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27.04.2011 · IWW-Abrufnummer 110630

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 03.12.2010 – I-20 U 146/07

1. Die Rechtskraft eines Urteils über die Erstbemessung einer Invaliditätsleistung aus einer Unfallversicherung steht einer Klage auf Neubemessung nicht entgegen.



2. In die Neubemessung fließen alle Gesundheitsveränderungen ein, die noch nicht in die gerichtliche Erstbemessung eingeflossen sind.



Eine Verpflichtung, alle bis zur mündlichen Verhandlung über die Erstbemessung eingetretenen Gesundheitsveränderungen bereits im Prozess über die Erstbemessung geltend zu machen, besteht nicht.



Grundlage der Neubemessung ist die Gesundheitsveränderung gegenüber den im Erstbemessungsverfahren herangezogenen ärztlichen Befunden, insbesondere einem dort eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten (im Anschluss an BGH VersR 2009, 920 = r+s 2009, 293 [BGH 22.04.2009 - IV ZR 328/07]).


I-20 U 146/07
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.05.2007 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.950,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf jeweils 500,00 EUR seit dem 01.06.2003 und jeweils folgend zum Monatsersten auf 500,00 EUR sowie in Höhe von 5 % auf 12.950,00 EUR seit dem 26.04.2005 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 14 % und die Beklagte 86 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A.
Der Kläger macht ergänzende Ansprüche aus einer bei der W AG, deren Rechtsnachfolgerin seit dem 16.10.2006 die Beklagte ist (im Nachfolgenden einheitlich: die Beklagte), genommenen Unfallversicherung geltend, der die AUB 94/3 der Beklagten zugrunde liegen.
Der Kläger erlitt am 28.06.2003 beim Sturz von einer hohen Leiter ein schweres Schädel-Hirntrauma, eine Aspirationspneumonie, einen distalen Mehrfragmentbruch der Speiche seines rechten Unterarms, einen Mehrfragmentbruch der Kniescheibe links und einen Kieferbruch. Bei einem weiteren Sturz zog sich der Kläger am 14.01.2004 einen Beckenbruch rechts und Rippenbrüche zu. Die Beklagte leistete nach Einholung von Gutachten der Ärzte Dr. U und Dr. X vom 07.01.2005, denen zufolge der Invaliditätsgrad des Klägers zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 49% betrug, ohne jedoch bereits seinen Endzustand erreicht zu haben, Vorschusszahlungen auf die Invaliditätsleistung in Höhe von insgesamt 35.890 EUR und kündigte an, sie werde zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall vom 28.06.2003 eine abschließende Beurteilung des Invaliditätsgrades in Auftrag geben.
Der Kläger, der von einem Invaliditätsgrad von 59,5 % ausging, erhob eine auf weitere Invaliditätsentschädigung und Zahlung einer monatlichen Invaliditätsrente gerichtete Klage vor dem Landgericht Paderborn (3 O 235/05). Nach mündlicher Verhandlung vom 10.10.2005 wies das Landgericht die Klage mit Urteil vom 14.11.2005 mit der Begründung ab, dass die Invalidität des Klägers mit 49% zutreffend bemessen sei, ab. Das Urteil wurde rechtskräftig.
In der Folgezeit lehnte die Beklagte entgegen ihrer früheren Ankündigung die Einholung weiterer ärztlicher Gutachten für eine Neubemessung der Invalidität des Klägers ab. Das daraufhin vom Kläger in Auftrag gegebene fachchirurgische Gutachten des Arztes Dr. T vom 26.10.2006 kam zu dem Ergebnis, die Gesamtinvalidität des Klägers erreiche einen Grad von mindestens 60%. Als posttraumatische Diagnosen seien gegenüber den früher festgestellten Schäden verschlimmernd ein sogenanntes Sudeck-Syndrom der rechten Hand (CRPS) im Stadium II, eine radiokarpale Arthrose am rechten Handgelenk sowie eine ausgeprägte femuropattellare Arthrose des linken Kniegelenks hinzugekommen.
Im vorliegenden Verfahren erhob der Kläger auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 60% Klage auf Zahlung von weiterer Invaliditätsentschädigung (Kapitalzahlung sowie Unfall-Rente für die Zeit von Juni 2003 bis Januar 2007).
