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24.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111177

Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 24.02.2011 – 8 U 157/10

Die Vorschrift des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG schließt nicht ausnahmslos jede außerordentliche Kündigung durch den Versicherer aus.


8 U 157/10
In dem Rechtsstreit
K. J., ... in H.,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen B. ...
gegen
C. Krankenvers. a. G., Direktion ..., vertreten durch den Vorsitzenden, ... in D.,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro W. ...
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 10. August 2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 16.000 €.
Gründe
I. Der Kläger, pensionierter Polizist, unterhielt bei der Beklagten seit längerem eine private Krankenversicherung. Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 (Anlage K 4, gesondert geheftet) kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis unter Hinweis darauf, dass der Kläger in den Jahren 2007 und 2008 168 angebliche Medikamentenbezüge zur Abrechnung eingereicht habe, die Medikamente tatsächlich aber nicht bezogen worden seien. Mit gleichem Schreiben forderte sie zur Rückzahlung erbrachter Leistungen von 3.813,21 € auf.
Der Kläger erwiderte durch Anwaltsschreiben vom 9. Juli 2009 (Anlage K 5), dass aufgrund der schweren Erkrankung seit ca. Beginn 2007 Behörden und Versicherungsangelegenheiten durch seine Ehefrau wahrgenommen würden. Ab diesem Zeitpunkt habe er die Abrechnungen seiner Ehefrau lediglich hingenommen und auch ohne irgendeine Überprüfung gegengezeichnet. Sollten sich unberechtigte Zahlungen an ihn ergeben, so sei er auf jeden Fall bereit, eine entsprechende Rückzahlung zu tätigen. Sollte die Beklagte nicht aus Kulanzgründen den Vertrag einstweilen aufrecht erhalten, müsse sie ihn zumindest auf Grundlage des Basistarifs weiter versichern. Wenig später reichte er eine eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau vom 23. Juli 2009 (Anlage K 11, nicht unterzeichnet. Anlage B 1, unterzeichnet) ein. Darin heißt es, dass sie seit der Erkrankung ihres Ehemannes allein dafür zuständig gewesen sei, Rezepte bei der Beklagten einzureichen. Die Abrechnungen seien vollständig und alleinverantwortlich durch sie vorgenommen worden. Sei z. B. ein Rezept eingereicht worden mit drei Medikamenten und nur eines abgeholt worden, so habe sie die Preise und die PZNNr. der anderen beiden Medikamente hinzugefügt und das Rezept so eingereicht. Die von der Beklagten ausgezahlte Summe sei dann auf ein gemeinsames UndKonto überwiesen worden, über das sie, die Ehefrau, größtenteils alleine verfügt habe. Der Kläger habe ein eigenes weiteres Konto, auf das zu keinem Zeitpunkt Überweisungen von der Beklagten eingegangen seien. Dem Kläger habe sie erst im Juni 2009 von dieser Vorgehensweise berichtet.
Der Kläger hat gemeint, nicht gegen Versicherungspflichten verstoßen zu haben. Die Ergänzung der Rezepte habe die Ehefrau des Klägers ohne sein Wissen vorgenommen. Seine Ehefrau sei keine Repräsentantin. Der Nachweis einer Überzahlung sei nicht geführt, allenfalls in Höhe von 1.246,81 €, sodass der einbehaltene Differenzbetrag an ihn zurückzuzahlen sei. Zur Kündigung hat der Kläger gemeint, diese sei nach § 206 Abs. 1 VVG allgemein ausgeschlossen. Davon sei auch die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB erfasst.
