07.05.2013
Landesarbeitsgericht: Urteil vom 07.03.2013 – 10 Sa 496/12
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26. September 2012, Az.: 4 Ca 1150/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung sowie Ersatz steuerlicher Schäden.
Der 1961 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er war vom 20.02.1995 bis zum 31.10.2010 bei der Beklagten am Standort HG zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt € 4.444,00 beschäftigt.
Im Jahr 2010 entschloss sich die Beklagte, den Betrieb von HG (Westerwald) mit etwa 170 Arbeitnehmern bis zum 31.12.2010 in das rund 160 Kilometer entfernte C-Stadt (Odenwald) zu verlagern. Diese Verlagerung wurde planmäßig durchgeführt. Der Kläger hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.09.2010 zum 31.10.2010 wegen der Verlagerung selbst gekündigt.
Die Beklagte zahlte dem Kläger im Dezember 2011 eine Abfindung in iHv. € 15.795,93 brutto (€ 12.432,37 netto) aufgrund der Härtefallregelung in § 7 Ziff. 2 des Sozialplans vom 16.09.2010. Mit Klageschrift vom 23.03.2012 verlangt der Kläger die Zahlung von € 74.215,20 brutto, abzüglich gezahlter € 12.432,37 netto, sowie Ersatz steuerlicher Schäden. Der Sozialplan hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:
"§ 1
Leistungsberechtigte Arbeitnehmer
1. ...
2. Keine Ansprüche aus diesem Sozialplan haben:
a) Arbeitnehmer, die eine Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt [...] zu neben dem Standortwechsel im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen abgelehnt haben, obwohl ihnen die Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt zumutbar [...] ist und deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer von T. ausgesprochenen Änderungskündigung [...] endet;
...§ 7
Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt
1. Volle Leistungen nach diesem Abschnitt erhalten Arbeitnehmer, denen der Arbeitsplatzwechsel zum Standort C-Stadt unzumutbar ist und die diese Gründe bis zum 31.10.2010 gegenüber T. schriftlich unter Beifügung entsprechender Nachweise geltend machen und aus diesem Grund die Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt berechtigterweise ablehnen. Die vorgebrachten Gründe müssen nach § 7 Nr. 1 Buchstaben a-f als berechtigte Gründe der Unzumutbarkeit geregelt sein.
a) Unzumutbar ist der Arbeitsplatzwechsel dann, wenn der Arbeitnehmer durch den Arbeitsplatzwechsel zum Standort C-Stadt die häusliche Pflege eines oder mehrerer unmittelbarer Angehöriger (Ehepartner, eingetragener Partner, Kinder, Eltern, Schwiegereltern, Geschwister) nicht aufrechterhalten kann. Die Pflegebedürftigkeit ist durch eine Bescheinigung des ärztlichen Dienstes der gesetzlichen Pflegekasse nachzuweisen;
b) der Arbeitnehmer, unabhängig von einer temporären Arbeitszeitabsenkung (z.B. aufgrund einer befristeten Teilzeit während der Elternzeit) nach seinem derzeitigen Arbeitsvertrag weniger als 22,5 Stunden pro Woche und/ oder weniger als 5 Stunden pro Tag arbeitet;
c) der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Abschlusses dieses Sozialplans schwerbehindert ist (50 % Grad der Schwerbehinderung) und die Art der Behinderung wegen einer zusätzlichen unzumutbaren Belastung dem Arbeitsortwechsel entgegen steht; den Nachweis hat der Arbeitnehmer durch Vorlage des Schwerbehindertenausweises und eines aussagekräftigen entsprechend begründeten ärztlichen Attestes zu führen;
d) ein im Haushalt des Arbeitnehmers lebender Angehöriger des Arbeitnehmers eine sonderpädagogische Einrichtung/Sonderschule aufgrund einer körperlichen oder geistigen Einschränkung (z.B. für Blinde und Hörgeschädigte) besucht und es keine adäquate Wechselmöglichkeit gibt;
e) der Arbeitnehmer als alleinerziehendes Elternteil die Betreuung eines Kindes/ der Kinder bis einschließlich des 16. Lebensjahres durch Angehörige in der Nähe seines bisherigen Wohnsitzes sicherzustellen hat, es sei denn, dass T. eine adäquate Betreuung des betreffenden Kindes/der Kinder in der Nähe des neuen Arbeitsortes oder Wohnortes sicherstellt;
f) wenn im Haushalt des Arbeitnehmers Kinder leben, die sich in der Berufsausbildung befinden und wegen des Stadiums oder der Art der Ausbildung ein Wechsel des Ausbildungsbetriebes nicht möglich ist. Ist die Restzeit (nicht länger als ein Jahr) der Ausbildung über eine Überbetriebliche Einrichtung durchzuführen, ist die Ausbildung selbst kein Grund der Unzumutbarkeit, wenn T. die hierdurch entstehenden nachgewiesenen Mehrkosten bis zu einem Betrag von maximal 5.000,00 EUR erstattet. Ein FH- oder Unistudium ist keine Ausbildung in diesem Sinne.
