02.03.2011 · IWW-Abrufnummer 110748
Oberlandesgericht Oldenburg: Beschluss vom 26.05.2009 – 5 U 23/09
1. Der Versicherungsnehmer hat einen Anspruch auf die Erteilung einer vorherigen Deckungszusage des Versicherers, wenn der Arzt wegen der hohen Kosten den Beginn der Behandlung davon abhängig macht.
2. Zur Prüfung, ob die Behandlung mit einem neu zugelassenen Medikament, das lebenslang eingenommen werden müsste und monatliche Kosten von ca. 35.000 verursachen würde, medizinisch notwendig ist, ist der Versicherer berechtigt, einen externen Gutachter zu beauftragen. Dass sich der erforderliche Zeitaufwand für die nötigen Erhebungen hierdurch um 20 Tage verlängert, ist auch dann hinzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer unter einer zwar latent aber nicht akut lebensbedrohlichen Krankheit leidet.
5 U 23/09
Gründe
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.
II. Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:
A.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Freistellung von einer Gebührenforderung seines jetzigen Prozessbevollmächtigten.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01.01.2004 eine Krankenversicherung. Im Herbst 2006 erkrankte der Kläger an der seltenen und in 50 % der Fälle innerhalb von 10 bis 15 Jahren nach der Diagnose tödlich verlaufenden paroxysmalen nächtlichen Hämoglubinurie (PNH). Aufgrund dieser Erkrankung wurde der Kläger bis zum November 2007 fast zweiwöchentlich mit Bluttransfusionen behandelt.
Am 20.06.2007 wurde zur Behandlung der PNH ein neues Medikament - "Soliris" - seitens der zuständigen europäischen Arzneimittelagentur zugelassen. Da auch die Behandlung der Erkrankung des Klägers mit Soliris erfolgen sollte, schrieb der behandelnde Arzt Dr. ... am 20.08.2007 die Beklagte an und bat um Kostenzusage. Dort heißt es: "... Dieses Medikament wird unter dem Namen Soliris geführt und von der Fa. A P Germany vertrieben. Herr ... hat in Anbetracht des klinischen Verlaufs alle Voraussetzungen und die Indikation, um dieses zugelassene Medikament zu erhalten. Wir bitten um schriftliche Kostenübernahmeerklärung Ihrer Krankenversicherung." Die Beklagte antwortete mit Schreiben an den Kläger vom 19.09.2007, dass der Leistungsantrag geprüft werde und die Einholung eines extern erstellten Gutachtens beabsichtigt sei. Der Kläger reagierte darauf mit Schreiben vom 25.09.2007, welches der Beklagten am 26.09.2007 per Fax zuging. In dem Schreiben verwies der Kläger hinsichtlich der Erkrankung und der Indikation zur Medikation auf ein anliegendes Schreiben seines behandelnden Arztes und setzte der Beklagte eine Frist zur Erklärung der Kostenübernahme bis zum 05.10.2007.
Am 08.10.2007 beauftragte der Kläger seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten. Dieser setzte mit Schreiben vom 08.10.2007 der Beklagten eine Frist zur Erklärung der Kostenübernahme bis zum 18.10.2007. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 18.10.2007 die Kostenübernahme befristet bis zum 31.12.2007. Am 14.12.2007 erklärte die Beklagte die unbeschränkte Kostenübernahme.
Der Kläger macht geltend, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter für seine Tätigkeit 10.726,66 € in Rechnung gestellt habe. Der Prozessbevollmächtigte lege eine 1,5-fache Geschäftsgebühr bei einem Streitwert von 1.470.000,00 € zugrunde. Den Streitwert errechne er gemäß § 9 ZPO nach dem 3,5-fachen Jahreswert der Behandlungskosten, die er mit monatlich 35.000,00 € angesetzt habe.
Die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg hat die Klage mangels Verzugs der Beklagten abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
Mit der form und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
B.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
Einer Haftung der Beklagten auf Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB steht entgegen, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers am 08.10.2007 mit ihrer Pflicht zur Erklärung einer Deckungszusage nicht in Verzug befand.
Der Kläger hat die Beklagte nicht in verzugsbegründender Weise gemahnt. Zwar war dem Schreiben des Klägers vom 25.09.2007, per Fax zugegangen am 26.09.2007, unmissverständlich zu entnehmen, dass der Kläger die Beklagte unter Setzung einer Frist bis zum 05.10.2007 aufforderte, die geschuldete Leistung - die Deckungszusage - zu erbringen. Eine Mahnung kann jedoch erst nach dem Eintritt der Fälligkeit ausgesprochen werden (BGH NJW 1980, 1955, 1956. Ernst in Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage, § 286 Rn. 52. Heinrichs in Palandt, BGB, 68.Auflage, § 286 Rn. 16). Eine vor der Fälligkeit des Anspruchs ausgesprochene Mahnung ist ohne rechtliche Wirkung (OLG Hamm NJW-RR 2006, 242).
