Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

04.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113243

Sozialgericht Marburg: Urteil vom 03.08.2011 – S 12 KA 237/10

Der zwischen einem Hausärzte-Verband, einem BKK Landesverband für die beitretenden Krankenkassen und einer Kassenärztlichen Vereinigung abgeschlossene Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB 5 erfüllt auch als sog. Add-On-Vertrag die Voraussetzungen nach § 73b Abs 2 SGB 5 zur hausarztzentrierten Versorgung. Der Hausärzte-Verband hat keinen Anspruch auf Abschluss eines weiteren Vertrags und auf Bestellung einer Schiedsperson. (Rn.19)


S 12 KA 237/10

Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Gerichtskosten zu tragen und der Beklagten und der Beigeladenen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bestimmung einer Schiedsperson nach § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V.

Der Kläger ist ein Hausärzteverband in Hessen. Die Beigeladene ist eine Betriebskrankenkasse, die aus der Fusion der ursprünglich beigeladenen BANK BKK mit der Neckermann-BKK zum 01.07.2010 hervorgegangen ist und insofern als Rechtsnachfolgerin der ursprünglich beigeladenen Krankenkasse in den Rechtsstreit eingetreten ist. Die Beklagte nimmt die Aufsichtsbefugnisse gegenüber der fusionierten Beigeladenen war und ist in den Rechtsstreit für die Aufsichtsbehörde der ursprünglich beigeladenen Krankenkasse als Funktionsnachfolgerin eingetreten. Im Folgenden werden die Beigeladene und die Beklagte einheitlich als solche bezeichnet.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 10.06.2009 die Bestimmung einer Schiedsperson nach § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V. Er trug vor, da eine einvernehmliche Einigung auf eine Schiedsperson mit der BKK-Vertragsarbeitsgemeinschaft Hessen (VAG), die durch die Beigeladene bevollmächtigt worden sei, im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen nicht möglich gewesen sei, bitte sie hiermit um Bestellung einer Schiedsperson. Bei ihm, dem Kläger, handele es sich um eine Gemeinschaft im Sinne des § 73b Abs. 4a Satz 1 i. V. m. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V, die antragsbefugt sei, da sie mehr als die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vertrete. Mit notarieller Urkunde werde ihm bescheinigt, 1.482 Fachärzte für Allgemeinmedizin zu vertreten. Bei 2.827 Fachärzten für Allgemeinmedizin sei dies 52,42 %. Das von ihm bereits mit Schreiben vom 12.02.2009 vorgelegte Angebot eines hausärztlichen Vollversorgungsvertrages habe die Beigeladene nicht angenommen, auch habe sie kein Gegenangebot unterbreitet. Seinen Vorschlag, Herrn Prof. Dr. HP. als Schiedsperson zu bestimmen, habe die Beigeladene abgelehnt.

Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 29.10.2009 darauf hin, der BKK Landesverbandes Hessen habe gegenüber dem Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit für die VAG Hessen vorgebracht, dass bereits seit dem 01.10.2007 ein wirksamer Vertrag gem. § 73b Abs. 1 SGB V zwischen dem Hausärzte-Verband-Hessen und dem BKK Landesverband Hessen bestehe. Die Beigeladene sei dem Vertrag beigetreten. Eine erste rechtliche Prüfung habe zum Ergebnis geführt, dass der Vertrag alle Anforderungen erfülle, die das Gesetz und Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung gem. § 73b SGB V stelle. Bei einem bereits bestehenden Vertrag sei kein Schiedsverfahren hinsichtlich eines weiteren Vertrages durchzuführen. Es sei daher beabsichtigt, den Antrag auf Bestimmung einer Schiedsperson abzulehnen.

