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06.09.2000 · IWW-Abrufnummer 001050

Landgericht Berlin: Urteil vom 14.02.2000 – 58 S 314/99

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


LANDGERICHT BERLIN
Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer:
58 S 314/99
107 C 524/98 AG Mitte

Verkündet am: 14. Februar 2000

Liebau
Justizangestellte

In dem Rechtsstreit

hat die Zivilkammer 58 des Landgerichts Berlin, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin (Mitte), aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Langericht Efrem, den Richter am Landgericht Luhm-Schier und die Richterin am Landgericht Wiesener

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25. Mai 1999 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte - 107 C 524/98 geändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet und führt unter Änderung des angefochtenen Urteils zur vollständigen Klageabweisung.

Das Urteil des Amtsgerichts ist auf verfahrensfehlerhafte Weise zustande gekommen. Das Amtsgericht hat den seiner Entscheidung zugrundegelegten Sachverhalt unter Verstoß gegen das aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinrip herzuleitende Gebot der fairen Verfahrensgestaltung und den - über den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG im Übrigen auch mit Grundrechtsschutz ausgestatteten - herkömmlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit festgestellt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung der zuständigen Berufungskammern des Landgerichts Berlin wie auch einer weit überwiegenden Mehrheit der für Verkehrssachen zuständigen Abteilungen des Amtsgerichts Mitte, eine Partei dann nach § 141 ZPO anzuhören und ihre Angaben entsprechend zu berücksichtigen, wenn dieser Partei Zeugen nicht zur Verfügung stehen und die Gegenseite lediglich den oder die eigenen Fahrer oder Beifahrer als Zeugen benennt. Von dieser Verfahrensweise hätte das Amtsgericht nicht ohne ausdrücklichen Hinweis und auch nicht ohne nähere Begründung in seinem Urteil abweichen dürfen. Dies umso weniger, als die Beklagten unter Hinweis darauf, dass der Kläger seine beifahrende Ehefrau als Zeugin benannt hat, ausdrücklich die persönliche Anhörung des Beklagten zu 1. gemäß § 141 ZPO angeregt haben.

Es widerspricht dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit, wenn eine Partei einen Rechtsstreit nur deshalb (hier teilweise) gewinnt, weil ihr der eigene Fahrer oder Beifahrer als Zeuge zur Verfügung steht; während der Unfallgegner aus formalen Gründen als Zeuge nicht gehört werden kann. In solchen Fällen ist das Gericht deshalb stets verpflichtet, das persönliche Erscheinen des Unfallgegners zum Zwecke der persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO anzuordnen. Denn abgesehen davon, dass die persönliche Anhörung gemäß § 141 ZPO kein Beweismittel ist, ist doch das Ergebnis einer Anhörung in die Beweiswürdigung einzubeziehen. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung im Sinne des § 286 ZPO kann das Gericht dann zu dem Ergebnis gelangen, dass es entweder der Unfallversion des als Zeugen zur Verfügung stehenden Fahrers oder Beifahrers Glauben schenkt oder derjenigen der nach § 141 ZPO persönlich angehörten Partei, oder dass es aufgrund der sich widersprechenden Unfallversionen und mangelnder objektiver Anhaltspunkte den Unfallhergang für nicht mehr aufklärbar hält.

Hält das Gericht aufgrund der bis dahin durchgeführten Beweisaufnahme die Unfallversion der persönlich angehörten Partei für wahr, dann hat es ggf. von Amts wegen eine Parteivernehmung (§ 448 ZPO) anzuordnen, wenn und soweit diese Partei beweisbelastet ist. Nur die Aussage bei einer Parteivernehmung ist Beweiserhebung, Angaben im Rahmen der Anhörung nach § 141 ZPO sind nur als Prozesserklärungen zu werten, ihre Verwertung als Beweismittel wäre ein Verfahrensfehler.

Die Kammer hat von einer Zurückverweisung abgesehen und selbst entschieden, weil sie dies für sachdienlich hält (vgl. § 540 ZPO); sie hat die Anhörung des Beklagten zu 1. nachgeholt.

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann von den Beklagten Ersatz seines anläßlich des Verkehrsunfalles vom August 1998 in Berlin-Reinickendorf erlittenen Schadens im Ergebnis nicht verlangen.

