23.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123705
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 20.08.2012 – 9 V 9222/10
1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Der Gesellschafter und Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co.KG kann sich bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit einer Gewerbesteuernachzahlung der KG einer haftungsauslösenden Pflichtverletzung i. S. von § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO schuldig machen, wenn er kurz vor dem Eintritt der Fälligkeit seine Anteile an der GmbH sowie seine Anteile an der KG verkauft, sein Amt als Mitgeschäftsführer aufgibt und ungeachtet der erkennbar entstehenden Gewerbsteueransprüche in Höhe von rd. 360.000 Euro für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit grob fahrlässig keine ausreichende Sorge trifft.
2. Von grober Fahrlässigkeit ist auszugehen, wenn der Mitgeschäftsführer seine Geschäftsanteile an eine Person veräußert, die von vorneherein im Verdacht steht, selbst „Firmenbestatter” zu sein oder bereits im Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher GmbH-Anteile die Absicht zu haben, die Anteile kurze Zeit später an einen „Firmenbestatter” weiterzuveräußern, wenn der Mitgeschäftsführer gleichwohl keine Erkundigungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erwerbers einzieht und den für die Gewerbesteuerzahlung bestimmten Betrag lediglich auf ein Konto der KG einzahlt, ohne durch geeignete weitere Maßnahmen (z. B. durch Bestellung einer Bankbürgschaft oder Hinterlegung des geschuldeten Steuerbetrags beim zuständigen Amtsgericht) für eine tatsächliche Begleichung der Gewerbesteuerschuld zu sorgen.
3. Für eine sog. Firmenbestattung ist typisch, dass eine Person als alleiniger Geschäftsführer einer GmbH unter gleichzeitiger Abberufung der bisher Verantwortlichen bestellt wird, die wegen fehlenden Einkommens und Privatvermögens nicht als Haftungsschuldner für den Fiskus in Betracht kommt.
BESCHLUSS
In dem Verfahren
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 9. Senat – am 20. August 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … den Richter am Finanzgericht … und den Richter am Finanzgericht …
beschlossen:
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner den Antragsteller als ehemaligen Mitgeschäftsführer der einzigen Komplementärin einer „… & … Altbausanierungs GmbH & Co. KG” (künftig: KG) wegen rückständiger Abgabenverbindlichkeiten der KG (Gewerbesteuer 2007) persönlich in Haftung nehmen kann.
Die KG mit dem Unternehmensgegenstand „Erwerb und Verwertung der Grundstücke …und … in …” und Sitz in …entstand mit Vertrag vom … Juni 2005 (UR-Nr. … des Notars …aus …) durch Umwandlung einer vorangegangenen, aus zwei natürlichen Personen (dem 19 … geborenen Antragsteller, von Beruf Kaufmann, und seinem 19… geborenen Bruder Dr. E., von Beruf Diplom-Kaufmann) sowie der …& …Immobilienverwaltungsgesellschaft mbH (künftig: GmbH) bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Der Antragsteller und Dr. E. waren als BGB-Gesellschafter Eigentümer der beiden o. g. Grundstücke. Die später eingetretene GmbH war weder am Gewinn und Verlust noch am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Einzige Komplementärin der KG war die GmbH, ebenfalls mit Sitz in …(künftig: GmbH). Kommanditisten der KG waren mit einer Einlage in Höhe von jeweils 10 000,00 EUR der Antragsteller und sein Bruder.
Die KG baute die auf den vorgenannten Grundstücken vorhandenen ehemaligen Mietwohnhäuser zu Eigentumswohnungen aus. Die Aufteilung in Wohnungseigentum erfolgte am 20. März 2007. Anschließend veräußerte die KG die neu geschaffenen Eigentumswohnungen noch im Streitjahr 2007 und reichte am … September 2008 beim Antragsgegner u. a. eine Gewerbesteuererklärung ein (außerdem den Jahresabschluss zum 31. Dezember 2007, die Umsatzsteuererklärung 2007 sowie die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Einkünftefeststellung 2007), aus der sich bei einem Gewerbeertrag in Höhe von …EUR sowie Entgelten für Dauerschulden in Höhe von …EUR eine Gewerbesteuerschuld in Höhe von 360 308,00 EUR ergab, die in der Bilanz zum … Dezember 2007 als Gewerbesteuerrückstellung ausgewiesen wurde.