Der Kläger erwiderte hierauf mit Schreiben vom 17.11.2009, das Vorliegen eines laufenden Vertrages über die hausarztzentrierte Versorgung sei kein Rechtshindernis für die Bestimmung einer Schiedsperson. In der Begründung des Gesundheitsausschusses heiße es u. a., bestehende Altverträge würden die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht entbinden, mit Gemeinschaften, die die Quote erfüllten, Verträge abzuschließen. Eine Einschränkung oder Ausnahme für den Fall, dass sog. Altverträge mit der späteren Gemeinschaft bereits bestünden, habe der Gesetzgeber bewusst nicht gemacht. Im Übrigen entspreche der bereits bestehende Vertrag nicht den Anforderungen nach § 73b in der Neufassung. Es bestehe ein Vorrangrecht der qualifizierten Gemeinschaft zur Vertragsgestaltung; die Kassenärztliche Vereinigung sei hierbei als Vertragspartner grundsätzlich nicht vorgesehen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25.02.2010 den Antrag auf Bestimmung einer Schiedsperson ab. Darin legte sie nochmals dar, dass ein Vertrag mit einer privilegierten Gemeinschaft und einem weiteren Vertragspartner ausreichend sei. Es sei unschädlich, dass es sich bei dem Altvertrag um einen dreiseitigen Vertrag handele. Der Vertrag erfülle auch die besonderen Anforderungen an den Vertragsinhalt nach § 73b Abs. 2 SGB V. Es fänden sich Regelungen zur Teilnahme der Hausärzte an strukturierten Qualitätszirkeln zur Arzneimitteltherapie unter Leitung entsprechend geschulter Moderatoren (Nr. 1), zur Behandlung nach für die Hausärztliche Versorgung entwickelten, evidenzbasierten, praxiserprobten Leitlinien (Nr.2), zur Erfüllung der Fortbildungspflicht nach § 95d SGB V (Nr. 3) sowie zur Einführung eines Qualitätsmanagements entsprechend § 73b Abs. 2 Nr. 4 SGB V.

