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16.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131224

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 27.09.2012 – L 4 R 437/10

1.

Kommt es aufgrund einer irrtümlich unterbliebenen Anwendung einer steuerrechtlichen Bestimmung zu einer fehlerhaften Berechnung des Arbeitsentgelts für die Vergangenheit, kann dieses Versehen nachträglich auch mit Auswirkungen auf die Beitragspflicht berichtigt werden.
2.

Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die maßgebliche steuerrechtliche Bestimmungen ihrem inhaltlichen Regelungsgehalt nach unverändert geblieben ist und sie nur versehentlich durch den Arbeitgeber nicht angewandt worden ist.


LSG Rheinland-Pfalz

27.09.2012

L 4 R 437/10

Tenor:

1.

Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27.08.2010 insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als die Beklagte zur Erstattung überzahlter Sozialversicherungsbeiträge aus dem Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen zu 1 und 2 in Höhe von 1222,91 EUR zuzüglich 4% Zinsen ab dem 26.01.2008 verurteilt worden ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Beklagte zu 3/4 und die Klägerin zu 1/4. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
3.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
4.

Der Streitwert wird auf 1.222,91 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts und die hieraus resultierenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.11.2006 für die Beschäftigten H T (Beigeladene zu 1) und T B (Beigeladene zu 2), wie sie von der Beklagten im Rahmen einer Betriebsprüfung festgestellt worden sind.

Im November 2006 führte die Klägerin als Arbeitgeberin der Beigeladenen zu 1) und 2) die Gesamtbeiträge zur Sozialversicherung abzüglich eines Betrages in Höhe von 1.511,63 EUR ab. Bei dieser Beitragsentrichtung brachte sie rückwirkend für die nebenberuflich als Pflegekräfte bei ihr tätigen Beigeladenen zu 1) und 2) eine steuerfreie Aufwandsentschädigung gemäß § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz (EStG) in der vorgenannten Höhe für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 30.11.2006 (Beigeladene zu 1) und den Zeitraum vom 01.09.2006 bis zum 30.11.2006 (Beigeladene zu 2) in Ansatz und minderte damit die beitragspflichtigen Arbeitsentgelte in diesem Zeitraum.

Am 19.03.2007 und 14.09.2007 fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung statt. Dabei stellte die Beklagte fest, dass der Steuerfreibetrag gemäß § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz (EStG) durch die Klägerin rückwirkend angesetzt wurde, wodurch es zu einer Minderung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts der Beigeladenen zu 1 und 2 für die Kalenderjahre 2005 und 2006 kam.

Mit Bescheid vom 09.11.2007 machte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 1.511,63 EUR geltend, wobei sie für den Monat Dezember 2006 eine Gutschrift von insgesamt 288,72 Euro unter Berücksichtigung des § 3 Nr. 26 EStG für beide Beschäftigte in Ansatz brachte. Ihre Nachforderung begründete sie damit, dass die rückwirkende Ansetzung der steuerfreien Aufwandsentschädigung nicht möglich sei. Die Beitragsforderung sei eine öffentlich-rechtliche Forderung, die hinsichtlich ihres Entstehens und ihrer Fälligkeit den Vorschriften der §§ 22 und 23 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) unterliege. Dabei entstünden die Beitragsansprüche, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Die Beitragsbemessung erfolge dabei auf der Grundlage der beitragspflichtigen Einnahmen. Beitragspflichtiges Arbeitsentgelt sei derjenige Betrag, der in den ursprünglichen Beitragsnachweisen der Beitragsberechnung zugrunde gelegt werde und aus dem Beiträge gezahlt würden. Im Sozialversicherungsrecht könne es aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht hingenommen werden, dass nach Auszahlung des Arbeitsentgeltes und dessen Nachweis gegenüber den Einzugsstellen die Bestimmung über die endgültige Höhe des Arbeitsentgeltes und damit die Höhe der Beiträge von rückwirkend in Anspruch genommenen Rechtsvorschriften wie z.B. § 3 Nr. 26 EStG abhänge. Dass gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV die in § 3 Nr. 26 EStG genannten steuerfreien Einnahmen nicht zum Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung zählten, sei dabei ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die genannte Bestimmung auf die Tätigkeit der Beigeladenen Anwendung finde.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, ein rückwirkender Eingriff in ein rechtmäßig abgewickeltes Versicherungsverhältnis liege durch die rückwirkende Berücksichtigung des Steuerfreibetrages gemäß § 3 Nr. 26 EStG nicht vor. Nachdem im Rahmen einer internen Revision festgestellt worden sei, dass irrtümlich und fehlerhaft die Rechtsvorschrift des § 3 Nr. 26 EStG nicht angewandt worden sei, sei die rückwirkende Ansetzung dieses Freibetrages korrekt und zutreffend. Maßgeblich für die Entstehung von Beitragsansprüchen sei das Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV würden steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nr. 26 EStG genannten steuerfreien Einnahmen jedoch nicht als Arbeitsentgelt gelten. Nach § 26 Abs. 2 SGB IV seien zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten.

