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08.05.2012

Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 25.01.2012 – 3 K 616/10

1. Das für die Besteuerung eines Steuerpflichtigen zuständige Finanzamt hat bei der Entscheidung über die Beauftragung eines anderen Finanzamts mit der Durchführung einer Außenprüfung gem. § 195 Satz 2 AO neben sachlichen Gründen auch die berechtigten Interessen des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.

2. Stellt die beauftragte Behörde im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung eigene Ermessenserwägungen hinsichtlich ihrer Beauftragung an, indem sie die Erwägungen der beauftragenden Behörde ergänzt oder gar ersetzt, liegt ein Ermessensfehler vor, der zur Aufhebung der Prüfungsanordnung führt.


IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 3. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Burckgard, den Richter am Finanzgericht Kerber, den Richter Pröve, die ehrenamtliche Richterin … und den ehrenamtlichen Richter …

für Recht erkannt:

Die Prüfungsanordnung vom 09. Dezember 2009 und die hierzu ergangene Einsruchsentscheidung vom 24. März 2010 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung.

Die Klägerin wurde im Jahr 1990 unter der Firma B GmbH mit dem Sitz in M. gegründet. Der Gegenstand des Unternehmens beinhaltet laut Handelsregistereintragung seither unverändert folgende Bereiche: Handel mit Industrieerzeugnissen und landwirtschaftlichen Produkten. Die Gesellschaft tritt als Mittler bei Bartergeschäften auf und übernimmt den Ex- und Import für oben genannte Waren. Die Gesellschaft führt Beratungen, Projektierungen, Montagen, Wartung und Reparaturen auf dem Gebiet der Energieerzeugung, der Kälte-, Klima- und Lüftungstechnik durch. Die Gesellschaft arbeitet auf dem Gebiet der Nutzung von umweltfreundlichen alternativen Energien und erstellt Energiekonzepte und Energiesparprogramme. Die Gesellschaft kann sich an anderen Gesellschaften beteiligen, um die oben genannten Gesellschaftsziele zu erreichen.

Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 13. Dezember 2002 wurde die Firma in A GmbH geändert.

Die Gesellschaft ist bis heute bei Handelsregister B des Amtsgerichts S. unter der Nummer HRB … eingetragen. Als Sitz ist nach wie vor M. eingetragen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte dem Finanzamt M. I mit Schreiben vom 19. März 2008 mit dem Betreff „Sitzverlegung” mit, dass anlässlich einer „Geschäftsführerzusammenkunft” am 5. März 2008 entschieden worden sei, den „Sitz der Geschäftsleitung” nach H. zu verlegen. Der „Sitz der Geschäftsleitung” befinde sich ab dem 17. März 2008 in 22179 H., … Das Finanzamt wies mit Schreiben vom 10. November 2008 darauf hin, dass die Sitzverlegung durch die Gesellschafterversammlung beschlossen werden müsse und bat um die Übersendung des entsprechenden Beschlusses. In einem weiteren Schreiben an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 12. Dezember 2008 führte das Finanzamt M. I aus, dass man festgestellt habe, dass sich der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin nunmehr dort befinden solle, wo auch der Prozessbevollmächtigte Kanzleiräume habe. Eine durch das Finanzamt H. durchgeführte Umsatzsteuernachschau habe ergeben, dass die Klägerin keine Büroräume unter der Adresse … in H. unterhalte. Telefonisch sei sie dort auch nicht zu erreichen. Entsprechendes sei vielmehr unter der Adresse in M. der Fall. Im Internet sei als Firmensitz ebenfalls M., …, angegeben.

