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11.05.2011

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 16.12.2010 – 15 Sa 1516/10


Tenor:

Die Berufungen von Kläger und Beklagter gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.03.2010 - 3 Ca 1983/09 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 2/3, die Beklagte zu 1/3.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit einer fristlosen sowie einer weiteren fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

Der 42-jährige Kläger ist geschieden, jedenfalls einem in der Lohnsteuerkarte 2009 eingetragenen Kind, nach klägerischer Behauptung zwei Kindern zum gesetzlichen Unterhalt verpflichtet und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50 und dem Zusatzvermerk "G". Die Fußbehinderung bereitet dem Kläger verschiedentlich Schmerzen unterschiedlicher Weise und Intensität.

Seit März 1988 war der Kläger bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie, das derzeit regelmäßig etwa 600 Arbeitnehmer beschäftigt, als Schweißer tätig, zuletzt zu einem durchschnittlichen Bruttoentgelt von monatlich 3.312,74 EUR einschließlich einer Akkordzulage.

Wegen Nichteinhaltung von Arbeitsanweisungen erteilte die Beklagte dem Kläger im Jahr 2007 zwei schriftliche Abmahnungen, für deren Inhalte im Einzelnen auf die entsprechenden überreichten Kopien (Bl. 63, 64 d.A.) verwiesen wird.

Am 27.05.2009 traten während der Tätigkeit des Klägers Störungen an einem Schweißroboter auf, die der Kläger selbst nicht beseitigen konnte. Für Abhilfe sorgte der Programmierer B1, der hierfür jedenfalls eine Stunde benötigte. B1 bescheinigte dem Kläger wegen der Maschinenstörung dementsprechend eine Zeitlohnstunde.

Gegen Schichtende um 14.00 Uhr kam es zwischen dem Kläger und dem für die Genehmigung von Zeitlohnstunden zuständigen Schichtleiter G1 zu einem streitig geführten Gespräch, innerhalb dessen der Kläger eine Zeitgutschrift für insgesamt zwei Stunden wegen der Störungen am Schweißroboter verlangte. Der Schichtleiter lehnte die Gutschrift einer zweiten Stunde mangels Begründung durch den Kläger ab. Im Verlauf des Streitgesprächs zerknüllte der verärgerte Kläger den Beleg über die Zeitgutschrift und warf ihn auf den Boden. Die weiteren Einzelheiten der verbalen Auseinandersetzung sind streitig.

Der Kläger entfernte sich und zog sich um. Während der nachfolgenden Nachtschicht meldete sich der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf einen beabsichtigten Arztbesuch für die Frühschicht des 28.05.2009 ab.

Der am 28.05.2009 aufgesuchte Arzt bescheinigte dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeit für den 28. und 29.05.2009; die entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reichte der Kläger bei der Beklagten ein.

Unter dem 29.05.2009 beantragte die Beklagte bei dem LWL-Integrationsamt Westfalen, Münster, die Zustimmung zur außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Am Nachmittag des 15.06.2009 übermittelte das LWL-Integrationsamt-Westfalen der Beklagten durch Telefonat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung; ein entsprechendes Telefax erhielt die Beklagte am 16.06.2009 gegen 11.00 Uhr. Die schriftliche Begründung der Entscheidung erfolgte unter dem 18.06.2009. Zugleich erteilte das LWL-Integrationsamt unter dem 18.06.2009 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Für die weiteren Einzelheiten der schriftlichen Entscheidungen wird auf Bl. 65 - 70 d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 02.06.2009 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Für die Einzelheiten des Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 72, 73 d.A. verwiesen.

Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 04.06.2009 (Bl. 75, 76 d.A.) der in Aussicht genommenen außerordentlichen fristlosen, ersatzweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 (Bl. 3 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

Mit weiterem Schreiben vom 22.06.2009 (Bl. 9 d.A.) sprach die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2009 aus.

Mit seiner am 18.06.2009 beim Arbeitsgericht Bielefeld eingereichten Feststellungsklage sowie der am 25.06.2009 eingereichten Klageerweiterung hat sich der Kläger gegen beide Kündigungen gewandt.