Der Antragsteller zahlte mit Wertstellung … September 2008 per Überweisung 185 480,55 EUR auf das Geschäftskonto der KG bei der … Bank (Kontonr.: …) ein, so dass dort ab diesem Tag unter Einbeziehung des bisherigen Guthabens in Höhe von …EUR ein Guthaben in Höhe von 360 308,00 EUR vorhanden war.
Mit Vertrag vom … September 2008 (UR-Nr. …u. a. des Notars D. aus …) veräußerten der Antragsteller und Dr. E. ihre Geschäftsanteile an der KG an den 19… geborenen F., der fortan Alleingesellschafter der KG und Alleingeschäftsführer der Komplementär-GmbH war. In dem Vertrag heißt es u. a.: „Das Entgelt der Überlassung haben die Parteien in einer gesonderten Erklärung festgesetzt”. Am selben Tag wurde eine Umfirmierung der KG in „…Abwicklungsgesellschaft GmbH & Co. KG” sowie eine Verlegung des Sitzes der Gesellschaft nach …beschlossen. Mit weiterem Vertrag vom selben Tag (UR-Nr. …des o. g. Notars) traten der Antragsteller sowie Dr. E. auch ihre Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH an F. gegen Zahlung eines Gesamtkaufpreises in Höhe von 3 000,00 EUR ab. Der jeweilige Kaufpreis von 1 500,00 EUR sollte auf noch zu benennde Konten überwiesen werden. In dem Vertrag heißt es unter Tz. 13:
„Der Käufer verpflichtet sich namens der Gesellschaft zur Zahlung der noch nicht festgesetzten, aber zu erwartenden Gewerbesteuernachzahlung der …. KG, deren alleinige persönlich haftende Gesellschafterin die hiesige Gesellschaft ist, in Höhe von 360 308,00 EUR. Diese Summe befindet sich auf dem Geschäftskonto der…KG bei der…Bank, …. Konto-Nr. …. Aus diesem Grunde erteilt der Verkäufer dem Käufer in seiner Eigenschaft als alleiniger Gesellschafter der hiesigen Gesellschaft und diese wiederum als persönlich haftende Gesellschafterin der…KG uneingeschränkte Kontovollmacht.”
Noch am selben Tag wurde F. zum neuen alleinigen Geschäftsführer der GmbH anstelle des Antragstellers sowie von Dr. E. bestellt.
Mit Vertrag vom … September 2008 (UR-Nr. …des Notars …aus …) trat F. die kurz zuvor erworbenen Kommanditanteile an den 19… geborenen G. aus … ab. In dem Vertrag heißt es u. a.: „Das Entgelt für die Übertragung haben die Erschienenen außerhalb dieser Urkunde geregelt.” Die KG beschloss sodann, ihren Sitz nach …zurückzuverlegen, was jedoch nicht in das Handelsregister eingetragen wurde.
Mit weiterem notariellem Vertrag vom …09.2008 (UR-Nr. …des o. g. Notars) erwarb Herr G. sämtliche Geschäftsanteile der Komplementär-GmbH und wurde gleichzeitig unter Abberufung von Herrn F. zu deren alleinigem Geschäftsführer bestellt. In dem Vertrag heisst es u. a.: „Der Erschienene zu 1) [= Herr F.] erklärt, dass eine noch nicht festgesetzte Gewerbesteuernachzahlung der …KG, deren persönlich haftende Gesellschafterin die hiesige Gesellschaft ist, zu erwarten ist. Hierfür steht ein Betrag in Höhe von 360 308,00 EUR zur Verfügung. Der Erschienene zu 2) bestätigt durch seine Unterschrift unter der vorliegenden Urkunde, dass er diesen Betrag vom Erschienenen zu 1) in voller Höhe erhalten hat.”
Am … September 2008 erließ der Antragsgegner u. a. Bescheide betr. den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2007. Dabei setzte er die Jahressteuer entsprechend der eingereichten Steuererklärung auf 360 308,00 EUR fest (Fälligkeit der Nachzahlung in gleicher Höhe: … Oktober 2008). Die KG entrichtete die Abgabenverbindlichkeit bei Fälligkeit und in der Folgezeit jedoch nicht.