Eine Haftung der Beklagten wegen einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 BGB scheitert daran, dass der Kläger ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1. kaum substantiiert hat darlegen, jedenfalls nicht hat beweisen können. Eine Haftung des Beklagten zu 1. als Führer des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuges gemäß § 18 Abs. 1 StVG allein wegen der von ihm zu vertretenden Betriebsgefahr des Fahrzeuges scheidet, wie noch ausgeführt werden wird, aus; damit entfällt, auch eine Haftung der Beklagten zu 2.

Der Verkehrsunfall stellt insbesondere für den Kläger kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG dar. Dem steht bereits entgegen, dass, der Kläger nach seinem eigenen Vortrag gegen die besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat.

Demgemäß hat nach § 17 Abs. 1, § 18 StVG eine Abwägung des Verursachungs- und Verschuldensanteile der beiden Fahrer unter Berücksichtigung der von beiden am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr zu erfolgen. Im Rahmen dieser Abwägung sind neben feststehenden, d.h. unstreitigen oder zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises anzuwenden sind, die sich auf de Verteilung der Beweislast auswirken können, insbesondere, wenn in bestimmten Verkehrssituationen dem einzelnen Verkehrsteilnehmer besondere Sorgfaltspflichten auferlegt sind.

Die gebotene Abwägung führt hier zu einer Alleinhaftung des Klägers, da dieser ein ins Gewicht fallendes etwaiges Mitverschulden des Beklagten zu 1. jedenfalls nicht hat beweisen können, die von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. ausgehende Betriebsgefahr jedoch gegenüber der grob verkehrswidrigen Fahrweise des Klägers und der dadurch erhöhten Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers vollständig zurücktreten muss.

Der Kläger wollte unstreitig nach links in ein Grundstück abbiegen. Er war daher gemäß § 9 Abs. 5 StVO verpflichtet, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Er hatte rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO) und sich rechtzeitig möglichst weit nach links zur Straßenmitte hin einzuordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vor dem Einordnen und nochmals unmittelbar vor dem Abbiegen hatte er auf den nachfolgenden Verkehr zu achten (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO). Die Tatsache des Unfalls zeigt, dass der Kläger die sich aus § 9 Abs. 5 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflichten nicht beachtet hat. Kommt es im Zusammenhang mit einem Abbiegevorgang in ein Grundstück - wie hier - zu einem Unfall mit einen überholenden Fahrzeug, so spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den abbiegenden Verkehrsteilnehmer. Dieser hat allein die Folgen seiner risikoreichen, gefährlichen Fahrweise zu tragen, wenn sich die Gefahr verwirklicht. Der Unfall spricht dafür, dass der nach links abbiegende Kraftfahrzeugführer die ihm nach § 9 Abs. 5 StVO obliegenden, besonders gesteigerten Sorgfaltspflichten verletzt hat. Ein mitwirkendes Verschulden des Beklagten zu 1., das zu einer Mithaftung der Beklagten führen müsste, ist von dem Kläger kaum substantiiert dargelegt, insbesondere aber auch nicht bewiesen worden.

Die für die Annahme einer unklaren Verkehrslage, in der gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Überholen unzulässig ist, erforderlichen Tatsachen stehen weder fest noch sind sie erwiesen.

Unklar ist die Verkehrslage dann, wenn der Überholende nicht zuverlässig beurteilen kann, was der Vorausfahrende sogleich tun werde. Eine unklare Verkehrslage kommt dann in Betracht, wenn bei einem vorausfahrenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird und dies der nachfolgende Verkehrsteilnehmer erkennen konnte und dem überholenden Fahrzeugführer außerdem noch ein angemessenes Reagieren - ohne Gefahrenbremsung - möglich ist. Eine unklare Verkehrslage liegt dagegen nicht schon dann vor, wenn das, vorausfahrende Fahrzeug; - wie hier unstreitig - langsam fährt.

Wenn der Kläger mit der Berufungserwiderung erstmals behauptet, er habe sich zur Mittellinie hin eingeordnet, so wird er sich die Frage gefallen lassen müssen, inwieweit dies nach außen hin erkennbar geworden sein soll. Denn nach den von ihm vorgelegten Fotos und seinem eigenen Vortrag in der Berufungserwiderung war die Soltauer Straße so eng und beidseitig beparkt, dass sie lediglich Platz für einen Pkw in jeder Richtung bot. Dann aber fuhr der Kläger ohnehin an der Mittellinie und es gab keinen Raum zum Einordnen.

