16.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123421
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 13.08.2012 – 6 V 51/12
Der Prokurist kann als Haftender nur in Anspruch genommen werden, wenn zu seinem Pflichtkreis auch die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten des Geschäftsherrn gehört oder wenn er tatsächlich die steuerlichen Angelegenheiten erledigt.
Finanzgericht Hamburg v. 13.08.2012
6 V 51 / 12
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob der Antragsgegner die Antragstellerin als ehemalige Prokuristin für Steuerschulden der GmbH in Anspruch nehmen durfte.
Die Antragstellerin war seit 2005 Prokuristin der im Jahr 1997 gegründeten … GmbH, Hamburg (HRB …) - V-GmbH -, mit der Befugnis, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen. Der Unternehmensgegenstand der V-GmbH umfasste Dienstleistungen und Vermittlungen im Bereich von Finanzierungen, Kapitalanlagen, Versicherungen und Bausparverträgen. Die V-GmbH firmierte seit 2006 unter A Vertriebsgesellschaft mbH. Mit Gesellschafterbeschluss vom … 2010 wurde die Firma in B Vermittlungsgesellschaft mbH geändert, ihr Sitz nach C (jetzt Amtsgericht C HRB …) verlegt und das Erlöschung der Einzel-Prokura der Antragstellerin zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet; die Prokura wurde am … 2011 als erloschen eingetragen.
Bereits im Jahr 2004 war die Antragstellerin tätig für Herrn D, dem späteren Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten, der bzw. die für die V-GmbH gegenüber dem Antragsgegner auftraten. In dieser Eigenschaft unterzeichnete die Antragstellerin äi. A. für Herrn D bzw. die Prozessbevollmächtigte Schreiben vom 22.04.2004, 09.09.2004 und 30.06.2005 in Vertretung für die V-GmbH an den Antragsgegner.
Am 26.01.2011 erließ der Antragsgegner gegenüber der V-GmbH Bescheide für 2009 über Körperschaftsteuer in Höhe von … ?, Verspätungszuschlag zur Körperschaftsteuer in Höhe von … ?, Solidaritätszuschlag in Höhe von … ?, Gewerbesteuer in Höhe von … ? und Verspätungszuschlag zur Gewerbesteuer in Höhe von … ?. Der Beklagte hatte die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzt, weil die V-GmbH keine Steuererklärungen abgegeben hatte.
Gegen die Antragstellerin erging nach erfolgter Haftungsanhörung vom 13.07.2011 am 19. 12 .2011 ein Haftungsbescheid über eine Gesamthaftungssumme von … ?. Dieser Betrag setzt sich laut Anlage 2 zum Haftungsbescheid wie folgt zusammen:
Steuerart
Zeitraumfällig zum
Betrag
Körperschaftsteuer
2009
28.02.2011
… ?
Verspätungszuschlag zur Körperschaftsteuer
2009
28.02.2011
… ?
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer
2009
28.02.2011
… ?
Gewerbesteuer
2009
28.02.2011
… ?
Verspätungszuschlag zur Gewerbesteuer
2009
28.02.2011
… ?
Säumniszuschlag zur Lohnsteuer
Mrz 09
13.04.2009
… ?
Gesamtsumme
… ?
Der Antragsgegner begründete die Inhaftungnahme der Antragstellerin unter anderem damit, dass die in der Anlage genannten Steuern bei rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärungen während ihrer Tätigkeit als Prokuristin für die V-GmbH fällig gewesen seien. Die Antragstellerin sei Verfügungsberechtigte der V-GmbH gewesen und habe als solche die Pflichten des gesetzlichen Vertreters zu erfüllen gehabt. Die V-GmbH sei nicht durch einen steuerlichen Berater vertreten gewesen; die Steuererklärungspflichten hätten bis zum 31.05.2010 erfüllt werden müssen. Die Antragstellerin sei mit Schreiben vom 13.07.2011 aufgefordert worden, die Eigentums- und Verfügungsverhältnisse bei der V-GmbH darzulegen. Sie habe auch nach ihrer Abberufung als Prokuristin Zugriff auf die Geschäftsunterlagen der V-GmbH gehabt; das folge daraus, dass sie Kenntnis von der Erinnerung an die Abgabe der Erklärungen für 2009 vom 24.01.2011 gehabt habe. Weiterhin habe sie für den Haftungszeitraum nicht dargelegt, in welchem Umfang die Steuerverbindlichkeiten und die anderen Verbindlichkeiten getilgt worden seien; die einer pflichtgemäßen Mittelverwendung entsprechende Tilgungsquote habe somit nicht errechnet werden können. Die Antragstellerin habe auch zumindest grob fahrlässig und schuldhaft gehandelt; sie habe in Kenntnis der von ihr wahrzunehmenden steuerlichen Pflichten der GmbH die bezeichneten Steuererklärungen nicht eingereicht und die im Haftungsbescheid geltend gemachten Steuern und Nebenleistungen nicht abgeführt, obwohl die V-GmbH über hinreichende finanzielle Mittel zur Tilgung der Steuerschulden verfügt habe. Die beiden Geschäftsführer der V-GmbH, die Herren E und F seien ebenfalls für die rückständigen Steuern in Haftung genommen worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid vom 19. 12 .2011 nebst Anlagen Bezug genommen.
