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20.04.2011 · IWW-Abrufnummer 111345

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 22.02.2011 – L 9 KR 34/11 B ER

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 9 KR 34/11 B ER
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2011, das seinen Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn mit implantatgestütztem Zahnersatz zu versorgen, abgelehnt hat, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht; die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, ihn mit Zahnimplantaten zu versorgen.
1.) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf zahnärztliche Behandlung. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V umfasst die zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs. SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.
2.) Der GBA hat in Nummer VII Ziffer 1-4 der Richtlinie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 4. Juni 2003/24. September 2003 (Bundesanzeiger 2003, Seite 24 966), in Kraft getreten am 1. Januar 2004, zuletzt geändert am 1. März 2006 (Bundesanzeiger 2006, S. 4466), in Kraft getreten am 18. Juni 2006 diese Ausnahmeindikationen festgelegt. Gemäß VII Ziffer 2 der Behandlungsrichtlinie liegen Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in den nachfolgend aufgeführten besonders schweren Fällen vor. Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist.
Besonders schwere Fälle liegen vor
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache
- in Tumoroperationen,
- in Entzündungen des Kiefers,
- in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten),
- in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantat-Versorgung vorliegt,
- in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder
- in Unfällen haben,
b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung
c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen,
d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z. B. Spastiken).
Bei extraoralen Defekten im Gesichtsbereich nach Tumoroperationen oder Unfällen oder infolge genetisch bedingter Nichtanlagen ist die operative Deckung der Defekte das primäre Ziel. Ist eine rein operative Rehabilitation nicht möglich und scheidet die Fixierung von Epithesen zum Defektverschluss durch andere Fixierungsmöglichkeiten aus, so ist eine Verankerung von Epithesen durch Implantate angezeigt.
3.) Diese Voraussetzungen sind beim Antragsteller nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen Dr. Dr. J vom 16. August 2010, des Chefarztes der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie im Unfallkrankenhaus B Prof. Dr. Dr. H vom 30. März 2010 und des Gutachters des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) Dr. Dr. M vom 23. Dezember 2010 leidet der Antragsteller an keiner der vom GBA festgelegten Ausnahmeindikationen, bei denen ein Anspruch auf Versorgung mit Implantaten besteht. Vielmehr liegt bei dem Antragsteller ein extremer Würgereiz vor (ICD J39.2), der nach seinen Angaben seit einer Verletzung seiner Stimmlippe im Jahre 2008 besteht. Dieser Würgereiz kann jedoch den genannten Ausnahmeindikationen nicht zugeordnet werden. Er gehört insbesondere nicht zu den willentlich nicht beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich, wie sie bei den in der Ausnahmeindikation benannten Spastikern auftritt (so Hessisches LSG, Urteil vom 2. Juli 2009, L 1 KR 197/07; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Februar 2010, L 16 B 44/09 KR, in diesem Sinne auch BSG, Beschluss vom 20. April 2004, B 1 KR 1/03 B; alle zitiert nach juris). Bei diesen ist typischerweise die Lippe bzw. die vordere Zunge in der Öffnungsbewegung durch eine motorische Unruhe destabilisiert, während bei dem Antragsteller die vegetativ oder psychomotorisch bedingte Störung dem Bereich des Atmungssystems zuzuordnen ist, mithin dem Halsbereich.
4.) Die Ausnahmeindikationen des GBA können auch nicht erweiternd ausgelegt werden, um den Fall des Antragstellers zu erfassen. Die in den o. g. Richtlinien festgelegten Ausnahmeindikationen sind eng zu interpretieren und lassen eine Auslegung über den Wortlaut hinaus nicht zu (BSG, SozR 3-2500 § 28 Nr. 5). Schon gar nicht lässt sich im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes feststellen, dass die Richtlinien wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht rechtswidrig und nichtig sind, weil sie den Fall eines extremen Würgereizes nicht erfassen, zumal der MDK-Gutachter eine auf dieses Gebrechen des Antragstellers zugeschnittene Versorgung durch herausnehmbaren Zahnersatz in Form einer gaumenfreien teleskopierenden Konstruktion für möglich hält.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

RechtsgebietKrankenversicherung

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