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09.03.2011 · IWW-Abrufnummer 110797

Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 25.11.2010 – 6 K 2114/08

„Berichtigt” der Rechnungsaussteller nachträglich eine Rechnung mit zutreffendem Ausweis von Umsatzsteuer in der Weise, dass er nunmehr eine Rechnung ohne Umsatzsteuerausweis erstellt, so geht der Vorsteuerabzug dem Rechnungsempfänger nicht allein deshalb verloren, weil es am Erfordernis des Besitzes einer Rechnung gemäß § 14 UStG mit Umsatzsteuerausweis fehlt.


Der Verkauf einer Kundenliste stellt keine Geschäftsveräußerung im Ganzen dar, wenn der Erwerber das Anzeigenblatt des Veräußerers nicht fortführt, sondern die Kundenliste für Zwecke der von ihm erstellten Presseerzeugnisse verwendet.


Finanzgericht Rheinland-Pfalz v. 25.11.2010

6 K 2114/08

Tatbestand
Streitig ist, ob eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt.

Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist das Herstellen und Verlegung von Zeitungen und Zeitschriften, Büchern, sonstigen Druckschriften und Druckerzeugnissen sowie das Herstellen und Ausstrahlen von Hörfunk- und Fernsehsendungen.

Mit Rechnung vom 01.06.2004 erwarb die Klägerin von dem S-Verlag, Inhaber W. S. (Beigeladener), die Verlagsrechte „S Kurier” mit Anzeigenkunden und Druckunterlagen zum Preis von 170.313,37 € zzgl. MwSt in Höhe von 27.250,14 € (Gesamtbetrag 197.563,51 €).

Die Klägerin machte die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend.

Am 31.05.2006 stellte der Veräußerer eine berichtigte Rechnung über den Gesamtbetrag von 197.563,51 € ohne Ausweis von Umsatzsteuer aus (Bl. 026 USt-Akte). Gegenüber dem für ihn zuständigen Finanzamt X erklärte er eine entsprechende Berichtigung gemäß § 17 Abs. 1 UStG mit der Begründung, es liege eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vor. Das Finanzamt X teilte die Rechtsauffassung des Beigeladenen, nachdem es im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgestellt hatte, dass dieser das Einzelunternehmen S-Verlag zum 03.01.2004 aufgegeben und alle Verlagsrechte, Anzeigenkunden und Druckunterlagen an die Klägerin veräußert hatte; es informierte den Beklagten über die Rechnungsberichtigung.

Der Beklagte änderte daraufhin mit Bescheid vom 21.05.2008 die Umsatzsteuerfestsetzung für 2004 und versagte den Vorsteuerabzug in Höhe von 27.250,14 €. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.07.2008 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie habe vom Beigeladenen keinen Geschäftsbetrieb im Ganzen, sondern nur einen Vermögensgegenstand, nämlich die Kundenliste, erworben. Das zur Herstellung des Anzeigenblatts erforderliche Personal und die Austräger seien nicht übernommen worden. Auch das notwendige Anlage- und Umlaufvermögen habe die Klägerin nicht übernommen. Ebenso wenig seien die Anzeigenverträge übernommen worden.

Die vom Beigeladenen vorgenommene Rechnungsberichtigung sei rechtswidrig gewesen.

Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen setze voraus, das der Erwerber einen Betrieb als organische Zusammensetzung materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter erwerbe, so dass er das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen könne. Daran fehle es im Streitfall. Der nicht übernommene Mitarbeiterstamm und die ebenfalls nicht übernommenen Anzeigenverträgen seien als Betriebsgrundlagen nicht weniger wichtig als die Kundenliste. Um das Anzeigenblatt weiter herausgeben zu können, hätte die Klägerin eine völlig neue Vertriebsorganisation aufbauen müssen. Auch das Anlagevermögen könne nicht außer Acht gelassen werden. Selbst wenn die Restwerte der Satzcomputer, Druckmaschinen, Fahrzeuge und Geschäftsausstattung gering gewesen seien, so sei doch ohne dieses Anlagevermögen die Produktion und Verteilung des Anzeigenblatts nicht möglich.