Am 18.01.2012 legte die Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 07.02.2012 beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids. Diesen Antrag begründete sie damit, dass für die V-GmbH zwischenzeitlich Steuererklärungen für das Kalenderjahr 2009 eingereicht worden seien, aus denen sich ein Verlust ergebe.
Am 16.02.2012 vermerkte der Antragsgegner (Bl. 5 Rechtsbehelfsakten Bd. I), dass der Geschäftsführer der V-GmbH F die Steuererklärungen 2009 nebst Bilanz am 03.02.2012 eingereicht habe und dass aus Gründen des Bilanzenzusammenhangs die Bilanzen für die Jahre 2005-2008 angefordert worden seien. Am 09.03.2012 (Bl. 13 Rechtsbehelfsakten Bd. I) vermerkte der Antragsgegner, dass auch die Erklärungen 2005 bis 2008 am 07.03.2012 eingetroffen seien, der Bilanzenzusammenhang geprüft werden solle und die Steuer trotz erklärter Gewinne von … ? aufgrund von Verlustvorträgen gegen Null gehe.
Mit Bescheid vom 20.02.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides ab. Mit Schreiben vom 06.03.2012 hat sich die Antragstellerin zum Zwecke der Aussetzung der Vollziehung an das Gericht gewandt.
Die Antragstellerin trägt vor:
An der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids bestünden ernstliche Zweifel. Sie, die Antragstellerin, gehöre nicht zum Personenkreis des § 35 AO und habe damit keine schuldhafte Pflichtverletzung zu verantworten. Im Übrigen habe die neue Geschäftsführung zwischenzeitlich Steuererklärungen für 2009 eingereicht, aus denen sich ein Verlust ergebe. Somit könne auch kein haftungsbegründender Schaden im Sinne eines Steuerausfalls gegeben sein. Mit Schreiben vom 27.02.2012 habe der Antragsgegner die Vollstreckung angekündigt.
Es werde bestritten, dass die dem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Schätzungsbescheide auf einer sachgerechten Schätzung beruhten; Gewinne in Höhe von … ? seien branchenunüblich. Sie rege daher an, dass das Gericht die Veranlagungsakten zur Beurteilung der angewendeten Schätzungsmethode zum Verfahren hinzuziehe. Die vorgebrachten Einwendungen gegen die eingereichten Steuererklärungen für 2009 rechtfertigten nicht die Ablehnung der begehrten Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids.
Die aus der Angestelltentätigkeit für die Prozessbevollmächtigte gezogene Schlussfolgerung, dass sie, die Antragstellerin, auch als Prokuristin die steuerlichen Pflichten für die V-GmbH wahrgenommen habe, sei weder tatsächlich noch rechtlich haltbar. Die Prozessbevollmächtigte sei für die V-GmbH auch nicht steuerlich beratend tätig. Sie habe ihre Mitwirkungspflichten nicht verletzt; es sei nicht erkennbar, welche Mitwirkungspflichten sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach ihrer Abberufung als Prokuristin verletzt haben sollte.
Sie, die Antragstellerin, sei seit dem 15.03.2012 arbeitslos. Die Vollstreckung der Steuern von ca. … ? sei bei einem bisherigen monatlichen Nettoeinkommen von ca. … ? Existenz vernichtend und stelle eine unbillige Härte dar.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 19. 12 .2011 über … ? Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer nebst Verspätungszuschlägen ohne Sicherheitsleistungen auszusetzen und
2. die Vollziehung des Haftungsbescheides im Hinblick auf die zwischenzeitlich verwirkten Säumniszuschläge in Höhe von … ? aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor:
Es bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides.
Die Schätzung des Jahresüberschusses der GmbH in Höhe von … ? sei nicht willkürlich. Die Schätzung habe zudem zu einer zeitnahen Abgabe von Steuererklärungen anregen sollen.
Da für die Jahre 2005-2008 bislang keine Bilanzen, sondern nur Summen- und Saldenlisten eingereicht worden seien, sei der Bilanzenzusammenhang im Hinblick auf den Verlustvortrag nicht gegeben. Es werde bestritten, dass die Bilanz für das Jahr 2009 ordnungsgemäß aufgestellt worden sei.
