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  • · Fachbeitrag · Schuldnerberatung

    Keine Erzwingungshaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

    | Oft versuchen Verwaltungsbehörden während eines eröffneten Insolvenzverfahrens bzw. während der Wohlverhaltensphase Geldbußen gegen den Schuldner beizutreiben und ggf. eine Erzwingungshaft anordnen und vollstrecken zu lassen. Das LG Potsdam (22.2.21, 24 Qs 71/20, Abruf-Nr. 222974 ) hat in diesem Zusammenhang entschieden: Die insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbote der §§ 89, 294 InsO erfassen auch Bußgelder, die vor der Verfahrenseröffnung fällig geworden sind. Dies steht der Anordnung von Erzwingungshaft zur Durchsetzung solcher Bußgelder entgegen. Für die Dauer eines gesetzlichen Vollstreckungsverbots ruht die Verjährung der Bußgeldforderung. Hingegen können Bußgeldforderungen, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden sind, vollstreckt werden. |

     

    Die Entscheidung ist richtig. Die Anordnung der Erzwingungshaft zur Vollstreckung von Bußgeldern ist eine Vollstreckungsmaßnahme, die im Insolvenzverfahren bzw. der Wohlverhaltensphase zu beachten ist. Insoweit gilt:

     

    • Bußgeldforderung ist vor Insolvenzeröffnung entstanden: Es handelt sich dann um eine (nachrangige) Insolvenzforderung nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Folge: Die Vollstreckungsverbote der §§ 89, 294 InsO sind zu beachten.
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    • MERKE | Zu beachten ist aber, dass nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 OWiG für die Dauer eines gesetzlichen Vollstreckungsverbots die Verjährung der Bußgeldforderung ruht und diese nach § 302 Nr. 2 InsO auch nach vollständigem Abschluss des Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens in der nicht getilgten Höhe weiter zu befriedigen ist (LG Stuttgart DGVZ 20, 233).

       
    • Beachten Sie | In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass die Geldbuße selbst aber nicht von der Restschuldbefreiung erfasst wird, sondern nur die Kosten (BGH ZVI 10, 466).

     

    • Bußgeldforderung ist nach Insolvenzeröffnung entstanden: Dann liegt eine Neugläubigerforderung vor. Folge: Die Vollstreckungsverbote der §§ 89, 294 InsO gelten nicht. Insofern gibt die Entscheidung einem Schuldner keinen „Freibrief“ zur Begehung von Ordnungswidrigkeiten, da die Vollstreckung von nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig werdenden Bußgeldforderungen von §§ 89, 294 InsO nicht berührt wird.

     

    Es kommt oft vor, dass nicht von der Restschuldbefreiung erfasste Forderungen, insbesondere solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (Deliktsforderungen), aber auch Bußgeldforderungen, parallel zum Insolvenzverfahren bzw. in der Wohlverhaltensphase durch Ratenzahlungen des Schuldners an den jeweiligen Gläubiger beglichen werden. Solange solche Leistungen aus dem unpfändbaren Vermögen des Schuldners herrühren bzw. durch Dritte (Verwandte) erbracht werden, ist dies zulässig. Der Schuldner verletzt dadurch nicht seine insolvenzrechtlichen Pflichten (Gleichbehandlung sämtlicher Insolvenzgläubiger) und setzt sich auch nicht etwaigen Rückforderungsansprüchen des Insolvenzverwalters bzw. Treuhänders aus (BGH Rpfleger 10, 339).

    Quelle: Ausgabe 04 / 2021 | Seite 58 | ID 47453354