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16.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111989

Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 09.06.2010 – 5 W 15/10

Nach Art. 1 Abs. 2 a EuGVVO ist die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Titeln über erbrechtliche Ansprüche über das Verfahren der EuGVVO nicht möglich. Der Ausschluss beschränkt sich nicht auf erbrechtliche Streitigkeiten im Zuständigkeitsbereich des Nachlassgerichts, sondern bezieht sich auch auf klassische zivilrechtliche Erbrechtsstreitigkeiten, in denen über die Erbenstellung, den Erbschaftsanteil und den Nachlasswert gestritten wird.


5 W 15/10

In Sachen

wegen Vollstreckbarerklärung

Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Vorsitzenden der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 01.04.2010 - 3 O 76/10 - aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung für das Zivilurteil Nummer 10.262/2007 des Judecatoria Cluj (Gericht 1. Instanz des Kreises Cluj/Rumänien) vom 19.12.2007 als unzulässig abgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe
I. Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner und dessen beide Schwestern in Rumänien einen Zivilrechtsstreit geführt, in dem er gegen diese als Sohn des am 2. August 1980 verstorbenen A Beteiligung am Nachlass des gemeinsamen Vaters geltend gemacht hat.

Durch Urteil des Gerichts des Kreises Cluj-Napoca/Rumänien vom 19.12.2007 wurden dem Antragsteller gegen den Antragsgegner und seine Schwestern Ansprüche auf den Nachlass zugesprochen und diese zur Zahlung von 228.689,93 Lei, entsprechend 55.908, 80 €, verurteilt.

Nach Zahlung eines Betrages von 201.782,40 Lei durch die Schwester des Antragsgegners Irina Nemes sind noch 26.907,53 Lei, entsprechend 6.578,19 €, offen.

Auf Antrag des Antragstellers hat das Landgericht Ulm durch Beschluss vom 1.4.2010 aufgrund der EuGVVO sowie des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes AVAG wie folgt entschieden:

"Das Zivilurteil des Judecatoria Cluj-Napoca/Rumänien vom 19.12.2007, Az. 10.262/2007, ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.

Die zu vollstreckende Entscheidung lautet:

- Der Verklagte (Antragsgegner) wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer (Antragsteller) den Betrag von 228.300 Lei zu bezahlen.

- Der Verklagte (Antragsgegner) wird verpflichtet, an den Beschwerdeführer (Antragsteller) den Betrag von 389,93 Lei als Urteilskosten zu bezahlen.

Mit seiner Beschwerde vom 12.04.2010 macht der Antragsgegner geltend, eine Vollstreckbarerklärung auf der Grundlage der EuGVVO scheide schon deshalb aus, weil gem. Art. 1 Abs. 2a erbrechtliche Forderungen aus dem Anordnungsbereich der EuGVVO ausgenommen seien. Das Gericht von Cluj-Napoca habe deshalb keine Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO ausstellen und das Landgericht Ulm keinen darauf aufbauenden Beschluss über die Vollstreckbarkeit des rumänischen Urteils in Deutschland erlassen dürfen.

Auch sei das rumänische Urteil mit dem ordre public nicht vereinbar.

Der Antragsteller sei über 20 Jahre nach dem Tod seines Vaters plötzlich aufgetaucht und habe einfach behauptet, er gehöre zur Familie. Das rumänische Gericht habe die Vaterschaft des Erblassers ohne gutachterliche Überprüfung und nur gestützt auf Vermutungen und widersprüchliche Zeugenaussagen festgestellt. Das Urteil, in dem die Vaterschaft festgestellt worden sei, sei ihm auch nicht zugestellt worden. Es verstoße daher gegen verfahrensrechtliche Grundsätze und weiche gravierend von einem rechtsstaatlichen Verfahren ab.

Der Nachlass habe im Übrigen im wesentlichen aus einem Grundstück bestanden, das zum Zeitpunkt des Todes im Jahr 1980 als Garten ausgewiesen gewesen sei und deshalb nur einen niedrigen Verkehrswert gehabt habe. Bei der Feststellung der Erbanteile des Antragstellers im Jahr 2007 sei das rumänische Gericht jedoch von dem aktuellen Verkehrswert des Grundstücks ausgegangen, das inzwischen als Baugrundstück ausgewiesen sei, weshalb der Wert mindestens 100-fach höher gelegen habe als zum Zeitpunkt des Erbfalls. Da er auf das Erbe im Jahr 1980 verzichtet habe, habe er von der Steigerung des Verkehrswertes nicht profitieren können. In der Verurteilung auf der jetzigen Wertbasis liege deshalb ebenfalls ein Verstoß gegen den ordre public des § 328 Abs.1 Nr. 4 ZPO.

II. Das Rechtsmittel des Antragsgegners ist zulässig und begründet.

1. Nachdem das Landgericht seine Entscheidung auf die Vorschriften der EuGVVO gestützt hat, ist gem. §§ 11 ff. des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil und Handelssachen vom 19. 02.2001 (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG - BGBl. 2001 I S. 288) die Beschwerde zulässiges Rechtsmittel.

Dieses Rechtsmittel hat der Antragsgegner innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist des § 11 Abs. 3 AVAG eingelegt.

Sein Rechtsmittel ist damit zulässig.