Die Beklagte hat demgegenüber gemeint, ein Ausschluss jeglicher Kündigungsmöglichkeit habe nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen. Es habe auch ein wichtiger Grund für die Kündigung vorgelegen. Schon der Umstand, dass der Kläger selbst am 19. Juni 2006 die Beklagte aufgesucht habe, weil die Abrechnung für Mai noch nicht erfolgt gewesen sei, zeige, dass der Kläger sich selbst gekümmert habe. Weiter zeige sich dies daran, dass er verordnete Medikamente teilweise nie erworben habe. Jedenfalls sei ihm die Kenntnis seiner Ehefrau nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung zuzurechnen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Versicherungsvertrag sei durch die wirksame Kündigung der Beklagten vom 7. Juli 2009 beendet worden. Durch die Vorlage von insgesamt 47 gefälschten Rezepten in der Zeit von 2007 bis 2009 liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 314 BGB vor, wobei offenbleiben könne, ob der Kläger die Rezepte selbst gefälscht oder ob dies seine Ehefrau getan habe, denn der Kläger habe für das Handeln seiner Ehefrau als Repräsentantin einzustehen. Die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Beklagten habe der Kläger nach seinem eigenen Vortrag vollständig seiner Ehefrau überlassen. Bei der gebotenen Gesamtabwägung ergebe sich, dass der Beklagten die Fortsetzung des Vertrages unzumutbar sei. Zwar sei der Kläger insbesondere aufgrund seines Alters und seiner Krebserkrankung in besonderem Maße schutzwürdig. Dies rechtfertige jedoch keinen fortgesetzten Betrug. Bei der Gesamtabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger bei jedem anderen Versicherungsunternehmen eine Restkostenversicherung im Basistarif beantragen könne und sich dann auch in Zukunft nicht ohne Krankenversicherungsschutz befinde. Eine außerordentliche Kündigung sei auch nicht gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. ausgeschlossen. Die Vorschrift sei teleologisch zu reduzieren. Die Gesetzesbegründung stelle nur auf den Fall des Folgeprämienverzugs ab. Außerdem sei der Versicherer nach wie vor berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten sowie diesen wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Dieses Ergebnis entspreche auch der Wertung des Gesetzgebers in § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG n. F.
Der Kläger habe schließlich auch keinen Zahlungsanspruch. Den vereinzelnden Darlegungen der Beklagten dazu, welche Medikamente nicht bezogen worden seien, sei der Kläger nicht mit Substanz entgegengetreten.
Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Feststellungsantrag aufrecht erhält. Er wiederholt und vertieft dazu seinen erstinstanzlichen Vortrag. Vom absoluten Kündigungsverbot sei auch die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB erfasst. Für eine teleologische Reduktion sei kein Platz. Er verweist dazu weiter auf neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das vom Gesetzgeber mit der Reform verfolgte Ziel, alle in Deutschland lebenden Menschen dauerhaft und rechtssicher krankenzuversichern, sowie auf den Zweck der Sicherung der Altersrückstellung. Ein wichtiger Grund habe auch nicht vorgelegen, die Ehefrau sei auch nicht seine Repräsentantin gewesen. Jedenfalls habe das Landgericht über die Frage einer repräsentantenstellungsgleichen Verantwortlichkeit und Selbständigkeit Beweis erheben müssen. Er habe Beweis dafür angetreten, dass seine Ehefrau lediglich Belege gesammelt und diese in regelmäßigen Abständen übersandt habe. Schließlich rügt der Kläger die Abwägung durch das Landgericht sowie die Annahme, es habe vorliegend keiner Abmahnung bedurft.
Der Kläger beantragt - unter Abänderung des am 10. August 2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Hannover (Az.: 2 O 262/09) :
1. festzustellen, dass das Versicherungsverhältnis zwischen dem Berufungskläger und der Berufungsbeklagten unter der Versicherungsnummer ... über den 10.07.2009 hinausgehend fortbesteht,
2. die Berufungsbeklagte zur Zahlung der durch die vorgerichtlich entstandenen Kosten der Rechtsvertretung in Höhe von 937,05 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basisdiskontsatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, das angefochtene Urteil, die Beiakten der Staatsanwaltschaft Hannover 2021 Js 105434/09 und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1, 1. Alt., 546 ZPO), noch rechtfertigen die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, 2. Alt. ZPO). Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte nicht zu. Der Senat hält die Ausführungen im angefochtenen Urteil für zutreffend und schließt sich diesen an. Ergänzend und teilweise nur wiederholend merkt der Senat an:
1. Eine allgemeine Regelung für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund findet sich in § 314 BGB. Dauerschuldverhältnisse sind auch Versicherungsvertragsverhältnisse (BGH, NJW 1991, 1828, 1829 [BGH 27.03.1991 - IV ZR 130/90]). Speziellere Vorschriften innerhalb oder außerhalb des BGB gehen der Regelung zwar vor, essen ungeachtet kommt in Betracht, den Regelungsinhalt des § 314 BGB, insbesondere soweit er Nachfrist und Abmahnung vorsieht, auch auf die spezialgesetzlichen Regelungen anzuwenden (vgl. von Hase, NJW 2002, 2278).
Spezialgesetzlich und damit grundsätzlich vorrangig ist auch § 206 VVG n. F. Dort heißt es in Abs. 1 Satz 1:
"Jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt, ist durch den Versicherer ausgeschlossen."
Ein solcher Pflichtversicherungsvertrag nach § 193 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. liegt auch hier vor. insbesondere greift keiner der Ausnahmetatbestände nach § 193 Abs. 3 Satz 2 VVG n. F. Platz.
Vorgängervorschrift war die des § 178 i VVG a. F. Diese Regelung betraf freilich lange Zeit nur die ordentliche Kündigung. Diese Fassung des § 178 i wurde im Jahr 2007 durch Art. 43 Nr. 7 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, GKVWettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007, BGBl. I 378, dahingehend verschärft, dass jede Kündigung durch den Versicherer ausgeschlossen sein sollte. Diese Regelung, wie sie sich nunmehr in § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. findet, schließt nach ihrem Wortlaut jede Kündigung durch den Versicherer aus. Damit ist gegenüber einer Formulierung dahingehend, dass "die" Kündigung ausgeschlossen sein soll, nochmals eine Verstärkung des Bestandsschutzes der privaten Krankheitskostenversicherung zum Ausdruck gebracht worden.
Gegenstand von Auslegung ist zwar der Gesetzestext als "Träger" des gesetzgeberischen Willens. Daraus ergibt sich aber nicht, dass mit der Wortlautauslegung die Auslegung von Gesetzen regelmäßig ein Ende finden könnte. Der Wortlaut ist lediglich Ausgangs, nicht aber Endpunkt richterlicher Sinnesermittlung. Ob mit dem Wortlaut gleichzeitig die Grenze von zulässiger Auslegung abgesteckt wird, kann dahingestellt bleiben, weil es eine genaue Grenze des sprachlich möglichen Wortsinns im Regelfall nicht geben wird. Hier scheint zwar an sich der Wortsinn eindeutig zu sein, gleichzeitig lässt sich nicht verkennen, dass es Anhaltspunkte gibt anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Regelung in § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. anders gemeint haben könnte, als der Wortlaut für sich genommen dies ergibt. In dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 1. Februar 2007 (Drucks. 16/4247) heißt es auf Seite 68 zu der Neufassung des § 178 i VVG a. F.:
"Durch diese Regelung soll der Versicherungsschutz dauerhaft aufrecht erhalten werden. Bisher verlieren Versicherte häufig ihre Alterungsrückstellungen dadurch, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer Folgeprämie in Verzug sind. Dies ist nunmehr ausgeschlossen. Der Versicherer wird durch diese Regelung nur gering belastet, da der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 178 a Abs. 8 weitgehend ruht und während des Prämienzahlungsverzugs Säumniszuschläge geltend gemacht werden können."
Durch diese - insgesamt eher dürftige - Begründung relativiert sich der Wortlaut des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. Ausgeschlossen werden sollte danach der Verlust von Versicherungsschutz und der Rückstellungen für den Fall des Zahlungsverzugs des Versicherungsnehmers. Mehr ist mit der Begründung nicht gesagt, was allein durch ein Abstellen auf den vermeintlich klaren Wortlaut nicht unterlaufen werden darf. Mit diesem Zahlungsverzug, der auf Umständen beruhen kann, die der Versicherungsnehmer möglicherweise nicht zu vertreten hat, wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit, ist freilich die "Schlechterfüllung" des Versicherungsvertrages durch gezieltes betrügerisches Verhalten in keiner Weise zu vergleichen.
Es ist damit jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, das Kündigungsverbot auf die Kündigung wegen fehlender Prämienzahlung zu reduzieren mit der Folge, dass bei anderen, besonders gewichtigen Vertragsverletzungen, die Kündigung aus wichtigem Grund möglich bliebe. Im Schrifttum wird die Zulässigkeit einer solchen Reduktion insbesondere unter Verweis auf den (angeblich) klaren Wortlaut wohl überwiegend abgelehnt (vgl. Prölss/MartinVoit, VVG, 28. Aufl., § 206 Rdnr. 7 m. w. N., auch zur abw. (Minder)Meinung. außerdem - vermittelnd - Eichelberger, VersR 2010, 886 ff.. sowie - allerdings ohne nähere Begründung - Langheid, NJW 2007, 3745, 3749). demgegenüber im Ergebnis wie hier Langheid/Wandt/Hütt, VVG, § 206 Rdnr. 47 ff. m. w. N.).