Die bloße Übertragung einzelner Gegenstände sei keine Geschäftsveräußerung im Ganzen. Eine Geschäftsveräußerung liege auch dann nicht vor, wenn der Erwerber nicht beabsichtige, den erworbenen Betrieb weiter zu betreiben, sondern diesen sofort abwickle.

Die Klägerin habe die erworbene Kundenliste in dem von ihr betriebenen Verlag verwenden wollen. Das Anzeigenblatt habe sie nicht fortgeführt. Die Verwendung des erworbenen Gegenstandes für das eigene Unternehmen allein vermöge die Annahme einer Geschäftsveräußerung nicht zu begründen.

Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sei nur die Herausgabe der Tageszeitung „R-Zeitung”. Lediglich eine Schwestergesellschaft der Klägerin gebe auch Anzeigenblätter heraus. Wenn die Fortführung des Anzeigenblattes gewollt gewesen wäre, so hätte die Schwestergesellschaft den Erwerb getätigt. Die Klägerin habe die Kundenliste vielmehr nur für eigene Werbezwecke erworben.

Der Sachverhalt sei nicht mit dem des BFH-Urteils vom 23.08.2007 - V R 14/05 vergleichbar. Im dort entschiedenen Fall habe das Institut am bisherigen Standort vom Erwerber weiter geführt werden sollen. Zudem habe der Erwerber eine Vielzahl von Vermögensgegenständen erworben und die Arbeitsverhältnisse seien übernommen worden.

Allein mit der erworbenen Kundenliste hätte hingegen das Anzeigenblatt nicht wirtschaftlich sinnvoll fortgeführt werden können. Zumindest die Vertriebsorganisation hätte übernommen werden müssen. Dies sei deshalb nicht geschehen, weil die Klägerin die Fortführung nie beabsichtigt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 21. Mai 2008 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt ergänzend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor, zwar seien Satzcomputer, Druckmaschinen, Fahrzeuge etc. nötig für die Herausgabe des Blattes. Aber auch der Veräußerer habe das Blatt nicht selbst gedruckt.

Zudem sei aus Erwerbersicht zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf eigene Ressourcen zurückgreifen könne. Im Hinblick auf die moderne Ausstattung der Klägerin habe keine Notwendigkeit bestanden, die veralteten Geräte des Veräußerers zu erwerben.

Da die Klägerin die Kundenliste für ihre eigenen Anzeigenblätter verwendet habe, liege darin nur eine Modifizierung, aber keine Aufgabe des Geschäftsbetriebs.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 8. Oktober 2008 den Veräußerer S zum Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene hat keine Stellungnahme abgegeben.

In der mündlichen Verhandlung trug die Klägerin ergänzend vor, dass die Anzeigenblätter im Konzern von einer eigenständigen Schwestergesellschaft der Klägerin betrieben würden; hätte das Anzeigenblatt des Beigeladenen übernommen werden sollen, so hätte nicht die Klägerin, sondern die andere Gesellschaft den Vertrag mit dem Beigeladenen abgeschlossen. Zudem habe keine Prüfung der zu übernehmenden Anzeigen- und Arbeitsverträge stattgefunden, was bei einer Übernahme des Anzeigenblattes insgesamt notwendig gewesen wäre. Diese Prüfung sei deshalb unterblieben, weil gerade keine Übernahme habe stattfinden sollen.

Der Vertrag mit dem Beigeladenen sei mündlich abgeschlossen worden; es sei über eine Rechnung mit Ausweis von MwSt gesprochen worden, die Nichtsteuerbarkeit des Umsatzes aufgrund einer Geschäftsveräußerung im Ganzen sei für beide Seiten kein Thema gewesen.



Gründe
I.

Die Beiladung erfolgte gemäß § 60 Abs. 1 FGO.

Die (steuer-)rechtlichen Interessen des Beigeladenen sind durch den Rechtsstreit berührt, da er - wenn keine Geschäftsveräußerung vorliegt - die Rechnung erneut berichtigen und die Umsatzsteuer abführen muss.