Die Antragstellerin habe es versäumt, Erläuterungen zu dem ihr zugewiesenen Aufgabenbereich als Prokuristin zu machen. Ein Anstellungsvertrag oder ähnliches sei nicht eingereicht worden.
In diesem Zusammenhang sei ferner zu berücksichtigen, dass sie auch für die Prozessbevollmächtigte tätig gewesen sei, die sich nunmehr wieder für die steuerlichen Belange der V-GmbH einsetze. Auch dieser Umstand lasse darauf schließen, dass die Antragstellerin als Prokuristin auch zur Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten zuständig gewesen sei. Wegen der Versäumung ihrer Mitwirkungspflichten könnten diese Unklarheiten nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides führen.
Schließlich führe auch die Vollziehung nicht zu einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte. Eine solche sei vonseiten der Antragstellerin nicht geltend gemacht und glaubhaft dargestellt worden.
Mit Beschluss vom 07.08.2012 ist der Rechtsstreit gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Einzelrichterin übertragen worden.
Dem Gericht haben die Haftungsakten Bd. I und wie Rechtsbehelfsakten Bd. I, jeweils zur Steuernummer …/…/… vorgelegen.
II.
Die Entscheidung ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 6 FGO.
1. Der Antrag ist zulässig und begründet, soweit die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides vom 19. 12 .2011 in Höhe von … ? beantragt. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass der Antragsgegner die Antragstellerin zu Recht als Haftende in Anspruch genommen hat.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 08.03.2006 V B 156/05, BFH/NV 2006, 1527). Es genügt, dass sowohl für das eine als auch für das andere Ergebnis gewichtige Gründe sprechen und somit den Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide das Merkmal der Ernstlichkeit nicht bestritten werden kann. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels setzt § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO nicht voraus (vgl. BFH Beschlüsse vom 26.05.2010 V B 80/09, BFH/NV 2010, 2079; vom 10.07.2012 V B 33/ 12 , juris).
Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids vom 19. 12 .2011.
Nach § 191 Abs.1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Ein gesetzlicher Haftungstatbestand ist unter anderem § 69 AO, auf den der Antragsgegner den Haftungsbescheid stützt. Danach haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
Die Antragstellerin gehört nicht zu dem in § 34 AO aufgeführten Personenkreis. Sie war insbesondere nicht Geschäftsführerin der V-GmbH.
Bei summarischer Prüfung bestehen aber auch erhebliche Zweifel daran, dass die Antragstellerin als Verfügungsberechtigte im Sinne des § 35 AO in Anspruch zu nehmen ist.
a) Gemäß § 35 AO hat der als Verfügungsberechtigte im eigenen oder fremden Namen Auftretende die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters i.S.d. § 34 Abs. 1, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO ist jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt ( BFH Urteile vom 21.02.1989 VII R 165/85 , BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491; vom 27.11.1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284). Die Verfügungsmacht kann dabei auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen (Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 35 AO Rn. 5). Der Verfügungsberechtigte muss am Rechtsverkehr teilnehmen. Hinzukommen muss jedoch auch die rechtliche Verfügungsmöglichkeit, denn die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nach 34 Abs. 1 AO werden dem als verfügungsberechtigt Auftretenden nur auferlegt, soweit er sie tatsächlich und rechtlich erfüllen kann (vgl. Boeker in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 35 AO Rn. 8). Der Umfang der zu erfüllenden Pflichten hängt im Einzelfall davon ab, inwieweit demjenigen, der als Verfügungsberechtigter auftritt, Verfügungsbefugnisse nach außen eingeräumt sind und ob er tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen (Boeker in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 35 Rn. 14). Eine Haftung nach § 35 AO erfordert deshalb, dass gerade auch die steuerlichen Pflichten in den Aufgabenbereich des Verfügungsberechtigten fallen (vgl. FG Köln Beschluss vom 07.10.2003 5 V 2047/03, juris).
b) Im Streitfall kann weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch aus den Akten entnommen werden, dass die Antragstellerin als Verfügungsberechtigte nach den oben genannten Maßstäben aufgetreten ist und gehandelt hat. Allein aus der Prokuristenstellung der Antragstellerin lässt sich dieses nicht herleiten.
aa) Die Prokura ermächtigt nach § 49 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Der Prokurist kann daher Verbindlichkeiten eingehen und Zahlungen leisten. Der Prokurist ist aber - anders als der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person - nicht Organ des Vertretenen, sondern dessen Bevollmächtigter. Er ist nicht als solcher zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet. Er ist vielmehr Beauftragter seines Geschäftsherrn; dieser bestimmt seinen Wirkungskreis (vgl. BFH Urteil vom 19.07.1984 V R 70/79, BFHE 142, 11, BStBl II 1985, 147).