Am … Oktober 2008 ging beim Antragsgegner folgendes Schreiben der bisherigen steuerlichen Berater der KG (Steuerberater I. aus …) vom … September 2008 ein: „… die Geschäftsführung der vorgenannten Gesellschaft hat uns mit Wirkung vom …09. 2008 davon in Kenntnis gesetzt, dass die Firma veräußert wurde. Wir haben sämtliche Unterlagen übergeben und vertreten die Gesellschaft nicht weiter. Wir bitten daher, die beigefügten Steuerbescheide aufzuheben und an den neuen steuerlichen Vertreter bekannt zu geben. ….” Daraufhin erwiderte der Antragsgegner unter dem … Oktober 2008 Folgendes: ” Betreff: Widerruf der Vertretungs- und Empfangsvollmacht; …. Nach § 80 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 122 Abs. 1 Satz 3 AO wurden die Steuerbescheide vom … September 2008 wirksam bekanntgegeben. Der Widerruf der Vollmacht wurde hier erst mit Zugang am … Oktober 2008 wirksam. Einer Aufhebung der Steuerbescheide kann ich nicht entsprechen, da die rechtlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Steuerbescheide nicht gegeben sind….”
Der Versuch einer Sachpfändung seitens eines Vollziehungsbeamten des Antragsgegners am … Februar 2009 im Geschäftslokal der KG in … verlief fruchtlos.
Am … Februar 2009 stellte die KG beim Amtsgericht J. einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, welcher jedoch mit Beschluss des Amtsgerichts K., an das das Verfahren zuständigkeitshalber abgegeben wurde, vom … Oktober 2009 mangels Masse abgewiesen wurde (Az.: …). Der Gutachter im Insolvenzantragsverfahren ermittelte noch vorhandene Aktiva in Höhe von 2,00 EUR, denen fällige Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt …EUR (davon rückständige Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von …EUR) gegenüberstanden.
Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des letzten Alleingesellschafters der KG, Herrn G., heißt es in dem Gutachten vom … Oktober 2009:
„Der derzeitige Geschäftsführer der Komplementärin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. Nach seinen Angaben wurde er etwa im August 2008 vor dem Jobcenter…von einem Herrn H. angesprochen. Dieser bot ihm eine Anstellung als Bauleiter an. Im Gegenzug sollte er im eigenen Namen Gesellschaftsanteile an der Komplementärin sowie die Kommanditanteile an der Schuldnerin für Herrn H. erwerben. Dies sollte auch vertraglich geregelt werden. Der Geschäftsführer legte ein Schriftstück vom …09.2009 vor, das mit Vereinbarung einer stillen Beteiligung/Treuhandvertrag überschrieben, jedoch nicht von Herrn H. unterschrieben war (siehe Anlage A1). Diese Vereinbarung sieht einen Kaufpreis für die GmbH-Anteile in Höhe von 5 000,00 EUR und für die Kommanditanteile von 4 000,00 EUR vor. Den Gesamtbetrag von 9 000,00 EUR habe ihm Herr H. bar übergeben, mit der Verpflichtung, diese an den Verkäufer auszuzahlen. Die entsprechenden Quittungen legte der Geschäftsführer im Anhörungstermin vor….”
Zu dem notariell beurkundeten Vertrag über die Abtretung der GmbH-Anteile an Herrn G. vom 24. September 2008 heißt es in dem vorgenannten Gutachten im Insolvenzantragsverfahren:
„Laut diesem Vertrag wurde ihm [Herrn G.] ein Betrag von 360 308,00 EUR für eine noch zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung von Herrn F. übergeben. Der Geschäftsführer gab auf Nachfrage an, dass er diesen Betrag nicht erhalten habe. Auf Vorhalt, dass der den Erhalt des Geldes mit seiner Unterschrift unter den Vertrag quittierte, erwiderte er, dass er mangels Interesses bei der Verlesung durch den Notar nicht zugehört habe und von diesen Angelegenheiten sowieso keine Ahnung habe. Auf diese Thematik angesprochen, verstrickte sich Herr F. während der gerichtlichen Anhörung in Widersprüchlichkeiten hinsichtlich des Zeitpunkts der tatsächlichen Übergabe des Geldes. Einmal erklärte er, dass das Geld im Beisein des Notars übergeben wurde, später führte er aus, dass das Geld nach dem Termin übergeben worden sei. Des Weiteren konnte er auch keine Angaben machen, ob sich das Geld in einem Umschlag o. ä. befunden habe. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die 360 308,00 EUR dem Geschäftsführer nicht ausgehändigt wurden.