Die Beiladung erschien dem Gericht zweckmäßig, insbesondere auch im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des FG Hamburg an den EuGH (3 K 3/09 v. 20.04.2010), dessen 2. Vorlagefrage lautet:

Sind Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe a, Abs. 3 Buchstabe a, Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a Richtlinie 77/388 (inzwischen: Art. 167, Art. 168 Buchstabe a, Art. 169 Buchstabe a, Art. 178 Buchstabe a Richtlinie 2006/112) dahin auszulegen, dass das nationale Verfahrensrecht Vorkehrungen dafür treffen muss, dass die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmer gleich beurteilt wird, auch wenn für beide Unternehmer verschiedene Finanzbehörden zuständig sind?

II.

Die Klage ist begründet.

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein anderer Unternehmer für sein Unternehmen erbracht hat, als Vorsteuer abziehen. Weitere Voraussetzung des Vorsteuerabzugs ist, dass der Unternehmer im Besitz einer den Anforderungen des § 14 UStG entsprechenden Rechnung des Leistenden ist.

Diese nationale Regelung entspricht dem Gemeinschaftsrecht.

Der EuGH hat mit Urteil vom 29.04.2004 Rs. C-152/02 Terra Baubedarf-Handel GmbH entschieden, dass für den Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der 6. EU-Richtlinie Art. 18 Abs. 2 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden nach dieser Bestimmung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dass die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und dass der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann.

Soweit die Vorschrift weiter voraussetzt, dass die ausgewiesene Steuer gesetzlich geschuldet wird, entspricht dies der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 13.12.1989 Rs. C-342/87 Genius Holding), wonach Art. 17 Abs. 2 der 6. EGRL so auszulegen ist, dass sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer erstreckt, die nur deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist.

1.

Die Klägerin war im Streitjahr 2004 im Besitz der Rechnung des Beigeladenen. Zu diesem Zeitpunkt waren - ungeachtet der nachfolgend unter 2. erörterten Voraussetzung, dass es sich um eine gesetzlich geschuldete Steuer handeln muss - die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt.

Durch eine Rechnungsberichtigung in der Weise, dass nunmehr keine Umsatzsteuer mehr ausgewiesen wird, entfällt grundsätzlich diese Voraussetzung rückwirkend. Zu berichtigen ist deshalb die Veranlagung für den Zeitraum, in dem der Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde (Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange § 15 UStG, Rz. 87; BFH Urteil vom 06.12.2007 - V R 3/06, BStBl II 2009, 203).

Zu prüfen ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Leistende unberechtigter Weise die Rechnung dahin gehend korrigiert, dass er nunmehr keine Umsatzsteuer mehr ausweist.

Wenn dem so wäre, müsste der Vorsteuerabzug bereits aus diesem Grund versagt werden, ohne dass es auf die Frage, ob tatsächlich eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vorlag, ankommen würde.

Diese Sachbehandlung würde allerdings den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 15.03.2007 Rs. C-35/05 Reemtsma Cigaretten GmbH (UR 2007, 343) widersprechen.

Der EuGH hat dort entschieden, dass die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung nationalen Rechtsvorschriften, nach denen nur der Dienstleistungserbringer einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlten Beträgen gegen die Steuerbehörden hat und der Dienstleistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen diesen Dienstleistungserbringer erheben kann, nicht entgegen stehen. Für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird, müssen die Mitgliedstaaten jedoch, damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt wird, die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen.

Aus diesem Urteil folgt über den entschiedenen Sachverhalt hinaus der allgemeine Grundsatz, dass der Unternehmer bei falscher Sachbehandlung durch seinen Geschäftspartner nicht stets auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden kann, sondern dass der Staat bei der Ausgestaltung der Vorschriften über den Vorsteuerabzug auch dessen Bedürfnisse im Interesse einer reibungslosen Abwicklung der Geschäfte von Unternehmern untereinander berücksichtigen muss.

Daraus folgt wiederum, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in der Weise auszulegen ist, dass der Vorsteuerabzug dann nicht rückwirkend wegfällt, wenn der Geschäftspartner die ursprüngliche richtige Rechnung mit Steuerausweis später „berichtigt”, indem er die Steuer niedriger oder überhaupt nicht mehr ausweist und diese „Berichtigung” dazu führt, dass die „berichtigte” Rechnung unrichtig ist.

Würde man nämlich auch im Fall einer falschen Rechnungs”berichtigung” den Vorsteuerabzug nachträglich versagen, so würde dem Unternehmer die Erstattung übermäßig erschwert werden, ohne dass dafür eine Notwendigkeit bestünde.