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 40.590,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf jeweils 500,00 EUR seit dem 01.06.2003 und jeweils folgend zum Monatsersten auf 500,00 EUR, auf jeweils 565,00 EUR monatlich zum Monatsersten seit dem 01.09.2004, auf jeweils 600,00 EUR seit dem 01.09.2005 zum Monatsersten und auf jeweils 640,00 EUR seit dem 01.09.2006 bis einschließlich 01.01.2007 zum Monatsersten, sowie in Höhe von 5 % auf 15.910,00 EUR seit dem 26.04.2005 zu zahlen,
hilfsweise
festzustellen, dass er berechtigt sei, den Grad der Invalidität bezogen auf den 28.06.2006 neu feststellen zu lassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat angenommen, ihr stehe die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Paderborn vom 14.11.2005 entgegen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt hat. Er hat sein Vorbringen erster Instanz vertieft und geltend gemacht, dass sich sein Gesundheitszustand in der Zeit nach der Begutachtung, welche dem Urteil des Vorprozesses zugrunde gelegen habe, verschlechtert habe.
Die Beklagte hat das angefochtene Urteil verteidigt.
Der Senat, dessen Urteil vom 24.10.2007 u.a. in r+s 2008, 163 und VersR 2008, 913 [OLG Hamm 24.10.2007 - 20 U 146/07] veröffentlicht ist, hat die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage unbegründet sei. Die Klage sei zulässig, weil der Vorprozess die Erstbemessung zum Gegenstand gehabt habe und nicht die hier in Rede stehende Neubemessung. Haupt- und Hilfsantrag seien jedoch unbegründet. Durch das Urteil im Vorprozess stehe fest, dass der Kläger nach seinem Gesundheitszustand am Tag der letzten mündlichen Verhandlung (10.10.2005) keine weitergehenden Ansprüche habe. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass zwischen dem 10.10.2005 und dem für die Neubemessung maßgeblichen Stichtag des 28.06.2006 (drei Jahre nach dem Unfall) eine Verschlechterung eingetreten sei. Sein erstinstanzlicher Vortrag sei nicht ausreichend gewesen; neuer Vortrag sei nach § 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. Im Übrigen sei auch sein zweitinstanzliches Vorbringen unzureichend. Der Hilfsantrag sei unbegründet, weil für eine Neubemessung jeder Anlass fehle.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der BGH mit Beschluss vom 22.09.2009, der u.a. in r+s 2009, 293 und VersR 2009, 920 veröffentlicht ist, die Revision zugelassen und das Senatsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen.
Zur Begründung hat der BGH im Wesentlichen ausgeführt:
Das Landgericht habe durch seine fehlerhafte Rechtsauffassung zur Zulässigkeit der Klage versäumt, auf vollständigen Klägervortrag zu den materiellen Voraussetzungen der Neubemessung durch einen geeigneten rechtlichen Hinweis hinzuwirken. Seinen im Berufungsverfahren ergänzten Vortrag habe das Berufungsgericht nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht unbeachtet lassen dürfen.
Für die neue Verhandlung hat der BGH darauf hingewiesen, dass sich eine rechtliche Verpflichtung, bereits alle seit der ärztlichen Untersuchung bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung über die Erstfeststellung eingetretenen Veränderungen schon im Erstprozess geltend zu machen, den AUB 94 nicht entnehmen lasse. Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers, die noch nicht in eine Erstbemessung eingeflossen seien, könnten im Rahmen der Neubemessung berücksichtigt werden.
Der Senat hat den Parteien zunächst Gelegenheit zum ergänzenden Vortrag gegeben und sodann durch Beweisbeschluss vom 19.08.2009 ein schriftliches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. y der Frage eingeholt, ob die durch den Unfall vom 28.06.2003 verursachte dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet (einschließlich etwaiger Wassereinlagerung in den Beinen) am 28.06.2006 (maßgeblicher Stichtag drei Jahre nach dem Unfall) stärker als die von Dr. U in dem von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 07.01.2005 beschriebene Beeinträchtigung, sowie zu der Frage, wie hoch die dauernde Beeinträchtigung am 28.06.2006 war.
Bezugnehmend auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. y vom 31.03.2010 hat sich der Kläger auf den Standpunkt gestellt, dass erwiesen sei, dass die Invalidität seiner rechten Hand in orthopädischer Sicht mit 2/10 zu bewerten sei, so dass sich zusammen mit dem linken Bein, der hirnorganischen Beeinträchtigung und der Anosmie insgesamt eine Invalidität von 58 % ergebe.
Er beantragt,
abändernd
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 40.590,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf jeweils 500,00 EUR seit dem 01.06.2003 und jeweils folgend zum Monatsersten auf 500,00 EUR, auf jeweils 565,00 EUR monatlich zum Monatsersten seit dem 01.09.2004, auf jeweils 600,00 EUR seit dem 01.09.2005 zum Monatsersten und auf jeweils 640,00 EUR seit dem 01.09.2006 bis einschließlich 01.01.2007 zum Monatsersten, sowie in Höhe von 5 % auf 15.910,00 EUR seit dem 26.04.2005 zu zahlen,
hilfsweise
festzustellen, dass er berechtigt sei, den Grad der Invalidität bezogen auf den 28.06.2006 neu feststellen zu lassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte widerspricht wegen Verspätung der Verwertung zweier vom Sachverständigen herangezogener Befunde vom 26.09.2005 und vom 24.10.2005 (Dr. U2 sowie Dr. H. Der Kläger habe diese Befunde bereits erstinstanzlich einführen und diese Befunde auch innerhalb der vom Senat gesetzten Frist vorlegen können. Die Bewertung der Invalidität habe deshalb ohne Zugrundelegung dieser beiden Befunde zu erfolgen.
Ferner sei die Leistung bei Mitwirkung unfallfremder Krankheiten oder Gebrechen zu kürzen; für deren Vorliegen sprächen die im Sachverständigengutachten erwähnten verschleißbedingten Veränderungen im Handgelenk.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. y im Termin vom 10.11.2010 ergänzend angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 10.11.2010 verwiesen.
B.
Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
Der Kläger kann nach § 7 I 1, 11 IV AUB 94/3 im Wege der Neubemessung des Grades der Invalidität über den bereits erhaltenen Betrag von 35.890 EUR die Zahlung einer weiteren Kapitalzahlung wegen Invalidität in Höhe von 12.950 EUR sowie aufaddierte Rentenleistungen für die Zeit von Juni 2003 bis Januar 2007 in Höhe von 22.000 EUR verlangen.
I.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Klage nicht etwa deshalb unzulässig, weil die Rechtskraft des Urteils des Vorprozesses entgegen stünde. Denn das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 14.11.2005 (3 O 235/05) hat allein die Erstbemessung zum Gegenstand gehabt, nicht eine Neubemessung des Grades der Invalidität nach § 11 IV AUB 94/3.
II.
Der Kläger kann im Wege der Neubemessung zum Stichtag des 28.06.2006 (drei Jahre nach dem Unfall) eine weitere Kapitalzahlung in Höhe von 12.950 EUR sowie als aufaddierte Rentenleistungen für die allein streitgegenständliche Zeit von Juni 2003 bis Januar 2007 22.000 EUR verlangen, zusammen mithin 34.950 EUR.
1.
Grundlage jeder Neubemessung der Invalidität sind Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber demjenigen Zustand, der der Erstbemessung zugrunde liegt. Dabei wird der maßgebliche Zustand durch die ärztlichen Befunde, die der ersten Feststellung der Invalidität zugrunde lägen, konkretisiert und eingegrenzt. Eine rechtliche Verpflichtung, bereits alle seit der ärztlichen Untersuchung bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung über die Erstfeststellung eingetretenen Veränderungen schon im Erstprozess geltend zu machen, lässt sich den AUB angesichts des in § 11 IV gerade mit Rücksicht auf das die Veränderbarkeit des Invaliditätsgrades bereitgestellten Verfahrens zur Neubemessung der Invalidität nicht entnehmen. Kann deshalb die Vertragspartei, welche die Neubemessung der Invalidität verlangt, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers, auf die sich das Begehren stützt, noch nicht in eine - auch gerichtliche - Erstbemessung eingeflossen seien, so sind diese Veränderungen im Rahmen der Neubemessung zu berücksichtigen (BGH VersR 2009, 920 [BGH 22.04.2009 - IV ZR 328/07] Tz 19).