2. Über die Beschwerde des Antragsgegners ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats zu § 568 ZPO durch Senatsentscheidung und nicht durch Einzelrichterentscheidung zu befinden. Einzelrichterzuständigkeit besteht nicht, da der in erster Instanz entscheidende Vorsitzende der Zivilkammer des Landgerichts nicht als Einzelrichter im Sinne von § 348 ZPO, sondern kraft besonderer Zuständigkeitszuweisung auf der Grundlage der EuGVVO entschieden hat.

3. Die Beschwerde des Antragsgegners ist auch begründet. Der vom Antragsteller gestellte Antrag scheitert, wie der Antragsgegner zu Recht rügt, bereits daran, dass die Vollstreckbarerklärung des streitgegenständlichen rumänischen Urteils nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO fällt. Es handelt sich um eine Streitigkeit auf dem Gebiet des Erbrechts, auf die die EuGVVO gemäß Art. 1 Abs. 2 a nicht anwendbar ist.

a) Mit der in Rumänien verfolgten Klage hat der Antragsteller die Zahlung seines Anteils aus der Erbschaft des A. geltend gemacht. Der - aufgrund schlechter Übersetzung teilweise nur schwer verständlichen - Übersetzung des Urteils des rumänischen Gerichts ist dabei zu entnehmen, dass Streit zum einen darüber bestand, ob der Antragsteller Sohn des Erblassers und damit gesetzlicher Erbe ist, zum anderen bestand Streit über den Wert des Nachlasses und den daraus resultierenden Anspruch des Antragstellers der Höhe nach.

Damit handelt es sich um eine klassische Streitigkeit auf dem Gebiet des Erbrechts im Sinne der genannten Vorschrift der EuGVVO, die damit von der Anwendung der EuGVVO ausgenommen ist.

b) Soweit der Antragsteller meint, der Ausschluss der Anwendbarkeit aufgrund dieser Vorschrift beschränke sich auf erbrechtliche Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der Nachlassgerichte, also nach den §§ 72 FGG bzw. nun den §§ 342ff FamFG, so kann dem nicht gefolgt werden.

Eine solche Beschränkung kann dem autonom auszulegenden Wortlaut der EuGVVO, die sich naturgemäß nicht an Regeln nationaltypischen Rechtsaufbaus orientiert, nicht entnommen werden.

Der Begriff "Gebiet des Erbrechts" i.S.d. EuGVVO ist vielmehr in weiterem Sinne zu verstehen. Er bezieht sich zwar auch auf die in der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelten Fälle, aber nicht nur auf diese, sondern auch auf die klassischen erbrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeiten.

Dies ist einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur. Dabei wird angeknüpft an die Vorschrift des § 27 ZPO, wonach unter Erbschaftsstreitigkeiten insbesondere die Fälle zu verstehen sind, die sich auf die Feststellung des Erbrechts, auf Ansprüche des Erben gegen den Erbschaftsbesitzer, auf Pflichtteilsansprüche oder Klagen, die die Teilung der Erbschaft zum Gegenstand haben, fallen.

Nach der Kommentarliteratur werden deshalb vom Ausschluss der EuGVVO z.B. alle Ansprüche aus dem Nachlass und an ihm erfasst, die eine erbrechtliche An spruchsgrundlage haben, (so Schlosser, EU-ZivilprozessR, 3. Aufl., Art. 1 EuGVVO Rn 18; ähnlich Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. Art. 1 Rn. 28 und Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl.: "alle Ansprüche des Erben auf und an dem Nachlass").

Für die Auffassung des Antragstellers findet sich keine Stütze.

3. Der vom Antragsteller auf der Grundlage der EuGVVO und des AVAG verfolgte Antrag ist daher unzulässig (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 23.10.2003, 5 W 37/03). Für die Anerkennung und Vollstreckung erbrechtlicher Titel aus Rumänien besteht auch kein vereinfachtes Verfahren auf der Grundlage der §§ 1 ff. AVAG oder vergleichbarer Vorschriften. Ebenso wenig existiert ein zweiseitiges Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von solchen Entscheidungen.

Eine Umdeutung in eine Klage gemäß § 328 ZPO kommt nach der Rechtsprechung des BGH nicht in Betracht (Beschluss vom 16.05.1979, VIII ZB 41/77, NJW 1979, 2477; Beschluss vom 27.10.1994, IX ZB 39/94, NJW 1995, 264), der auch die herrschende Lehre (vgl. MünchKomm-ZPO/Gottwald, 3. Aufl., Art. 41 EuGVVO Rn. 7; Geimer/Schütze aaO. Art. 41 EuGVVO Rn. 18; a.A. Zöller/Geimer, ZPO, 27. Aufl., Art. 41 EuGVVO Rn. 4) und der Senat folgt, weil sich die Verfahrensarten und die Rechtszüge grundlegend unterscheiden. Dem Antragsteller bleibt unbenommen, ggfs. im ordentlichen Zivilprozess gemäß § 328 ZPO Klage zu erheben.

4. Unabhängig von diesen Fragen wird darauf hingewiesen, dass eine Vollstreckbarerklärung nur hinsichtlich des noch offenen Teils der Forderung in Betracht kommt.

Soweit erfüllt ist, muss dem bereits in der Antragstellung Rechnung getragen werden.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

RechtsgebietEuGVVOVorschriftenArt. 1 Abs. 2a EuGVVO

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