer
beschäftigt gewesen, in der Zeit von Januar 1993 bis Dezember
1994 mit Steuerklasse 6. Ab Mai 1989 sei der Kläger weiter
bei der Rheinischen Post in Düsseldorf als Zusteller beschäftigt
gewesen. Zusätzlich habe er von November 1989 bis Dezember 1990
für die Firma I , Presse Service, täglich Tageszeitungen
im gesamten Stadtgebiet von Düsseldorf und Neuss ausgetragen,
und zwar bei einer Zustellzeit bis jeweils 7.00 Uhr.
Wegen der Vielzahl der zeitgleich zu erfüllenden Verpflichtungen
könne der Kläger die morgentlichen Zustellungen nicht in Person
erbringen. Vielmehr bediene er sich mehrerer Hilfskräfte. Auf
jeden Fall helfe ihm seine Lebensgefährtin. Dies zeige, daß es
sich bei dem Vertragsverhältnis der Parteien nicht um ein Arbeitsverhältnis
handele. Eine persönliche Abhängigkeit liege
nicht vor. Ihr, der Beklagten, sei es völlig egal, mit welchen
Personen und Mitteln der Kläger die übernommene Zustellverpflichtung
erfülle, welche sonstigen Tätigkeiten er ausführe und welche
Konkurrenzprodukte er gleichzeitig vertreibe. Ein irgendwie geartetes
Konkurrenzverbot bestehe nicht. Einzige Weisung sei die,
daß die vereinbarten Zustellungen unbedingt jeweils bis spätestens
7.00 Uhr zu erledigen seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat als unstreitig
festgestellt, daß sich der Kläger dritter Personen zur
Erfüllung seiner Vertragspflichten bediene und bedienen dürfe. Im
Berufungsrechtszug hat der Kläger eingeräumt, daß er von seiner
Lebensgefährtin unterstützt werde. Das Landesarbeitsgericht hat
der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückweisung der Berufung des Klägers
gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts. Der Kläger
ist nicht Arbeitnehmer der Beklagten. Sein Vortrag ist unschlüssig.
Diese Feststellung betrifft den Zeitraum ab 1. Januar 1990.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen
ausgegangen, die der Senat zur Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses
von einem freien Dienstverhältnis entwickelt hat. Beide unterscheiden
sich durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in
der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer
ist derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im
Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt.
Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich
insbesondere daran, daß der Beschäftigte einem Weisungsrecht des
Arbeitgebers unterliegt, das Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer
und Ort der Tätigkeit betreffen kann. Für die Abgrenzung von Bedeutung
sind demnach in erster Linie die Umstände, unter denen
die Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht die Modalitäten
der Bezahlung oder die steuer- und sozialversicherungsrechtliche
Behandlung (BAG Urteile vom 30. November 1994 - 5 AZR 704/93 - AP
Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Urteil vom 12. September 1996
- 5 AZR 104/95 - AP Nr. 122 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten, beide
auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt auch von der
Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse
geltende Kriterien lassen sich nicht aufstellen.
Manche Tätigkeiten können sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses
als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses
(freien Mitarbeiterverhältnisses) erbracht werden. Umgekehrt gibt
es Tätigkeiten, die regelmäßig nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses
ausgeübt werden können. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses
kann also auch aus Art oder Organisation der Tätigkeit
folgen (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG Urteil vom 12. Juni
1996 - 5 AZR 960/94 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Werkstudent, auch zur
Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Für Tätigkeiten, die sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses,
als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses erbracht
werden können, gilt der Grundsatz, daß bei untergeordneten,
einfachen Arbeiten eher eine Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation
anzunehmen ist als bei gehobenen Tätigkeiten
(vgl. BFH Urteile vom 14. Juni 1985 - VI R 150 - 152/82 -
BFHE 144, 225 = BB 1985, 2153; BFH Urteil vom 24. Juli 1992 - VI R 126/88 - BFHE 169, 154 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB
Abhängigkeit). Das entspricht auch der Verkehrsanschauung. Bei einfachen
Tätigkeiten, insbesondere manchen mechanischen Handarbeiten, bestehen
schon von vornherein nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten.