§ 35 AO erweitert diesen bürgerlich-rechtlich bestimmten Pflichtenkreis nicht, es sei denn, der Bevollmächtigte wäre außerhalb des ihm zugewiesenen Wirkungskreises als Bevollmächtigter „aufgetreten”. Denn auch § 35 AO nennt nur Pflichten, die dem gesetzlichen Vertreter im Verhältnis zu dem Vertretenen kraft seines Amtes obliegen. Der Prokurist kann daher nach § 35 i.V.m. § 69 AO nur als Haftender in Anspruch genommen werden, wenn zu seinem Pflichtenkreis auch die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten des Geschäftsherrn gehört oder wenn er tatsächlich die steuerlichen Angelegenheiten erledigt. Die steuerrechtlichen Pflichten gemäß § 35 AO setzen danach eine interne Kompetenzzuweisung oder eine Überschreitung der internen Pflichtenbindung durch den Prokuristen voraus (vgl. BFH Urteil vom 19.07.1984, a. a. O.; Boeker in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 35 Rn. 19; Münchener Kommentar, Handelsgesetzbuch, 2. Aufl., § 48 Rn. 66; Glanegger/Kirnberger/Kusterer/Ruß/Selder/Stuhlfelner, Handelsgesetzbuch, 7. Aufl. § 48 Rn. 6).
bb) Aus diesem Grund ist die Behauptung der Antragstellerin, die steuerlichen Pflichten für die V-GmbH nicht wahrgenommen zu haben, ein schlüssiges Bestreiten des Haftungsgrundes. Dies wird auch nicht durch den Vortrag des Antragsgegners und die von ihm vorgelegten Unterlagen widerlegt. Zwar ergibt sich aus diesen Unterlagen, dass die Antragstellerin bereits vor Aufnahme ihrer Prokuristentätigkeit für die V-GmbH Schriftverkehr im Auftrag für die durch die V-GmbH Bevollmächtigten mit dem Antragsgegner geführt hat. Daraus kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass die Antragstellerin nach Übernahme der Prokura von der V-GmbH beauftragt war, deren steuerlichen Pflichten wahrzunehmen und dieses auch getan hat.
Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin für die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH zuständig gewesen ist oder diese unter Überschreiten ihrer Zuständigkeiten selber geregelt hat, finden sich in den Akten nicht.
Eine abschließende Klärung des Umfanges der dem Antragsteller übertragenen Befugnisse muss deshalb einem eventuellen Hauptsacheverfahren überlassen bleiben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner für die tatsächlichen Voraussetzungen des Haftungsanspruchs die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt (BFH Urteil vom 17.11.1992 VII R 13/92, BFHE 170, 295, 298, BStBl 1993 II S. 471 472). Zwar ist die Antragstellerin verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Sachaufklärung mitzuwirken; eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann auch ggf. eine Entscheidung zu ihrem Nachteil rechtfertigen (BFH Urteil vom 29.11.2006 I R 103/05, BFH/NV 2007, 1067). Solche Umstände sind im Streitfall jedoch nicht genügend festgestellt; insbesondere hat der Antragsgegner bislang nicht den Anstellungsvertrag der Antragstellerin mit der V-GmbH und die Erklärung über die Erteilung der Prokura angefordert. Hierzu wird im Einspruchsverfahren Gelegenheit sein.
Die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids vom 19. 12 .2011 ist danach in beantragter Höhe von … ? auszusetzen.
2. Soweit die Antragstellerin weiter beantragt hat, bereits verwirkte Säumniszuschläge aufzuheben, hat sie auch damit Erfolg.
Die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids in Höhe von … ? wirkt nur in die Zukunft und ist deshalb insbesondere nicht geeignet, Säumniszuschläge zu beseitigen, die in der Zeit zwischen der Fälligkeit der festgesetzten Steuer und der Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entstanden sind (BFH Beschlüsse vom 23.06.1977 - V B 41/73, BFHE 122, 258, BStBl II 1977, 645; vom 06.09.1989 II B 33/89, BFH/NV 1990, 670). Dazu bedarf es der in § 69 Abs. 2 und 3 FGO ebenfalls vorgesehenen Aufhebung der Vollziehung (BFH Urteil vom 30.03.1993 - VII R 37/92 , BFH/NV 1994, 4; Beschluss vom 10. 12 .1986 - I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Rz. 55 „Säumniszuschläge”). Auch diese ist der Antragstellerin zu gewähren.
Inhaltlich ist eine Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt im Streitfall deshalb gerechtfertigt, weil schon zu diesem Zeitpunkt die genannten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestanden haben (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse in BFHE 149, 6, BStBl 1987 II S. 389 und vom 25. Mai 1988 IX B 110/86, BFH/NV 1989, 176).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Beschwerde folgt aus § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO.