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22.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120529

Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 22.02.2011 – 2 Ws 415/10

Die Beiordnung eines Verteidigers nach § 408 b StPO gilt auch für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung.


2 Ws 415/10

In der Strafsache
...
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 22. Februar 2011
beschlossen:

Tenor:
Die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Lüneburg gegen den Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom 26. Oktober 2010 wird verworfen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
I.

Das Amtsgericht Uelzen erließ gegen die damalige Angeklagte und inzwischen rechtskräftig verurteilte Frau L. am 18.02.2010 einen Strafbefehl wegen Urkundenfälschung und verhängte gegen sie eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zuvor hatte das Amtsgericht am 08.01.2010 der Angeklagten Rechtsanwalt K. gemäß § 408 b StPO als Verteidiger bestellt, eine die Reichweite der Bestellung einschränkende Formulierung enthält der Bestellungsbeschluss nicht. Auf den Einspruch gegen diesen Strafbefehl beraumte das Amtsgericht Hauptverhandlung auf den 22.03.2010 an, in der der Einspruch zurückgenommen wurde.

Mit Antrag vom 23.03.2010 beantragte der Pflichtverteidiger die Festsetzung u.a. einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG sowie einer Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG. Das Amtsgericht setzte die geltend gemachten Gebühren antragsgemäß fest. Hiergegen legte der Bezirksrevisor Erinnerung ein, mit der er sich gegen die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG wandte. Eine solche sei nicht entstanden, weil die Beiordnung des Verteidigers nach § 408 b StPO nicht die Tätigkeit in der Hauptverhandlung nach einem Einspruch gegen den Strafbefehl umfasse. Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 09.09.2010 wies das Amtsgericht die Erinnerung des Bezirksrevisors zurück. Das Landgericht Lüneburg verwarf - nachdem zuvor der Einzelrichter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Strafkammer übertragen hatte - mit Beschluss vom 26.10.2010 die gegen die Entscheidung des Amtsgerichts von dem Bezirksrevisor eingelegte Beschwerde, ließ jedoch die weitere Beschwerde gegen die landgerichtliche Entscheidung zu.

Mit seiner weiteren Beschwerde vertritt der Bezirksrevisor die Rechtsauffassung, die Beiordnung eines Verteidigers nach § 408 b StPO umfasse nicht die Tätigkeit des Verteidigers in einer auf den Einspruch gegen den Strafbefehl folgenden Hauptverhandlung, sodass für die Teilnahme von Rechtsanwalt K. in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Uelzen die festgesetzte Terminsgebühr aus Nr. 4108 VV RVG nicht entstanden sei.

II.

Die weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die vom Landgericht zugelassene weitere Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Nachdem der Einzelrichter des Landgerichts das Verfahren gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf die Strafkammer übertragen hatte und diese entschieden hat, ist zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Bezirksrevisors der Senat in voller Besetzung berufen.

2.

Die weitere Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Dem nach § 408 b StPO beigeordneten Verteidiger steht für seine Teilnahme in der auf den Einspruch gegen den Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung die festgesetzte Terminsgebühr aus Nr. 4108 VV RVG zu.

Die - hier entscheidende - Frage, wie weit die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408 b StPO reicht, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.

a)

Nach Auffassung des Amtsgerichts Höxter (StV 1995, 519 [AG Höxter 26.07.1994 - 4 Cs 486/94]) soll die Verteidigerbestellung nach § 408 b StPO bis zur Entscheidung über den Erlass oder Nichterlass des beantragten Strafbefehls zu befristen sein, weil der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren nicht besser gestellt werden solle, als derjenige Angeklagte, der ebenfalls eine Freiheitsstrafe zu erwarten hat, aber angeklagt wird und bei dem sich die Verteidigerbestellung nach den - strengeren - Maßstäben des § 140 StPO richtet. Eine solche Befristung der Reichweite der Pflichtverteidigerbestellung liegt jedoch hier weder ausdrücklich noch konkludent vor.

b)

Nach einer weiteren Auffassung soll die Beiordnung auch ohne Befristung jedenfalls nicht für das weitere Verfahren nach Einspruchseinlegung, also nicht für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gelten, jedoch noch für die Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl. Dies folge aus der gebotenen einschränkenden Auslegung des § 408 b StPO, der nicht auf die Vorschriften über die Pflichtverteidigerbeiordnung insgesamt, sondern nur auf § 141 Abs. 3 StPO verweise, welcher die Bestellung des Verteidigers während des Vorverfahrens betrifft. Diese einschränkende Auslegung trage dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, der § 408 b StPO für die besondere prozessuale Situation der Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr mit Bewährung im Strafbefehlsverfahren geschaffen habe; der Katalog der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO habe aber unberührt bleiben sollen. Zudem werde bei einer weiteren Auslegung des § 408 b StPO derjenige besser gestellt, der nach § 407 StPO nur eine Freiheitsstrafe mit Bewährung zu erwarten hat, während der Angeklagte, der sofort angeklagt wird und gegebenenfalls eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu erwarten hat, einen Verteidiger nur unter den strengeren Voraussetzungen des § 140 StPO bestellt erhalten könne (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390 f.; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 408 b Rdnr. 6; Metzger in KMR, StPO, § 408 b Rdnr. 10; Lutz NStZ 1998, 395 f.). Durch § 408 b StPO habe nur das Manko der fehlenden persönlichen Anhörung vor Erlass des Strafbefehls kompensiert werden sollen, was mit der Beratung durch den beigeordneten Verteidiger über die beantragte Rechtsfolge erledigt sei (vgl. AG Höxter a.a.O.).

c)

Demgegenüber soll nach einer zunächst nur in der Literatur, jetzt jedoch auch in der neueren Rechtsprechung vertretenen Auffassung die Beiordnung nach § 408 b StPO auch für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gelten (vgl. Gössel in LR StPO, 26. Aufl., § 408 b Rdnr. 12; KK-Fischer, StPO, 6. Aufl., § 408 b Rdnr. 8; Loos in AK-StPO, 1. Aufl., § 408 b Rdnr. 4; Kurth in Julius, StPO, 4. Aufl., § 408 b Rdnr. 6; Siegismund/Wickern, wistra 1993, 81 , 91; Böttcher/ Mayer, NStZ 1993, 153, 156; Schellenberg, NStZ 1994, 570; Brackert/Staechelin, StV 1995, 547 ff.; Radtke/ Hohmann/Alexander, StPO, 1. Aufl., § 408 b Rdnr. 7; OLG Köln, StV 2010, 68 f. -juris; in diese Richtung, letztlich jedoch offen gelassen OLG Oldenburg, Strafo 2010, 430 f. -juris).

d)

Der Senat schließt sich der letzteren Auffassung an.

Aus dem Gesetz selbst ergibt sich eine zeitliche Begrenzung der Reichweite der Beiordnung nicht, da § 408 b StPO - anders als etwa § 118 a Abs. 2 Satz 3, § 350 Abs. 3 Satz 1 und § 418 Abs. 4 - eine solche Begrenzung gerade nicht enthält. Der Verweis auf § 141 Abs. 3 StPO in § 408 b Satz 2 StPO lässt sich als Argument für eine Beschränkung der Reichweite der Beiordnung nicht nutzbar machen. § 141 Abs. 3 StPO betrifft die Bestellung eines Verteidigers bereits im Vorverfahren, wobei diese Bestellung gerade nicht befristet ist, sondern regelmäßig für das gesamte Verfahren gilt.

Auch die Kompensationsfunktion des § 408 b StPO als Ausgleich für die fehlende persönliche Anhörung des Angeschuldigten vor Erlass des Strafbefehls rechtfertigt die Annahme der zeitlichen Beschränkung der Beiordnung bis zur Entscheidung über den Erlass oder Nichterlass des Strafbefehls nicht. Die besondere prozessuale Situation, die durch die Beiordnung nach § 408 b StPO kompensiert werden soll, besteht in veränderter Form auch nach Erlass des Strafbefehls fort. § 411 StPO, welcher das Verfahren nach Einlegung des Einspruches regelt, verweist in Absatz 2 Satz 2 nämlich auf § 420 StPO, nach dessen Absatz 4 im Verfahren vor dem Strafrichter Beweisanträge ohne Bindung an § 244 Abs. 3 StPO abgelehnt werden können. Zudem kann nach § 420 Abs. 1, Abs. 3 StPO bei Zustimmung des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft, soweit sie in der Hauptverhandlung anwesend sind, die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten durch Verlesung von Niederschriften über eine frühere Vernehmung oder Urkunden, die von der betreffenden Person erstellte schriftliche Äußerungen enthalten, ersetzt werden.

Diese für das beschleunigte Verfahren bestimmte Erleichterung wird im beschleunigten Verfahren dadurch ausgeglichen, dass nach § 418 Abs. 4 StPO dem Angeklagten, der eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten hat, ein Verteidiger beizuordnen ist. Die Verhängung einer solchen Strafe wird in den Fällen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 408 b StPO häufig anzutreffen sein. § 408 b StPO verweist indes nicht auf § 418 Abs. 4 StPO, obwohl § 408 b Satz 2 StPO die Vorschrift über die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren (§ 420 StPO) für anwendbar erklärt. Dieser fehlende Verweis spricht für die Fortgeltung der Beiordnung aus § 408 b StPO auch für die auf den Einspruch gegen den Strafbefehl folgende Hauptverhandlung, denn es ließe sich nicht erklären, dass derjenige, der über das Strafbefehlsverfahren und die Hauptverhandlung zu der nach § 420 StPO verkürzten Beweisaufnahme gelangt, keinen Pflichtverteidiger (mehr) hat, während dem Angeklagten, gegen den das beschleunigte Verfahren betrieben wird, unter den Voraussetzungen des § 418 Abs. 4 StPO zwingend ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist (so auch OLG Oldenburg a.a.O.). Dies gilt umso mehr, da für denjenigen, der im Strafbefehlsverfahren verfolgt wird, weder das Verbot der reformatio in peius (vgl. Meyer-Goßner, § 411 Rdnr. 11), noch die im beschleunigten Verfahren geltende Beschränkung des § 419 Abs. 1 Satz 2 StPO, nach der weder eine über ein Jahr hinausgehende Freiheitsstrafe noch eine Maßregel der Sicherung und Besserung angeordnet werden darf, gilt (vgl. auch OLG Köln a.a.O. ; Brackert/Staechelin a.a.O.).

Da die Kompensationsfunktion der Verteidigerbeiordnung aus § 408 b StPO somit nicht mit Erlass des Strafbefehls bzw. mit Einlegung des Einspruchs gegen diesen endet, steht auch die in den Gesetzesmaterialien enthaltende Begründung, die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408 b StPO sei wegen der besonderen prozessualen Situation geboten (vgl. BT-Drucksache 12/3832 S. 42), einer Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung über die Einlegung des Einspruchs hinaus gerade nicht entgegen (vgl. OLG Köln a.a.O.).

III.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.

RechtsgebietStPOVorschriften§ 140 StPO § 408b StPO

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