Daher können schon wenige organisatorische Weisungen den Beschäftigten
in der Ausübung der Arbeit so festlegen, daß von einer im
wesentlichen freien Gestaltung der Tätigkeit (vgl. § 84 Abs. 1
Satz 2 HGB) nicht mehr die Rede sein kann. In derartigen Fällen
kann die Arbeitnehmereigenschaft auch nicht dadurch ausgeschlossen
werden, daß der Dienstgeber die wenigen erforderlichen Weisungen
bereits in den Vertrag aufnimmt.
II. Das Austragen von Zeitungen ist eine einfache Tätigkeit, die
von vornherein nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten zuläßt. Die
Weisungsgebundenheit ergibt sich hier in der Regel daraus, daß
dem Zusteller ein bestimmter Bezirk mit Kundenliste zugewiesen
und ein zeitlicher Rahmen vorgegeben wird. Zeitungszusteller sind
daher sowohl in der arbeitsrechtlichen, als auch in der finanzund
sozialgerichtlichen Rechtsprechung überwiegend als Arbeitnehmer
angesehen worden (BAG Beschluß vom 29. Januar 1992 - 7 ABR
27/91 - AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972; LAG Hamm, Urteil vom 8. September
1977 - 8 Sa 468/77 - EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff
Nr. 12 = DB 1978, 798; LAG München, Beschlu ß vom 26. Juni 1953
- I 6/53, RDA 1953, 438; BFH Urteil vom 2. Oktober 1968 - VI R
29/68 - BFHE 94, 189 = DB 1969, 289 = BB 1969, 167; BFH Urteil
vom 24. Januar 1975 - VI R 89/72 - und BFH Urteil vom 21. November
1980 - VI S 4/80 - beide n.v.; BFH Urteil vom 24. Juli 1992
- VI R 126/88 - BFHE 169, 154 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB Abhängigkeit;
BSG Urteil vom 15. März 1979 - 2 Ru 80/78 - SozSich 1979,
187; BSG Urteil vom 19. Januar 1968 - 3 RK 101/64 - USK 6801; BSG
Urteil vom 26. Februar 1960 - 3 RK 71/57 - SozR Nr. 19 zu § 165
RVO; a.A. ArbG Oldenburg, Urteil vom 7. Juni 1996 - 3 Ca 819/95 -
BB 1996, 2148; HessFinG Urteil vom 25. Februar 1976 - I 224/72 -
EFG 1976, 387). Die Arbeitnehmereigenschaft wurde teilweise auch
dann bejaht, wenn der Zusteller auch für andere Verlage tätig
werden und sich vertreten lassen konnte (BSG, aaO; BFH, Urteil
vom 2. Oktober 1968; zweifelnd dagegen BAG Beschluß vom 29. März
1974 - 1 ABR 27/73 - BAGE 26, 107 = AP Nr. 2 zu § 19 BetrVG 1972
= EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 2).
Aus den dargestellten Umständen läßt sich jedoch nicht
schließen, daß Zeitungszusteller stets und ausnahmslos Arbeitnehmer
sind. Sie können auch aufgrund freien Dienst- oder Werkvertrages,
also selbständig tätig sein (BAG Beschluß vom 29. März
1974, aaO; BFH Urteil vom 14. Juni 1985, aaO; BayObLG Urteil vom
21. Dezember 1994 - 4 StRR 116/94 - BayObLGSt 1994, 264; vgl.
auch BGH Urteil vom 10. April 1990 - IX ZR 177/89 - AP Nr. 2 zu
§ 611 BGB Zeitungsausträger = NJW-RR 1990, 1075). Das ist der
Fall, wenn die Zustellung der Zeitungen so organisiert wird, daß
dem dafür Verantwortlichen ein größerer Gestaltungsspielraum verbleibt.
Entscheidend sind also die Umstände des Einzelfalls. Bei
den Zeitungsausträgern, die sechs Tage in der Woche Tageszeitungen
zustellen, wird der Unternehmer im allgemeinen innerhalb des
abgegrenzten zeitlichen Rahmens über die Arbeitsleistung des Zustellers
verfügen können, auch wenn dieser nicht exakt nach Stunden
und Minuten bestimmt ist und der Zusteller die Reihenfolge
der Zustellung bestimmen kann (BAG Beschluß vom 29. Januar 1992
- 7 ABR 2/91 - AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972). Dagegen spricht
gegen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, wenn die Anzahl
der auszutragenden Zeitungen so groß ist, daß die Einschaltung
von Hilfskräften erforderlich erscheint, das Arbeitsvolumen also
erheblich über das hinausgeht, was ein Einzelner in der vorgegebenen
Zeit leisten kann. In diesem Fall wird der Zusteller das
Austragen der Zeitungen durch andere organisieren müssen, um
seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen zu können.