2. Macht ein Arbeitnehmer über die in § 7 Nr. 1 geregelte Unzumutbarkeit hinaus Gründe geltend, die aus seiner Sicht den Arbeitsortwechsel nach C-Stadt für ihn persönlich unzumutbar machen bzw. eine besondere Einzelfallhärte darstellen, und erkennt T. diese Gründe nicht als abfindungsberechtigend an, entscheidet eine paritätische Kommission über die Anerkennung dieser Gründe und darüber, ob dem betreffenden Arbeitnehmer aufgrund dessen die in § 8 geregelte Abfindung in voller Höhe oder geminderter Höhe zuerkannt wird. Die Gründe sind unter schriftlicher Darlegung gegenüber der Geschäftsleitung von T. bis spätestens zum 31.10.2010 geltend zu machen.
Die Kommission tritt binnen zwei Wochen nach ihrer Anrufung zusammen. Die Frist kann einvernehmlich von den Betriebsparteien geändert werden.
Die Kommission ist auch zuständig, wenn über das Vorliegen der Gründe nach § 7 Nr. 1 kein Einverständnis erzielt wird.
Je zwei Mitglieder der Kommission werden von der Geschäftsführung von T. und von dem Betriebsrat benannt. Sollte keine Einigung erzielt werden, kann jede Seite die Einigungsstelle anrufen. Einigen sich beide Seiten nicht auf die Person des Einigungsstellenvorsitzenden, ist dieser auf Antrag durch das Arbeitsgericht zu bestimmen.
§ 8
Abfindung
Arbeitnehmer, denen die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Ziffer 1) am Standort C-Stadt unzumutbar ist, [...] haben Anspruch auf eine Abfindung für den Verlust ihres Arbeitsverhältnisses, die sich wie folgt berechnet:
Abfindungsbetrag (brutto) = Betriebszugehörigkeit (in vollen Jahren und Monaten) x Bruttomonatsgehalt x 1,0
Die Abfindung erhöht sich im Falle einer anerkannten Schwerbehinderung [...] um 5.000,00 € brutto und für jedes auf der Steuerkarte eingetragene unterhaltsberechtigte Kind des Arbeitnehmers um 2.000,00 EUR brutto.
...Die Mindestabfindung beträgt drei Brutto-Monatsgehälter. Der Höchstbetrag der Abfindung (Kappungsgrenze) beträgt 100.000,00 Euro brutto."
Mit Schreiben vom 28.09.2010 (Bl. 28-29 d.A) machte der Kläger gegenüber der Beklagten geltend, dass die Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt für ihn nicht zumutbar sei. Zur Begründung führte er auszugsweise aus:
"Seit 2004 wohnen wir in unserem neu gebauten Einfamilienhaus in ..., in dem sich die ganze Familie sehr wohl fühlt. Durch Art und Lage der Immobilie dürfte es sehr schwer fallen, sie zu verkaufen und ein gleichwertiges am neuen Standort zu erwerben. Eine zusätzliche finanzielle Belastung bei doppelter Haushaltsführung ist mir unmöglich, da die Darlehenstilgung für unser Haus noch lange nicht abgeschlossen ist.