Hiergegen hat der Kläger am 22.03.2010 die Klage erhoben. Er trägt vor, die Notarin Dr. K. habe zuletzt 1.482 Mandatierungserklärungen bestätigt. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen habe die Gesamtzahl der Fachärzte für Allgemeinmedizin 2.920 betragen. Mittlerweile seien 91 weitere Erklärungen bei ihr eingegangen. Die Mandatierungsquote liege damit bei 53,87 %. Die Klage sei auch deshalb zulässig, weil es sich bei der Frage der Mandatierung um eine Frage der Begründetheit halte. Bei Zweifeln hieran greife auch die Amtsermittlungspflicht. Der am 22.08.2007 geschlossene BKK-Rahmenvertrag Hessen weiche in dreifacher Hinsicht von den Anforderungen an einen Primärvertrag nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V in der Neufassung ab. Es handele sich um einen bloßen „Add-On“-Vertrag, die Kassenärztliche Vereinigung Hessen sei als Vertragspartnerin beteiligt und es sei nicht die Repräsentativität bei Verhandlungen sichergestellt; der Vertrag sei nicht mit einer Gemeinschaft i.S.d. § 73b SGB V geschlossen worden. Dieser Vertrag entfalte keine Sperrwirkung. Der Gesetzgeber gehe von zwingenden Neuabschlüssen aus. Der Anspruch auf Durchführung eines Schiedsverfahrens und damit notwendigerweise auf Bestimmung einer Schiedsperson sei unabhängig von bestehenden Altverträgen. Die Vereinbarkeit dieses Vertrages mit § 73b sei gerade strittig und stelle einen Teilaspekt des Einigungsmangels dar, der zur Einleitung eines Schiedsverfahren führen müsse. Die Prüfung durch die Beklagte, inwieweit der bestehende Vertragszustand im Einklang mit § 73b SGB V stehe, stelle eine Kompetenzüberschreitung dar. Diese Prüfung sei alleine Sache der Vertragsparteien und, wenn diese sich nicht einigen könnten, der Schiedsperson. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Gesetzesbegründung würden auch bestehende Altverträge die Krankenkassen generell nicht von ihrer Pflicht zum Vertragsschluss entbinden. Der Gesetzgeber habe gerade auf die Einführung einer Sperrwirkung von Altverträgen verzichtet. Im Übrigen genüge der Altvertrag nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die besondere hausärztliche Versorgung müsse vollständig auf Grundlage der von den Vertragsparteien vereinbarten selektiv vertraglichen Regelungen erbracht werden. Die qualifizierte Gemeinschaft müsse für die Erfüllung der wesentlichen vertraglichen Pflichten selbst einstehen. Bei dem Altvertrag habe aber die Kassenärztlichen Vereinigung Hessen die tragende Rolle. Er selbst als Vertragspartner schulde nicht die wesentlichen Vertragspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung. Ihr komme als qualifizierte Vertragsgemeinschaft eine Vorrangstellung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zu. Sie habe ein Wahlrecht, ob sie mit den Krankenkassen im Rahmen eines Primärvertrages kontrahieren und/oder nach § 73b Abs. 4 Satz 3 Nr. 4 SGB V eine kassenärztliche Vereinigung zum Abschluss eines Sekundärvertrages als Ergänzung und neben einem Primärvertrag ermächtige. Die Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen an einem Primärvertrag zur hausarztzentrierten Versorgung überschreite deren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 25.02.2010 die Beklagte zu verpflichten, eine Schiedsperson für die Durchführung eines Schiedsverfahrens nach § 73b Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 4a SGB V gegenüber der Beigeladenen für den Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zu bestimmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie äußert Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage. Eine Klagebefugnis komme nur einer Gemeinschaft zu, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung repräsentierten. Es fehle am Nachweis durch Vorlage der einzelnen Erklärungen. Die Vorlage einer notariellen Urkunde sei angesichts der knappen Quote nicht ausreichend. Jede bisherige Überprüfung in anderen Bereichen habe ergeben, dass nicht alle Mandatierungserklärungen gezählt werden könnten. Die Nachmandatierungen seien nicht durch eine Urkunde belegt worden. Die Auskunft der KV Hessen stamme vom 25.03.2009 bezüglich der Zahl der Hausärzte. Letztlich komme es hierauf aber nicht an, da die Beigeladene bereits ihrer Verpflichtung zum Vertragsabschluss nachgekommen sei. Sog. Add-On-Verträge seien zulässig und ausreichend. Es werde bestritten, dass der Gesetzgeber die hausärztliche Versorgung in eine selektivvertragliche Organisation überführt habe. Die Kassen hätten lediglich den Versicherten über Verträge nach § 73b SGB V eine hausarztzentrierte Versorgung als Wahltarif anzubieten. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung des § 73b SGB V lediglich eine Flächendeckung erreichen, nicht aber einen komplett neuen Startschuss setzen wollen. Die Aussage, Altverträge sperrten nicht, könne nur so verstanden werden, dass die Kasse sich nicht darauf berufen könne, einen Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung mit einem anderen Vertragspartner geschlossen zu haben. Wenn aber ein Vertrag mit der privilegierten Gemeinschaft bereits vorliege, sei kein Grund ersichtlich, warum trotzdem noch so ein Vertrag verhandelt werden müsse. Das Gesetz eröffne einen Spielraum. Es sehe nicht vor, dass nur eine Vollversorgung ein tauglicher Vertrag sein könne. Wenn der Gesetzgeber mit der Praxis der zuvor üblichen „Add-On“-Verträge hätte brechen wollen, hätte er dies viel deutlicher im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen. Gesetzgeberisches Ziel sei allein die Verbesserung der Versorgungsqualität und der Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven insoweit, als dem Hausarzt z. B. eine Lotsenfunktion zugewiesen werde. Dies erfordere nicht, dass gleichzeitig die komplette Regelversorgung mitgeregelt werde. Auch der Hausärzteverband für Niedersachsen habe sich jüngst für einen sog. Add-On-Vertrag in Zusammenarbeit mit der KV Niedersachsen entschieden. Es sei kein Grund ersichtlich, warum ein weiterer Vertragspartner nicht beteiligt werden könne, solange nur in jedem Fall auch die privilegierte Gemeinschaft Vertragspartnerin sei. Es sei richtig, dass ursprünglich eine Repräsentativität nicht verlangt war. Diese nachträgliche Korrektur könne jedenfalls nicht dazu führen, dass Altverträge dadurch hinfällig würden. Insoweit sei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Es bestehe kein Anspruch des Klägers auf Abschluss eines zweiten Vertrages. Der richtige Weg bestehe darin, dass der Kläger den bestehenden Vertrag kündige. Dies habe er bisher nicht getan. Liege ein Vertrag und damit eine Einigung vor, so gebe es keine „Nicht-Einigung“. Es sei nicht Aufgabe der Schiedsperson festzustellen, dass eine Einigung fehle. Im Gegensatz zur KV habe die Vertragsgemeinschaft keine Disziplinargewalt. Insoweit dürften daher keine zu hohen Anforderungen an die verpflichtende Gemeinschaft gestellt werden. Außerdem komme dem Kläger im Rahmen des Vertragsausschusses eine wesentliche Aufgabe zu. Ein primärer Selektivvertrag sei neben einem Altvertrag nicht notwendig.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, es bestehe weder ein Rechtschutzbedürfnis, noch eine Rechtsgrundlage noch eine inhaltliche Rechtfertigung oder Notwendigkeit. Sie verweist auf den bestehenden dreiseitigen Vertrag. Es bedürfe daher keiner Bestimmung einer Schiedsperson. Die Aufsichtsbehörde habe den Altvertrag nicht beanstandet. Sog. Add-On-Verträge seien zulässig. Das Gestaltungsermessen der Vertragsparteien bezüglich Inhalt und Organisation der hausarztzentrierten Versorgung sei recht groß. Die Hausarztverbände in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen hätten sich für sog. Add-On-Verträge (in Kooperation mit der KV) entschieden. Eine Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung sei möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sowie einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 25.02.2010 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Bestellung einer Schiedsperson für die Durchführung eines Schiedsverfahrens nach § 73b Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 4a SGB V gegenüber der Beigeladenen für den Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.