Er hat vorgetragen, den Schichtleiter G1 am 27.05.2009 nicht mit dem Hinweis unter Druck gesetzt zu haben, er werde am Folgetag krank sein, wenn der Schichtleiter ihm nicht eine weitere Stunde an Zeitgutschrift gebe. Er habe bereits gegen Schichtende des 27.05.2009 starke Schmerzen verspürt und dies auch möglicherweise dem Schichtleiter mitgeteilt. Dies könne - so der Kläger im Kammertermin vom 24.03.2009 - der bei dem Gespräch mit dem Schichtleiter anwesende Zeuge Ö1 bestätigen. Missverständnisse könnten auf Sprachschwierigkeiten beruhen. Auch anderen Mitarbeitern gegenüber habe er am 27.05.2009 von Schmerzen gesprochen und davon, dass er bei Verschlimmerung den Arzt aufsuchen müsse. Tatsächlich, so hat der Kläger behauptet, habe sich sein Gesundheitszustand im Verlaufe des 27.05.2009 verschlimmert. Schließlich habe sich der Schichtleiter G1 auch zu Unrecht geweigert, ihm eine weitere zweite Stunde gutzuschreiben. Der Mitarbeiter B1 habe ihn, den Kläger, zum Schichtleiter geschickt mit dem Hinweis, er könne und solle sich zwei Stunden an Zeitgutschrift bescheinigen lassen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 16.06.2009 - zugegangen am selben Tag mit sofortiger Wirkung beendet worden ist, nicht durch andere Beendigungstatbestände endet oder geendet hat, sondern unverändert fortbesteht;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 22.06.2009 zum 31.10.2009 beendet wird, nicht durch andere Beendigungstatbestände endet oder geendet hat, sondern unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kündigung sei berechtigt; jedenfalls sei die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung vom 22.06.2009 wirksam. Der Inhalt der Gespräche des Klägers am 27.05.2009 mit dem Schichtleiter G1 und dem Programmierer B1 seien allein so zu verstehen gewesen, dass der Kläger eine Zeitgutschrift habe erzwingen wollen. Zu keiner Zeit habe der Kläger darauf hingewiesen, dass er tatsächlich Schmerzen habe und zum Arzt gehen wolle, wenn sich diese verschlimmerten.

Die Kammer des Arbeitsgerichts hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Schichtleiters G1, des Programmierers B1 und des Abteilungsleiters S2 als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.03.2010 (Bl. 163 - 167 d.A.) verwiesen.

Mit Urteil vom 24.03.2010 hat das Arbeitsgericht Bielefeld der Feststellungsklage gegen die fristlose Kündigung vom 16.06.2009 stattgegeben und den weitergehenden Kündigungsschutzantrag abgewiesen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das erstinstanzliche Gericht zunächst ausgeführt, der Vorfall vom 27.05.2009 liefere keinen wichtigen Grund für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Zwar habe eine Pflichtverletzung des Klägers durch Ankündigung einer Krankschreibung für den Fall vorgelegen, dass eine Zeitgutschrift für eine zweite Stunde nicht erfolgen würde. Unter Berücksichtigung der vorzunehmenden Interessenabwägung und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der tatsächliche Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit nicht zu widerlegen sei, rechtfertige sich keine fristlose, wohl aber eine ordentliche Kündigung. Für das Arbeitsgericht hat nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme festgestanden, dass der Kläger gegenüber dem Schichtführer G1 im Zusammenhang mit der Aufforderung, ihm eine zweite Stunde an Arbeitszeit gutzuschreiben, erklärt habe, er werde sowieso morgen krank. Dies sei als Druckmittel zu verstehen gewesen, die Gutschrift doch noch zu gewähren. Die Äußerung, am Folgetag krank zu sein, hätten sowohl der Zeuge G1 wie auch der Zeuge S2 als Druckmittel verstanden. Der Schichtleiter sei unmissverständlich von einer Drohung mit einer Krankschreibung ausgegangen. Auf (zunehmende) Schmerzen habe der Kläger nicht hingewiesen. Der Zeuge Ö1 sei nicht zu vernehmen gewesen. Der Kläger sei nämlich dem Vorbringen, Ö1 habe wegen mangelnder Sprachkenntnisse den Gesprächsverlauf nicht deutlich verstehen können, nicht entgegengetreten und habe auch nicht behauptet, Ö1 hätte einen Hinweis auf tatsächlich bestehende Schmerzen bekunden können. Zudem sei der Beweisantritt Ö1 gemäß § 282 ZPO verspätet erfolgt. Gleichwohl rechtfertige die Drohung des Klägers keine fristlose Kündigung, denn die unberechtigte Herbeiführung einer Krankschreibung für zwei Tage sei nicht feststellbar gewesen, und zwar insbesondere wegen des unstreitigen Grundleidens des Klägers. Auch seien zugunsten des Klägers seine längere Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten zu berücksichtigen. Die Pflichtverletzung rechtfertige jedoch eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. Der Kläger habe gegenüber seinem vorgesetzten Schichtleiter nicht den Grund für eine weitere Zeitgutschrift genannt. Ein solcher habe ihm auch nicht aus seiner subjektiven Sicht gewährt werden müssen. Gegen eine Pflichtverletzung spreche auch nicht, dass der Kläger am 27.05.2009 möglicherweise bereits unter Schmerzen gelitten habe, denn er habe auf solche zu keiner Zeit hingewiesen. Die Abmahnungen zur Nichteinhaltung von Arbeitsanweisungen wiesen einen sachlichen Zusammenhang mit dem Kündigungssachverhalt auf und ließen ein Beharren des Klägers auf vermeintlichen Rechten bzw. ein beharrliches Ignorieren von Anweisungen erkennen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird verwiesen auf Bl. 177 - 189 d.A..