Hier ist aufgrund der seitens des Senats durchgeführten Beweisaufnahme festzustellen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers zum Neubemessungsstichtag des 28.06.2006 (drei Jahre nach dem Unfall vom 28.06.2003) gegenüber jenem Zustand verändert hat, der in die gerichtliche Entscheidung über die Erstbemessung eingeflossen ist. Das LG Paderborn hat sich im Vorprozess hinsichtlich des Gesundheitszustands des Klägers auf die Gutachten von Dr. U und Dr. X gestützt, die vom 07.01.2005 stammen.
2.
Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. y ist festzustellen, dass beim Kläger im Bereich der rechten Hand und des linken Beines gesundheitliche Verschlechterungen in der Zeit vom 07.01.2005 bis zum 28.06.2006 eingetreten sind.
a)
Hinsichtlich des Bereichs der rechten Hand ergibt sich die Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers in der Zeit vom 07.01.2005 bis zum 28.06.2006 zum einen durch das Hinzutreten von erheblichen verschleißbedingten Veränderungen im Handgelenk und zum anderen durch das Hinzutreten eines Karpaltunnelsyndroms. Der Sachverständige Prof. Dr. y hat ein posttraumatisches Karpaltunnelsyndrom im Rahmen seiner am 15.12.2009 erfolgten Untersuchung des Klägers festgestellt. Der Gutachter der Beklagten Dr. U hat bei seiner am 07.01.2005 erfolgten Untersuchung des Klägers ein solches posttraumatisches Karpaltunnelsyndroms nicht festgestellt, so dass diese Gesundheitsverschlechterung nach dem 07.01.2005 eingetreten sein muss.
aa)
Dass diese Gesundheitsverschlechterung im hier relevanten Zeitraum vom 07.01.2005 bis zum 28.06.2006 eingetreten ist, folgt sowohl aus dem Befundbericht des Dr. H2 vom 24.10.2005 als auch aus dem Bericht des Dr. U2 vom 26.09.2005, in denen jeweils ein Karpaltunnelsyndrom dokumentiert ist. Das Nichtvorhandensein eines Karpaltunnelsyndroms am 07.10.2005 und der Nachweis seines Vorhandenseins im September/Oktober 2005 läßt nur den Schluss auf eine in diesem Zeitraum erfolgte Gesundheitsverschlechterung zu.
bb)
Anders als die Beklagte meint, sind die Befunde vom 26.09.2005 bzw. vom 24.10.2005 von Dr. U2 bzw. Dr. H2 nicht etwa deshalb prozessual unverwertbar, weil sie verspätet vorgelegt worden seien.
Dies folgt schon daraus, dass nicht nur ihre Existenz, sondern auch ihr Inhalt unstreitig sind, so dass § 531 Abs. 2 ZPO auf dieses Vorbringen keine Anwendung findet. Überdies hat der Bundesgerichtshof gerade mit der von ihm ausgesprochenen Zurückverweisung an das Berufungsgericht bezweckt, dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, hinreichend Tatsachenvortrag zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten zu halten. Dementsprechend hat der Senat in seinem Beweisbeschluss vom 19.08.2009 ausdrücklich dem Sachverständigen aufgegeben, Krankenunterlagen über den Kläger beizuziehen. Dass dies nun auf die ausdrückliche Auflage des Senates hin geschehen ist, schließt die Nichtberücksichtigung wegen Verspätung aus.
cc)
Der Senat folgt den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. y darin, dass für den Bereich der rechten Hand wegen des hinzu getretenen posttraumatischen Karpaltunnel-Syndroms und der hinzugetretenen erheblichen verschleißbedingten Veränderungen im Handgelenk nunmehr eine Invalidität von 2/10 (Funktionsunfähigkeit einer Hand im Handgelenk) anzusetzen ist, nachdem Dr. U hierzu im Rahmen der Erstbemessung den Grad der Invalidität auf 1/10 festgesetzt hatte.