Im vorgenannten Vertrag wurde ebenfalls beurkundet, dass der Geschäftsführer von Herrn F. 70 Ordner, die im Anhang einzeln aufgeführt werden, erhalten habe. Auf Nachfrage erklärte der Geschäftsführer, dass er diese tatsächlich erhalten habe, sie jedoch sofort nach Erhalt an Herrn H. weitergegeben zu haben. Den Inhalt der Ordner kenne der Geschäftsführer nicht. Was anschließend mit den Unterlagen geschehen sei, wisse er nicht. Die Unterlagen sind seitdem nicht mehr auffindbar….”
Die KG erzielte laut ihren Jahresabschlüssen zum 31. Dezember 2005 bis zum 31. Dezember 2007 folgende Umsätze und Betriebsergebnisse:
Umsätze: | Betriebsergebnis: | |
1.7. – 31.12.2005: | … EUR | ./. … EUR |
2006: | …EUR | ./. … EUR |
2007: | …EUR | …EUR |
Gegenüber Herrn G. erließ der Antragsgegner am …August 2010 ebenfalls einen auf § 69 i. V. m. § 34 AO gestützten Haftungsbescheid über die o. g. 360 308,00 EUR, den dieser bestandskräftig werden ließ.
Mit auf § 69 i. V. m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestütztem Bescheid vom … September 2010 nahm der Antragsgegner den Antragsteller als ehemaligen Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH wegen der rückständigen Gewerbesteuerschuld der KG in Höhe von 360 308,00 EUR persönlich in Haftung. Der Antragsteller legte hiergegen fristgerecht Einspruch ein, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.
Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme des Antragstellers führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass dieser als Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH grob fahrlässig nicht für eine fristgerechte Tilgung der Gewerbesteuerschuld 2007 durch die KG gesorgt habe. Der gesamte Geschehensablauf erinnere an eine illegale Firmenbestattung, in deren Folge es zum Verlust der für die Entrichtung der Gewerbesteuer 2007 bestimmten finanziellen Mittel gekommen sei. Durch die Veräußerung eines insolventen oder insolvenzreifen Unternehmens solle in der Regel der Zugriff der Gläubiger auf das übernommene Unternehmen und ihre bis dahin tätigen Altgesellschafter vereitelt werden. Zeitlich abgestimmt auf die Übernahme werde regelmäßig ein neuer Geschäftsführer bestellt. Diese Person solle jedoch tatsächlich keinerlei Geschäftstätigkeit mehr entfalten. Zumeist werde dabei eine natürliche Person als neuer Geschäftsführer eingesetzt, die aufgrund ihrer bisherigen Arbeitslosigkeit und ihres fehlenden Privatvermögens in dem Unternehmen allenfalls eine Strohmannfunktion innehabe. Außerdem werde die Firma des übernommenen Unternehmens geändert und deren Standort an einen bloßen Scheinsitz möglichst in einem anderen Bundesland verlegt. Alle diese Merkmale einer typischen Firmenbestattung seien im vorliegenden Fall erfüllt.
Die KG sei ausweislich der letzten vorliegenden Bilanz auf den 31. Dezember 2007 nicht insolvent gewesen. So sei davon auszugehen, dass sämtliche in der vorgenannten Bilanz ausgewiesenen Bankverbindlichkeiten in Höhe von rund 8 Mio. EUR in der Folgezeit unter Verwendung der Erlöse aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen getilgt worden seien, da diese Verbindlichkeiten im Gutachten im Insolvenzantragsverfahren nicht mehr aufgeführt seien.
Der Antragsteller habe den Eintritt des Vermögensschadens des Fiskus durch Hinterlegung des entsprechenden Geldbetrages bei einer neutralen Stelle vermeiden können. Zudem hätte eine nachträgliche Gewerbesteuervorauszahlung vom Antragsgegner festgesetzt werden können oder die bisherigen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH hätten unter Hinweis auf den beabsichtigten Verkauf der KG-Anteile auf eine zeitnahe Gewerbesteuerveranlagung 2007 drängen und den Zugang des Steuerbescheides vor Durchführung des Anteilsverkaufs abwarten können.