Der Kläger hat gegen das ihm am 29.04.2010 zugestellte Urteil am 31.05.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29.07.2010 am 29.07.2010 eingehend begründet.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.05.2010 zugestellte Urteil am 31.05.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 29.06.2010 eingehend begründet.

Der Kläger wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit dieses die Klage gegen die fristgemäße Kündigung vom 22.06.2009 abgewiesen hat.

Er trägt vor:

Es gebe erhebliche Verständigungsschwierigkeiten, sich mit ihm in deutscher Sprache zu unterhalten. Deshalb hätte das Gericht den tatsächlichen Sachverhalt weiter aufklären und insbesondere ihn persönlich zu Ablauf, Anlass und Hintergrund des Gesprächs vom 27.05.2009 befragen müssen.

Nicht zutreffend sei die Annahme, er habe nicht behauptet, dass der Zeuge Ö1 einen Hinweis auf tatsächlich bestehende Schmerzen seinerseits hätte bekunden können. Das Gegenteil sei richtig und von ihm im Schriftsatz vom 09.10.2009 vorgetragen worden. Der Zeuge Ö1 habe dem Gespräch zwischen ihm, dem Kläger und dem Schichtführer auch beigewohnt. Ö1 spreche so gut oder schlecht deutsch wie er.

Wenn er vortrage, mit dem Zeuge K2 vor dem streitigen Vorfall gesprochen zu haben, sei er ausdrücklich dem Vortrag der Beklagten entgegen getreten, der Zeuge sei an diesem Tag nicht da gewesen.

Die Beklagte habe den Betriebsrat fehlerhaft angehört, weil sie diesem nicht mitgeteilt habe, dass aus seiner Sicht er anderen Mitarbeitern gegenüber bereits über bestehende Schmerzen gesprochen und wegen dieser in Aussicht gestellt habe, am darauffolgendem Tat möglicherweise arbeitsunfähig krank zu sein.

Der Kläger beantragt,

1. die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.03.2010, 3 Ca 1983/09, zurückzuweisen;

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.03.2010, 3 Ca 1983/09, abzuändern, soweit es die Klage gegen die fristgemäße Kündigung vom 22.06.2009 abgewiesen hat und nach den erstinstanzlichen Anträgen des Klägers zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

1. die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.03.2010, 3 Ca 1983/09, zurückzuweisen;

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.03.2010, 3 Ca 1983/09, abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts, soweit es die gegen die fristgemäße Kündigung vom 22.06.2009 gerichtete Klage abgewiesen hat.

Hingegen hält die Beklagte das erstinstanzliche Urteil insoweit für unzutreffend, als es die fristlose Kündigung mangels eines wichtigen Grundes für nicht gerechtfertigt hält.