Gleichzeitig beantragte die Klägerin die Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides. Die Beklagte lehnte die Aussetzung ab, woraufhin die Klägerin die geltend gemachte Nachforderung am 25.01.2008 zahlte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, durch rückwirkende Änderungen der Grundlagen des Versicherungsverhältnisses könnten grundsätzlich weder die Beiträge noch die Versicherungsleistung für die zurückliegende Zeit berührt werden.

Die Klägerin hat am 03.09.2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben, mit der sie von der Beklagten die Erstattung und Verzinsung zu viel gezahlter Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1222,91 Euro und zugleich die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden Bescheids vom 09.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 geltend gemacht hat.

Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, dass ihre interne Revision festgestellt habe, dass bei einigen ihren Mitarbeitern der gesetzliche Steuerfreibetrag nach § 3 Nr. 26 EStG in der Vergangenheit in fehlerhafter Weise nicht angesetzt worden sei. Dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung unstreitig erfüllt seien, werde auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Dies habe zur Zahlung erhöhter Sozialversicherungsbeiträge geführt, da steuerfreie Aufwandsentschädigungen nach § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IV kein Arbeitsentgelt darstellten. Die Klägerin habe dann im November 2006 eine Verrechnung für den rückwirkenden Zeitraum vorgenommen. Die Beigeladenen hätten eine steuerbegünstigte Tätigkeit nebenberuflich bei einem begünstigten Arbeitgeber ausgeübt. Es gehe daher nicht um eine nachträgliche Änderung tatsächlicher Umstände oder eine nachträgliche Änderung rechtlicher Verhältnisse. Vielmehr habe die Klägerin die Bestimmung des § 3 Nr. 26 EStG irrtümlich nicht zur Anwendung gebracht, obwohl deren Voraussetzungen vorgelegen hätten.

Während des Klageverfahrens haben die Beigeladenen zu 1) und 2) jeweils folgende wortlautgleiche Einverständniserklärung vom 23.12. bzw. 30.12.2009 vorgelegt: "Hiermit erkläre ich mein Einverständnis damit, dass die M Kranken- und Pflegegesellschaft mbH in dem vorliegenden Rechtsstreit auch die Rückzahlung der Arbeitnehmeranteile geltend macht und dass die Beiträge im Falle eines Obsiegens an die M Kranken- und Pflegegesellschaft mbH gezahlt werden. Diese wird mir die auf mich entfallenden Anteile erstatten."