Zwar ist für die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zutreffend darauf hingewiesen worden, dass Dr. U in seinem Gutachten vom 07.01.2005 bereits die Erwartung einer Zunahme der unfallbedingten Verschleißveränderungen im Bereich der betreffenden Gelenke, also auch im Bereich des rechten Handgelenks, geäußert hatte. Wie allerdings der Sachverständigen Prof. Dr. y bei seiner Anhörung vor dem Senat dargelegt hat, hat die von Dr. U vorgenommene Bemessung mit 1/10 nicht bereits die später tatsächlich eingetretene Verschlechterung berücksichtigt. Der eingetretenen Progredienz war deshalb durch die Neubemessung mit 2/10 Rechnung zu tragen.
dd)
Anders als die Beklagte meint, kommt eine andere Bewertung nicht deshalb in Betracht, weil wegen verschleißbedingter Veränderungen ein Mitwirkungsanteil nach
§ 8 AUB 94/3 zu berücksichtigen wäre.
Dies scheidet schon deshalb aus, weil nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. ym Unfallzeitpunkt im Bereich der rechten Hand keine solchen verschleißbedingten Veränderungen beim Kläger vorgelegen haben. Der Sachverständige hat bei seiner Anhörung vor dem Senat noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass die Veränderungen zum Unfallzeitpunkt noch nicht vorgelegen haben, jedoch zum Stichtag für die Neubemessung bereits vorhanden waren. Für die Annahme einer Mitwirkung nach § 8 AUB 94/3 ist deshalb von vorn herein kein Raum.
b)
Für den Bereich des linken Beines ergibt sich eine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers in der Zeit vom 07.01.2005 bis zum 28.06.2006 wegen der hinzu getretenen femoropatellaren Arthrose des linken Kniescheibenoberschenkelgelenks. Diese Gesundheitsbeeinträchtigung hat zur Zeit der Begutachtung durch Dr. U am 07.01.2005 noch nicht vorgelegen; dieser hat allein eine Muskelminderung des linken Oberschenkels und eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks festgestellt. Demgegenüber hat Dr. T in seinem Gutachten vom 26.10.2006 das Vorhandensein einer ausgeprägten femoropatellaren Arthrose befundet. Eine deutliche femoropatellare Arthrose im Bereich des linken Knies ist ferner nachgewiesen durch den Bericht der "Röntgenpraxis B X1" vom 19.09.2006 an Dr. U2.
Zwar liegen die Zeitpunkte dieser Befunderhebung nach dem für die Neubemessung maßgeblichen Stichtag des 28.06.2006. Der Sachverständige hat jedoch bei seiner Anhörung vor dem Senat dargelegt, dass die eingetretene Progredienz auch bezogen auf den maßgeblichen Stichtag plausibel ist, zumal Dr. U auch diesbezüglich bereits in seinem Gutachten vom 07.01.2005 die Erwartung einer Verschlechterung geäußert hatte, ohne diese allerdings bereits bei seiner Bestimmung des Grades der Invalidität zu berücksichtigen. Es bestehen deshalb keine Bedenken, das Vorliegen dieser Gesundheitsverschlechterung bereits für den Stichtag der Neubemessung festzustellen.
3.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf weitere Kapitalzahlung nach § 7 I 1 AUB 94/3 in Höhe von 12.950 EUR zu.
a)
In die Bemessung der Invalidität sind folgende Beeinträchtigungen des Klägers einzubeziehen:
Rechte Hand: Grad der Invalidität von 2/10 nach der Gliedertaxe
Nach der Gliedertaxe des § 7 I 2 AUB 94/3 ist bei Funktionsunfähigkeit der "Hand im Handgelenk" eine Invalidität von 55 % anzusetzen, so dass der hier gegebene Grad der Invalidität von 2/10 zu einem Prozentwert von 11 % führt.
Linkes Bein: Grad der Invalidität von 1/10 nach der Gliedertaxe
Nach der Gliedertaxe des § 7 I 2 AUB 94/3 ist bei Funktionsunfähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels eine Invalidität von 70 % anzusetzen, so dass der hier gegebene Grad der Invalidität von 2/10 zu einem Prozentwert von 7 % führt.
Hirnorganisches Psychosyndrom: Invalidität 30 % (außerhalb der Gliedertaxe)
Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. X vom 07.01.2005 ist es unstreitig, dass wegen des unfallbedingt erlittenen hirnorganischen Psychosyndroms eine Invalidität von 30 % besteht.