Die vom Arbeitsgericht durchgeführte Interessenabwägung sei fehlerhaft. Ihre Interessenlage, das Arbeitsverhältnis zu beenden, sei vorrangig. Der Vorwurf gegenüber dem Kläger sei gravierend und berühre nachhaltig den erforderlichen Vertrauensbeweis in die Ehrlichkeit und Redlichkeit des Klägers. Zu Lasten des Klägers spreche sein früheres Verhalten während der (nur) elfjährigen Betriebszugehörigkeit. Wenn das Arbeitsgericht die Interessenabwägung auf die Unterhaltspflichten für zwei Kinder stützen wolle, hätte es Beweis erheben müssen. Unzutreffend habe das Arbeitsgericht angenommen, dass der tatsächliche Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht zu widerlegen sei. Denn aufgrund der gesamten Einzelfallumstände sei davon auszugehen gewesen, dass die Arbeitsunfähigkeit unberechtigt herbeigeführt und der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei, zumal der Kläger angebliche akute Schmerzen niemandem gegenüber erwähnt hätte. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB seien aber auch bereits dann erfüllt, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Klägers für den 28./29.05.2009 vorgelegen hätte. Der Vorwurf betreffe nämlich nicht eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Klägers, sondern dessen Drohung mit dem Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit, sofern die zweite Zeitstunde nicht bewilligt werde.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit es die Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung annimmt, als zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 16.12.2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.03.2010 sind gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden; sie sind jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht zu einen die Feststellung getroffen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 16.06.2009 aufgelöst worden ist (1.) und zum anderen die Feststellungsklage gegen die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 22.06.2009 abgewiesen (2.).

1. Die Berufung der Beklagten hatte in der Sache keinen Erfolg. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 16.06.2009 vermochte das Arbeitsverhältnis nicht rechtswirksam aufzulösen.

Zwar hat der Kläger eine grobe und erhebliche Pflichtwidrigkeit zu Lasten der Beklagten begangen. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung war jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles das Interesse des Klägers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung als überwiegend anzuerkennen.

a) Grundsätzlich ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündbar, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vollzieht sich dabei die Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund darstellt, in zwei Stufen. Zunächst ist zu prüfen, ob gemäß § 626 Abs. 1 BGB ein Umstand vorliegt, der einen "wichtigen Grund" im Sinne dieser Vorschrift "an sich" darstellt. Ist dies der Fall, bedarf es in einem weiteren Schritt der Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist oder nicht.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bereits die Ankündigung einer Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem unberechtigten Verlangen auf Gewährung von Urlaub nicht entsprechen sollte, ohne Rücksicht auf eine spätere tatsächlich eintretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (BAG vom 05.11.1992 - 2 AZR 147/92, NZA 1993, 307; BAG vom 17.06.2003 - 2 AZR 123/02, NZA 2004, 564; BAG vom 12.03.2009 - 2 AZR 251/07, NZA 2009, 779). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer andere Vorteile, wie etwa eine bezahlte oder unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht oder - wie im vorliegenden Fall - eine Zeitgutschrift erstrebt ohne Rücksicht darauf, ob eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorliegt. Denn der Arbeitnehmer bringt mit einer solchen Ankündigung einer Krankschreibung pflichtwidrig zum Ausdruck, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Damit verletzt der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich wird das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt (BAG vom 12.03.2009, a.a.0.).

Hingegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber nicht berechtigt, diese zu verlangen. Weist ein objektiv erkrankter Arbeitnehmer den Arbeitgeber nach Ablehnung eines kurzfristig gestellten Gesuchs auf Urlaub oder Erteilung einer Zeitgutschrift darauf hin, "dann sei er eben krank", schließt dies eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zwar nicht von vornherein aus. Der Arbeitnehmer darf nämlich auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung aus Gründen des bestehenden Rücksichtnahmegebots die Krankheit dem Arbeitgeber gegenüber nicht als Druckmittel einsetzen. Doch wiegt in einem solchen Fall eine mit der Erklärung verbundene Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig weniger schwer (BAG vom 12.03.2009, a.a.0.).

Liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich vor, kann eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nur dann wirksam beenden, wenn bei einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles das sofortige Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Einzubeziehen in die Interessenabwägung sind etwa bestehende Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und der Familienstand, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreie Bestandszeit, eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers sowie die Umstände der begangenen Pflichtwidrigkeit.

b) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze war zunächst davon auszugehen, dass der Kläger eine grobe und schwerwiegende Pflichtverletzung seines Arbeitsverhältnisses dadurch begangen hat, dass er anlässlich der Aufforderung zur Vornahme einer Gutschrift von zwei Arbeitsstunden gegenüber dem vorgesetzten Schichtführer G1 erklärte, er werde sowieso morgen krank, und dass der Kläger diese Aussage als Druckmittel einsetzte, die Zeitgutschrift zu erlangen.

aa) Das Arbeitsgericht ist nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen G1, B1 und S2 und sorgfältiger Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger seine Krankschreibung für den Fall ankündigte, dass eine Zeitgutschrift für eine zweite Stunde nicht erfolgen sollte. Die Beklagte hat sich gegen die Würdigung der Zeugenaussage in der Berufung nicht gewandt. Das Berufungsgericht hatte daher in seiner Verhandlung und Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen waren nicht erkennbar, vgl. § 529 Abs. 1 ZPO.

bb) Das Rechtfertigungsvorbringen des Klägers zu einer bereits am 27.05.2009 vorliegenden Erkrankung greift nicht.

Zwar obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines die Kündigung begründenden Sachverhalts. Es kann von ihm indes nicht verlangt werden nachzuweisen, dass irgendeine Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung einer künftigen Krankmeldung überhaupt nicht vorgelegen haben kann. Deshalb muss der Arbeitnehmer zunächst vortragen, welche konkreten Erkrankungen bzw. Krankheitssymptome im Zeitpunkt der Ankündigung der Krankschreibung vorgelegen haben und weshalb er darauf schließen durfte, auch darüber hinaus arbeitsunfähig zu sein.

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht auch insoweit fest, dass der Kläger nicht darauf hingewiesen hat, sich tatsächlich krank zu fühlen. Ebenso wenig hat er nach übereinstimmender Aussage der Zeugen G1, B1 und S2 über (zunehmende) Schmerzen gesprochen.

Darüber hinaus war eine Vernehmung der Zeugen Ö1 und K2 zu den Beweisthemen des Vorhandenseins tatsächlicher Schmerzen bei dem Kläger bereits am 27.05.2009 und des Hinweises des Klägers auf solche Schmerzen nicht geboten. Der Zeuge K2 war bereits deshalb nicht zu vernehmen, weil das Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 09.10.2009 unschlüssig ist. Wann und unter welchen Umständen der Kläger am 27.05.2009 "insbesondere" mit dem Zeugen K2 über erhebliche Schmerzen und ein Sich-krankmelden-müssen für den darauffolgenden Tag gesprochen haben will, ist offen geblieben. Dem Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren, dass der Zeuge K2 am 27.05.2009 den Betrieb der Beklagten nicht vor Schichtbeginn um 21.20 Uhr betreten hat, somit ein Gespräch mit dem Kläger jedenfalls am Vormittag/Mittag des 27.05.2009 objektiv nicht führen konnte, ist der Kläger nicht entgegen getreten. Dahinstehen konnte, ob der Kläger - wie in der Berufungsverhandlung behauptet - den Zeugen K2 am Abend des 27.05.2009 gegen 19.30 Uhr angerufen hat. Des Weiteren ist der Vortrag des Klägers, er habe möglicherweise auch mit dem Zeugen Ö1 gesprochen, in erster Instanz ebenso unsubstantiiert geblieben wie auch in der Berufung. Einer Zeugeneinvernahme bedurfte es daher nicht.

Der Kläger hat somit durch sein Verhalten einen Kündigungsgrund "an sich" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gesetzt.

c) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalles und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen.

aa) Zwar spricht zu Lasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Die Beklagte hatte dem Kläger im Jahr 2007 zwei Abmahnungen wegen Nichteinhaltens von Arbeitsanweisungen erteilt. Deshalb hatte der Kläger sich in seiner elfjährigen Beschäftigungszeit noch kein so hohes Maß an Vertrauen erworben, das durch den Kündigungssachverhalt nicht sofort und vollständig verbraucht worden ist (vgl. hierzu: BAG vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227).

bb) Die Tatsache, dass der Kläger jedenfalls einem Kind, nach seinem Vorbringen zwei Kindern, zum gesetzlichen Unterhalt verpflichtet ist, ist zwar zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Den bestehenden Unterhaltspflichten kommen indes kein entscheidendes Gewicht zu. Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn zwischen dem Fehlverhalten des Klägers und seiner/seinen Unterhaltspflicht(en) ein Zusammenhang bestände (vgl. BAG vom 27.02.1997 - 2 AZR 302/96, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; LAG Berlin-Brandenburg vom 20.05.2010 - 25 Sa 130/10, zit. nach juris). Hierfür fehlt es an jedem Anhaltspunkt.