Unsere Kinder, 15 und 12 Jahre alt, haben sich auf ihrer Schule ... sehr gut eingelebt. Sie haben ihren Freundeskreis im lokalen Umfeld und sind beide in mehreren Vereinen aktiv. Beide haben seit der Verkündung der Verlagerung nach C-Stadt immer wieder geäußert, dass sie nicht von hier wegziehen wollen!
Aufgrund des hohen Alters meiner Eltern (80 u. 77) und meiner Schwiegermutter (81) sind während der Woche diverse Erledigungen und Hilfen meinerseits notwendig, wie z.B. Arztbesuche, Einkauf, Hilfen im Haushalt, Reparatur und Renovierungen, die bei einem Wechsel nach C-Stadt nicht mehr gewährleistet wären. Bei den Eltern und auch bei der Schwiegermutter hat es in den vergangenen Jahren des Öfteren gesundheitliche Probleme gegeben, bei denen sie auf meine Hilfe angewiesen waren.
Zeit meines Lebens habe ich ... gewohnt und fühle mich hier in einem starken sozialen Umfeld bestens aufgehoben. Meine Familie ist in die dörfliche Gemeinschaft und diversen Vereinen sehr gut integriert und es würde uns allen sehr sehr schwer fallen hier alles aufzugeben.
Ich bin im Sportverein ... ehrenamtlich als ... tätig und würde bei einem Wechsel nach C-Stadt meinen Verein in arge Bedrängnis bringen, ...
In den Räumen, die [in C-Stadt] als Büroräume für die Entwicklung vorgesehen sind, war vormals Produktion, die nicht nach den heutigen Standards durchgeführt wurden. Daher sind die Räume mit Nitrosaminen belastet, weit über den zulässigen Grenzwerten. Es werden aktuell Sanierungen durchgeführt, die durchgeführten Maßnahmen können mich aber nicht überzeugen, dass der zukünftige Arbeitsplatz gesundheitlich unbedenklich ist
Der Stand der Projektplanung und der personellen Maßnahmen lässt erkennen, dass ... mehr als 50 % der bisherigen Mannschaft nicht wechseln wird. Das Arbeitsaufkommen wird durch die verbleibende Mannschaft übernommen werden müssen, die gleichzeitig neues Personal anlernen muss. In dieser Konstellation fühle ich mich mental nicht in der Lage, meine Arbeit durchzuführen.
Der Standort C-Stadt ist von meinem Wohnort 110 Minuten entfernt, einfache Strecke. Damit ist das tägliche Fahren im Sinne des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit, der täglichen Arbeitsleistung und aus ökonomischer Sicht für mich nicht tragbar. Diese Entfernung ist daher zum Pendeln unzumutbar."
Die nach dem Sozialplan gebildete Paritätische Kommission tagte in drei Sitzungen im August 2011 und prüfte insgesamt 49 Anträge. Sie beschloss hinsichtlich des vom Kläger gestellten Antrags, die Einigungsstelle anzurufen. Die Einigungsstelle tagte in zwei Sitzungen am 20.10. und 02.11.2011 über insgesamt noch 37 Anträge. Sie entschied zum Antrag des Klägers, dass ihm eine geminderte Abfindung in Höhe von € 15.795,93 brutto nach § 7 Ziff. 2 des Sozialplans zustehe. Dieser Betrag entsprach nach Berechnung der Einigungsstelle 20 % der vollen Abfindung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls der Einigungsstelle vom 02.11.2011 (Bl. 112-114 d.A.) beruht diese Entscheidung auf einer Gesamtschau der vorgebrachten Gründe hinsichtlich der Unzumutbarkeit und unter Berücksichtigung der jeweiligen persönlichen Härten bzw. den Möglichkeiten, in der Nähe des bisherigen Arbeitsplatzes einen neuen Arbeitsplatz zu finden.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.09.2012 (dort Seite 2-13 = Bl. 271-282 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 74.215,20 brutto, abzüglich am 28.12.2011 gezahlter € 12.432,37 netto, zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus € 74.215,20 vom 01.11.2010 bis 28.12.2011 und aus € 61.782,83 seit dem 29.12.2011 zu zahlen,festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm denjenigen Schaden zu ersetzen, der daraus resultiert (steuerlicher Nachteil), dass die Beklagte, die sich aus dem Klageantrag zu 1) ergebende Abfindung nicht in einem Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) an ihn gezahlt hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26.09.2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Sozialplan vom 16.09.2010 sei wirksam. Die Entscheidung der