Neben dem Antragsteller seien auch der ehemalige Mitgeschäftsführer Dr. E. sowie die Nachfolgegeschäftsführer F. und G. wegen derselben Primärschuld persönlich in Haftung genommen worden. Weitere Personen, die als Haftungsschuldner in Betracht kämen, seien nicht bekannt.
Mit Bescheid vom … September 2010 lehnte der Antragsgegner den bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen hierfür ab.
Im Rahmen seines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass er während seiner Amtszeit als Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH keine grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. von § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO begangen habe. Alle Steuererklärungen seien fristgerecht eingereicht worden. Er könne nicht für Steuern in Haftung genommen werden, die zum Zeitpunkt der Aufgabe seines Mitgeschäftsführeramtes noch gar nicht festgesetzt gewesen seien. Zum Zeitpunkt des Amtsverlustes (… September 2008) hätten keinerlei Steuerrückstände bestanden. Am … August 2008 sei vorausschauend die Gewerbesteuerbelastung für das Jahr 2007 ermittelt worden. Der zu erwartende Gewerbesteuerbetrag in Höhe von 360 308,00 EUR, der erst mehr als einen Monat nach der Geschäftsanteilsveräußerung fällig geworden sei, sei auf einem Bankkonto der KG zweckgebunden bereitgestellt worden. Herrn F. sei Bankvollmacht erteilt worden. Er, der Antragsteller, habe damit alles Notwendige getan, damit der Fiskus die ihm zustehende Gewerbesteuerzahlung für das Streitjahr 2007 fristgerecht habe vereinnahmen können. Es müsse zwingend die freie unternehmerische Entscheidung bleiben, ob, wann und an wen eine Gesellschaft veräußert werde. Gegen den Vorwurf des Antragsgegners, es habe eine sog. „Firmenbestattung” stattgefunden, verwahre er sich ausdrücklich. Herr F. als Anteilserwerber sei ihm und dem Mitgeschäftsführer Dr. E. gut bekannt. Vorangegangene Geschäfte mit Herrn F. seien ohne Beanstandungen durchgeführt worden. Die Unterstellung des Antragsgegners, dass es für die Abtretung der GmbH-Anteile keinen vernünftigen wirtschaftlichen Grund gegeben habe, sei abwegig. Nachweislich habe die KG mehrere unerledigte Gewährleistungsstreitigkeiten gehabt. Außerdem seien Restkaufpreise bislang nicht freigegeben worden und lägen heute noch Streitigkeiten mit den Neueigentümern über Baumängel und Fehler in der Teilungserklärung vor. Der wirtschaftliche Vorteil des Anteilserwerbs seitens des Herrn F. habe kurzfristig in der Realisierung der noch offenen Restkaufpreise in Höhe von insgesamt 31 860,18 EUR gegenüber folgenden Erwerbern bestanden: …, Dres. …und … und …, Eheleute … Dr. ….
Die sehr gute Bonität der KG, die vielfältigen Geschäftskontakte und die damit verbundenen Auftragstätigkeiten (Dienstleistungen etc.) seien wohl einige der Gründe gewesen, die Herrn F. zum Anteilserwerb bewogen hätten. Nähere Einzelheiten seines Geschäftskonzepts seien ihm, dem Antragsteller, aber nicht bekannt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids vom … September 2010 ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er verweist zunächst auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Haftungsbescheid. Ergänzend führt er aus, dass der Antragsteller sowie Dr. E. nach den von der…Bank auf Anfrage überlassenen Kontounterlagen bis zur Kündigung des Kontos mit der Nr. …per Telefax-Schreiben seitens A. an die …Bank vom 4. Oktober 2008 jeweils eine online-Vollmacht betr. das Konto innegehabt hätten.
Dem Senat haben bei seiner Entscheidung die Akten 9 V …/10 und 9 V …/10 des FG Berlin-Brandenburg (betr. Aussetzung der Vollziehung der gegenüber F. sowie Dr. E. ergangenen Haftungsbescheide) sowie neun Bände Haftungs- und Steuerakten betr. die KG (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
II.
Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – kann das Finanzgericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind danach zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des Bescheids anhand des Tatbestands, der sich aus den Akten ergibt, neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluss des BFH vom 10. Februar 1967 III B 9/66, Bundessteuerblatt – BStBl – III 1967,182, seitdem ständige Rechtsprechung des BFH).
1. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes bestehen keine ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids.
a.) Der Antragsteller hat sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand des § 69 i. V. m. § 34 AO dadurch verwirklicht, dass er als Mitgeschäftsführer der einzigen Komplementärin der KG nicht für eine Entrichtung der dem Grunde und der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen Gewerbesteuerschuld 2007 vor der Abtretung der GmbH-Anteile an Herrn F. sowie zeitgleicher Beendigung seines Mitgeschäftsführeramtes am … September 2008 gesorgt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – kann sich der gesetzliche Vertreter eines Steuerschuldners bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit einer Steuer einer haftungsauslösenden Pflichtverletzung i. S. von § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO schuldig machen, wenn er ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 19/02, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2004, 967 sowie Jatzke, in: Beer-mann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO Rz. 27 ff., jeweils m. w. N.).
Nach Überzeugung des Senats gilt dieser Grundsatz nicht nur in den Fällen, in denen der die Mittelvorsorgepflicht verletzende Geschäftsführer auch bei Eintritt der Fälligkeit der Steuern noch im Amt ist, sondern auch dann, wenn der bisherige gesetzliche Vertreter der Gesellschaft bei Eintritt der Fälligkeit der Steuern zwar sein Amt bereits aufgegeben oder verloren hat, aber in der Zeit vor der Amtsaufgabe oder dem Amtsverlust zumindest grob fahrlässig gegen die o. g. Mittelvorsorgeverpflichtung verstoßen hat.
Im vorliegenden Fall hatten sowohl der Antragsteller als auch sein Bruder als Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH im Zeitpunkt der Abtretung der GmbH-Anteile sowie Aufgabe ihrer Mitgeschäftsführerämter (… September 2008) aufgrund der unter Mitwirkung von Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellten, von ihnen beiden unterschriebenen und beim Antragsgegner am … September 2008 eingereichten Gewerbesteuererklärung 2007 sowie des damit korrespondierenden Jahresabschlusses der Gesellschaft zum 31. Dezember 2007 positive Kenntnis davon, dass die KG für das Streitjahr 2007 eine Gewerbesteuer in Höhe von 360 308,00 EUR nachzuzahlen hatte. Da er und Dr. E. ihre Geschäftsanteile an eine Person veräußert haben, die von vorneherein im Verdacht gestanden hat, selbst „Firmenbestatter” zu sein oder bereits im Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher GmbH-Anteile die Absicht zu haben, die Anteile kurze Zeit später an einen „Firmenbestatter” weiterzuveräußern, genügten diese ihrer Vorsorgepflicht i. S. der vorgenannten BFH-Rechtsprechung durch Einzahlung der 360 308,00 EUR auf das Geschäftskonto der KG bei der Berliner Bank nicht, sondern hätten vor der Veräußerung der GmbH- und der KG-Gesellschaftsanteile durch zusätzliche Maßnahmen sicherstellen müssen, dass der Fiskus im Zeitpunkt der Fälligkeit der am 1. Januar 2008 kraft Gesetzes (vgl. § 18 des Gewerbesteuergesetzes – GewStG –) bereits entstandenen Gewerbesteuer 2007 diese vollständig vereinnahmen werde (z. B. durch Bestellung einer Bankbürgschaft zugunsten des Antragsgegners oder Hinterlegung des streitgegenständlichen Betrages beim zuständigen Amtsgericht o. ä. m.).
Im vorliegenden Fall haben sich der Antragsteller und Dr. E. nach ihren eigenen Angaben über das Zustandekommen der Verträge vom … September 2008 in keiner Weise die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Herrn F. nachweisen lassen, obwohl dieser ein Unternehmen übernehmen sollte, bei dem nach dem Verkauf der vorhandenen Immobilien nur noch restliche Abwicklungsarbeiten mit – im Vergleich zum Jahr 2007 – minimalen Gewinnerzielungschancen durchzuführen gewesen sind. So bestand von Anfang an die Gefahr, dass Herr F. die 360 308,00 EUR vom Geschäftskonto der KG abheben (was ja auch tatsächlich geschehen ist) und sich z. B. mit dem Geld ins Ausland absetzen würde oder das Geld im Inland für unternehmensfremde Zwecke verwenden würde. Für diesen Fall wurden keinerlei Sicherheitsvorkehrungen getroffen (z.B. Beibringung einer Bankbürgschaft seitens des Herrn F.). Auch die übrigen Umstände des Anteilsverkaufs (z. B. Verkauf nur wenige Wochen vor Eintritt der Fälligkeit einer hohen und in dieser Höhe für die KG einmalig auftretenden Steuernachzahlung; absehbare Vermögenslosigkeit der KG nach Erbringung dieser Steuerzahlung, vgl. Insolvenzgutachten vom … Oktober 2009 – …) sprechen dafür, dass es sich bei diesem nicht um ein normales Verkehrsgeschäft gehandelt hat.