Der Prozessbevollmächtigte reichte die Kopie des Gesellschafterbeschlusses vom 5. März 2008 nach (Schreiben vom 11. Februar 2009). Der Beschluss lautet (auszugsweise) wie folgt:

Die Geschäftsführer der B GmbH vertreten durch den Herrn B. L., Herrn P. L. und Herrn Dr. V. H. fassen folgenden:

Gesellschafterbeschluss
Anlässlich der Gesellschafterversammlung am 05.03.08 in B. NL wurde beschlossen den Sitz der Geschäftsführung nach H. zu verlegen. […]

B., den 05.03.08

Der Beschluss ist von den eingangs des Beschlusses genannten Personen unterschrieben. Der Prozessbevollmächtigte erläuterte hierzu, dass B. L. und P. L. Geschäftsführer der Mehrheitsgesellschafterin, der A International BV, seien. Somit sei der Beschluss tatsächlich von allen Gesellschaftern unterzeichnet worden. Ergänzend führte er aus, dass die maßgeblichen Beschlüsse der Gesellschaft überwiegend in H., …, aber teilweise auch in den Niederlanden in …, getroffen würden.

Den vom Beklagten vorgelegten Akten ist zu entnehmen, dass sich das Finanzamt M. I um eine „Aktenabgabe” an das Finanzamt H. bemühte. Dieses erklärte sich schließlich zur Übernahme bereit und teilte mit Schreiben vom 4. November 2008 dem Finanzamt M. I die Steuernummer mit, unter der die Klägerin bei ihm geführt werde (…). Die Aktenübernahme erfolgte am 17. April 2009.

Aus den vom Beklagten – auch zu weiteren Verfahren der Klägerin – vorgelegten Akten ergibt sich, dass in der Zeit vom 27. Oktober 2008 bis zum 10. November 2008 bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) durchgeführt wurde. Dem hierzu gefertigten Vermerk ist zu entnehmen, dass die Nachschau angeordnet worden war, um festzustellen, ob das Finanzamt M. I noch örtlich zuständig sei. Der mit der Nachschau betraute Beamte stellte fest, dass die Klägerin in M. Büroräume habe; deren Größe könne er aber nicht beurteilen, auch nicht, ob die Klägerin ausschließlich von M. aus tätig werde. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass das Finanzamt M. nicht mehr örtlich zuständig sei. Auf den weiteren Inhalt des Vermerks wird Bezug genommen.

Das Finanzamt H. beauftragte mit Schreiben vom 08. Dezember 2009 den Beklagten (zum 01. April 2009 hatten die Finanzämter M. I und M. II fusioniert) gemäß § 195 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) mit der Durchführung einer Außenprüfung bei der Klägerin. Die Prüfung solle sich auf die Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer der Veranlagungszeiträume 2004 bis 2006 sowie auf die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3, § 37 Abs. 2 und § 38 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum 31. Dezember 2004 bis zum 31. Dezember 2006 erstrecken. Der Auftrag wurde damit begründet, dass sich der Sitz des Unternehmens in M. befinde und deshalb eine Prüfung von H. aus („hier aus”) nicht zweckmäßig sei. Der Prüfungsauftrag schloss die Erteilung der Prüfungsanordnung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) mit ein. Sollten sich aus der Prüfung Erkenntnisse ergeben, die eine inhaltliche Einschränkung der Prüfungsanordnung oder eine Erweiterung des Prüfungszeitraums zweckmäßig oder notwendig erscheinen lassen, erteile man der Betriebsprüfungsstelle des Finanzamtes M. ausdrücklich die Genehmigung in eigener Zuständigkeit zu entscheiden bzw. tätig zu werden.

Der Beklagte erließ unter dem Datum vom 09. Dezember 2009 gegenüber der Klägerin eine Prüfungsanordnung, wonach aufgrund des § 193 Abs. 1 AO bei der Klägerin eine allgemeine Außenprüfung (Betriebsprüfung) durchgeführt werden soll. Die Prüfung werde sich auf die Körperschaftsteuer 2004 bis 2006, die Gewerbesteuer 2004 bis 2006 und die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3, § 37 Abs. 2 und § 38 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 2004 bis zum 31. Dezember 2006 erstrecken. Unter Hinweis auf § 195 Abs. 2 AO führte der Beklagte aus, dass die Prüfung im Auftrag des Finanzamtes H. erfolgen werde. Auf den weiteren Inhalt der Prüfungsanordnung wird Bezug genommen.

Nach einem Aktenvermerk vom 28. Dezember 2009 suchte die Prüferin die Geschäftsräume der Klägerin in M. zum vorgesehenen Prüfungsbeginn auf, es öffnete jedoch niemand die Tür. Die Prüferin vermerkte, dass sie den Eindruck hatte, dass sich niemand in den Räumen befand.

Die Klägerin legte durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen die Prüfungsanordnung fristgemäß Einspruch ein. Sie rügte, dass aus der Prüfungsanordnung nicht zu erkennen sei, aus welchen Gründen das Finanzamt H. den Prüfungsauftrag erteilt habe. Außerdem sei nicht ersichtlich, wann das Finanzamt H. den Beklagten ermächtigt habe, die Prüfungsanordnung für die Jahre 2004 bis 2006 zu erlassen.

Der Beklagte teilte dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 27. Januar 2010 mit, dass im der Prüfungsauftrag des Finanzamtes H. vom 08. Dezember 2009 schriftlich vorliege. Er gab den Inhalt des Prüfungsauftrags wieder, insbesondere die Begründung, dass der Beklagte die Prüfung übernehmen solle, weil sich der Sitz des Unternehmens in M. befinde und deshalb eine Prüfung von M. aus zweckmäßig sei. Wegen der weiteren Ausführungen des Beklagten wird auf sein Schreiben vom 27. Januar 2010 Bezug genommen.

Der Prozessbevollmächtigte erwiderte, dass er nicht die Auffassung teile, dass sich der Sitz des Unternehmens in M. befinde. Für den Sitz sei die rechtsgeschäftliche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag maßgebend. Dieser könne daher durch den Steuerpflichtigen frei gewählt werden. Sinn und Zweck einer Auftragsprüfung sei, dass die Außenprüfung durch die beauftragte Behörde z.B. wegen größerer Sach- bzw. Spezialkenntnis, größerer Ortsnähe oder zur Sicherstellung gleicher Entscheidungen bei gleichgelagerten Sachverhalten zweckmäßig sei. Diese Gründe würden nicht vorliegen. Die Begründung des Finanzamtes H. für die Durchführung der Auftragsprüfung sei daher ermessensfehlerhaft. Ungeachtet der Frage der Auftragsprüfung bitte er um Mitteilung, aus welchen Gründen die Bestimmung des § 4 Abs. 3 BpO nicht beachtet worden sei. Schließlich wies der Prozessbevollmächtigte unter Angabe des BFH-Urteils vom 18. November 2008 VIII R 41/07 darauf hin, dass § 367 Abs. 3 AO zur Anwendung komme.

Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2010 den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus, dass das Finanzamt H. nach Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung gemäß § 20 Abs. 1 AO für die Besteuerung des Einkommens der Klägerin örtlich zuständig geworden sei. Das Finanzamt H. habe den Beklagten mit Auftrag vom 08. Dezember 2009 ermessensfehlerfrei nach § 195 Abs. 2 AO mit der Außenprüfung beauftragt. Der Grund der Auftragsprüfung sei, dass der Beklagte die größere Ortnähe zum Sitz des Unternehmens habe. Laut einem Handelsregisterauszug vom 18. März 2010 sei der Sitz der Klägerin in M. Nach den äußerlich erkennbaren Umständen betreibe die Klägerin ihr Unternehmen ganz oder zumindest vorwiegend von M. aus. In M. nehme die Klägerin Aufträge entgegen und bereite deren Ausführung vor. Die Ausführung sowie die Entgegennahme von Zahlungen erfolgen ebenfalls von M. aus, soweit dies für das Finanzamt bisher erkennbar war. In den öffentlichen Medien wie Telefonbuch und Gelbe Seiten sei die Klägerin ebenfalls mit der M.er Adresse verzeichnet. Dies habe sie bisher nie bestritten. Die Außenprüfung sei gemäß § 193 Abs. 1 AO zulässig, weil die Klägerin einen gewerblichen Betrieb unterhalte. Der zeitliche Umfang der Prüfung entspreche § 4 Abs. 3 BpO. Wegen der weiteren Ausführungen des Beklagten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 22. April 2010, der am 23. April 2010 bei Gericht eingegangen ist, hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin führt zur Begründung ihrer Klage aus, dass der Beklagte die Auffassung vertrete, dass er den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung gemäß § 4 Abs. 3 BpO für die Jahre 2004 bis 2006 bestimmt habe. Der Hinweis auf die Vorschrift des § 4 Abs. 3 BpO sei nicht hinreichend spezifiziert worden. Die Klage könne deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht detailliert begründet werden. Hierzu benötige man eine weitere Stellungnahme des Finanzamtes M.

In der mündlichen Verhandlung haben die Vertreter der Klägerin ihren Hinweis auf § 4 Abs. 3 BpO dahingehend erläutert, dass die vom Beklagten für die Veranlagungszeiträume 2001 bis 2003 angeordnete Betriebsprüfung noch nicht abgeschlossen sei. Über die Anordnung dieser Prüfung werde im Verfahren 3 K 1216/09 gestritten. Im Ergebnis führe dies zu einem Prüfungsumfang von sechs Jahren, woraus sich ergebe, dass die im vorliegenden Verfahren angefochtene Prüfungsanordnung ermessensfehlerhaft sei. Auch haben sie ergänzend ausgeführt, dass es ermessenfehlerhaft sei, die Klägerin zu prüfen, weil sie durchgehend Verluste erwirtschaftet habe, eine Prüfung damit ohne steuerliche Relevanz sei. Dies hätte der Beklagte berücksichtigen müssen. Des Weiteren haben die Vertreter der Klägerin bestritten, dass die Klägerin in M. Aufträge entgegen nehme und deren Ausführung vorbereite. Die Ausführung sowie die Entgegennahme von Zahlungen erfolgen ebenfalls nicht von M. aus. All dies passiere in H.

Die Klägerin beantragt,

die Prüfungsanordnung vom 09. Dezember 2009 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 24. März 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf seine Einspruchsentscheidung vom 24. März 2010.

Zu § 4 Abs. 3 BpO führt er aus, dass danach der Prüfungszeitraum nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen soll. Im Streitfall soll sich die Prüfung lediglich auf drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume erstrecken: 2004 bis 2006. Nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO seien Anschlussprüfungen zulässig. Bisher sei jedoch noch keine Prüfung erfolgt, weil sich die Klägerin auch gegen die Prüfungsanordnung der Vorjahre gewandt habe (vgl. Klageverfahren 3 K 1216/09).

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist begründet.

a) Die Prüfungsanordnung ist zwar nicht wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit rechtswidrig.

aa) Da die Außenprüfung ein Vorgang des Besteuerungsverfahrens ist, richtet sich die örtlich Zuständigkeit, soweit – wie im Streitfall – keine Sonderregeln bestehen, nach den §§ 18 ff. AO (§ 17 AO). § 195 Satz 1 AO, wonach die Außenprüfung von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt wird, dient nur der Klarstellung. Sonderregeln sind nur in § 195 Sätze 2 und 3 AO enthalten, wonach andere als die für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden mit der Außenprüfung und der Festsetzung der Steuer beauftragt werden können (BFH-Urteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483; Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. November 2008 3 K 649/08, juris).

(1) Für die Besteuerung von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen nach dem Einkommen und Vermögen – betrifft im Streitfall die Prüfung der Gewerbesteuer, der Körperschaftsteuer und der Feststellungen nach dem KStG – ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet (§ 20 Abs. 1 AO).

Ändern sich die die Zuständigkeit begründenden Umstände, wechselt nach § 26 Satz 1 AO die Zuständigkeit in dem Zeitpunkt, in dem eine der betroffenen Finanzbehörden hiervon tatsächlich erfährt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen genügt für einen Zuständigkeitswechsel nicht. Die Vorschrift verlangt aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität überschaubare eindeutige Verhältnisse, damit Unsicherheiten vermieden werden, die zu Kompetenzstreitigkeiten führen. Die die Zuständigkeit ändernden Umstände müssen daher aus Sicht der betroffenen Finanzämter zweifelsfrei feststehen (BFH-Urteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87, a.a.O.).

(2) Im Streitfall war für die Besteuerung der Klägerin nach dem Einkommen – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – zunächst zweifelsfrei das Finanzamt M. I zuständig, weil die Klägerin in dessen Bezirk ihre Geschäftsleitung hatte.

Nachdem mit Gesellschafterbeschluss vom 05. März 2008 der Sitz der Geschäftsführung – womit nicht anderes gemeint sein kann als der Ort der Geschäftsleitung – nach H. verlegt worden war und die beteiligten Finanzämter hiervon Kenntnis hatten, gehen nach inzwischen einhelliger Meinung die Klägerin, der Beklagte und auch das Finanzamt H. davon aus, dass das Finanzamt H. für die Besteuerung der Klägerin nach dem Einkommen zuständig geworden ist; und zwar vor dem Erlass der angefochtenen Prüfungsanordnung. Das Gericht sieht dies auch so.

bb) Das örtlich zuständige Finanzamt H. konnte nach § 195 Abs. 2 AO den Beklagten mit der Außenprüfung beauftragen und der Beklagte durfte die angefochtene Prüfungsanordnung erlassen sowie über den Einspruch entscheiden.

Die notwendig vor einer Außenprüfung zu erlassende Prüfungsanordnung (§ 196 AO) kann nach allgemeiner Auffassung der Rechtsprechung, der Literatur wie auch der Verwaltung entweder von der beauftragenden oder aber der beauftragten Finanzbehörde erlassen werden (BFH-Urteil vom 18. November 2008 VIII R 40/07, BFH/NV 2009, 705). Erlässt die beauftragende, zuständige Behörde die Prüfungsanordnung, ist sie der richtige Einspruchsadressat (§ 357 Abs. 2 Satz 1 AO) und gemäß § 367 Abs. 1 Satz 1 AO befugt und verpflichtet, über einen gegen die Prüfungsanordnung gerichteten Einspruch zu entscheiden. Im Falle des Erlasses der Prüfungsanordnung durch das beauftragte Finanzamt, ist dieses zur Entscheidung über den Einspruch berufen (BFH-Urteil vom 18. November 2008 VIII R 40/07, BFH/NV 2009, 705; BFH-Beschluss vom 17. Februar 2011 VIII B 51/10, BFH/NV 2011, 761; BFH-Beschluss vom 27. November 2003 I B 119/03, I S 11/03, BFH/NV 2004, 756); es hat hierbei die im Rahmen der Prüfungsbeauftragung nach § 195 Satz 2 AO anzustellenden Ermessenserwägungen – wenn denn nicht schon in der Prüfungsanordnung erfolgt – mitzuteilen und diese ggf. zu ergänzen.

Im Streitfall hat man die Variante gewählt, dass der Beklagte die Prüfungsanordnung erließ. Hieraus folgt, dass er auch über den Einspruch zu entscheiden hatte.

b) Die Prüfungsanordnung vom 09. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2010 ist jedoch mit einem Ermessensfehler behaftet und damit rechtswidrig.

aa) Eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO) ist ein schriftlicher Verwaltungsakt, der gemäß § 121 AO zu begründen ist, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist (z.B. BFH-Urteile vom 16. Dezember 1987 I R 238/83, BFHE 152, 32, BStBl II 1988, 233; vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286; BFH-Beschluss vom 12. August 2002 X B 210/01, BFH/NV 2003, 3). Die Anordnung einer Außenprüfung ist zwar eine Ermessensentscheidung, gleichwohl genügt für die Anordnung einer routinemäßigen Außenprüfung, die unter § 193 Abs. 1 AO fällt, die Angabe der Rechtsgrundlage. Eine Prüfungsbedürftigkeit wird in den Fällen des § 193 Abs. 1 AO 1977 grundsätzlich unterstellt. Die Verwaltung hat ihr Ermessen allerdings durch die Bestimmungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung – Betriebsprüfungsordnung (Steuer) – (BpO 2000) vom 15. März 2000 (BStBl I 2000, 368) eingeschränkt. Diese Selbstbeschränkung ist auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten (ständige BFH-Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 19. August 1998 XI R 37/97, BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7, und vom 28. Juni 2000 I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447).

bb) Im Streitfall liegt bereits im Zusammenhang mit der der Beauftragung des Beklagten ein Ermessensfehler vor, so dass es auf die Ermessensfehlerfreiheit der Prüfungsanordnung im Übrigen nicht mehr ankommt.