Durch Urteil vom 27.08.2010 hat das SG die Beklagte unter "Abänderung" des Bescheids vom 09.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 verurteilt, überzahlte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1222,91 EUR nebst 4% Zinsen ab dem 26.01.2008 zurückzuzahlen. Zur Begründung hat es Folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen für die nebenberuflich beschäftigten Krankenschwestern, die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2006. Da die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung der zuviel gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.511,63 EUR nach § 26 Abs. 2 SGB IV gehabt habe, habe sie bei der Beitragsentrichtung im November 2006 diesen Betrag bei der Beitragsabführung berücksichtigen und von den noch zu zahlenden Beiträgen einbehalten bzw. ihn verrechnen können. Die Beklagte habe mit ihrer Gutschrift in Höhe von 288,72 EUR den Steuerfreibetrag für November und Dezember 2006 bis zur Höchstgrenze berücksichtigt. Hierdurch habe sich der Betrag, den die Beklagte zu.U.nrecht von der Klägerin gefordert habe, auf 1222,91 EUR reduziert. Da die Klägerin diesen Betrag am 26.01.2008 an die Beklagte gezahlt habe, habe sie einen entsprechen Anspruch auf Rückzahlung nach § 26 Abs. 2 SGB IV. Die Klägerin habe die Beiträge in Höhe von 1.222,91 EUR zu.U.nrecht an die Beklagte gezahlt, da sie bei der Berechnung des beitragspflichtigen Arbeitsentgeltes die Regelung des § 3 Nr. 26 EStG nicht berücksichtigt habe. Nach § 14 Abs. 1 SGB IV seien Arbeitsentgelte alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen bestehe, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet würden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt würden. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV gälten nicht als Arbeitsentgelt steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nr. 26 und 26a des Einkommenssteuergesetzes genannten steuerfreien Einnahmen. Zwischen den Beteiligten sei es unstreitig, dass die Voraussetzungen des § 3 Nr. 26 EStG vorlägen. Sowohl die Beigeladene zu 1) als auch die Beigeladene zu 2) hätten in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2006 nebenberuflich eine nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigte Tätigkeit zu einem steuerbegünstigten Zweck bei einem steuerbegünstigten Arbeitgeber ausgeübt. Die Klägerin habe diesen steuerfreien Betrag bis zum 31.10.2006 bei der Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages jedoch nicht berücksichtigt. Dementsprechend seien Beiträge abgeführt worden, die unter Berücksichtigung der steuerfreien Pauschale steuerfrei gewesen seien und daher nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV nicht als Arbeitsentgelt anzusehen gewesen seien. Der Rechtsauffassung der Beklagten könne nicht gefolgt werden, soweit sie geltend mache, durch die Berücksichtigung von § 3 Nr. 26 EStG werde in rechtswidriger Weise rückwirkend eine Änderung der Grundlagen des Versicherungsverhältnisses herbeigeführt. Die Beklagte verkenne insoweit, dass weder eine nachträgliche Änderung tatsächlicher Umstände noch eine nachträgliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse durch die Berücksichtigung der steuerfreien Pauschale eintrete. Insoweit könne sich die Beklagte auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen, dass in rechtmäßig abgewickelte Versicherungsverhältnisse nicht mehr rückwirkend eingegriffen werden dürfe. Die Regelung des § 3 Nr. 26 EStG habe zum Zeitpunkt der Beitragsabführung bereits vorgelegen und sei lediglich im Zeitpunkt der Beitragsberechnung von Seiten des Arbeitgebers nicht zur Anwendung gebracht worden. Die Klägerin habe aufgrund des § 26 Abs. 2 SGB IV i.V.m. § 28 Nr. 2 SGB IV die Beiträge von der laufenden Beitragszahlung im November 2006 im Wege der Verrechnung einbehalten können. Die aufgrund des rechtswidrigen Bescheids erbrachte Leistung in Höhe von 1.222,91 EUR habe die Beklagte an die Klägerin zurückzuzahlen. Der Zinsanspruch beruhe auf § 27 Abs. 1 SGB IV.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 21.09.2010 zugestellte Urteil am 21.10.2010 Berufung eingelegt.

Zu deren Begründung trägt sie vor, dass die Auffassung des SG, wonach die im Steuerrecht zulässige rückwirkende Anwendung von § 3 Nr. 26 EStG auf für in vergangenen Abrechnungszeiträumen gezahlte Aufwandsentschädigungen auch in der Sozialversicherung nachträglich zur Beitragsfreiheit führe, nicht haltbar sei. Diese Auffassung verkenne die Unterschiede zwischen Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Während im Steuerrecht die rückwirkende Berücksichtigung steuerfreier Einnahmen für in der Vergangenheit liegende Abrechnungszeiträume zulässig sei, weil die Abgaben zur Erfüllung staatlicher Aufgaben im Gegensatz zum Sozialversicherungsrecht grundsätzlich zweckfrei allein nach der Leistungsfähigkeit erhoben würden, stehe der Anwendung dieses Rechtsgedankens in der Sozialversicherung das mit Aufnahme der Beschäftigung durch Gesetz begründete Versicherungsverhältnis entgegen. Die rückwirkende Inanspruchnahme des Tatbestands von § 3 Nr. 26 EStG und eine damit einhergehende rückwirkende Nichtberücksichtigung dieser Bestandteile im Rahmen des beitragspflichtigen Entgelts verletze das schutzwürdige Vertrauen des Versicherten in sein bestehendes und "abgewickeltes" Versicherungsverhältnis. Der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei der Grundsatz zu entnehmen, dass in "abgewickelte" Versicherungsverhältnisse nicht eingegriffen werden dürfe. Mithin sei für den Bereich der Sozialversicherung eine Übertragung nicht ausgeschöpfter steuerfreier Beiträge auf abgelaufene Entgeltabrechnungszeiträume mit der Folge nachträglicher Beitragsfreiheit unzulässig.