Die Beklagte hat zu Recht die Bestellung einer Schiedsperson abgelehnt, da bereits ein Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen vorhanden ist.

Nach § 73b SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) v. 22.12.2010, BGBl. I, S. 2309, in den hier maßgeblichen Teilen im Übrigen unverändert mit der Fassung aufgrund der Änderungen durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) v. 15.12.2008, BGBl I, 2426 haben die Krankenkassen ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten (§ 73b Abs. 1 SGB V). Zur flächendeckenden Sicherstellung des Angebots nach Absatz 1 haben Krankenkassen allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum 30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten (§ 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V). Können sich die Vertragsparteien nicht einigen, kann die Gemeinschaft die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach Absatz 4a beantragen (§ 73b Abs. 4 Satz 2 SGB V). Beantragt eine Gemeinschaft gemäß Absatz 4 Satz 2 die Einleitung eines Schiedsverfahrens, haben sich die Parteien auf eine unabhängige Schiedsperson zu verständigen, die den Inhalt des Vertrages nach Absatz 4 Satz 1 festlegt. Einigen sich die Parteien nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese von der für die Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt (§ 73b Abs. 4a Satz 1 und 2 SGB V).

Bereits seit dem 01.10.2007 besteht ein wirksamer Vertrag gem. § 73b Abs. 1 SGB V zwischen dem Hausärzte-Verband-Hessen und dem BKK Landesverband Hessen, dem die Beigeladene beigetreten ist. Zwischen den Beteiligten ist hierbei streitig, ob dieser Vertrag den Anforderungen nach § 73b Abs. 1 SGB V genügt und somit der Durchführung eines Schiedsverfahrens und der Bestellung einer Schiedsperson entgegensteht.

Der zwischen dem Hausärzte-Verband-Hessen e. V., der Klägerin, dem BKK Landesverband Hessen, handelnd für die am Vertrag teilnehmenden Betriebskrankenkassen, und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V durch teilnehmende Versicherte der Betriebskrankenkassen wurde am 22.08.2007 abgeschlossen (im Folgenden: Vertrag). Er gilt fort, soweit nicht eine Kündigung erfolgt (§ 21 Abs. 1 Vertrag), was bisher nicht der Fall war.

Die Anforderungen an einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung sind zum 01.04.2007 mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) v. 15.12.2008, BGBl I, 2426 neu konturiert worden und gelten seitdem unverändert fort. Mit dem Vertrag ist sicherzustellen, dass die hausarztzentrierte Versorgung insbesondere folgenden Anforderungen genügt, die über die vom Gemeinsamen Bundesausschuss sowie in den Bundesmantelverträgen geregelten Anforderungen an die hausärztliche Versorgung nach § 73 hinausgehen:

1. Teilnahme der Hausärzte an strukturierten Qualitätszirkeln zur Arzneimitteltherapie unter Leitung entsprechend geschulter Moderatoren,

2. Behandlung nach für die hausärztliche Versorgung entwickelten, evidenzbasierten, praxiserprobten Leitlinien,

3. Erfüllung der Fortbildungspflicht nach § 95d durch Teilnahme an Fortbildungen, die sich auf hausarzttypische Behandlungsprobleme konzentrieren, wie patientenzentrierte Gesprächsführung, psychosomatische Grundversorgung, Palliativmedizin, allgemeine Schmerztherapie, Geriatrie,

4. Einführung eines einrichtungsinternen, auf die besonderen Bedingungen einer Hausarztpraxis zugeschnittenen, indikatorengestützten und wissenschaftlich anerkannten Qualitätsmanagements (§ 73b Abs. 2 SGB V.

Einer Anerkennung des Vertrages als Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung steht nicht entgegen, dass es sich um einen bloßen „Add-On“-Vertrag handelt, der auf dem Kollektivvertragssystem aufbaut und dieses lediglich um einzelne zusätzliche Leistungen ergänzt. Sog. Vollversorgungsverträge werden vom Gesetz nicht verlangt. Es reicht aus, wenn die genannten gesetzlichen Mindestvoraussetzungen erfüllt werden (vgl. Klückmann, Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 11/08, § 73b, Rdnr. 8). Das GKV-OrgWG hat lediglich diese Mindestvoraussetzungen aufgestellt. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, es würden zum einen die inhaltlichen Mindestanforderungen an die hausarztzentrierte Versorgung gesetzlich ausgestaltet werden und zum anderen würden die von den Krankenkassen mit entsprechend qualifizierten Leistungserbringern zu schließenden Verträge aus ihrer bisherigen Einbettung in einen gesamtvertraglichen Rahmen herausgelöst. Des Weiteren würden die Krankenkassen ausdrücklich verpflichtet, gegebenenfalls in Kooperation mit anderen Krankenkassen ihren Versicherten eine derartige flächendeckende Versorgung zur Verfügung zu stellen. Dies bedeute, dass eine Krankenkasse zur Sicherstellung ihrer Verpflichtung gegenüber den Versicherten entweder selbst oder gemeinsam mit anderen Krankenkassen entsprechende Verträge mit entsprechend qualifizierten Leistungserbringern zu schließen haben oder zumindest mit anderen Krankenkassen insoweit kooperieren müssten, damit ihre Versicherten an den von diesen geschlossenen Verträgen teilnehmen könnten (vgl. BT-Drs. 16/3100. S. 111). Dabei umschreibe, so die Gesetzesbegründung weiter, Absatz 2 die Anforderungen an eine hausarztzentrierte Versorgung, deren Erfüllung zur Verbesserung der Versorgungsqualität und zum Erschließen von Wirtschaftlichkeitsreserven unverzichtbar sei. Dies seien insbesondere die Verbesserung der Pharmakotherapie, der Einsatz von wissenschaftlich begründeten und zugleich praxiserprobten hausärztlichen Leitlinien, die Konzentration der ärztlichen Fortbildung auf hausarzttypische Probleme sowie die Verbesserung der Prozessqualität durch Einführung eines hausarztspezifischen einrichtungsinternen Qualitätsmanagements. Die Anforderungen nach den Nr. 3 und 4 lösten keinen zusätzlichen Aufwand aus, da der Hausarzt mit der Erfüllung dieser Anforderungen seine ohnehin bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur Fortbildung und zum internen Qualitätsmanagement erfülle (vgl. BT-Drs. 16/3100. S. 112).

Angesichts dieser Formulierungen der Mindestvoraussetzungen kann auch nicht unterstellt werden, der damalige Gesetzgeber sei von der Vorstellung ausgegangen, mit der hausarztzentrierten Versorgung ein alternatives Versorgungssystem zu etablieren. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so hat er es dennoch bei den allein maßgeblichen Mindestvoraussetzungen nach Abs. 2 belassen. Auch erfolgt die Bereinigung der Gesamtvergütung nur, soweit der damit verbundene einzelvertragliche Leistungsbedarf den nach § 295 Abs. 2 SGB V auf Grundlage des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen abgerechneten Leistungsbedarf vermindert (§ 73b Abs. 7 Satz 1 SGB V). In diesem Sinne sieht das Gesetz weiter vor, dass, soweit die hausärztliche Versorgung der Versicherten durch Verträge nach diesem Absatz durchgeführt wird, der Sicherstellungsauftrag nach § 75 Abs. 1 SGB V eingeschränkt ist (§ 73b Abs. 4 Satz 6 SGB V). Die Klägerin selbst ist offensichtlich seinerzeit ebf. davon ausgegangen, dass der Vertrag den Anforderungen nach § 73b SGB V genügt. In § 1 Abs. 1 Vertrag wird als Ziel ausdrücklich die Umsetzung einer hausarztzentrierten Versorgung auf der Grundlage des § 73b SGB V genannt. Die Klägerin setzt sich insofern in Widerspruch zu dem von ihr mit abgeschlossenen Vertrag.