Der Unternehmer, der im Zeitpunkt der Abwicklung des Geschäfts auf den Vorsteuerabzug vertraut und diesen bei der Preisbildung berücksichtigt hat, wähnt sich mit dem Erhalt der Rechnung mit Steuerausweis in Sicherheit und zahlt daraufhin den vereinbarten Preis an den Leistungserbringer. Könnte letzterer anschließend mit steuerlicher Wirkung für den Leistungsempfänger die Rechnung berichtigen in eine Rechnung ohne Steuerausweis, so könnte er dem Leistungsempfänger dadurch Schaden zufügen, ohne dass dieser sich dagegen zur Wehr setzen könnte (denn das Entgelt ist ja bereits bezahlt). Um dieses Risiko zu vermeiden müsste der Leistungsempfänger stets - in einer Phase, in der die Geschäftsbeziehung intakt ist! - sich vorsorglich einen vollstreckbaren Titel auf Unterlassung einer unberechtigten Rechnungsberichtigung besorgen.

Eine gleich gelagerte Problematik besteht zwar auch in Fällen in denen bei grundsätzlicher Steuerfreiheit von Umsätzen für die Besteuerung optiert werden kann. Auch in diesen Fällen entfällt der Vorsteuerabzug, wenn der Geschäftspartner nach der Abwicklung des Geschäfts die Option widerruft (siehe BFH-Urteil vom 10.12.2009 - XI R 7/08, BFH/NV 2010, 1497). In solchen Fällen ist aber das Risiko bekannt. Der Unternehmer kann seinen Vorsteuerabzug dadurch absichern, dass er das Geschäft davon abhängig macht, dass der Geschäftspartner sich in einer Urkunde gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO verpflichtet, die Option nicht zu widerrufen (wobei auch in diesem Fall fraglich ist, ob es sinnvoll für einen reibungslosen Handel zwischen Unternehmern ist, diese zusätzlichen Kosten zu verlangen).

Deshalb ist der Widerruf einer Option nicht dem Fall einer nicht berechtigten Rechnungs”berichtigung” vergleichbar. Gehen beide Geschäftspartner von der Steuerpflicht des Umsatzes aus und erweist sich diese Annahme als zutreffend, so wäre es ein übermäßiges Erschwernis der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs, wenn man den Leistungsempfänger bei späterer (nunmehr unrichtiger) Rechnungs”berichtigung” nach der vollständig erfolgten Abwicklung des Geschäfts darauf verweisen würde, gegen den Leistenden zivilrechtlich vorzugehen. Der Fiskus hat nämlich, wenn es bei dem berechtigter Weise vorgenommenen Vorsteuerabzug verbleibt, keinen Schaden. Der Leistende schuldet die Umsatzsteuer trotz Rechnungsberichtigung weiterhin, da es sich ja um einen steuerpflichtigen Umsatz handelte.

Dass der Leistungsempfänger dieses Schutzes bedarf, zeigt gerade der Streitfall, in dem der Beigeladene äußerst dreist vorgegangen ist: Er hat den Bruttobetrag vereinnahmt, der übereinstimmend als Bruttobetrag vereinbart worden war und hat anschließend diesen Bruttobetrag in einen Brutto=Netto-Betrag umgewandelt, wodurch er faktisch den Kaufpreis einseitig um die MwSt erhöht hat.

Es kann nicht angehen, dass in Fällen berechtigten Vorsteuerabzugs dieser verloren geht, weil der Verkäufer nach Abwicklung des Geschäfts aufgrund einer unzutreffenden Auffassung die Rechnung zu seinen Gunsten dahin „berichtigt”, dass die Umsatzsteuer unter Herausrechnung aus dem Bruttobetrag auf den ermäßigten Satz herabgesetzt wird oder ganz entfällt (z.B. beim Verkauf von Fahrzeugen von Unternehmern; der Verkäufer „berichtigt” nach Abwicklung des Geschäfts die Rechnung dahin, dass nur 7 % MwSt ausgewiesen werden oder er vertritt bei einem Geschäft unter deutschen Unternehmern die Auffassung, es handele sich um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung).

In solchen Fällen würde der Fiskus sich an in Fällen vorsätzlich falscher „Berichtigung” strafbaren Handlungen des Rechnungsausstellers zum Nachteil des Erwerbers beteiligen, wenn diese zur Korrektur des Vorsteuerabzugs führen würden.

Der Sachverhalt ist nicht vergleichbar mit den Fällen, die der BFH mit Urteilen vom 19.09.1996 - V R 41/94 und vom 11.10.2007 - V R 27/05 entschieden hat. Der BFH hat zwar entschieden, dass es allein auf die Tatsache der Rechnungsberichtigung ankommt, auch wenn der Gesamtrechnungsbetrag vom Rechnungsaussteller nicht um die Umsatzsteuer reduziert wurde und er dazu zivilrechtlich nicht berechtigt war. In den dort entschiedenen Fällen ging es jedoch um Rechnungsberichtigungen aufgrund zunächst zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer.

Auch soweit der BFH entschieden hat, dass die Entscheidung des EuGH vom 15. März 2007 Rs. C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH (HFR 2007, 515, UR 2007, 343) keine andere Betrachtung rechtfertigt, betrifft dies den Fall der zu Recht erfolgten Berichtigung. Dass es berechtigt sein mag, in solchen Fällen den Erwerber auf den (mitunter erfolglosen) Zivilrechtsweg zu verweisen, bedeutet nicht, dass dies auch für den Fall gilt, in dem die ursprüngliche Rechnung mit Ausweis von Umsatzsteuer zutreffend war.

Der Senat sieht die Anwendung der Grundsätze des Reemtsma-Urteils auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Rechtslage nicht völlig eindeutig ist (die Frage, ob eine Geschäftsveräußerung vorliegt, wurde immerhin von zwei Finanzämtern anders beurteilt als von dem erkennenden Senat), als geboten an. Eine Benachteiligung des erwerbenden Unternehmers wäre in solchen Fällen nicht gerechtfertigt, zumal ihm - wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Umsatzsteuer zu Unrecht ausgewiesen wurde - der Vorsteuerabzug nicht zusteht und dem Fiskus deshalb kein Schaden entsteht.

Daraus folgt, dass der Vorsteuerabzug nicht allein deshalb zu versagen ist, weil der Beigeladene die Rechnung „berichtigt” hat. Vielmehr ist die Rechnungsberichtigung nur dann beachtlich, wenn sie berechtigter Weise erfolgte, weil es sich tatsächlich nicht um einen steuerpflichtigen Umsatz, sondern um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung handelte.

2.

Wenn eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorlag, war die ausgewiesene Steuer nicht gesetzlich geschuldet, da dieser Vorgang gemäß § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbar ist.

Ob eine Geschäftsveräußerung vorliegt, richtet sich nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 27.11.2003 Rs C-497/01 (Zita Modes).

2.1.

Da § 1 Abs. 1a UStG zur Umsetzung des Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-RL (ab 1.1.2007 Art. 19 MwStSystRL) eingeführt wurde, kann die Frage, ob ein Unternehmen oder ein gesondert geführter Betrieb im Ganzen nicht steuerbar übertragen wird, nicht nach Kriterien des nationalen Rechts, sondern nur unter Berücksichtigung der Regelung der MwStSystRL (bis 31.12.2006: 6. EG-RL) entschieden werden (Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, § 1 UStG, Rz. 507 m.w.N.).

Der EuGH hat im Urteil vom 27.11.2003 Rs C-497/01 Zita Modes (UR 2005, 375) darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Nicht-Lieferung nach Art. 19 MwStSystRL (bis 31.12.2006 Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-RL) ein autonomer gemeinschaftlicher Begriff ist, der eine vom Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern soll, und dass diese Richtlinienbestimmung für die Ermittlung des Sinnes und der Bedeutung des Begriffs der Übertragung des Gesamtvermögens oder Teilvermögens nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. Die Frage, ob ein Unternehmen oder ein in der Gliederung gesondert geführter Betrieb im Ganzen übertragen wird, kann deshalb nicht nach nationalen ertragsteuerrechtlichen Kriterien, sondern nur unter Berücksichtigung der Regelung der Richtlinie entschieden werden. Zur Auslegung des § 1 Abs. 1a UStG sind ebenfalls nicht die Auslegungsgrundsätze des § 75 Abs. 1 AO maßgebend, auch wenn die Begriffe in beiden Vorschriften sich im Wesentlichen decken (Tehler a.a.O. Rz. 508 m.w.N.).