Die Intention des Gesetzgebers, dass jedermann Zugang zu einer Krankheitskostenversicherung zu bezahlbaren Konditionen haben soll, erzwingt nicht die Auffassung eines absoluten und ausnahmslosen Kündigungsverbots. Zwar soll, wie es in dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit an genannter Stelle heißt, "der Versicherungsschutz dauerhaft aufrecht erhalten werden". Dies bedeutet aber noch nicht, dass der Versicherungsschutz auch bei schwersten Verletzungen von vertraglichen Pflichten dauerhaft beim gleichen Versicherer bestehen können soll und dieser damit gehindert sein soll, sich auch bei unstreitiger Unzumutbarkeit vom Versicherungsvertrag zu lösen. Auch für den Fall der - nur ganz ausnahmsweise zulässigen - außerordentlichen Kündigung ist der gekündigte Versicherungsnehmer nicht rechtlos gestellt. Er hat gegenüber jedem anderen Versicherer Anspruch nach § 193 Abs. 5 VVG n. F. auf Versicherung im Basistarif nach § 12 Abs. 1 a VAG.
Der Bestand eines angemessenen Versicherungsschutzes ist mithin auch im Falle einer Kündigung durch den Versicherer nicht gefährdet. Gerade weil diese Möglichkeit besteht, braucht es auch keine Reduktion des vollen Kündigungsrechts auf ein bloßes Recht zur Teilkündigung (dazu u. 3.).
Demgegenüber sind dem Senat keine (weiteren) Fälle bekannt, in denen ein Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses gezwungen würde, jedweder Vertragsverletzung auf unbeschränkte Dauer tatenlos zusehen zu müssen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich von dem selbst vertragsuntreuen Vertragspartner lösen zu können. Dies überraschte auch deshalb, weil der Gesetzgeber für den Fall des Prämienverzugs, den er möglicherweise allein der Fassung des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. zugrunde gelegt hat, das grundlegende Prinzip der (subjektiven) Äquivalenz (Larenz, Schuldrecht, Bd. I, Allg. Teil, 14. Aufl., S. 203) nicht völlig aufgegeben, sondern durchaus Sanktionsmöglichkeiten von Seiten des Versicherers vorgesehen hat (§ 193 Abs. 6 VVG n. F.). Dann müssen Sanktionsmöglichkeiten für den Fall noch schwerwiegenderer Pflichtverletzungen ´erst recht´ bestehen.
Eine auf enge Ausnahmefälle begrenzte teleologische Reduktion des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. steht auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses spricht zwar - ohne nähere Prüfung und Begründung - in seinem Urteil vom 10. Juni 2009 (VersR 2009, 957 [BVerfG 10.06.2009 - 1 BvR 706/08]) von einem ´absoluten Kündigungsverbot´. Die (einfachgesetzliche) Auslegung der Vorschrift ist aber nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte zu überprüfen, ob § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. Grundrechte der Versicherer verletzt. Dass es dies verneint hat, untersagt noch nicht unterschiedliche Auslegungen der Vorschrift, zumal das Bundesverfassungsgericht die hier in Rede stehende Frage des genauen Inhalts des Kündigungsverbots nicht problematisiert hat und ersichtlich auch nur den Fall des Prämienverzugs im Auge hatte (Rdnr. 36).
2. Wird danach von einem Recht des Versicherers zur außerordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages ausgegangen, liegen die Voraussetzungen eines solchen Kündigungsrechts vorliegend auch vor.
a) Der Senat geht dabei davon aus, dass sich der Kläger das - jedenfalls im Wesentlichen unstreitige - Verhalten seiner Ehefrau über die Rechtsfigur des Repräsentanten zurechnen lassen muss. Der Kläger hat eine Eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau vorgelegt und sich darauf bezogen. In dieser Eidesstattlichen Versicherung vom 23. Juli 2009 (Anlage B 1) heißt es u. a.:
"Seit der Erkrankung meines Ehemannes, Herrn K. J., habe ich es übernommen, die Abrechnungen mit der Krankenkasse meines Mannes vorzunehmen. Ich war alleine dafür zuständig, die Rezepte bei der C. Versicherung einzureichen. Die Abrechnungen wurden vollständig und allein verantwortlich durch mich vorgenommen."
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist Repräsentant, "wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist (...). Die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache reicht dabei nicht aus, um ein Repräsentantenverhältnis anzunehmen (...). Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln" (BGH, NJW 1989, 1861 [BGH 26.04.1989 - IVa ZR 242/87]).
Grundsätzlich ungenügend ist zwar die bloße Beauftragung mit der Schadensabwicklung. Dabei ist vorliegend aber zu beachten, dass es keine starre Definition des Repräsentantenbegriffs geben kann, sondern für die Zurechenbarkeit des Verhaltens Dritter dem Versicherungsnehmer gegenüber das konkrete Vertragsverhältnis mit seinen jeweiligen Pflichten maßgebend sein muss. Vergleichbar mit einer bloßen Schadensabwicklung bei der Sachversicherung hat der Versicherungsnehmer bei der privaten Krankheitskostenversicherung im Wesentlichen nichts anderes zu tun, als gegenüber seinem Versicherer Unterlagen einzureichen. In einem solchen Fall muss es für die Repräsentantenstellung genügen, wenn der Versicherungsnehmer eine dritte Person - nicht notwendigerweise ausdrücklich - beauftragt, selbständig diese Tätigkeit, die im Wesentlichen die Vertragsverwaltung ausmacht, für ihn zu übernehmen. Dass die Ehefrau des Klägers dies getan hat, ergibt sich nicht nur aus der vom Kläger in Bezug genommenen Eidesstattlichen Versicherung, sondern auch aus seinem Vortrag. Er hat bereits vorgerichtlich im Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2009 (Anlage BE 1, Bl. 141) vorgetragen:
"Die Abrechnungen wurden vollständig und verantwortlich durch die Ehefrau meines Mandanten gemacht und meinem Mandanten war zu keinem Zeitpunkt bekannt oder bewusst, dass hier zu hohe Beträge, wie von ihm behauptet, angegeben sein sollen. Dass der Kläger im Mai/Juni 2009 selbst bei der Beklagten vorstellig wurde, ändert nichts daran, dass in der Zeit vorher seine Ehefrau selbständig tätig geworden war."
Bestätigt wird dieser Vortrag durch den Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakten. Ermittelt wird in diesem Verfahren gegen den Kläger und dessen Ehefrau, die im noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren von der Klägervertreterin vertreten wird. Für die Ehefrau wird dort erklärt, sie räume den Tatvorwurf ein (BA Bl. 46), der - inzwischen anderweitig zum Basistarif versicherte - Kläger habe nichts gewusst (BA Bl. 47). Für den Kläger heißt es in den Ermittlungsakten, dieser habe nichts gewusst, erst im Mai 2009 habe er sich wieder um seine Belange kümmern können, erst im Juni 2009 habe er von den Manipulationen seiner Ehefrau erfahren (BA Bl. 189 191). Diese Aussage findet sich auch in einem Schreiben des Klägers an die Beihilfestelle vom 17. Dezember 2010 (BA Bl. 194, 195). Dem Vortrag der hiesigen Beklagten im Ermittlungsverfahren, der Kläger habe sich sehr wohl persönlich gekümmert (BA Bl. 177 ff.), wird für den Kläger widersprochen (BA Bl. 189 ff.). Ausweislich der in einem Sonderband der Ermittlungsakten befindlichen Beihilfeanträge hat die Ehefrau diese sämtlich unterschrieben.
Einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin bedurfte es nicht. Die Berufungsbegründung (Bl. 104) macht schon nicht ausreichend klar, worüber die Ehefrau genau aussagen soll. Ob sie Repräsentantin war, ist eine Rechtsfrage. Der Vortrag des Klägers, er habe seiner Ehefrau keine alleinige Verfügungsbefugnis eingeräumt, ist ungenügend. Welche Abreden getroffen worden sind, wird gerade nicht dargelegt. Hier wie auch sonst ersetzen Beweisangebote den Sachvortrag nicht. Wann er selbst mit der Beklagten korrespondiert haben will, trägt er gleichfalls nicht vor. Für die Zeit Mai/Juni 2009 ist dies unstreitig, aber auch ohne Aussagekraft, weil der Betrug gegenüber der Beklagten nach rund zwei Jahren zu dieser Zeit bereits ein Ende gefunden hatte.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es auch nicht der vorherigen Abmahnung. Grundsätzlich ist zwar die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig, § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB. Es gilt allerdings auch, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt, § 323 Abs. 2 BGB entsprechend. Dem Verweis ist zu entnehmen, dass bei Vorliegen besonderer Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt bzw. die sofortige Kündigung rechtfertigen, eine Fristsetzung/Abmahnung entbehrlich ist. Von dieser Entbehrlichkeit ist auch vorliegend auszugehen, weil der Kläger bzw. eine dritte Person in zurechenbarer Weise vorsätzlich und in strafwürdiger Weise sich über einen Zeitraum von rund zwei Jahren Leistungen im Umfang von mehreren tausend Euro aus dem Vertrag erschlichen hat, die er zudem nach Aufdeckung des Betrugs auch nicht zurückzahlen wollte. Dass es die Ehefrau des Klägers gewesen sein mag, die die Rezepte gefälscht hat, ändert nichts, weil die Beklagte dies nicht erkennen konnte und auch nicht abschließend prüfen musste, ob der Kläger oder in zurechenbarer Weise eine dritte Person die Rezepte gefälscht hatte.
c) Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der weiteren Aspekte, dass die Beklagte in dem Massengeschäft der privaten Krankheitskostenversicherung nicht alle Unterlagen sorgfältig überprüfen kann, und dass außerdem der Kläger sich nach dem Basistarif neu versichern kann, erscheint auch die Abwägung, dass das Interesse des Versicherers an einer kurzfristigen Beendigung des Versicherungsverhältnisses überwiegt, zutreffend (s. a. LG Essen, 1 O 88/04, Urteil vom 3. November 2004, zit. nach juris). Wer Straftaten zu Lasten seines Vertragspartners begeht, ist grundsätzlich nicht schutzwürdig. Auch ein Verlust der Alterungsrückstellung, über deren Höhe nichts mitgeteilt worden ist, rechtfertigt daher keine abweichende Beurteilung. Der Kläger hat auch nicht einmal behauptet, dass die Begehung von Straftaten gegenüber der Beklagten zur Überwindung wirtschaftlicher Not geschah. Wer ausnahmslos dem Versicherer das Recht zur außerordentlichen Kündigung abspricht, zwingt diesen dazu, tatenlos dem Betrug zuzusehen und bestenfalls, soweit er die Taten entdeckt, einen Anspruch auf Rückforderung geltend zu machen, dessen Werthaltigkeit im Einzelfall sehr zweifelhaft sein kann, so dass der Versicherer auch noch das Insolvenzrisiko des Betrügers tragen muss.
3. Schließlich muss die Beklagte sich auch nicht darauf verweisen lassen, den Kläger zum Basistarif weiter zu versichern. Die außerordentliche Kündigung ist als Globalkündigung zulässig. Die mündliche Verhandlung vor dem Senat hat gezeigt, dass ein solcher vermittelnder Weg, wie er im Schrifttum etwa von Eichelberger (aaO.) vorgeschlagen worden ist, schon kaum praktische Bedeutung haben dürfte. Kaum ein ´ertappter´ Versicherungsnehmer wird zum bloßen Basistarif, der ihm bei allen Versicherern offensteht, gerade bei seinem bisherigen Versicherer versichert bleiben wollen. Der Kläger jedenfalls hat auf Nachfrage gegenüber dem Senat erklärt, kein Interesse daran zu haben, zum Basistarif das Vertragsverhältnis mit der Beklagten fortführen zu wollen, was in Anbetracht des belasteten Verhältnisses auch nicht verwundern kann. Aus juristischer Sicht spricht für die Globalkündigung nicht nur, dass sie die konsequente Fortsetzung des obigen Ansatzes ist, sondern auch, dass sich dafür in § 193 Abs. 5 VVG n. F. ein Argument findet. Danach ist nämlich der Versicherer in den dort (Satz 4) genannten Fällen erheblicher Pflichtverletzung des potenziellen Versicherungsnehmers (Antragstellers) gegenüber dem Versicherer berechtigt, den Antrag auf Abschluss eines Vertrages im Basistarif abzulehnen, wobei diese ´versichererfreundliche´ Regelung zugleich dafür spricht, dass der Gesetzgeber ungeachtet des Wortlauts des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG n. F. Versicherer nicht schutzlos lassen wollte gegenüber schweren Pflichtverletzungen von Versicherungsnehmern.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision wird zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO dafür vorliegen. Nach Ansicht des Senats hat die Frage der Kündbarkeit grundsätzliche Bedeutung.

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