(1) Die Frage, ob die tatsächlich angestellten Ermessenserwägungen geeignet sind, die Beauftragung mit der Durchführung der Außenprüfung zu tragen, ist regelmäßig eine Sache des Einzelfalles. Dabei liegt es auf der Hand, dass das für die Besteuerung eines Steuerpflichtigen zuständige Finanzamt bei der Entscheidung über die Beauftragung eines anderen Finanzamtes mit der Durchführung einer Außenprüfung gemäß § 195 Satz 2 AO neben sachlichen Gründen auch die berechtigten Interessen des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen hat (BFH-Beschluss vom 27. November 2003 I B 119/03, I S 11/03, BFH/NV 2004, 756).

(2) Die in der Einspruchsentscheidung dargestellten Erwägungen für die Beauftragung des Beklagten (Sitz, Entgegennahme von Aufträgen, Vorbereitung der Ausführung der Aufträge, Ausführung der Aufträge, Entgegennahme von Zahlungen, Adressangabe in allgemein zugänglichen Medien; all das in M.;) mögen dem Grunde nach geeignet sein, die Beauftragung des Beklagten ermessensfehlerfrei begründen zu können. Der Fehler in der Ermessenausübung liegt jedoch darin, dass es sich bei diesen Ermessenserwägungen nicht um solche des beauftragenden Finanzamtes handelt sondern des beauftragten Finanzamtes.

Auch wenn die beauftragte Behörde befugt ist, über den Einspruch gegen eine Prüfungsanordnung, die sie als beauftragte Behörde erlassen hat, zu entscheiden und hierbei die im Rahmen der Prüfungsbeauftragung nach § 195 Satz 2 AO anzustellenden Ermessenerwägungen mitzuteilen und diese ggf. zu ergänzen (vgl. die oben zitierte BFH-Rechtsprechung), so ändert dies nichts daran, dass die Prüfungsbeauftragung eine Ermessenentscheidung der beauftragenden Behörde ist und bleibt. Daraus folgt, dass es sich bei den mitgeteilten bzw. ergänzten Ermessenserwägungen um solche handeln muss, die ihren Ursprung bei der beauftragenden Behörde haben. Es ist nicht möglich, dass die beauftragte Behörde, auch wenn sie zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung berufen ist, im Rahmen dieser Entscheidung hinsichtlich ihrer Beauftragung eigene Ermessenserwägungen anstellt, sei es dass sie die Erwägungen der beauftragenden Behörde ergänzt oder gar ersetzt.

Im Streitfall wurde die Beauftragung des Beklagten ausschließlich damit begründet, dass sich der Sitz der Klägerin in M. befinde. Nach Aktenlage fand bezogen auf den Prüfungsauftrag vom 08. Dezember 2009 bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung kein weiterer Austausch zwischen dem beauftragenden Finanzamt und dem beauftragten Beklagten statt. Die Beklagtenvertreter haben dies in der mündlichen Verhandlung auch nicht behauptet. Mithin konnte das Gericht nicht feststellen, dass die in der Einspruchsentscheidung wiedergegebenen, im Vergleich zum Prüfungsauftrag wesentlich umfangreicheren Ermessenserwägungen dem beauftragenden Finanzamt zugerechnet werden können. Es stand zur Überzeugung des Gerichts vielmehr fest, dass der Beklagte eine Ergänzung durch eigene Ermessenserwägung vorgenommen hat. Damit liegt ein Ermessensfehler vor, der zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts führt.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

VorschriftenAO § 5, AO § 366

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