Die Mahnung der Beklagten erfolgte vor der Fälligkeit des geltend gemachten Anspruchs. Die Fälligkeit des Anspruchs auf Versicherungsleistungen aus einer Krankenversicherung folgt aus § 6 Abs. 1, Abs. 2 MB/KK 94 in Verbindung mit § 11 VVG a.F. Gemäß § 11 Abs. 1 VVG a.F. sind Geldleistungen des Versicherers mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Der Kläger verlangt jedoch keine Geldleistung, sondern eine auf die Zukunft gerichtete Deckungszusage. Der Fälligkeit eines Anspruchs des Klägers auf eine Deckungszusage steht nicht bereits entgegen, dass vor der Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung grundsätzlich keine Leistungsverpflichtung des Versicherers besteht. Zwar ist der Versicherer in der Regel nachleistungspflichtig (OLG Köln RuS 1998, 125. Bach in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Auflage, § 6 MB/KK Rn. 1). Es ist jedoch gerechtfertigt, von dieser Grundregel gemäß § 242 BGB eine Ausnahme zuzulassen und einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf eine vorherige Deckungszusage für begründet zu erachten, wenn der Behandler des Versicherungsnehmers eine solche Erklärung verlangt (vgl. OLG Köln RuS 1998, 125, 126. Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 6 MBKK 94 Rn. 2a), wenn der Versicherungsnehmer einen von ihm geforderten Vorschuss nicht leisten kann (vgl. OLG Köln, r+s 1998, 125, 126. Bach in Bach/Moser, a.a.O., Rn. 1) oder wenn er von der beabsichtigten Behandlungsmaßnahme Abstand nehmen müsste, weil er das Risiko, die Kosten selbst tragen zu müssen, nicht eingehen kann (AG BerlinSchöneberg RuS 1999, 520, 521). So liegt es hier. Aufgrund der vom behandelnden Arzt Dr. ... am 20.08.2007 formulierten Kostenübernahmebeantragung und der hohen Kosten des Medikaments ist davon auszugehen, dass die Klinik die Behandlung mit Soliris nur durchführen will, wenn die Kostenübernahme durch die Beklagte feststeht.
Die Fälligkeit eines solchen Anspruchs auf verbindliche Deckungszusage vor der Behandlung richtet sich analog § 11 Abs. 1 VVG a.F. danach, zu welchem Zeitpunkt der Versicherer die für die Feststellung der Leistungspflicht nötigen Ermittlungen beendet hat. Dafür ist nicht der vom Versicherer tatsächlich benötigte Zeitaufwand zugrunde zu legen. Stellt der Versicherer keine oder nicht sachdienliche Erhebungen an oder zieht er die Erhebungen ohne Grund in die Länge, so tritt die Fälligkeit auch ohne förmliche Feststellung des Versicherers in dem Zeitpunkt ein, in dem bei ordnungsgemäßen Vorgehen des Versicherers die Erhebungen beendet gewesen wären (Bach in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, § 6 MB/KK Rn. 2. Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 11 Rn. 6). Für die Berechnung der angemessenen Zeitdauer ordnungsgemäßer Erhebungen ist einerseits zu berücksichtigen, dass dem geltend gemachten Anspruch auf eine vorherige Deckungszusage für eine indizierte Behandlung mit einem neuen Medikament bereits eine Eilbedürftigkeit immanent ist, dass der Beklagten die Erkrankung des Klägers und seine bisherige Behandlung bekannt sind und dass aufgrund der latenten, wenn auch nicht akuten Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung ein zügiges Handeln geboten ist. Andererseits muss bei aller gebotenen Eile der Versicherer trotzdem berechtigt sein, die für eine abschließende Beurteilung notwendigen Ermittlungen anzustellen.
Dieses zugrunde gelegt, war der Anspruch des Klägers am 26.09.2007 noch nicht fällig, so dass die Mahnung ohne rechtliche Wirkung blieb. Das Antragsschreiben des Klägers datiert vom 20.08.2007. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Dokumentation begann die Bearbeitung des Antrages am 29.08.2007. Ein früherer Zugang des Antrages ist nicht belegt, so dass von der Möglichkeit einer Bearbeitung ab dem 29.08.2007 auszugehen ist. Eine Beendigung ordnungsgemäßer Erhebungen der Beklagten konnte angesichts des zu berücksichtigenden Zeitbedarfs für die Prüfung nicht vor Ablauf eines Monats erwartet werden. Da das Medikament Soliris sowie dessen Hersteller A P Germany weder in der Roten Liste noch in der PharmazentralnummernDatenbank der IFA aufzufinden waren, ist es nicht zu beanstanden, dass seitens der Beklagten von dem behandelnden Arzt der Beipackzettel des Medikaments Soliris angefordert wurde, da eine Überprüfung der Notwendigkeit eine Kenntnis von der Wirkstoffzusammensetzung voraussetzt. Ebenfalls war es angemessen, nach Erhalt des Beipackzettels telefonisch Kontakt zum behandelnden Arzt und zur Herstellerfirma aufzunehmen, um Informationen über das Medikament und die voraussichtlichen Kosten der Behandlung einzuholen, sowie anschließend einen hauseigenen Arzt mit einer vorläufigen Einschätzung zu betrauen. Der Senat hält es in diesem Fall weiter für gerechtfertigt, dass die Beklagte ein externes Gutachten zur Frage der Notwendigkeit der Behandlung mit dem Medikament Soliris eingeholt hat. Der dafür erforderliche Zeitaufwand von 20 Tagen begegnet keinen Bedenken, zumal die Beklagte das beauftragte Institut auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen hatte. Der Versicherer ist nicht nur dem Versicherungsnehmer gegenüber verpflichtet, die Kosten einer notwendigen Therapie zu übernehmen. Daneben besteht auch die Verpflichtung der Beklagten gegenüber der Gemeinschaft der Versicherten, die Kosten für eine unnötige Behandlung nicht zu übernehmen. Gerade bei einem neuen Medikament, welches laut Auskunft der Herstellerfirma lebenslang einzunehmen wäre und immense Kosten verursachen würde, ist eine sorgfältige Prüfung der Leistungsverpflichtung unter Einschaltung eines externen Gutachters nicht zu beanstanden.