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21.04.2011

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 14.04.2010 – 8 Sa 762/09


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 14.10.2009 - 8 Ca 1162/09 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.4.2009 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat 4/7 und die Beklagte 3/7 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

Der am 19.09.1958 geborene Kläger, der eine Ausbildung zum Metzgermeister absolviert hat, war seit dem 04.01.1982 bei der Beklagten, zuletzt in deren Filiale in M als Bereichsleiter beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Am 24.04.2009 unterzeichnete der Kläger eine ihm vom Verkaufsförderer vorgelegte betriebliche Anweisung zur Handhabung von Selbstbedienungsfleisch (SB-Fleisch) vom 08.04.2009. Die betreffende Anweisung lautet auszugsweise wie folgt.

"(...)

3. SB-Ware darf nicht ausgepackt und über den Bedienungsbereich vermarktet werden.

Ausschließlich die in der Anlage 1 aufgeführten SB Artikel dürfen, da diese Artikel nicht als Bedienungsartikel gelistet sind bzw., wenn sie für Sonderaktionen (z. B. Grillaktion) benötigt werden, bis auf Widerruf in der Bedienungstheke vermarktet werden, wenn die Restlaufzeit noch mehr als 3 Tage beträgt. Hierbei muss gewährleistet sein, dass dann die ausgepackte Ware innerhalb des aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatums abverkauft wird (bei Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums ist die Ware aus dem Verkauf zu nehmen und entsprechend Punkt 4 zu entsorgen).

4. Ware, die das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht hat, ist ordnungsgemäß zu erfassen, im Kühlhaus als "nicht mehr für den Verzehr und Verkauf geeignet" zu deklarieren und spätestens am Morgen des nächsten Arbeitstages über die Konfiskattonne zu entsorgen und ebenfalls als "nicht für den Verkauf bzw. Verzehr geeignet" zu kennzeichnen.

(...)

Wir machen Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ein Verstoß gegen eine der oben genannten Anweisungen eine Straftat darstellt, die durch die Behörden strafrechtlich verfolgt werden kann. Darüber hinaus müssen Sie bei Verstoß gegen die Anweisung mit weitreichenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.

Als Abteilungsverantwortliche/r haben Sie für die Umsetzung und Information an alle Mitarbeiter Sorge zu tragen."

Wegen aller weiteren Einzelheiten der betreffenden Anweisung wird auf Bl. 70 f d.A. Bezug genommen.

Am 25.04.2009 packte der Kläger SB-Fleisch (SB-Schweinefilet, SB-Schweinelende und SB-Steaks) aus und brachte es über die Bedienungstheke in den Verkauf, obwohl z.T. das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) bereits abgelaufen bzw. die in der Anweisung vom 08.04.2009 vorgegebene Restlaufzeit nicht mehr gegeben war. Die weiteren Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 30.04.2009, welches dem Kläger noch am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich zum 30.11.2009. Hiergegen richtet sich die vom Kläger am 19.05.200 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Von einer weitergehenden (wiederholenden) Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 14.10.2009 (Bl. 158 - 163 d.A.).

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 30. April 2009 aufgelöst ist,