Einigungsstelle vom 02.11.2011 über die Zuerkennung einer Abfindung iHv. € 15.795,93 lasse eine grobe Unbilligkeit nicht erkennen. Die Einigungsstelle habe ihre Entscheidung knapp, aber nachvollziehbar begründet, indem sie auf § 7 Ziff. 1 des Sozialplans Bezug genommen und als maßgebliche Kriterien ihrer Entscheidung eine Gesamtschau der jeweils vorgebrachten Unzumutbarkeitsgründe des jeweiligen Arbeitnehmers und die Möglichkeit, in der Nähe des bisherigen Arbeitsortes einen neuen Arbeitsplatz zu finden, benannt habe. Sie sei nicht gehalten gewesen, für jeden einzelnen Arbeitnehmer sämtliche Vergleichsfälle in die Begründung aufzunehmen und die jeweiligen Erwägungen bis ins letzte Detail auszuführen, zumal das Ergebnis einer "Gesamtschau" regelmäßig mathematisch nur schwer zu erfassen sei, sondern auf einer wertenden Überlegung beruhe. Ergänzend habe die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 18.11.2011 einige Erwägungen der Einigungsstelle mitgeteilt. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 13 bis 24 des erstinstanzlichen Urteils vom 26.09.2012 (Bl. 282-293 d.A.) Bezug genommen.
Das genannte Urteil ist dem Kläger am 01.10.2012 zugestellt worden. Er hat mit am 30.10.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 03.01.2013 verlängerten Begründungsfrist mit am 03.01.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe fehlerhaft angenommen, dass der Sozialplan vom 16.09.2010 wirksam sei. Der Sozialplan (Spruch der Einigungsstelle) enthalte eine unvollständige Abfindungsregelung. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, mit dem im Sozialplan vorgesehenen mehrstufigen Verfahren sei eine hinreichende Bestimmbarkeit der Abfindung gegeben, sei rechtsirrig. Die Entscheidung über Grund und Höhe der Abfindung werde in § 7 Ziff. 2 des Sozialplans nicht ansatzweise geregelt, sondern vollständig zunächst in das Belieben der Beklagten, dann der Paritätischen Kommission und anschließend einer weiteren Einigungsstelle gestellt.
Die Übertragung der Leistungsbestimmung auf einen Dritten sei im vorliegenden Fall unbillig. Die Regelung verstoße mangels Transparenz und Bestimmtheit auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG. Im Übrigen halte die Entscheidung der Einigungsstelle vom 02.11.2011 einer Billigkeitskontrolle nicht stand. Es liege bereits ein Verfahrensmangel vor, weil die Entscheidung nicht begründet worden sei. Es werde lediglich angegeben, dass eine "Gesamtschau" stattgefunden habe, was er bestreite.
Bei "geltungserhaltender Reduktion" der §§ 7,8 des Sozialplans bzw. einer Umdeutung stehe ihm der volle Abfindungsanspruch zu. Außerdem sei die Beklagte verpflichtet, ihm die steuerlichen Nachteile zu ersetzen, die ihm durch ihren Zahlungsverzug entstünden. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Klägers vom 03.01.2013 (Bl. 326-331 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.09.2012, Az. 4 Ca 1150/12, abzuändern und
1. | die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 74.215,20 brutto, abzüglich am 28.12.2011 gezahlter € 12.432,37 netto, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 74.215,20 vom 01.11.2010 bis 28.12.2011 und aus € 61.782,83 seit dem 29.12.2011 zu zahlen, |
2. | festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm denjenigen Schaden zu ersetzen, der daraus resultiert (steuerlicher Nachteil), dass die Beklagte, die sich aus dem Klageantrag zu 1) ergebende Abfindung nicht in einem Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) an ihn gezahlt hat. |
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 14.01.2013 (Bl. 335-346 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die erst- und zweitinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung einer Abfindung iHv. € 74.215,20 brutto, abzüglich gezahlter € 12.432,37 netto, zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der dem Kläger nach § 7 Ziff. 2 des Sozialplans vom 16.09.2010 zustehende Abfindungsanspruch ist mit Zahlung von € 15.795,93 brutto erfüllt. Ein weitergehender Abfindungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.
Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und überzeugend begründeten Entscheidung des Arbeitsgerichts und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer umfassenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Das Vorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:
1. Der Sozialplan vom 16.09.2010 ist entgegen den Angriffen der Berufung wirksam.
Das Arbeitsgericht Koblenz musste die Wirksamkeit des Sozialplans bereits auf-grund seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 16.02.2011 in dem Beschlussverfahren 4 BV 31/10 zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten annehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich auch die Berufungskammer anschließt, wirkt eine zwischen den Betriebspartnern ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auch gegenüber den Arbeitnehmern, die Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung geltend machen (vgl. nur BAG 17.02.1992 - 10 AZR 448/91 - NZA 1992, 999). Der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Verfahren 4 BV 31/10 kann im Verhältnis der Beklagten zu ihren Arbeitnehmern keine andere Wirkung zukommen als zwischen den Betriebspartnern selbst. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Das Arbeitsgericht hat mit erschöpfender Begründung gleichwohl die Wirksamkeit des Sozialplans vom 16.09.2010, insbesondere der Regelung in § 7 über die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt, im vorliegenden Rechtsstreit erneut geprüft. Den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts ist auch insoweit nichts hinzuzufügen.
Entgegen der Meinung der Berufung ist der Sozialplan nicht deshalb unwirksam, weil er eine unvollständige Abfindungsregelung enthält. Die Ausführungen zur Verletzung des Transparenz- und des Bestimmtheitsgebots, wenn eine Klausel vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält, liegen neben der Sache. Der Kläger kann hieraus nichts für seine Auffassung herleiten, ihm stehe bei "geltungserhaltende Reduktion" der §§ 7,8 des Sozialplans der volle Abfindungsanspruch zu. Ein Sozialplan ist nach den für die Gesetzesauslegung geltenden Grundsätzen auszulegen; er unterfällt nicht der AGB-Kontrolle. Nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 ff. BGB keine Anwendung auf Betriebsvereinbarungen.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Regelabfindung nach § 7 Ziff. 1 des Sozialplans, weil er keinen der in Buchst. a) bis Buchst. f) enumerativ aufgezählten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Das sieht der Kläger nicht anders.
3. Ohne Erfolg wendet sich der Kläger dagegen, dass ihm die Einigungsstelle über den Betrag von € 15.795,93 brutto (€ 12.432,37 netto) hinaus keine Abfindung iHv. weiteren € 58.419,27 brutto (€ 74.215,20 minus € 15.795,93) nach § 7 Ziff. 2 des Sozialplans zugesprochen hat.
Gemäß § 7 Ziff. 2 des Sozialplans vom 16.09.2010 besteht ein Abfindungsanspruch in voller oder geminderter Höhe, wenn der Arbeitsortwechsel für den Arbeitnehmer eine "besondere Einzelfallhärte" darstellt. Entgegen der Ansicht der Berufung lässt sich die Frage, ob eine "besondere Einzelfallhärte" vorliegt, auf der Grundlage des Wortlauts der strittigen Sozialplanregelungen mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung beantworten.
3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden normativen Wirkung wie Tarifverträge und Gesetze objektiv auszulegen. Auszugehen ist dementsprechend zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Der Sozialplanzweck ist aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Regelung zu erschließen (vgl. BAG 15.03.2011 - 1 AZR 808/09 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 214, mwN).