Die Klägerin hat hierzu ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine nachträgliche Änderung tatsächlicher Verhältnisse oder eine nachträgliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse durch die Berücksichtigung der steuerfreien Pauschale eintrete. Insofern geht der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach in rechtmäßig abgewickelte Versicherungsverhältnisse nicht mehr rückwirkend eingegriffen werden dürfe, fehl. Die Regelung des § 3 Nr. 26 EStG habe zum Zeitpunkt der Beitragsabführung bereits vorgelegen. Sie sei lediglich im Zeitpunkt der Beitragsberechnung durch die Klägerin nicht zur Anwendung gebracht worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27.08.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beklagten führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg.

Soweit das SG die Beklagte zur Erstattung und Verzinsung überzahlter Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1222,91 EUR verurteilt hat, war der Berufung stattzugeben. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass für die Erstattung zu.U.nrecht entrichteter Beiträge (§ 26 Abs. 2 SGB IV) und deren Verzinsung (§ 27 Abs. 1 SGB IV) die jeweiligen Krankenkassen als Einzugsstellen (§ 28 h SGB IV), nicht jedoch die Beklagte zuständig ist. Da die Beklagte mithin für dieses von der Klägerin geltend gemachte Leistungsbegehren nicht passiv legitimiert ist, hätte das SG die Klage diesbezüglich als unbegründet abweisen müssen. Die Berufung der Beklagten ist daher insoweit begründet.

Sie hat demgegenüber jedoch keinen Erfolg, als das SG den von der Klägerin angefochtenen Bescheid vom 09.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 in Höhe von 1221,91 EUR "abgeändert" hat.

Der Senat legt insofern das gegen die Beklagte gerichtete Klagebegehren bei verständiger Würdigung dahingehend aus, dass diese (zumindest) den im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28 p SGB IV ergangenen Bescheid der Beklagten aufgehoben sehen will. Dies wird aus dem im die Klage begründenden Schriftsatz vom 30.11.2009 angekündigten Klageantrag deutlich, in dem die Aufhebung des Bescheids vom 09.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 und zugleich - wenn auch rechtsirrig - die Erstattung der überzahlten Gesamtsozialversicherungsbeiträge nebst Zinsen durch die Beklagte beantragt wird.

Mit dieser zulässigen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) will die Klägerin den Prüfbescheid in Höhe der nach Ansicht der Beklagten noch zu zahlenden Gesamtversicherungsbeiträge von 1222,91 EUR (1511,63 EUR abzüglich zu viel gezahlter und gutgeschriebner Beiträge für die Beigeladenen zu 1 und 2 betreffend den Monat Dezember 2006 unter Berücksichtigung von § 3 Nr. 26 EStG) aufgehoben sehen.