Auch der Gesetzgeber des GKV-Finanzierungsgesetzes geht offensichtlich von der Zulässigkeit sog. Add-On-Verträge aus. Mit dem GKV-FinG wurde die fakultative Regelung, Mehraufwendungen für die über die hausärztliche Versorgung hinausgehenden Leistungen aus Einsparungen und Effizienzsteigerungen zu finanzieren, nunmehr zwingend vorgegeben (§ 73b Abs. 8 SGB V). Zur Überwachung der Einhaltung dieser Vorschriften sind die Verträge und Schiedssprüche der für die Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde, die ein Beanstandungsrecht bekommt, vorzulegen (§ 73b Abs. 9 SGB V). Die Entwurfsbegründung führt hierzu aus, worauf die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nochmals zutreffend hingewiesen hat, dass die Aufsichtsbehörde danach zu prüfen habe, ob vertraglich sichergestellt ist, dass Vergütungen für Leistungen, die über die hausärztliche Versorgung nach § 73 hinausgehen, aus Einsparungen und Effizienzsteigerungen finanziert werden, die sich aus Maßnahmen des Vertrages ergeben. Diese Prüfung werde insbesondere relevant für sog. Add-On-Verträge, d. h. für Verträge über eine hausarztzentrierte Versorgung, die nicht als Vollversorgungsverträge abgeschlossen würden. Gegenstand dieser Verträge seien ausschließlich Leistungen, die über die kollektivvertragliche Regelversorgung hinausgingen (BT-Drs. 17/3040, S. 23). Damit geht der Gesetzgeber offensichtlich auch weiterhin davon aus, dass sog. Add-On-Verträge zulässig sind.

Die Beteiligung der KV Hessen widerspricht nicht der Annahme eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung. Die von Anfang an umstrittene Frage, inwieweit Kassenärztliche Vereinigungen beteiligt werden können (vgl. Huster, in: Becker/Kingreen, SGB V, 2008, § 73b, Rdnr. 12), hat der Gesetzgeber seit dem GKV-WSG unverändert dahingehend entschieden, dass diese nicht nur Verträge mit den Krankenkassen abschließen können, soweit Gemeinschaften nach Nr. 2 - das sind Gemeinschaften vertragsärztlicher Leistungserbringer, die an der hausärztlichen Versorgung nach § 73 Abs. 1a SGB V teilnehmen - sie hierzu ermächtigt haben (§ 73b Abs. 4 Satz 3 SGB V). Unverändert gilt seit dem GKV-WSG auch, dass eine Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Anforderungen nach Absatz 2 möglich ist (§ 73b Abs. 5 Satz 2 SGB V).

Diese im seinerzeitigen Entwurf der Regierungsfraktionen noch nicht enthaltenen Regelungen wurden erstmals durch den Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vorgeschlagen und dann vom Gesetzgeber verabschiedet.

Dadurch sollte den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt werden, solche Verträge auch mit Kassenärztlichen Vereinigungen abzuschließen, soweit sie hierzu ermächtigt worden sind. Dies bedeute einerseits, dass eine Kassenärztliche Vereinigung nicht verpflichtet sei, einen entsprechenden Vertrag nach § 73b zu schließen. Andererseits habe sie, da es sich bei der hausarztzentrierten Versorgung nicht um die Umsetzung des Sicherstellungsauftrags der kassenärztlichen Versorgung handele, kein originäres Recht zur Vertragspartnerschaft, sondern sei abhängig von einer Ermächtigung durch Gemeinschaften von Hausärzten wie z. B. den einschlägigen Berufsverbänden. Nur soweit der von ihr mit einer Krankenkasse ausgehandelte Vertrag von der Ermächtigung der Gemeinschaft gedeckt sei, die Gemeinschaft also dem vereinbarten Vertragsentwurf ausdrücklich zustimme, sei die Kassenärztliche Vereinigung berechtigt und befugt, den Vertrag im eigenen Namen für die Gemeinschaft zu schließen. Die Berechtigung der einzelnen Hausärzte zur Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung aufgrund eines von einer Kassenärztlichen Vereinigung abgeschlossenen Vertrags ergebe sich aus der internen Organisationsstruktur der Gemeinschaft, vom dem die Kassenärztliche Vereinigung ihre Befugnis zum Vertragsschluss ableite. Es besteht daher auch keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Hausarztes aufgrund seines Vertragsarztstatus, sich an der Umsetzung eines mit Wirkung für seinen Berufsverband von der Kassenärztlichen Vereinigung abgeschlossenen Vertrags zur hauarztzentrierten Versorgung zu beteiligen (vgl. BT-Drs. 16/4247, S. 36 ).