Nach dem Schriftsatz des Herrn F. vom … August 2010 hat er sich seit August/September 2008 für den Ankauf der KG- und der GmbH-Gesellschaftsanteile interessiert, um diese mit Gewinn weiterzuveräußern. Nach seinen Angaben kannten ihn der Antragsteller und sein Bruder schon längere Zeit und hätten gewusst, dass er sein Einkommen zum Teil aus Gewinnen aus dem An- und Verkauf von Gesellschaftsanteilen dieser Art erwirtschaftete. Diese Darstellung des Herrn F. ist gleichfalls nicht nachvollziehbar und widerspricht dem bislang bekannten Akteninhalt.
Ebenso ist es unverständlich, dass Herr F. die KG- und die GmbH-Gesellschaftsanteile schon am 24. September 2008 an Herrn G. veräußerte, obwohl dieser offenbar über keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse verfügte und selbst nur als Treuhänder für einen Herrn H. aus der Republik Jemen handelte, dessen dortige Anschrift für das Gericht nicht ermittelbar ist und der nach Aktenlage auch nicht unter der im Treuhandvertrag angegebenen Adresse „… ” beim dortigen Einwohnermeldeamt registriert gewesen ist. Weitere für das Vorliegen normaler Verkehrgeschäfte atypische Umstände des Falles ergeben sich aus dem bereits zierten Insolvenzgutachten vom …. Oktober 2009. Im Übrigen wurde gegen Herrn G. ein Strafverfahren eingeleitet (Amtsgericht …, Az.: …). Dieser Sachverhalt spricht für eine sog. „Firmenbestattung”.
Für eine sog. Firmenbestattung ist typisch, dass eine Person als alleiniger Geschäftsführer einer GmbH unter gleichzeitiger Abberufung der bisher Verantwortlichen bestellt wird, die wegen fehlenden Einkommens und Privatvermögens nicht als Haftungsschuldner für den Fiskus in Betracht kommt.
Selbst wenn sich der Antragsteller und sein Bruder dieser Gefahren im Einzelnen nicht bewusst gewesen sein sollten, handelten sie zumindest grob fahrlässig i. S. von § 69 AO als sie den gesamten Betrag in Höhe von 360 308,00 EUR als Kontoguthaben zur Verfügung gestellt und nicht die o. g. Sicherheitsvorkehrungen zugunsten des Fiskus getroffen haben.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach Auskunft der…Bank der Antragsteller und sein Bruder bis zum … Oktober 2008 (= Kündigung der Kontoverbindung durch den Antragsteller) noch Online-Vollmacht über das maßgebliche Geschäftskonto der KG besessen haben. Auch dies spricht dafür, dass der Antragsteller und sein Bruder auf die Abwicklung des Unternehmensverkaufs an Herrn F. auch noch nach dem …September 2008 Einfluss nehmen konnten und wollten.
b.) Zutreffend ist der Antragsgegner (u. a. aufgrund des Inhalts des letzten ihm vorliegenden Jahresabschlusses der KG auf den 31. Dezember 2007) im Schätzungswege (§ 162 Abs. 1 AO) von einer hundertprozentigen Haftung des Antragstellers für die rückständige Gewerbesteuer 2007 ausgegangen. Substantiierte Einwendungen hiergegen hat der Antragsteller nicht vorgebracht.
c.) Form- und Ermessensfehler des angefochtenen Haftungsbescheids sind nicht ersichtlich. Eine zusätzliche Haftungsinanspruchnahme der GmbH nach § 191 Abs. 1 i. V. m. § 128 HGB analog war wegen deren Vermögenslosigkeit nicht geboten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Der Senat hat die Beschwerde gegen den Beschluss wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).