cc) Zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sind jedoch die Besonderheiten des konkreten Falles sowie Art und Gewicht des Vorfalls.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Unstreitig wirkt sich die Schwerbehinderung in der Weise aus, dass ihm sein sog. Klumpfuß Schmerzen bereitet, die zu je unterschiedlichen Zeiten und in je unterschiedlicher Intensität auftreten. Unabhängig davon, ob der Kläger im Verlaufe des 27.05.2009 auf bereits vorhandene Schmerzen hingewiesen hat, ist dem Urteil des Arbeitsgerichts jedenfalls insoweit zu folgen, dass wegen des vorliegenden Grundleidens es nicht widerlegbar ist, dass bei dem Kläger schon vor dem Vorfall vom 27.05.2009 Schmerzen vorlagen. Auch ist zugunsten des Klägers in die Interessenabwägung einzubeziehen, dass er sich in der nachfolgenden Nachtschicht von der Frühschicht des Folgetages unter Hinweis auf einen beabsichtigten Arztbesuch abmeldete, und diese Abmeldung nicht erst zu Beginn der Frühschicht bzw. gar nicht erfolgte. Tatsächlich konnte der Kläger für die Tage 28. und 29.05.2009 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, deren unberechtigte Erlangung - auch und gerade wegen des bei dem Kläger vorliegenden und jederzeit virulent werdenden Grundleidens - jedenfalls nicht feststellbar war. Diese besonderen Umstände verleihen dem streitigen Vorfall jedenfalls nicht ein derartiges Gewicht, dass der Beklagten die Einhaltung der Kündigungsfrist von vier Monaten völlig unzumutbar war.

2. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 16.06.2009 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, stellt sich die Frage der Umdeutung dieser Kündigung in eine ordentliche Kündigung (§ 140 BGB). Eine Umdeutung, die grundsätzlich einen entsprechenden mutmaßlichen Willen des Kündigenden und die Erkennbarkeit dieses Willens für den Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erfordert (BAG vom 23.10.2008 - 2 AZR 388/07, AP Nr. 217 zu § 626 BGB m.w.N.), scheitert jedoch bereits daran, dass der Beklagten für eine ordentliche Kündigung die Zustimmung der zuständigen Integrationsbehörde nicht vorlag. Die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung schließt in keinem Fall die Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung mit ein; auch eine Umdeutung ist insoweit nicht möglich (LAG Schleswig-Holstein vom 08.09.1998 - 1 Sa 111/98, LAGE Nr. 2 zu § 21 SchwbG 1986; LAG Köln vom 11.08.1998 - 4 Sa 100/98, NZA-RR 1999, 415).

3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.06.2009 zum 31.10.2009 aufgelöst worden, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers bleibt in der Sache erfolglos.

a) Die Pflichtverletzung des Klägers lag, wie dargelegt, in der Ankündigung einer Krankschreibung für den Fall, dass eine Zeitgutschrift für eine zweite Stunde nicht erfolgen würde.

Die Kammer folgt insoweit den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts auf S. 8 - 11 des Urteils vom 24.03.2010 (Bl. 184 - 187 d.A.), § 69 Abs. 2 ArbGG.

Die Berufung des Klägers gibt allerdings zu folgenden Ergänzungen Anlass:

aa) Eine Abmahnung des Klägers vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung war entbehrlich. Es kann daher dahinstehen, ob die dem Kläger 2007 erteilten schriftlichen Abmahnungen einschlägig im Sinne eines sachlichen Zusammenhangs mit dem Kündigungssachverhalt sind.

Zwar gilt das in § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG vom 19.04.2007 - 2 AZR 180/06, AP Nr. 20 zu § 174 BGB; BAG vom 12.05.2010 - 2 AZR 845/08, NZA 2010, 1348). Die Abmahnung ist dabei entbehrlich unter besonderen Umständen, § 318 Abs. 2 S. 2 BGB i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB. Die können vorliegen, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartbar ist oder wenn die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass ihre Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich und für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG vom 23.06.2009 - 2 AZR 103/08, AP Nr. 7 Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG vom 19.04.2007, a.a.0.).

Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat durch die Ankündigung seiner Krankschreibung für den Fall der Nichtgewährung einer weiteren Zeitgutschrift seine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Der mit dieser Pflichtverletzung bei der Beklagten eingetretene gravierende Verlust ihres Vertrauens in die Redlichkeit und Loyalität des Klägers wiegt so schwer, dass auch ohne vorausgehende Abmahnung eine zumindest ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt ist (vgl. auch BAG vom 12.03.2009, a.a.0.).

bb) Der Kläger kann sich rechtfertigend nicht auf unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache berufen. Hierzu hat die Beklagte von dem Kläger unbestritten vorgetragen, dass es in der Vergangenheit zu keiner Zeit sprachliche Verständigungsschwierigkeiten mit dem Kläger gegeben hat. Auch die Darstellung des streitigen Gesprächs des Klägers mit dem zeugenschaftlich vernommenen Schichtleiter G1 lässt zu Tage getretene sprachliche Verständnisprobleme nicht erkennen. Wenn sich im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens, wie der Kläger mit seiner Berufung vorträgt, erhebliche Verständnisschwierigkeiten bei der klägerischen Anhörung hinreichend deutlich ergeben hätten, hätten diese im Urteil selbst ihren Niederschlag gefunden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch hat der Kläger keinen Berichtigungsantrag bezogen auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils gestellt. Schließlich hat sich die Berufungskammer im Verhandlungstermin vom 16.12.2010 vollständig davon überzeugen können, dass der Kläger die deutsche Sprache jedenfalls so beherrscht, dass er in der Lage war, die an ihn gerichteten Fragen des Vorsitzenden ohne weiteres zu verstehen und sinnvoll zu beantworten.

b) Die Kündigung vom 22.06.2009 verstößt nicht gegen § 102 Abs. 1 BetrVG. Inhaltlich entsprachen die dem Betriebsrat mitgeteilten Informationen den an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zu stellenden Anforderungen.

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nicht sämtliche objektiv bestehenden Kündigungsgründe mitteilen, sondern allein solche, die aus seiner subjektiven Sicht zum einen die Kündigung rechtfertigen und zum anderen für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (zum Grundsatz der subjektiven Determinierung grundlegend BAG vom 13.07.1978 - 2 AZR 798/77, AP Nr. 18 zu § 18 BetrVG 1972; vgl. zur ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch etwa Entsch. vom 06.07.2006 - 2 AZR 520/05, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969).

Für den Kündigungsentschluss der Beklagten war maßgeblich die Ankündigung des Klägers, arbeitsunfähig krank zu werden für den Fall, dass die Zeitgutschrift für eine zweite Stunde nicht erfolgen würde, ohne dass der Kläger eine Begründung für die weitere Gutschrift abgab.

Ein Mangel der Anhörung kann sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht daraus ergeben, dass die Beklagte den Betriebsrat nicht darauf hingewiesen habe, dass an dem Tag Korbmangel herrschte mit der Folge von Betriebs- und Produktionsablaufstörungen, die der Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderteneigenschaft nicht habe auffangen können. Ein eventueller Korbmangel ist jedenfalls für den Sachverhalt, auf den die Beklagte ihre Kündigung stützt, nicht von Bedeutung. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat nur die Tatsachen mitzuteilen, auf die er seine Kündigung stützen will; das genügt.

Allerdings kann zu einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gehören, diesem auch entlastende Umstände mitzuteilen. Gleichwohl liegt ein Anhörungsmangel nicht deshalb vor, weil die Beklagte dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hat, dass jedenfalls aus Sicht des Klägers er anderen Mitarbeitern gegenüber bereits über bestehende Schmerzen gesprochen und wegen dieser in Aussicht gestellt hatte, am folgenden Tag eventuell arbeitsunfähig krank zu sein. Derartige Gespräche des Klägers mit anderen Mitarbeitern waren der Beklagten im Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens nicht bekannt, sind zudem streitig und vom Kläger selbst erst im Rahmen des Anhörungsverfahrens bzw. während des Rechtsstreits zur Sprache gebracht worden. Eine mangelnde Anhörung ist daher und im Ergebnis nicht anzunehmen.

II.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Zulassung der Revision war nicht geboten.

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