Unabhängig von einer möglichen Vertragspartnerschaft der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 73b Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 SGB V eröffnet, so der Ausschussbericht weiter, der neue Satz 2 des § 73b Abs. 5 SGB V den Vertragspartnern der Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung die Möglichkeit, die Kassenärztlichen Vereinigungen in Fragen der Qualitätssicherung zu beteiligen. Möglich ist danach nicht nur eine Heranziehung des Sachverstandes der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Formulierung der Qualitätsanforderungen nach Absatz 2, sondern auch eine Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung in Fragen der Umsetzung der Qualitätsanforderungen. In Betracht kommt hier insbesondere die Überprüfung des Vorliegens und der Einhaltung der Qualitätsanforderungen bei den teilnehmenden Hausärztinnen und -ärzten (vgl. BT-Drs. 16/4247, S. 36 ).

Soweit der Kassenärztlichen Vereinigung damit weitere Aufgaben und/oder Befugnisse eingeräumt werden, werden dadurch ihre Aufgaben nach § 75 Abs. 1 und 2 SGB V nicht verletzt. Es steht dem Gesetzgeber frei, wie er die Aufgaben und Befugnisse ausgestaltet. Macht eine Kassenärztliche Vereinigung hiervon Gebrauch, handelt sie rechtmäßig.

Es trifft auch nicht zu, dass die Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und nicht die Klägerin die Vertragserfüllung schuldet. Verpflichtet werden in erster Linie die teilnehmenden Hausärzte durch den Nachweis der Qualitätsanforderungen (§ 5 Vertrag) und die sich aus § 6 Vertrag ergebenden Verpflichtungen. Soweit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Entscheidungsbefugnisse über die Teilnahme zukommt (§ 4 Abs. 4 Vertrag) oder ein Verzeichnis über die Hausärzte führt (§ 10 Satz 1 Vertrag), geschieht dies im Auftrag des Klägers und der Betriebskrankenkasse. Auch soweit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen weitere Aufgaben zukommen (§ 7 Abs. 2 Satz 1 , § 7 Abs. 3 Satz 1 , § 7 Abs. 3 Satz 4 , § 7 Abs. 4 Satz 1 , § 8 Abs. 2 , § 11 Satz 1 , § 16 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 und § 17 ), ist dies im Hinblick darauf, dass diese Verträge für die Hausärzte abschließen kann, unerheblich. Auch zielte der Gesetzgeber, wie die zitierte Ausschussbegründung zeigt, gerade auf die Einbeziehung der Kassenärztlichen Vereinigung zu solchen Aufgaben.

Eine Verletzung der Vorrangstellung der Klägerin liegt nicht vor. Sie ist gerade selbst Vertragspartner des strittigen Vertrages. Eine Vorrangstellung eines Hausärzteverbandes wurde erst mit dem GKV-OrgWG eingeführt. Diese Neuregelung beseitigte faktisch die selektivvertragliche Organisation der hausarztzentrierten Versorgung und begründete ein Monopol der Allgemeinarztverbände (vgl. Adolf, in: jurisPK-SGB V, § 73b SGB V
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin überhaupt die Anforderungen nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V erfüllt. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V verfassungsgemäß ist (zum Problem vgl. Hencke, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung. SGB V, 19. Aufl., Stand: 72 Lfg. <01.07.2009>, § 73b, Rdnr. 8; Adolf, a.a.O., Rdnr. 30.3 ff.).
Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene hat einen Antrag gestellt und ist der Klage entgegen getreten. Von daher sind auch ihre Kosten zu erstatten.

RechtsgebietSGB 5Vorschriften§ 73b Abs 1 SGB 5 vom 26.03.2007, § 73b Abs 2 SGB 5 vom 26.03.2007, § 73b Abs 4 S 1 SGB 5 vom 15.12.2008, § 73b Abs 4 S 2 SGB 5 vom 15.12.2008, § 73b Abs 4 S 3 SGB 5 vom 15.12.2008, § 73b Abs 4a S 1 SGB 5 vom 15.12.2008, § 73b Abs 4a S 2 SGB 5 vom 15.12.2008, § 73b Abs 8 SGB 5 vom 22.12.2010, § 73b Abs 9 SGB 5 vom 22.12.2010, § 75 Abs 1 SGB 5 vom 26.03.2007

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr