24.07.2003 · IWW-Abrufnummer 031627
Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 11.12.2001 – 3 U 1642/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer:
3 U 1642/00
9 O 423/98
LG Koblenz
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
URTEIL
In dem Rechtsstreit XXX
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kubiak, den Richter am Oberlandesgericht Ritter und den Richter am Amtsgericht Rienhardt auf die mündliche Verhandlung vom 30.10.2001
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung der Kläger wird das am 09.11.2000 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:
1. Die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde des Notars V..... L..... aus K??-E????.., Urk.R.Nr. ..7/1998, verhandelt am 03.02.1998, wird für unzulässig erklärt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, den Klägern allen aus dem Abschluss des notariellen Vertrages vom 03.02.1998 entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
3. Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz und des Verfahrens aufgrund der Berufung der Kläger vom 23.04.1999 werden jedem der Beklagten zu je 1/6 auferlegt. Von den Kosten des zweiten Berufungsverfahrens tragen die Kläger 5,3 %, die Beklagte zu 1) 20,3 % und die Beklagten zu 2) bis 5) je 18,6 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, und zwar die Beklagten hinsichtlich Ziffer 1 des Urteilstenors in Höhe von 160.000,00 DM, Hinsichtlich der Kosten die Beklagte zu 1) in Höhe von 9.500,00 DM, die Beklagten zu 2) bis 5) jeweils in Höhe von 9.000,00 DM und die Kläger in Höhe von 1.500,00 DM, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die wegen einer Kaufpreisforderung betriebene Zwangsvollstreckung aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde.
Die Kläger kauften mit notariellem Vertrag vom 03.02.1998 von den Beklagten, einer Erbengemeinschaft, das im Grundbuch von V........, Bl. ?., eingetragene Grundstück, Flur .., Nr. 208, zum Kaufpreis von 140.000,00 DM. Mit Schreiben vom 07.07.1998 haben die Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Die Beklagten haben ihnen angedroht, aus der notariellen Urkunde die Zwangsvollstreckung zu betreiben.
Die Kläger haben vorgetragen, von den Beklagten über die Bebaubarkeit des Grundstücks getäuscht worden zu sein.
Sie haben beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde des Notars L..... aus K??-E????.., UR.Nr. ..7/98, verhandelt am 03.02.1998, für unzulässig zu erklären.
Zum vorgetragenen Sachverhalt im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts vom 18.03.1999 hat der Senat durch Urteil vom 16.05.2000 aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Nach Vernehmung der Zeugen Bj??, B?.. und Dr. G?.. hat das Landgericht dann die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Kläger hätten den Kaufvertrag nicht wirksam angefochten; denn es sei nicht bewiesen, dass die Beklagten bei Vertragsabschluss gewusst hätten, dass zur Grenzbebauung das Einverständnis der betroffenen Nachbarn fehle und dass eine Baulast erforderlich sei. Eine unproblematische Bebaubarkeit sei nicht zugesichert worden.
Die Kläger tragen zur Begründung ihrer Berufung gegen dieses Urteil vor, das Landgericht habe den Streitstoff nicht erschöpfend rechtlich gewürdigt. Sie wiederholen ihren bisherigen Vortrag und behaupten unter Beweisantritt, der Zeuge B..... habe die Klägerin zu 1) vor dem Vertragsschluss über die schriftliche Erklärung des Zeugen Dr. G..... unterrichtet, wonach dieser eine Grenzbebauung nicht zulassen wolle.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag erster Instanz zu erkennen;
festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet seien, den Klägern allen aus dem Abschluss des notariellen Vertrages vom 03.02.1998 entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten wiederholen ebenfalls ihren bisherigen Vortrag und bestreiten den neuen Vortrag der Kläger.
Die Kläger haben der Verbandsgemeinde V........ den Streit verkündet.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze und Urkunden (bis Bl. 391 GA) Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B..... und E.... (Prot. v. 30.10.2001; Bl. 397 ff. GA).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die erstmals im Berufungsverfahren anhängig gemachte Feststellungsklage ist zum Teil erfolgreich.
Die Vollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 03.02.1998 ist unzulässig, weil der darin titulierte Kaufpreisanspruch durch Anfechtung seitens der Kläger erloschen ist (§§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB).
Die von den Klägern erklärte Anfechtung des mit den Beklagten geschlossenen Kaufvertrages ist wirksam, weil der Vertragsschluss durch eine arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. Die Täuschung wurde von der Beklagten zu 1) begangen, indem diese es unterließ, die Kläger darauf hinzuweisen, dass der Grundstücksnachbar Dr. G..... seine Zusage zu einer grenznahen Bebauung des zu verkaufenden Grundstücks widerrufen hatte.
Die Eigentümer des Grundstücks Parzelle Flur .., Nr. 207/2, der Zeuge Dr. G..... und seine Ehefrau, erklärten unstreitig in einem an die Verbandsgemeinde V........ gerichteten Schreiben vom 24.11.1997, dass sie bei einer Bebauung des dann an die Kläger verkauften Grundstücks Parzelle Nr. 208 auf der Einhaltung des Bauwichs bestünden. Die Erklärung des Zeugen Dr. G..... vom 31.01.1974, in welcher dieser einer Grenzbebauung zugestimmt hatte, wurde damit ? sofern sie nicht ohnedies bereits auf die Bebauung mit einer Garage o. ä. beschränkt war ? widerrufen.
Die Erklärung der Nachbarn vom 24.11.1997 wurde zwar nur der Verbandsgemeinde gegenüber abgegeben. Auch hat der Zeuge Dr. G..... bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht ausgesagt, mit den Beklagten nicht darüber gesprochen zu haben. Die Beweisaufnahme vor dem Senat hat jedoch ergeben, dass zumindest die Beklagte zu 1) davon wusste, als der Kaufvertrag mit den Klägern geschlossen wurde.
Der Zeuge E.... hat vor dem Senat ausgesagt, er habe am 23.03.1998 vor der Tür des Zimmers 205 im Gebäude der Verbandsgemeindeverwaltung in V........ auf den Kläger zu 1) gewartet, als dieser in dem Zimmer mit einem Beamten des Bauamtes, dem Zeugen B....., gesprochen habe. Er, der Zeuge E...., habe das Gespräch angehört, da die Tür geöffnet gewesen sei. Der Kläger zu 1) habe gefragt, warum der Zeuge B..... ihm "das von dem Dr. G....." nicht gesagt habe. Der Zeuge B..... habe darauf u. a. geantwortet, dass er Frau F? bereits im Jahre 1997 darüber informiert habe, dass Dr. G..... mit einer Grenzbebauung nicht einverstanden sei. Der Name F... sei dem Zeugen E.... bekannt gewesen. Worüber weiter gesprochen wurde, konnte der Zeuge E.... nicht mehr sagen.
Der Zeuge B..... hat bekundet, er könne sich an ein solches Gespräch mit dem Kläger zu 1) nicht erinnern, könne aber auch nicht ausschließen, es geführt zu haben. Auch könne er sich nicht daran erinnern, die Beklagten zu 1) von dem Schreiben des Dr. G..... informiert zu haben, könne dies aber ebenfalls nicht ausschließen. Er habe allerdings häufig mit der Klägerin zu 1) gesprochen, so auch zu irgendeinem Zeitpunkt über das Grundstück und die Probleme mit dem Nachbarn Dr. G......
Durch die Aussage des Zeugen E.... ist bewiesen, dass die Beklagte zu 1) vor den Vertragsverhandlungen mit den Klägern von dem Zeuge B..... über das Schreiben Dr. G.....s unterrichte wurde, mit welchem dieser seine Zustimmung zur Grenzbebauung zurückgenommen hatte.