III. Der Streitfall weist Besonderheiten auf, die das Landesarbeitsgericht
nicht berücksichtigt hat.
Der Kläger war bereits vom 1. August 1980 bis zum 30. Juni
1987 für die Beklagte tätig, damals als Arbeitnehmer. Daraus
folgt aber nicht, daß es sich bei dem im Jahre 1990 neubegründeten
Vertragsverhältnis ebenfalls um ein Arbeitsverhältnis handelt.
Dem Kläger waren nunmehr zwei andere und auseinanderliegende
Zustellbezirke zugewiesen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen
werden, daß die Parteien sich auf die Bedingungen des Arbeitsvertrages
vom 28. Juli 1980 geeinigt hätten.
Die Beklagte hat bereits bezweifelt, daß der Kläger seine
beiden weit auseinander liegenden "festen" Zustellbezirke allein
bewältigen kann. Unabhängig davon lassen schon die Höhe der der
Beklagten für die monatliche Zustellung in Rechnung gestellten
Beträge und die Anzahl der jeweils zu beliefernden Kunden erhebliche
Zweifel daran aufkommen, daß der Kläger die Zustellung jeweils
bis 7.00 Uhr in eigener Person überhaupt vornehmen konnte.
Der Kläger hat der Beklagten für den Monat Juni 1994 für die Belieferung
von täglich 1.083 Exemplaren der FAZ und 197 Exemplaren
der BDDW einschließlich MwSt. 6.430,17 DM und für die Zustellung
im September 1994 4.745,65 DM in Rechnung gestellt. Für November
1994 waren es 3.010,59 DM und für Dezember 1994 3.142,95 DM.
Hinzu kommt, daß der Kläger für annähernd denselben Zeitraum
(21. Oktober bis 31. Dezember 1994) einer Firma Wolfgang Dreher
Kleintransporte 6.769,02 DM und 5.206,86 DM ebenfalls für die Zustellung
der genannten Zeitungen in Rechnung stellte. Es ist
nicht vorstellbar, daß der Kläger sämtliche Zeitungen jeweils
selbst ausgetragen hat. Vielmehr liegt die Annahme nahe, daß er
mehrere andere Zusteller einsetzte und damit - wie es die Briefköpfe
der Rechnungen ausweisen - tatsächlich selbständiger Unternehmer
war. Weiter hat die Beklagte substantiiert vorgetragen,
der Kläger sei in demselben Zeitraum bei der Rhein-Ruhr-Zeitung
als Arbeitnehmer mit Steuerklasse 6 und zusätzlich für die Firma
IPS als Zeitungszusteller tätig gewesen. Die Beklagte hat daraus
den naheliegenden Schluß gezogen, daß der Kläger die Zustellungen
für sie nicht in Person erbringen konnte.
Angesichts dieser erheblichen Indizien für eine selbständige
Tätigkeit wäre es Sache des Klägers gewesen, zunächst vorzutragen,
wann und wo er jeweils die Zeitungen der Beklagten abgeholt
und ausgetragen hat und welcher Hilfspersonen er sich bedient
hat. Diesen Anforderungen genügt sein Vortrag nicht. Nachdem er
in erster Instanz zunächst behauptet hatte, er habe die Zeitungen
durchweg persönlich ausgetragen, hat er sich später dahin eingelassen,
es treffe nicht zu, daß er sich zur Zustellung anderer
Personen bedient habe, er werde nur von seiner Lebensgefährtin
Frau M unterstützt. Es fehlt an jedem Vortrag dazu, in
welcher Weise ihn seine Lebensgefährtin unterstützt, und wann er
und sie die Zeitungen austragen. Es fehlt auch jede einsichtige
und nachvollziehbare Erklärung dafür, wie er - mit oder ohne Lebensgefährtin
- die abgerechneten Umsätze erzielen konnte.
Griebeling Schliemann Reinecke
Ackert K. Schütters