Die MwStSystRL (bis 31.12.2006 6. EG-RL) enthält keine Definition des Begriffs der Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens. Nach dem Urteil des EuGH vom 27.11.2003 Zita Modes „ist der Begriff Übertragung des Gesamtvermögens oder Teilvermögens … nach dem Zwecke der Bestimmung dahin auszulegen, dass er die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensanteils erfasst, die jeweils materielle und ggf. immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammen genommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann; er schließt jedoch nicht die bloße Übertragung von Gegenständen wie den Verkauf eines Warenbestandes ein” (Ziff. 40).

Diese Definition ist vor dem Hintergrund des Zwecks der Ermächtigung zu sehen, den der EuGH darin sieht, die Übertragungen von Unternehmen oder Unternehmensteilen zu erleichtern, nämlich sie zu vereinfachen und zu vermeiden, dass die Mittel des Begünstigten übermäßig steuerlich belastet werden, zumal er diese Belastung später durch einen Vorsteuerabzug wiedererlangen würde (Ziff. 39). Eine besondere Behandlung unter diesen Umständen ist lt. EuGH u. a. deshalb gerechtfertigt, weil die bei der Übertragung anfallende Mehrwertsteuer im Verhältnis zu den Mitteln des fraglichen Betriebes besonders hoch sein kann (Ziff. 41).

Was die Verwendung durch den Begünstigten betrifft, ergibt sich aus dem Zweck der Bestimmung, dass sie „diejenigen Übertragungen erfasst, bei denen der Begünstigte beabsichtigt, den übertragenen Geschäftsbereich oder Unternehmensteil zu betreiben und nicht nur die betreffende Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln sowie ggf. den Warenbestand zu verkaufen” (Ziff. 44).

Wesentlich ist, dass die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, und der Übernehmer beabsichtigt, diese Tätigkeit auszuüben (Tehler a.a.O. Rz. 516).

Mit Urteil vom 23.08.2007 - V R 14/05 hat der BFH entschieden:

1. Die nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG setzt voraus, dass die übertragenen Vermögensgegenstände die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglichen. Eine Geschäftsveräußerung liegt auch dann vor, wenn der Erwerber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb in seinem Zuschnitt ändert oder modernisiert.

2. Die Übertragung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen und die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ohne großen finanziellen Aufwand ist keine eigenständige Voraussetzung für die Nichtsteuerbarkeit, sondern im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, aus der sich ergibt, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht.

Im Hinblick auf die nach der EuGH-Rechtsprechung maßgebliche Absicht des Erwerbers, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben, ist entscheidend, ob die übertragenen Vermögensgegenstände die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglichen. Hiermit übereinstimmend ist es nach der Rechtsprechung des BFH maßgeblich, ob die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen (BFH Urteil vom 23.08.2007 - V R 14/05, BStBl II 2008, 165 und Beschluss vom 18.08.2008 - XI B 192/07 nv, juris).

Hinzukommen muss, dass der Übernehmer diese Tätigkeit ausübt (BFH Beschluss vom 18.08.2008 - XI B 192/07).

So hat der BFH auch mit Urteil vom 11.10.2007 - V R 56/06 entschieden, dass eine Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht vorliegt, wenn eine Immobilie ohne Übergang des Mietvertrages veräußert wird. In diesem Fall liegt vielmehr nur die Übertragung eines Vermögensgegenstandes vor.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Grundstücksübertragung ein neuer Pachtvertrag mit einem neuen Pächter abgeschlossen worden.

Mit Urteil vom 06.05.2010 - V R 25/09 hat der BFH ausgeführt:

Die Nichtsteuerbarkeit der Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG soll die Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen erleichtern und vereinfachen. Die Vorschrift gilt für die Übertragung von Geschäftsbetrieben und von selbständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann. Der Erwerber muss die Unternehmensfortführung beabsichtigen, so dass das übertragene Vermögen die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglichen muss. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist zu entscheiden, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht, und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln. Die Übertragung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen und die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ohne großen finanziellen Aufwand sind nicht erforderlich. Der Fortsetzung der bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit steht es nicht entgegen, dass der Erwerber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb in seinem Zuschnitt ändert oder modernisiert.

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war zwar auch der mit dem Veräußerer des Grundstücks bestehende Mietvertrag mit der GmbH gekündigt worden. Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen wurde jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Falles bejaht, weil die Liquidation der Mieterin und der Abschluss eines neuen Mietvertrages mit dem Alteigentümer des Grundstücks, der zugleich auch den Geschäftsbetrieb der GmbH übernommen hatte, Teil eines Gesamtplans war.

2.2.

Die Klägerin hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 FGO) unter Berücksichtigung des ergänzenden Vortrags der Klägerin in der mündlichen Verhandlung lediglich eine Kundenliste erworben.

Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist plausibel und glaubhaft.

Insbesondere leuchtet es ein, dass - wenn die Anzeigenblätter von einer anderen Gesellschaft im Konzern betrieben werden - diese als Vertragspartner des Beigeladenen aufgetreten wäre und dass eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Prüfung des zu übernehmenden Unternehmens beauftragt worden wäre.

Auch soweit die Klägerin vorträgt, dass im Rahmen der Vertragsverhandlungen Einigkeit bestanden habe, dass es sich nicht um eine Geschäftsveräußerung handele, erscheint dies plausibel, zumal der Beigeladene erst zwei Jahre später seine Rechtsauffassung hierzu geändert hat. Der Beigeladene, der einen u. U. abweichenden Geschehensablauf hätte darlegen können, ist in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Nach den unter 2.1. aufgeführten Grundsätzen stellt die Veräußerung der Kundenliste keine Geschäftsveräußerung im Ganzen dar.

Dies hat der BFH mit Beschluss vom 11.11.2009 - V B 46/09 ebenso gesehen für den Fall der Veräußerung eines Kundenstammes. Im dort entschiedenen Fall hatte der Erwerber kein Interesse an der Fortführung des Unternehmens des Veräußerers (Bäckerei), sondern wollte allein seine eigenen Produktionsanlagen mit dem erworbenen Kundenstamm besser auslasten.

Ebenso ist der Streitfall zu beurteilen. Da der Erwerber mit den erworbenen Gegenständen (Kundenliste) den Betrieb des Veräußerers nicht - auch nicht in modifizierter Form - fortgeführt hat, kommt es nicht darauf an, ob die Kundenliste ausreichend ist, um das Anzeigenblatt fortzuführen.

Die Verwendung der Kundenliste für die eigenen Presseerzeugnisse des Erwerbers ist keine modifizierte Fortführung des Betriebes des Veräußerers. Der Fall ist nicht vergleichbar mit dem vom BFH mit Urteil vom 06.05.2010 entschiedenen Fall des Abschlusses eines neuen Mietvertrages aufgrund eines Gesamtplans.

Einen solchen Gesamtplan hatte der BFH in dem dem Urteil vom 11.10.2007 zugrunde liegenden Fall gerade nicht angenommen.

Ebenso wie beim Abschluss eines neuen Mietvertrags mit einem neuen Mieter keine Fortführung des bisherigen Unternehmens vorliegt, ist auch der Streitfall zu sehen. Die Kunden schließen Anzeigenverträge künftig nicht mehr mit dem bisherigen Anzeigenblatt-Unternehmen ab, sondern mit dem Erwerber für ein völlig anderes Presseerzeugnis.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO. Das Urteil weicht möglicherweise insoweit ab von der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 19.06.1996 - V R 41/94 und vom 11.10.2007 - V R 27/05), als der BFH zu dem Ergebnis gelangt, dass die zivilrechtliche Befugnis zur Berichtigung einer Rechnung ohne Reduzierung des Gesamtrechnungsbetrages nicht zu prüfen sei. Der Sachverhalt ist zwar insoweit anders, als es in dem vom BFH entschiedenen Fall um eine zutreffende Rechnungsberichtigung ging. Wegen der häufig zweifelhaften Rechtslage hinsichtlich des Umsatzsteuerausweises bedarf die Frage aber einer erneuten Klärung.

RechtsgebietUStGVorschriftenUStG § 1 Abs. 1a ; UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1 ; UStG § 14

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