Diesem Begehren hat das SG zu Recht stattgegeben, da es den angefochtenen Bescheid in dieser Höhe "abgeändert", mithin aufgehoben hat.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die rückwirkende Ansetzung der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 3 Nr. 26 EStG durch die Beklagte im Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.11.2006 für die Beigeladenen zu 1 und 2 rechtlich zulässig und bewirkt eine Minderung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts. Sie steht auch mit dem das Sozialversicherungsrecht prägenden Grundsatz der Unveränderlichkeit eines so genannten "abgewickelten" Versicherungsverhältnisses (vgl. hierzu etwa BSG, Urt. v. 30.11.1978 - 12 RK 26/78 - BSGE 47, 211; Urt. v. 28.05.1980 - 5 RKn 21/79 - BSGE 50, 129) in Einklang. Nach diesem Grundsatz ist für die Beitragsberechnung und für die Höhe der Geldleistungen aus der Versicherung allein der Zeitpunkt der Beitragsleistung oder der Entstehung des Anspruchs maßgeblich. Der Grundsatz der Unveränderlichkeit des "abgewickelten" Versicherungsverhältnisses steht sowohl rückwirkenden Eingriffen in das Versicherungsverhältnis durch nachträgliche Änderung tatsächlicher Umstände des Arbeitsverhältnisses entgegen als auch rückwirkenden Eingriffen aufgrund einer Änderung der rechtlichen Verhältnisse, ohne dass diesen durch einen ausdrücklichen Befehl des Gesetzgebers auch Auswirkungen für das Sozialversicherungsrecht zugeschrieben werden (vgl. BSG, Urt. v. 30.11.1978, a.a.O. zur Frage der rückwirkenden Einführung der Lohnsteuerfreiheit für Sonn-, Feiertags- und Zuschläge und deren Auswirkungen auf die Beitragspflicht).

Nach § 22 Abs. 1 SGB IV entsteht der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht gezahlt hat. Das Sozialversicherungsrecht folgt insoweit - anders als das Steuerrecht - nicht dem Zuflussprinzip (vgl. BSG, Urt. v. 26.01.2005 - B 12 KR 3/04 R - SozR 4-2400 § 14 Nr. 7). Hat der Arbeitnehmer allerdings Arbeitsentgelt tatsächlich erhalten (erzielt) kommt es nach § 14 Abs. 1 SGB IV nicht darauf an, ob ein wirksamer (arbeitsrechtlicher) Anspruch auf das gezahlte Arbeitsentgelt bestand. Insoweit löst der Zufluss des Arbeitsentgelts den Beitragsanspruch aus.

Liegt hingegen - wie hier aufgrund der irrtümlich unterblieben Anwendung der steuerrechtlichen Bestimmungen des § 3 Nr. 26 EStG - ein Arbeitgeberversehen bei der Berechnung des Arbeitsentgelts vor, kann dieses Versehen nachträglich auch mit Auswirkungen auf die Beitragspflicht berichtigt werden (s. hierzu BSG, Urt. v. 07.02.2002 - B 12 KR 13/01 R - SozR 3-2400 § 14 Nr. 24, wo eine Durchbrechung des Grundsatzes vom tatsächlichen Erhalt des Arbeitsentgelts für Fälle des Arbeitgeberversehens bei Berechnungsfehlern oder offenbare Unrichtigkeit für möglich erachtet wird). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn die Anwendung der maßgeblichen steuerrechtlichen Bestimmung auf vergangene Zeiträume nicht auf einem durch den Gesetzgeber veranlassten steuerrechtlichen Rückanwendungsbefehl beruht, sondern die ihrem Regelungsgehalt nach unverändert gebliebene Bestimmung versehentlich durch den Arbeitgeber nicht angewandt worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

Der Senat erachtet die Frage für grundsätzlich, ob die nachträgliche Anwendung von § 3 Nr. 26 EStG auf den streitbefangenen Zeitraum bei unverändert gebliebenem rechtlichen Regelungsgehalt eine unzulässige nachträgliche rückwirkende Umgestaltung eines in der Vergangenheit abgeschlossen zurückliegenden Versicherungsverhältnisses darstellt oder aber eine zulässige Beseitigung einer offenbaren Unrichtigkeit in Gestalt einer nachträglich festgestellten fehlerhaften Nichtanwendung einer Rechtsnorm durch die Arbeitgeberin.

Der Streitwert richtet sich nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Danach ist der Streitwert auf 1.222,91 EUR festzusetzen, da das Begehren der Klägerin auf Aufhebung der Beitragsforderung in dieser Höhe und - wenn auch rechtsfehlerhaft - auf entsprechende Rückzahlung gerichtet ist. Die begehrten Zinsen bleiben als Nebenforderungen bei der Streitwertfestsetzung unberücksichtigt (vgl. § 4 ZPO).

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