§ 7 Ziff. 2 des Sozialplans verwendet den Begriff "besondere Einzelfallhärte". Da-mit wird ein unbestimmter Rechtsbegriff verwandt, der zwar auslegungsbedürftig, aber auch anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze auslegungsfähig ist. Zwar kann dem Wortlaut nicht direkt entnommen werden, was die Einigungsstelle unter einer "besonderen Einzelfallhärte" verstanden hat. Aus dem Zweck und der Systematik ergibt sich aber, dass die Härtefallregelung gewährleisten soll, dass auch in Ausnahmefällen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht im Einzelnen vorhersehbar sind und sich deshalb nicht mit den abstrakten Merkmalen in § 7 Ziff. 1 Buchst. a) bis f) des Sozialplans erfassen lassen, ein Ergebnis erzielt wird, dass den sechs normierten Unzumutbarkeits-Tatbeständen in seiner grundsätzlichen Zielrichtung gleichwertig ist.
Entgegen der Ansicht der Berufung war die Einigungsstelle nicht gehalten, im Sozialplan einen Katalog von Härtefall-Tatbeständen festzulegen. Dadurch ist die Entscheidung nicht in das Belieben der Paritätischen Kommission und anschließend der weiteren Einigungsstelle gestellt worden, wie der Kläger meint. Härtefälle sind auch bei starren Abgrenzungen nie auszuschließen. Unbestimmte Rechtsbegriffe genügen dann den rechtstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können.
Die Einigungsstelle hat im Sozialplan vom 16.09.2010 ein deutliches Regel-Ausnahmeverhältnis festgelegt. Nach § 1 Abs. 2 des Sozialplans haben Arbeit-nehmer grundsätzlich keinen Abfindungsanspruch, wenn sie - wie der Kläger - eine Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt - zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen - abgelehnt haben. Dies entspricht der gesetzlichen Leitlinie in § 112 Abs. 5 Satz 2 Ziff. 2 Satz 2 BetrVG, die die Regelungsbefugnis der Einigungsstelle bei der Aufstellung eines Sozialplans beschränkt. Sie soll Arbeitnehmer von Leistungen ausschließen, die in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder eines zum Konzern gehörenden Unternehmens weiterbeschäftigt werden können und die Weiterbeschäftigung ablehnen; wobei ein Ortswechsel für sich allein noch nicht die Unzumutbarkeit begründen soll. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Sozialplan für den Regelfall Abfindungsansprüche versagt. Ein voller Abfindungsanspruch besteht nur ausnahmsweise, wenn die Voraussetzungen des § 7 Ziff. 1 vorliegen. In Buchst. a) bis f) sind die Tatbestände ("berechtigte Gründe") enumerativ geregelt, die einen Arbeitsplatzwechsel zum Standort C-Stadt unzumutbar machen.
Daraus folgt, dass allein der Umstand, dass die Voraussetzungen des § 7 Ziff. 1 Buchst. a) bis f) nicht vorliegen, eine "besondere Einzelfallhärte" nicht zu begrün-den vermag. Es muss nach § 7 Ziff. 2 vielmehr ein außergewöhnlicher Sachverhalt vorliegen, der von der Einigungsstelle bei Aufstellung des Sozialplans nicht in die enumerative Aufzählung aufgenommen werden konnte. Sieht der Sozialplan ausdrücklich Unzumutbarkeitsgründe vor und zählt diese im Einzelnen auf, darf die Anwendung der Härteregelung im Einzelfall nicht zu einer Umgehung oder Erweiterung der Systematik der Abfindungstatbestände führen. Ein "besonderer Härtefall" muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein, die erheblich vom "Regelfall" abweichen und deswegen Ausnahmeentscheidungen gerechtfertigt erscheinen lassen. § 7 Ziff. 2 setzt daher voraus, dass die Umstände des Einzelfalls den betroffenen Arbeitnehmern ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine "einfache Härte" und erst recht als die mit einem Arbeitsplatzwechsel stets verbundenen Einschnitte.
3.2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die vom Kläger in seinen Schreiben vom 28.09.2010 vorgetragenen Umstände, aus Sicht der Berufungskammer keine "besondere Einzelfallhärte" dar, die für ihn persönlich einen Arbeitsplatzwechsel nach C-Stadt unzumutbar machten. Die Entscheidung der Einigungsstelle, dem Kläger nach § 7 Ziff. 2 des Sozialplans (gleichwohl) eine Abfindung von € 15.795,93 brutto zuzusprechen, ist - im Verhältnis zu ihm - weder rechtsfehlerhaft noch widerspricht sie billigem Ermessen. Eine grobe Unbilligkeit in entsprechender Anwendung der §§ 317, 319 BGB lässt sich erst recht nicht feststellen.