Der Zeuge E.... ist persönlich glaubwürdig. Er hat als unbeteiligter Dritter kein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Der persönliche Eindruck, den der Senat anlässlich seiner eingehenden Schilderung von ihm erhielt, gab keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen zu zweifeln. Dass der Zeuge sich nach mehreren Jahren noch an Teile des mitgehörten Gespräches, nicht aber an den Inhalt des gesamten Gespräches erinnert hat, stellt keinen ganz ungewöhnlichen Umstand dar. Die Aussage ist in sich widerspruchsfrei und widerspricht auch nicht den Aussagen anderer Zeugen. Der Zeuge B..... hat ausdrücklich bekundet, er halte es nicht für ausgeschlossen, dass er mit dem Kläger zu 1) dieses Gespräch geführt habe. Die von dem Zeugen E.... gegebene Darstellung ist nicht von vornherein als völlig unwahrscheinlich abzutun, sondern sie ist plausibel: Der Zeuge hat ausgesagt, er habe den Kläger zu 1) zufällig im Gebäude der Verbandsgemeindeverwaltung getroffen und mit ihm vereinbart, nach Erledigung ihrer Angelegenheiten in der Behörde zusammen eine Tasse Kaffee zu trinken. Deshalb sei er zu dem Zimmer des Bauamtes gegangen, da er gewusst habe, dass der Kläger dort sein werde.
Schließlich lässt auch der Umstand, dass der Zeuge erst zweieinhalb Jahre nach Klageerhebung benannt worden ist, die Aussage nicht unglaubhaft erscheinen. Der Zeuge E.... hat hierzu bekundet, nachdem er dem Gespräch beim Bauamt eine Zeit lang zugehört habe, sei er fortgegangen, ohne noch einmal mit dem Kläger zu 1) gesprochen zu haben. Erstmals Ende des Jahres 2000 habe die Ehefrau des Klägers, die Klägerin zu 2), mit ihm über deren Rechtsstreit gesprochen und dabei von ihm erfahren, dass er das besagte Gespräch damals mit angehört habe. Diese Darstellung ist ebenfalls glaubhaft. Da der Zeuge E.... nach seiner Aussage nicht näher mit den Klägern bekannt ist und nicht in deren Nähe wohnt, kann nicht angenommen werden, dass die Kläger bereits vorher von seinem Wissen Kenntnis erhielten.
Der Vortrag der Kläger, dass der Zeuge B..... geäußert habe, die Klägerin zu 1) sofort von dem Schreiben des Dr. G..... unterrichtet zu haben, ist damit bewiesen. Aufgrund dieser Tatsache ist aber auch mit hinreichender Sicherheit, davon auszugehen, dass der Zeuge B..... die Beklagte zu 1) so, wie von ihm dem Kläger zu 1) gegenüber erklärt, informierte.
Es kann nicht angenommen werden, dass der Zeuge B..... dem Kläger zu 1) in dem von dem Zeugen E.... geschilderten Gespräch die Unwahrheit sagte. Denn soweit er sich gegen die Vorwürfe des Klägers verteidigen wollte, hätte es genügt, darauf hinzuweisen, dass er zu einer Mitteilung nicht verpflichtet gewesen sei. Es liegt im Gegenteil eher fern, dass der Zeuge B..... die Beklagte zu 1) über das Schreiben des Dr. G..... vom 24.11.1997 nicht informierte. Denn, wie der Zeuge B..... in erster Instanz selbst ausgesagt hat, wurde er von dieser sowie von deren Tochter, der Beklagten zu 2), häufig besucht und sprach mit Frau F... u. a. auch über deren Probleme mit dem Grundstück, welches dann an die Kläger veräußert wurde. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass ein solcher Besuch auch in den rund zwei Monaten stattfand, die zwischen dem Erhalt des besagten Schreibens und dem Abschluss des Kaufvertrages mit den Klägern lagen, und dass bei diesem Besuch das Schreiben des Dr. G..... erwähnt wurde. Durch die Aussage des Zeugen E.... ist daher ausreichender Beweis dafür erbracht, dass die Beklagte zu 1) am 03.02.1998 von der Erklärung der Grundstücksnachbarn vom 31.01.1974 wusste.
Aufgrund dieses Wissens war die Beklagte zu 1) verpflichtet, den Klägern mitzuteilen, dass eine Grenzbebauung von den Eheleuten G..... nicht geduldet werden würde.
Eine Aufklärungspflicht, deren Verletzung eine arglistige Täuschung begründen kann, besteht für einen Verhandlungspartner, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Auskunft erwarten darf (BGH NJW 1989, S. 763). So müssen Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, ungefragt offenbart werden. Das gilt insbesondere für Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden könnten (BGH NJW 1979, S. 2243). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Das Grundstück, das die Kläger erwerben wollten, sollte nach deren erklärtem Willen dem Bau eines Hauses dienen. Nur deshalb waren sie bereit, dafür einen Preis von 309,05 DM pro m² zu zahlen. Da das Grundstück lediglich eine Breite zwischen 9 m und 9,50 m hatte, war eine sinnvolle Bebauung aber nur möglich, wenn beidseitig die gesetzlich gebotenen Grenzabstände nicht eingehalten werden mussten. Nachdem die Stadt V........ als Eigentümerin des nördlich gelegenen 2,50 m breiten Weges sich bereit erklärt hatte, einem Überschreiten der seitlichen Baugrenze zuzustimmen (vgl. Ziff. 5 des Bauvorbescheides vom 19.05.1998; Bl. 35, 36 GA), hätte mit einem Abstand von 50 cm von dieser Grenze gebaut werden dürfen. Einer Bebauung bis unmittelbar an diese Grenze stand entgegen, dass die Eigentümer des jenseits des Weges gelegenen Grundstücks ihre Zustimmung nicht erteilten. Unter Berücksichtigung des vorgeschriebenen Grenzabstandes auf der anderen Seite hätten somit weniger als 6 m für die Errichtung eines Hauses zur Verfügung gestanden. Ein so schmales Wohnhaus ist ? zumindest als freistehendes Gebäude, wie es hier allein in Betracht kam ? nicht üblich, und seine Errichtung wäre wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen.
Entscheidend für den Kaufentschluss der Kläger musste unter diesen Umständen sein, dass auch für die südliche Grundstücksgrenze ein Verzicht auf die Einhaltung des Grenzabstandes vorlag. Eine solche erblickten unstreitig die Kläger ? und angeblich auch die Beklagten ? in der schriftlichen Erklärung des Dr. G..... vom 31.01.1974, durch welche dieser sich "als Eigentümer des Grundstücks Flur .., Flurstück 207/2" mit der Grenzbebauung einverstanden erklärt hatte (vgl. Bl. 34 GA). Dementsprechend gingen die Kläger beim Kauf des Grundstücks davon aus, ein Gebäude von mindestens 8,50 m Breite darauf errichten zu können. Die am 24.11.1997 abgegebene schriftliche Erklärung der Eheleute G....., auf der Einhaltung des Grenzabstandes zu bestehen, stellte demnach zumindest eine erhebliche Gefährdung des Vertragszweckes dar.
Die Beklagten konnten nicht voraussetzen, dass die Kläger sich vor der Beurkundung des Kaufvertrages selbst vergewisserten, ob eine Zustimmung zur Grenzbebauung auf der südlichen Seite des zu verkaufenden Grundstücks (noch) vorlag. Zwar braucht ein Verhandlungspartner nach herrschender Rechtsprechung nicht ungefragt auf Umstände hinzuweisen, von denen er annehmen darf, dass er nach ihnen gefragt werde, falls der andere Teil auf sie Wert lege (BGH NJW 1989, S. 763, 764). Da die Beklagten jedoch mit dem Hinweis auf die Erklärung des Dr. G..... vom 31.01.1974 für ihr Grundstück hatten werben lassen, konnten sie nicht erwarten, dass die Kläger eigens Aufklärung darüber verlangten, ob diese Erklärung denn noch wirksam sei.
Es stellte daher ein objektiv pflichtwidriges Verhalten der Beklagten zu 1) dar, dass sie den Klägern die Mitteilung von dem am 24.11.1997 verfassten Schreiben des Dr. G..... vorenthielt.
Der Beklagten zu 1) ist Arglist vorzuwerfen, da sie alle maßgeblichen Umstände kannte, insbesondere wusste, dass eine Zustimmung zur Grenzbebauung auf der südlichen Seite des zu verkaufenden Grundstücks nicht (mehr) vorlag. Sie unterließ die gebotene Aufklärung mit Täuschungswillen, da sie zumindest billigend in Kauf nahm, dass die Kläger über die Bebaubarkeit des Grundstücks im Irrtum waren und den Kaufvertrag im Vertrauen auf das Vorliegen einer wirksamen Zustimmung der Grundstücksnachbarn abschlossen.
Die Täuschung war für den Kaufabschluss ursächlich. Die Kläger tragen schlüssig vor, sie würden den Vertrag nicht abgeschlossen haben, wenn sie von der Einschränkung der Bebaubarkeit gewusst hätten. Das Gegenteil haben die Beklagten weder dargetan noch dafür Beweis angetreten. Sie sind insoweit beweispflichtig, da die begangene arglistige Täuschung in der Verletzung einer Aufklärungspflicht bestand (vgl. dazu BGH NJW 1973, S. 1688, 1689; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 123 Rdnr. 30).
Die Kläger waren aufgrund des aufgezeigten Sachverhalts berechtigt, den Kaufvertrag gegenüber den Verkäufern gemäß § 123 Abs. 1 BGB anzufechten. Die Anfechtungserklärung wurde mit Schreiben der die Kläger vertretenden Anwälte vom 07.07.1998 dem Vertreter der Beklagten gegenüber abgegeben.
Für das bestehende Recht zur Anfechtung ist es unerheblich, ob außer der Beklagten zu 1) sich auch die übrigen Beklagten arglistig verhalten hatten.
§ 123 Abs. 2 BGB findet hier unmittelbar keine Anwendung, da die Beklagten nicht als Dritte i. S. dieser Bestimmung angesehen werden können. Dritter im Wortsinn von § 123 Abs. 2 BGB ist jeder außer dem, der die Willenserklärung abgegeben hat, und dem, gegenüber dem sie abgegeben worden ist (BGH NJW 1962, S. 2195). Die Beklagten zu 2) bis 5) ? die Beklagten zu 3) bis 5) vertreten durch die Beklagte zu 2) ? sind neben der Beklagten zu 1) sämtlich ebenfalls Empfänger der angefochtenen Willenserklärung der Kläger und können also bereits deshalb nicht als "Dritte" behandelt werden. Die in der Rechtsprechung zur Auslegung dieses Begriffes entwickelten Kriterien sind hier nicht hilfreich, da sie lediglich eine Einschränkung des Kreises der "Dritten" betreffen (vgl. z. B. BGH aaO.). Aber auch der in § 123 Abs. 2 BGB zu Tage tretende Rechtsgedanke steht im vorliegenden Fall einer Anfechtbarkeit des Kaufvertrages nicht entgegen.
Hat der Anfechtungsberechtigte einen Vertrag mit mehreren Partnern abgeschlossen, so genügt nach der vom Reichsgericht vertretenen Rechtsansicht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ein Anfechtungsrecht einem der Vertragspartner gegenüber. Nach dieser Auffassung führt die Anfechtung diesem gegenüber gemäß § 139 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages mit allen Vertragspartnern (vgl. dazu RG Warneyer 1912, Nr. 360, S. 396, 397; RGZ 65, S. 399, 405; ebenso Staudinger/Dil-cher, BGB, 12. Aufl., § 143 Rdnr. 16).
Nach einer neueren in der Literatur vertretenen Meinung dagegen soll bei Schuldverhältnissen, die ? wie hier ? auf eine unteilbare Leistung gerichtete sind, eine Anfechtung grundsätzlich nur dann möglich sein, wenn das Anfechtungsrecht sämtlichen Vertragspartnern gegenüber besteht (Staudinger/Roth, BGB, 13. Aufl., 1996, § 143 Rdnr. 23; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 143 Rdnr. 8; Münchener Kommentar/Mayer-Maly, 4. Aufl., § 143 Rdnr. 15). Diese Meinung entnimmt aus der gesetzlichen Wertung des § 123 Abs. 2 BGB, den Grundsatz,dass eine Anfechtung generell nur dann stattfinden solle, wenn derjenige, dem gegenüber die Anfechtung Wirkungen entfalten solle, entweder selbst arglistig getäuscht oder die von einem anderen begangene arglistige Täuschung gekannt habe oder habe kennen müssen (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, S. 565; vgl. zum ähnlichen Fall eines Mietübernahmevertrages: BGH NJW 1998, S. 531, 533). Unabhängig davon, ob man diesen Grundsatz als solchen bejaht, kann er jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht gelten.
Der Interessenwiderstreit des Getäuschten und eines Erklärungsgegners, der die Täuschung nicht begangen hat und auch nicht kannte, ist vom Gesetzgeber für einen Teilbereich der einschlägigen Fälle zwar dahingehend geregelt worden, dass ein Anfechtungsrecht nur besteht, wenn den Erkl ärungsgegner der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (§ 123 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB). Diese gesetzliche Regelung erfasst jedoch lediglich solche Fälle, in denen ein am Erklärungsverhältnis, insbesondere an einem Vertrag, nicht Beteiligter die Täuschung begangen hat. In § 123 BGB kommt u. a. zum Ausdruck dass nach dem Willen des Gesetzgebers derjenige, der durch den Erklärungsgegner selbst getäuscht wurde, größeren Schutz genießen soll als der Gutgläubige, der aus der Erklärung ein Recht gewonnen hat, ohne dass sie ihm gegenüber abgegeben wurde (BGH NJW 1960, S. 622, 624). Es ist also nicht so, dass nach dem erkennbaren Ziel des Gesetzgebers in jedem Fall eine Anfechtung demjenigen gegenüber ausgeschlossen sein soll, der von der Täuschung schuldlos keine Kenntnis hat.
Auf einen Sachverhalt, in welchem einer von mehreren Erklärungsempfängern die Täuschung verübt hat, kann die Regelung des § 123 Abs. 2 BGB deshalb nur dann übertragen werden, wenn die Interessenlage derjenigen gleicht, wie sie bei einer Täuschung durch einen anderen als den Erklärungsempfänger besteht. Das ist jedoch, wenn beim Verkauf eines Grundstücks durch eine Erbengemeinschaft eines der Mitglieder eine arglistige Täuschung begeht, i. d. R. nicht der Fall.
Wollte man dem Käufer bei einem solchen Grundstückskaufvertrag ein Anfechtungsrecht verweigern, wenn auch nur einer der Verkäufer die begangene Täuschung schuldlos nicht kannte, so würde dies eine unangemessene Benachteiligung des Käufers bedeuten. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall eines zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Mieter unter Mitwirkung des Vermieters geschlossenen Mietübernahmevertrages (BGH NJW 1998, S. 531 ff.), besteht hier kein das Schutzbedürfnis des Getäuschten überwiegendes Interesse dessen, der nicht getäuscht hat.
Der Käufer ist gegenüber der Täuschung durch einen seiner Vertragspartner weitgehend schutzlos. Er kann sich gegen sie praktisch nicht mittels einer besonderen Vertragsgestaltung im Voraus absichern (anders der Vermieter bei einem Übernahmevertrag: BGH aaO.). Verneint man die Anfechtbarkeit, so steht ihm im Regelfall kein anderes Rechtsinstitut ? insbesondere auch kein Gewährleistungsanspruch ? zur Verfügung, durch welches er sich von dem Vertrag lösen könnte (anders als bei einem Mietvertrag, in welchem der Vermieter kündigen kann; vgl. BGH aaO.). Auch der Einwand des Rechtsmissbrauches käme dann nur dem Verkäufer gegenüber in Betracht, der den Käufer getäuscht hat oder hiervon wissen musste. Ein auf culpa in contrahendo oder Delikt gestützter Schadensersatzanspruch gegen diesen Verkäufer wäre ein ungenügender Ausgleich für den Käufer, zumal die Realisierung eines solchen Anspruchs vielfach kaum gelingen wird.
Eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages bringt dagegen für den gutgläubigen Mitverkäufer keine unerträglichen Nachteile mit sich. Die Nachteile wären bei Weitem nicht so schwerwiegend wie etwa die rückwirkende Wiederherstellung eines Mietverhältnisses für den ursprünglichen Mieter (vgl. hierzu: BGH aaO. S. 533). Zudem könnten im vorliegenden Fall die Beklagten zu 2) bis 5) von der Beklagten zu 1) Ersatz des Schadens verlangen, der ihnen aus deren schuldhaftem Verstoß gegen ihre Verpflichtung zur Mitwirkung an einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses entstanden ist (vgl. dazu Münchener Kommentar/Dütz, BGB, 3. Aufl., § 2038 Rdnr. 45). Teil einer ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung war es, bei der Ver äußerung des zum Nachlass gehörenden Grundstücks den Käufer nicht arglistig zu täuschen. Da die Verkäufer hier nicht ohne gegenseitige rechtliche Bindung nebeneinander stehen, sondern eine rechtliche Gemeinschaft bilden, gestattet die Rückgängigmachung des Kaufvertrages einen Ausgleich sowohl im Verhältnis zum Kläger als auch im Innenverhältnis der Verkäufer. Stattdessen den Kläger auf einen Freistellungsanspruch gegen die Beklagte zu 1) zu verweisen, wobei das Grundstück an diese allein zurückzuübereignen wäre, würde eine unbillige Verkürzung seines Schutzes gegen eine arglistige Täuschung bedeuten.
Eine interessengerechte Auslegung von § 123 BGB lässt daher eine Anwendung des Rechtsgedankens von Abs. 2 auf den vorliegenden Fall nicht zu. Die Interessen der gutgläubigen Miterben, die am Vertrag beteiligt sind, müssen hinter dem Schutzbedürfnis der Kläger zurückstehen. Der Anfechtbarkeit des Kaufvertrages mit den Beklagten steht deshalb nicht entgegen, dass nur der Beklagten zu 1) eine arglistige Täuschung nachzuweisen ist.
Zur Herbeiführung der Nichtigkeit bedarf es nicht der Heranziehung des § 139 BGB. Vielmehr wird die einheitliche Willenserklärung angefochten, die alle Vertragspartner empfangen haben. Mit der h. M. ist zu fordern, dass die Anfechtungserklärung allen Vertragspartnern gegenüber zu erfolgen hat, da auch die anzufechtende Erklärung allen gegenüber abgegeben wurde (BGH NJW 1986, S. 918). Im vorliegenden Fall wurde die Anfechtung allen Beklagten gegenüber erklärt.
Die Anfechtung des Kaufvertrages durch die Kläger ist demnach wirksam. Damit entfällt der titulierte Kaufpreisanspruch der Beklagten, so dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären war.
Das Urteil des Landgerichts war dementsprechende abzuändern.
Die erstmals im Berufungsverfahren gestellte Feststellungsklage der Kläger ist zulässig. Die Kläger haben ein rechtliches Interesse an der Feststellung, da ein noch nicht zu beziffernder Schaden zu erwarten ist (§ 256 abs.1 ZPO).
Die Klage ist nur gegen die Beklagte zu 1) begründet. Diese schuldet den Klägern Ersatz des aus dem Abschluss des Kaufvertrages vom 03.02.1998 entstandenen Schadens.
Darin, dass die Beklagte zu 1) den Klägern gegenüber eine arglistige Täuschung beging, liegt ein Verschuldens bei Vertragsschluss. Die Beklagte zu 1) haftet den Klägern daher auf Ersatz des Vertrauensschadens. Da ein vorsätzliches Verhalten gegeben ist, besteht dieser Anspruch unabhängig davon, ob auch Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden können (vgl. BGH NJW 1995, S. 2159, 2160).
Ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu 2) bis 5) besteht nicht, da diese nicht schuldhaft gegen vertragliche oder vorvertragliche Pflichten den Kläger gegenüber verstoßen haben.
Fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verhalten in Bezug auf die von der Beklagten zu 1) begangene arglistige Täuschung ist den übrigen Beklagten nicht nachzuweisen.
Die Mitteilung der für die Beklagten tätigen Maklerfirma an die Kläger, es liege "die Notarerklärung" des Nachbarn vor, dass bis an die Grundstücksgrenze gebaut werden dürfe (Bl. 33 GA), stellte noch keine arglistige Täuschung oder schuldhafte Falschinformation dar. Zwar liegt die Erklärung des Nachbarn Dr. G..... vom 31.01.1974 nicht in Form einer notariellen Urkunde vor, sondern ist lediglich mit einer Beglaubigung der Unterschrift versehen, die zudem nicht von einem Notar, sondern von der Ortsgemeinde V........ stammt. Der Gebrauch des Wortes "Notarerklärung" lässt jedoch nicht erkennen, dass damit mehr gemeint war als ein von einem Notar oder einer gleichwertigen Stelle bestätigtes Schriftstück. Einer notariellen Beurkundung bedurfte die vorgelegte Erklärung zu ihrer Wirksamkeit nicht.
Ein schuldhaftes Verhalten ist auch nicht darin zu erblicken, dass den Klägern die Zustimmung des Dr. G..... zu einer Grenzbebauung vorgelegt wurde, obwohl dieser nur Miteigentümer des Nachbargrundstücks war. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Beklagten oder ihre Erfüllungsgehilfen wussten, dass das Grundstück zur Hälfte der Ehefrau des Dr. G..... gehörte und dass deshalb auch deren Erklärung zu einer Grenzbebauung erforderlich gewesen wäre. Ebenso wenig kann angenommen werden, es sei bekannt gewesen, dass eine "problemlose" Bebauung tatsächlich nicht möglich war.
Dem Feststellungsantrag war daher nur gegen die Beklagte zu 1) stattzugeben. Soweit er gegen die Beklagten zu 2) bis 5) gerichtete ist, war er abzuweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der neue Tatsachenvortrag sowie die Beweisanträge der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 19.11.2001, bei Gericht eingegangen am 20.11.2001, können nicht berücksichtigt werden, da der Schriftsatz ohne Gewährung eines Vorbehalts gemäß § 283 ZPO nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht worden ist (§ 296 a ZPO) und keinen Anlass zur Wiedereröffnung der Verhandlung gibt. Der Vortrag ist überdies nicht geeignet, die Zurückweisung der Berufung herbeizuführen. Dass der Zeuge E.... sich ? anders als von ihm bekundet ? aufgrund einer Zeitungsanzeige der Kläger an diese gewandt haben könne, wird von den Beklagten lediglich als Vermutung geäußert. Das genügt nicht, die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage zu stellen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 150.000,00 DM festgesetzt. Die Beschwer beträgt für die Beklagte zu 1) 150.000,00 DM, für die Beklagten zu 2) bis 5) jeweils 140.000,00 DM und für die Kläger unter 60.000,00 DM.
Geschäftsnummer:
3 U 1642/00
9 O 423/98
LG Koblenz
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit XXX
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kubiak sowie die Richter am Oberlandesgericht Mille und Ritter
am 24.02.2003
beschlossen:
Das Urteil vom 11.12.2001 wird wegen eines Schreibfehlers gemäß § 319 ZPO folgendermaßen berichtigt:
Auf Seite 2 des Urteils werden in Zeile 3 des vorletzten Absatzes die Worte: ?zu je 1/6? ersetzt durch die Worte:
?zu je 1/5?
Gründe:
Die Kostenentscheidung bezüglich des ersten Rechtszuges und der ersten Berufung enthält einen Schreibfehler. Den fünf Beklagten sind, da sie bezüglich des damals gestellten Klageantrags vollständig unterlegen sind, insoweit die gesamten Kosten auferlegt worden.