im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Bereichsleiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der mit Urteil vom 14.10.2009 insgesamt stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 - 13 dieses Urteils (= Bl. 163 - 169 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 24.11.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.12.2009 Berufung eingelegt und diese am 23.12.2009 begründet.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die außerordentliche Kündigung nicht in Ermangelung einer vorherigen Abmahnung unwirksam. Eine Abmahnung sei vielmehr wegen der Schwere der Vertragspflichtverletzungen des Klägers entbehrlich, da dieser nicht nur gegen Anweisungen, sondern auch gegen gesetzliche Vorgaben, etwa gegen Vorschriften des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches verstoßen habe. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger - wie von diesem behauptet - das Fleisch mit dem abgelaufenen MHD einer oberflächlichen Überprüfung unterzogen und dabei festgestellt habe, dass dieses nicht verdorben gewesen sei. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Kläger eine Gesundheitsgefährdung der Kunden billigend in Kauf genommen habe. Entscheidend sei vielmehr, dass er das in der Selbstbedienungstheke ausgelegte Fleisch mit dem abgelaufenen MHD ausgepackt und in der Bedienungstheke zum Verkauf bereitgestellt habe. Damit habe er die Kundschaft darüber getäuscht, dass das Fleisch zuvor mit einem kürzeren, zwischenzeitlich abgelaufenen MHD ausgezeichnet gewesen sei. Das MHD sei ein wesentliches Kaufkriterium für die Kundschaft. Demgemäß werde abgelaufenes Fleisch bei ihr - der Beklagten - vernichtet oder, von der regulären Ware deutlich sichtbar getrennt, unter Hinweis auf den Ablauf des MHD preisreduziert zum Verkauf angeboten. Keinesfalls sei die Kundschaft bereit, für abgelaufenes Fleisch den vollen Kaufpreis zu zahlen. Strafrechtlich stelle sich das Verhalten des Klägers daher als Betrug gemäß § 263 StGB dar. Würde das Verhalten des Klägers publik, so drohe ihr nicht nur eine Rufschädigung, sondern auch ein erheblicher Schaden infolge von Umsatzeinbußen. Dem Kläger sei völlig bewusst gewesen, dass die Medien Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorgaben publikumswirksam anprangerten. Es sei ihr daher nicht zumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht im Wesentlichen geltend, es treffe nicht zu, dass er dadurch, dass er am 25.04.2009 SB-Fleisch ausgepackt und in die Bedienungstheke gelegt habe, die Kundschaft getäuscht habe. Das betreffende Fleisch sei zuvor im Kühlhaus bei einer Temperatur von zwei Grad Celsius gelagert gewesen, wohingegen sich das MHD auf eine Kühltemperatur von sieben Grad Celsius beziehe. Die im Kühlhaus gelagerten Produkte seien weit über das auf der Packung aufgedruckte MHD hinaus haltbar. Die von ihm ausgepackten Schweinefilets seien in einem einwandfreien Zustand gewesen. Er habe das Fleisch sowohl nach dem Auspacken und auch nochmals ca. eine Stunde danach einer Geruchsprüfung unterzogen. Bei der zweiten Geruchsprüfung sei der anfänglich vorhandene Vakuumgeruch nicht mehr wahrnehmbar gewesen. Wenn die Beklagte sein Verhalten als Täuschung der Kundschaft darstelle, so täusche sie ihre Kunden selbst. Bei der Beklagten gebe es kein Verbot, SB-Fleisch auszupacken und über die Bedienungstheke zu verkaufen. Vielmehr bestünden im Rahmen der von der Beklagten selbst erstellten betrieblichen Richtlinien zahlreiche Ausnahmen. Aus Sicht des Verbrauchers stelle auch bereits dies eine Täuschung dar. Der Kunde, der Fleisch- und Wurstwaren an der Bedienungstheke erwerbe, gehe davon aus, dass es sich dabei um Produkte handele, die von einem Metzger frisch zubereitet seien und nicht um in Massenproduktion hergestellte und verpackte Ware, die üblicherweise nur in dem Selbstbedienungsregal angeboten werde. Dadurch, dass die Beklagte es zulasse, dass bestimmte Selbstbedienungsware aus dem Selbstbedienungsregal herausgenommen, ausgepackt und in die Bedienungstheke gelegt werde, täusche sie selbst die Verbraucher.

Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die in zweiter Instanz zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 14.04.2010 (Bl. 237 ff d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache zum Teil Erfolg.

II. Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 30.04.2009 aufgelöst worden ist. Im Übrigen erweist sich die Klage als unbegründet.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 30.04.2009 aufgelöst worden.

Ein wichtiger, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigender Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d.h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

Im Streitfall liegt ein Sachverhalt vor, der an sich geeignet ist, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen, da sich der Kläger eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung hat zu Schulden kommen lassen.