Die bloße Entfernung zum neuen Arbeitsort, allgemeine Unbequemlichkeiten und Erschwerungen oder Kosten, die mit jedem Wechsel des Arbeitsortes verbunden sind, stellen nach den Regelungen des Sozialplans keinen Härtefall dar (vgl. § 112 Abs. 5 Satz 2 Ziff. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG), zumal im Sozialplan umfangreiche Mobilitäts- und Umzugshilfen vorgesehen sind. Der Kläger kann deshalb mit den Hinweisen auf finanzielle Belastungen durch doppelte Haushaltsführung oder Fahrtkosten, Umweltschutzgesichtspunkte und Gefahren für die Verkehrssicherheit durch Fernpendler keine besondere Einzelfallhärte begründen.
Auch das Immobilieneigentum des Klägers am Rhein und seine gelebte Heimatverbundenheit sind keine Gründe, die mit den "absoluten" Unzumutbarkeitsgründen, die in § 7 Ziff. 1 Buchst. a) bis f) geregelt sind, auch nur annähernd vergleichbar wären. Es handelt sich vielmehr um Umstände, die typischerweise mit einem Arbeitsortwechsel einhergehen und keine ungewöhnliche Einzelfallhärte begründen. Auch wenn der Arbeitsortwechsel für den Arbeitnehmer und seine Familie subjektiv als zu hart empfunden wird, kann eine "Härte" nur dann vorliegen, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgingen, was regelmäßig mit einem Arbeitsortwechsel verbunden ist und im Sozialplan bewusst in Kauf genommen wird.
Deshalb kann eine besondere Einzelfallhärte auch nicht daraus hergeleitet wer-den, dass sich die Eltern und die Schwiegermutter des Klägers in einem höheren Lebensalter (80, 77, 81) befinden, in dem sie bei einigen Tätigkeiten des Alltags auf Hilfe angewiesen sind. Die Einigungsstelle durfte die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung im Odenwald ohne Rücksicht auf familiäre Bindungen oder sonstige sozialen Kontakte ausschließlich an das Vorliegen besonderer Betreuungspflichten bei nachgewiesener Pflegebedürftigkeit knüpfen. Sie war nicht gehalten auf alle denkbaren persönlichen Umstände, die einem Wechsel des Arbeitsortes entgegenstehen könnten, Rücksicht zu nehmen. Deshalb ist auch der Umstand, dass der Kläger ehrenamtlich in einem Sportverein tätig ist, kein besonderer Härtefall.
Andernfalls wäre das Angebot eines Arbeitsplatzes in C-Stadt letztlich nur für persönlich ungebundene Arbeitnehmer oder für solche Arbeitnehmer in Frage gekommen, die aufgrund ihres persönlichen Wohnsitzes C-Stadt im Odenwald ebenso leicht erreichen konnten, wie den bisherigen Arbeitsort im Westerwald.
Keine zu einer Abfindung berechtigende persönliche Einzelfallhärte ist das vom Kläger befürchtete erhöhte Arbeitsaufkommen nach dem Wechsel und sein Unwillen, sich "mental" darauf einzustellen. Die vom Kläger in seinem Schreiben vom 28.09.2010 angeführten gesundheitlichen Belastungen am neuen Arbeitsplatz existieren spätestens seit Dezember 2010 unstreitig nicht mehr.
Nach alledem ist es - im Verhältnis zum Kläger - nicht grob unbillig, wenn ihm die Einigungsstelle mit Rücksicht auf die Schulpflichtigkeit seiner Kinder im Alter von 12 und 15 Jahren eine Abfindung iHv. € 15.795,93 zuerkannt hat, was ihm einen Arbeitsortwechsel erschwert.
4. Da der Kläger keine höhere Sozialplanabfindung beanspruchen kann, ist auch seine Feststellungsklage auf Ersatz steuerlicher Nachteile unbegründet.
III. Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.