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14.03.2013

Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 10.01.2013 – 16 K 1255/12 Kg,AO

- Der Wegfall des Kindergeldanspruchs aufgrund veränderter tatsächlicher Umstände begründet die rückwirkende Änderung bzw. Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, unabhängig davon, ob die Veränderung absehbar war (hier im Fall des Überschreitens der Altersgrenze) oder überraschend erfolgt ist (entgegen Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 6. März 2012 4 K 1484/10, EFG 2012, 1479).


- Dass die Familienkasse zwischenzeitlich trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, Kindergeld weitergezahlt hat, hindert die rückwirkende Aufhebung und Rückforderung nicht.


- Die Rückforderung kann nur dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn dem Verhalten der Familienkasse eindeutig die konkludente Zusage zu entnehmen ist, dass der Kindergeldempfänger auch unter Berücksichtigung der veränderten Umstände mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche.


Tatbestand

Der Kläger bezog Kindergeld u.a. für seinen Sohn „A” (geboren im Juni 1984) – im Folgenden: A. A absolvierte nach dem Besuch des Berufskollegs den Zivildienst (Oktober 2003 bis Juli 2004), begann sodann ein Studium (zunächst Maschinenbau, dann VWL) und meldete sich nach dem Abbruch des Studiums seit März 2007 bei der Berufsberatung als Bewerber um einen Ausbildungsplatz. Daraufhin setzte die Beklagte – die Familienkasse gegenüber dem Kläger ab April 2007 weiterhin Kindergeld für A fest (Bescheid vom 4.04.2007).

Ab November 2007 stellte die Familienkasse die Kindergeldzahlung für A ein, nachdem A seit Mitte Oktober 2007 eine Arbeitsstelle angetreten hatte. Das Arbeitsverhältnis wurde allerdings innerhalb der Probezeit zum Ende März 2008 gekündigt. Da A anschließend ausbildungssuchend gemeldet war, setzte die Familienkasse gegenüber dem Kläger ab April 2008 erneut Kindergeld für A fest (Bescheid vom 27.05.2008). Der Bescheid enthält den Hinweis, dass der Kläger jede Änderung in den Verhältnissen, die für den Kindergeldanspruch von Bedeutung sind (insbesondere Aufnahme einer Beschäftigung, Antritt einer Ausbildung), unverzüglich anzuzeigen habe. Die Familienkasse vermerkte in ihrem Computersystem: „Befristungsgrund: T: Ausb.suche/ Vollendung 25.Lj”. Da allerdings das Geburtsjahr des A falsch eingegeben worden war („1994” statt 1984), kam es in der Folgezeit nicht zu Wiedervorlagen des Falles; Kindergeld für A wurde bis September 2011 ausgezahlt.

Im September 2011 fragte die Ehefrau des Klägers telefonisch bei der Familienkasse an, warum Kindergeld für A über das 27. Lebensjahr hinaus gewährt werde. Daraufhin prüfte die Familienkasse, ob A in der Vergangenheit einen Kindergeldtatbestand verÂwirklicht habe, und gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Für den Zeitraum bis April 2010 ergab sich, dass ein Kindergeldanspruch bestanden hatte: A hatte sich ab April 2008 um eine Ausbildung bemüht und schließlich im September 2009 ein erneutes Studium begonnen; seine Einkünfte und Bezüge lagen jeweils unter dem schädlichen Grenzbetrag. Die Altersgrenze für den Kindergeldbezug war über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus um 10 Monate (Dauer des Zivildienstes) verlängert. Mit Bescheid vom 16.02.2012 bezeichnet als „Erstattungsbescheid gem. § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO)” forderte die Familienkasse gezahltes Kindergeld für Mai 2010 bis September 2011 in Höhe von 3.128 EUR zurück. Zur Begründung gab sie an, Kindergeld sei für den Zeitraum ab Mai 2010 durch einen offensichtlichen Fehler ohne Rechtsgrund gezahlt worden und deshalb vom Kläger zu erstatten.

Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und trug vor, es sei nicht sein Verschulden, dass die Familienkasse seinen Sohn um 10 Jahre jünger gemacht habe. Deshalb sehe er nicht ein, das Kindergeld zurückzuzahlen.

Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 01.03.2012). Zur Begründung erläuterte sie, dass ab Mai 2010 ein Kindergeldanspruch für A wegen Überschreitens der verlängerten Altersgrenze nicht mehr bestanden habe. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung sei § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG); Rechtsgrundlage für die Berichtigung der bisherigen Festsetzung sei § 129 AO, wonach die Finanzbehörde Schreibfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigen können. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 37 Abs. 2 AO, weil eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sei. Ein Kindergeldanspruch habe nicht mehr bestanden und die Kindergeldfestsetzung sei deshalb insoweit aufgehoben worden. Hieraus folge der Rückforderungsanspruch.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er trägt vor, er habe die Kindergeldanträge stets richtig ausgefüllt, insbesondere das Geburtsdatum seines Sohnes A zutreffend angegeben. Ein etwaiger Fehler sei alleine der Familienkasse anzulasten und liege in deren Verantwortungsbereich.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 16.02.2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 01.03.2012 ersatzlos aufzuheben, mit der Maßgabe, dass es für den Zeitraum Mai 2010 bis September 2011 bei der Kindergeldgewährung für den Sohn A bleibt.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Gericht übersandte Kindergeldakte der Familienkasse Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Familienkasse hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung für den Sohn A ab Mai 2010 aufgehoben und das für Mai 2010 bis September 2011 gezahlte Kindergeld vom Kläger zurückgefordert.

1. Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ergibt sich aus der Einspruchsentscheidung. Gemäß § 44 Abs. 2 FGO ist Klagegegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat. Die Einspruchsentscheidung kann demgemäß eine weitergehende, ggf. den Einspruchsführer zusätzlich belastende, Regelung beinhalten, die den ursprünglich angefochtenen Bescheid ergänzt und klarstellt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10 BFHE 235, 203, BFH/NV 2012, 298 betreffend die zusätzliche Versagung des Kindergeldanspruchs für den Zeitraum des Einspruchsverfahrens). Die Familienkasse hat in der Einspruchsentscheidung deutlich gemacht, dass die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Rückforderung des Kindergelds (nur diese war in dem angefochtenen Bescheid geregelt) auf dem Wegfall des Kindergeldanspruchs für A und der deswegen getroffenen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung beruht. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung hat die Familienkasse u.a. § 70 Abs. 2 EStG benannt. Unter diesen Umständen ist die Einspruchsentscheidung in der Weise auszulegen, dass sie die Entscheidung der Familienkasse über die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung einschließt, die ihrerseits die Grundlage für die Rückforderung des Kindergelds darstellt.

2. Die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung beruht auf § 70 Abs. 2 EStG. Ab Mai 2010 ist der Kindergeldanspruch des Klägers für seinen Sohn A weggefallen; A war zwar weiterhin in Berufsausbildung, hatte aber die um die Zeit seines Zivildienstes verlängerte Altersgrenze von 25 Jahren und 10 Monaten (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1 EStG) überschritten. Damit haben sich die für den Kindergeldanspruch erheblichen Verhältnisse geändert, ohne dass es auf eine Verursachung oder gar ein Verschulden des Kindergeldberechtigten ankäme. Gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG war die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also rückwirkend, aufzuheben.

Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Änderung der Verhältnisse (Überschreiten der verlängerten Altersgrenze) für die Familienkasse von vornherein absehbar gewesen ist. Der Wegfall des Kindergeldanspruchs aufgrund veränderter tatsächlicher Umstände begründet die rückwirkende Änderung bzw. Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, unabhängig davon, ob die Veränderung absehbar war (z.B. im Falle der planmäßigen Beendigung der Schulausbildung/ Berufsausbildung bzw. des Überschreitens der Altersgrenze) oder überraschend erfolgt ist (z.B. im Falle des Abbruchs der Ausbildung). Der entgegenstehenden Ansicht des FG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 6. März 2012 4 K 1484/10, EFG 2012, 1479) folgt der Senat nicht.

3. Grundsätze des Vertrauensschutzes stehen nicht entgegen. Das Vertrauen des Kindergeldberechtigten auf eine zunächst rechtmäßige Kindergeldfestsetzung ist nur so lange schützenswert, wie die für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Verhältnisse bestehen bleiben. Dass die Familienkasse zwischenzeitlich trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, Kindergeld weitergezahlt hat, hindert die rückwirkende Aufhebung und Rückforderung nicht (BFH-Urteile vom 3. März 2011 III R 11/08, BFHE 233, 41, BStBl II 2011, 722 und vom 21. Januar 2010 III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423; BFH-Beschluss vom 28. Januar 2010 III B 37/09, BFH/NV 2010, 837).

Insoweit verstößt die Rückforderung auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Hierfür müssten besondere Umstände vorliegen, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (ständige höchstrichterliche Rspr., vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom 28. Januar 2010 III B 37/09, BFH/NV 2010, 837). Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist dabei ein eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger ausgeschlossen ist. Dem Verhalten der Familienkasse muss demnach die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche (BFH-Urteile vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, und vom 15. Juni 2004 VIII R 93/03, BFH/NV 2005, 153; BFH-Beschluss vom 26. November 2007 III B 121/06, BFH/NV 2008, 553). An derartigen Umständen fehlt es im Streitfall.

4. Infolge der rechtswirksamen rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist der Kläger gemäß § 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO verpflichtet, das ab Mai 2010 zu Unrecht erhaltene Kindergeld zurückzuzahlen. Die Rückforderung steht nicht im Ermessen der Behörde. Gegenüber dem Rückforderungsanspruch kann sich der Kläger auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Denn der im bürgerlichen Bereicherungsrecht bestehende Grundsatz der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) findet im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungs- bzw. Rückforderungsanspruchs keine Anwendung, auch nicht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens (BFH-Beschlüsse vom 27. April 1998 VII B 296/97, BFH/NV 1998, 1150 und vom 28. März 2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO.

6. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, im Hinblick auf die Abweichung von dem Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 6. März 2012 4 K 1484/10, EFG 2012, 1479 (Rev. BFH XI R 15/12).

VorschriftenEStG § 70 Abs. 2, AO § 37 Abs. 2, BGB § 818 Abs. 3

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