Der Kläger hat unstreitig am 25.04.2009 SB-Fleisch (SB-Schweinefilet, SB-Schweinelende und SB-Steaks) ausgepackt und über die Bedienungstheke in den Verkauf gebracht, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen bzw. die in der ihm erteilten Anweisung vom 08.04.2009 vorgegebene Restlaufzeit nicht mehr gegeben war. Er hat damit vorsätzlich und in schwerwiegender Weise gegen die arbeitgeberseitige Anweisung vom 08.04.2009 verstoßen. Hinzu kommt, dass ihm die betreffende Anweisung noch am Vortag zur Kenntnis und zur Unterschrift vorgelegt worden war. Das Fehlverhalten des Klägers erweist sich jedoch auch gerade deshalb als besonders schwerwiegend, weil es geeignet ist, das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit zu beschädigen. Dabei ist es ohne Belang, ob das Fleisch, insbesondere infolge der vorherigen Lagerung im Kühlhaus, noch in einwandfreiem Zustand und verzehrbar war. Die Beklagte macht diesbezüglich mit Recht geltend, dass das MHD ein wesentliches Kaufkriterium für die Kundschaft bildet und diese regelmäßig nicht bereit ist, MHD-abgelaufenes Fleisch zu kaufen und dafür auch noch den vollen Kaufpreis zu zahlen. Bezüglich unverpackter, in der Bedienungstheke angebotener Fleischprodukte besteht seitens der Kundschaft im Allgemeinen die berechtigte Erwartung, dass es sich nicht um Ware handelt, deren MHD bereits abgelaufen ist. In dieser Erwartungshaltung wurde die Kundschaft der Beklagten durch das Verhalten des Klägers getäuscht. Die Beklagte macht in diesem Zusammenhang auch mit Recht geltend, dass ihr, falls die Vorgehensweise des Klägers an die Öffentlichkeit gedrungen wäre, ein immenser Ansehensverlust und nicht unerhebliche Umsatzeinbußen entstanden wären oder zumindest gedroht hätten. Dies gilt gerade in Zeiten der sog. "Gammelfleisch-Skandale", in denen über solche Themen in der Presse und anderen Medien ausführlich berichtet wird. Der Verstoß des Klägers gegen die Anweisung vom 08.04.2009 stellt daher zugleich eine gravierende Verletzung seiner Pflicht dar, Handlungen zu unterlassen, die dem Ansehen des Arbeitgebers abträglich sein können. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, die Beklagte täusche ihre Kundschaft selbst, indem sie - wie es sich aus der Anweisung vom 08.02.2009 ergebe - es bei bestimmten Fleischprodukten zulasse, dass SB-Ware ausgepackt und über die Bedienungstheke verkauft werde. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Kundschaft der Beklagten annimmt, dass es sich bei den in der Bedienungstheke angebotenen Fleisch- und Wurstwaren um von einem Metzger frisch zubereitete Waren, nicht hingegen um in Massenproduktion industriell hergestellte Produkte handelt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte in der Anweisung vom 08.04.2009 ausdrücklich angeordnet hat, dass SB-Fleisch nur dann ausgepackt und in die Bedienungstheke verbracht werden darf, wenn die MHD-Restlaufzeit noch mehr als drei Tage beträgt. Die betreffende Anweisung ist daher gerade auch darauf gerichtet, die Interessen der Kundschaft zu wahren.

Die streitbefangene außerordentliche Kündigung erweist sich nicht wegen Fehlens einer vorherigen Abmahnung als unwirksam. Zwar kann sich die Beklagte wohl bereits deshalb nicht auf die dem Kläger erteilten Abmahnungen vom 16.08.1995 und 29.02.1996 berufen, da diese nicht zum Gegenstand der Betriebsratsanhörung gemacht worden waren. Im Streitfall bedurfte es indessen keiner vorherigen Abmahnung. Zwar ist eine solche bei einem steuerbaren Verhalten grundsätzlich erforderlich. Bei schweren Pflichtverletzungen gilt dies aber nur, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; BAG v. 21.06.2001 - 2 AZR 325/00 - AP Nr. 5 zu § 55 BAT). Vorliegend konnte der Kläger keinesfalls annehmen, seine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Verkauf von MHD-abgelaufenem Fleisch und der damit verbundenen Gefährdung des Ansehens der Beklagten werde von dieser nicht als bestandsgefährdendes Verhalten angesehen. Ein Arbeitgeber, der erfährt, dass ein Arbeitnehmer einer ausdrücklichen Anweisung zuwider handelt und dadurch zugleich den Ruf des Unternehmens gefährdet, wird dies keineswegs dulden. Hinzu kommt, dass die Anweisung vom 08.04.2009 auch den Hinweis enthält, dass ein Verstoß "weitreichende arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung" haben kann.

Letztendlich führt aber die bei einer außerordentlichen Kündigung vorzunehmende Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten zumutbar gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats) fortzusetzen. Zwar spricht für die Beklagte die erhebliche Gewichtigkeit des Verstoßes des Klägers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Zugunsten des Klägers ist jedoch nicht nur zu berücksichtigen, dass er zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bereits 51 Jahre alt war. Insbesondere fällt vielmehr seine immens lange Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren ins Gewicht. Darüber hinaus kann nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass sein Fehlverhalten nicht zu einer konkreten Rufschädigung der Beklagten geführt hat. In Ansehung all dieser Umstände überwiegt (noch) das Interesse des Klägers an einer Beschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber dem Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

2. Die gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 30.04.2009 gerichtete Klage ist indessen unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung aufgelöst worden. Die Kündigung ist aus verhaltensbedingten Gründen i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Wie bereits ausgeführt, ist das Fehlverhalten des Klägers vom 25.04.2009 an sich geeignet, einen den Ausspruch einer fristlosen Kündigung rechtfertigenden, wichtigen Grund zu bilden, wobei es - wie ebenfalls bereits ausgeführt - keiner vorherigen einschlägigen Abmahnung bedurfte. Der schwere Pflichtenverstoß des Klägers ist daher erst recht geeignet, den Ausspruch einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung müssen nämlich die verhaltensbedingten Gründe bei einer ordentlichen Kündigung nicht so schwerwiegend sein, dass sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen.

Die auch bei einer ordentlichen Kündigung durchzuführende, umfassende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Beklagten an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Kündigungsfrist (30.11.2009) das Interesse des Klägers zum Erhalt seines Arbeitsplatzes bis zum regulären Ende des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Zwar sind auch hier zu Gunsten des Klägers die selben Gesichtspunkte (insbesondere Betriebszugehörigkeitsdauer, Lebensalter) wie bei der Prüfung der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zu berücksichtigen. In Anbetracht der Schwere des klägerischen Fehlverhaltens sowie des dadurch eingetretenen Vertrauensverlustes erscheint die ordentliche Kündigung jedoch bei verständiger Würdigung und Abwägung der Interessen der Parteien billigenswert und angemessen.

Die ordentliche Kündigung ist schließlich auch nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat, wie sich aus dem Anhörungsschreiben vom 29.4.2009 nebst den beigefügten Anlagen (Bl. 40 ff d.A.) ergibt, den Betriebsrat sowohl voll umfänglich über den maßgeblichen Kündigungssachverhalt als auch über die Sozialdaten des Klägers informiert. Der Betriebsrat hat ausweislich seiner Stellungnahme (Bl. 40 d.A.) noch am 30.04.2009 sowohl einer fristlosen als auch einer (hilfsweisen) ordentlichen Kündigung zugestimmt. An der Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung bestehen somit keinerlei Zweifel.

3. Da dem Kündigungsschutzbegehren des Klägers nicht insgesamt stattzugeben war, erweist sich der Weiterbeschäftigungsantrag als unbegründet.

III. Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), werden beide Parteien hingewiesen.

VorschriftenBGB § 626 Abs. 1

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