Anosmie: Invalidität 10 % nach der Gliedertaxe
Schließlich ist es auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. X vom 07.01.2005 unstreitig, dass wegen des unfallbedingt erlittenen Verlustes des Geruchssinns eine Invalidität von 10 % besteht.
b)
Diese Beeinträchtigungen sind zu einem Gesamtinvaliditätsgrad von 58 % zusammenzurechnen.
Nach § 7 I 2 d AUB 94/3 werden dann, wenn durch den Unfall mehrere körperliche oder geistige Funktionen betroffen sind, die Invaliditätsgrade nach Absatz 2 zusammengerechnet.
Da Beeinträchtigungen sowohl innerhalb (geregelt in § 7 I 2 a AUB 94/3) als auch außerhalb (geregelt in § 7 I 2 c AUB 94/3) der Gliedertaxe in § 7 I 2 AUB 94/3 geregelt sind, sind sämtliche Prozentsätze zusammenzurechnen. Damit ergibt sich ein Grad der Invalidität von insgesamt 58 %.
c)
Bei einer vereinbarten Invaliditätsgrundsumme von 37.000 EUR und einer ferner vereinbarten "Progression DHA 500%" ergibt sich ausgehend von einer Gesamtinvalidität von 58 % folgende Berechnung des Anspruchs des Klägers auf Kapitalzahlung:
Für den 25 % nicht übersteigenden Teil bleibt es bei 25 %:
25 % von 37.000 EUR = 9.250 EUR
Für den 25 %, aber 50 % nicht übersteigenden Teil wird die dreifache Invaliditätsfallsumme angesetzt:
37.000 EUR x 3 = 111.000 EUR
hiervon 25 % = 27.750 EUR
Für den 50 % übersteigenden Teil wird die vierfache Invaliditätsfallsumme angesetzt:
37.000 EUR x 4 = 148.000 EUR
hiervon 8 % = 11.840 EUR
Insgesamt kann der Kläger daher eine Kapitalzahlung von (9.250 EUR + 27.750 EUR +11.840 EUR =) 48.840 EUR beanspruchen.
Abzüglich bereits gezahlter 35.890 EUR verbleibt eine noch offene Invaliditätsleistung von 12.950 EUR. Dieser Betrag ist nach § 7 IV AUB 94/3 mit 5 % ab dem 26.04.2005 (Tag der Erstfestsetzung) zu verzinsen.
4.
Ferner kann der Kläger nach Absatz 1 der vereinbarten "Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfall-Rente bei einem Invaliditätsgrad ab 50 %" zusätzlich eine Unfall-Rente in der vereinbarten Höhe von 500,00 EUR verlangen. Nach Absatz 6 dieser "Besonderen Bedingungen" ist diese Unfall-Rente rückwirkend ab Beginn des Monats zu zahlen, in dem sich der Unfall ereignet hat. Der Kläger kann deshalb Zahlung ab Juni 2003 verlangen.
Eine höhere monatliche Rente entsprechend den in den Folgejahren vereinbarungsgemäß erfolgten Erhöhungen kann der Kläger nicht verlangen, weil eine Dynamisierung erstmals zum 01.09.2003 eingetreten ist. Eine Dynamisierung der Unfallrente nach Eintritt des Versicherungsfalles ist nicht vereinbart.
Damit kann der Kläger für den hier allein streitgegenständlichen Zeitraum von Juni 2003 bis Januar 2007 insgesamt (44 Monate zu je 500 EUR =) 22.000 EUR verlangen.
5.
Die Klage hat somit ganz überwiegend Erfolg. Der Kläger kann als Kapitalleistung 12.950 EUR und als aufaddierte Rentenleistungen für die Zeit von Juni 2003 bis Januar 2007 22.000 EUR verlangen, zusammen mithin 34.950 EUR.
III.
Über den Hilfsantrag braucht der Senat nicht zu entscheiden. Dieser ist allein gestellt "für den Fall des Unterliegens mit dem Leistungsantrag", also für den - nicht eingetretenen - Fall, dass über die Neubemessung in der Sache nicht entschieden wird.
IV.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.

RechtsgebietZPOVorschriften§ 322 ZPO

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