Nach dem Vortrag des Klägers ist auch nicht zu sehen, dass dem Beklagten zu 1. ausreichend Zeit verblieb, sich auf das Fahrverhalten des Klägers einzurichten. Wenn der Kläger das Fahrzeug des Beklagten zu 1. bei der Rückschau unmittelbar vor dem Abbiegen in einer Entfernung von ca. 8 Metern hinter sich sah dann hätte er mit dem Abbiegen so lange warten müssen, bis er sicher war, bzw. hätte sein können, dass der Beklagte zu 1. die Abbiegeabsicht verstanden und sich hierauf eingerichtet hat.

Dies gilt umso mehr als das Beklagtenfahrzeug nach dem eigenen Vortrag des Klägers deutlich und schnell zu seinem Fahrzeug aufschloss, nämlich von etwa 50 Metern Entfernung bei der ersten Rückschau auf noch etwa 8 Meter bei dem zweiten Blick. Die "hohe Differenzgeschwindigkeit", auf die der Kläger in der Berufungserwiderung abstellt konnte dem Kläger an Ort und Stelle nicht verborgen bleiben. Der Beklagte zu 1. holte von knapp 50 Metern Entfernung über eine vom Kläger zurückgelegte Strecke von ebenfalls etwa 50 Metern 40 Meter auf. Dann aber versteht es sich von selbst, dass ein Abbiegen unterbleiben muss. Die bloße Rückschau und das - hier streitige - Setzen des Blinkers allein genügen nicht, der Kläger hätte auch den Wahrnehmungen bei der Rückschau entsprechend handeln müssen.

Der Kläger hat nicht beweisen können, dass er rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte. Die von ihm benannte Zeugin, seine beifahrende Ehefrau, hat zwar bestätigt, der Kläger habe schon bei der ersten Einfahrt den Blinker nach links gesetzt gehabt und diesen dann stehen gelassen, um in die zweite Einfahrt einzufahren. Sie hat indes in ihrer schriftlichen Aussage gegenüber der Polizei angegeben, der Kläger habe den Blinker ca. 100 Meter vor der Einfahrt nach links gesetzt - von zwei Einfahrten - hatte sie dabei nichts erwähnt.

Allein wegen dieser doch evidenten Unterschiede in den Angaben der Zeugin kann ihrer Aussage ein überragender Beweiswert nicht zugemessen werden. Auch das Amtsgericht hat die Aussage - zu Recht - für teilweise falsch gehalten, insbesondere die Angabe, der Zusammenstoß habe sich ereignet, als das Fahrzeug des Klägers schon in einem 90° Winkel zur Fahrtrichtung abgebogen gewesen wäre - zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es lediglich zu einer seitlichen Berührung beider Fahrzeuge kam. Dann aber hätte das Amtsgericht - wie der Berufung zuzugeben ist - die Aussage der Zeugin nicht so unkritisch zur Grundlage seiner Entscheidung machen dürfen. Es hätte einer näheren Begründung bedurft, warum die teilweise offensichtlich objektiv falsche Aussage der Zeugin - auch unter Berücksichtigung ihrer teilweise anderen Angaben im Bußgeldverfahren - vom Amtsgericht jedenfalls hinsichtlich des gesetzten linken Blinkers für glaubhaft gehalten worden ist. Spätestens hier hätte sich für das Amtsgericht das Erfordernis der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 1. aufdrängen müssen.

Auf die Aussage der Zeugin kann die Kammer nicht die im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO erforderliche sichere Überzeugung gründen, der Kläger habe rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und der Beklagte zu 1. hätte auf die Abbiegeabsicht des Klägers ohne Weiteres angemessen reagieren können. Der von der Kammer persönlich gehörte Beklagte zu 1. hat im Übrigen angegeben, er sei bereits ab der Holzhauser Straße dicht hinter dem Klägerfahrzeug hergefahren und zwar über eine Strecke von ca. 350 bis 400 Meter mit etwa 30 km/h, bis er die Straße habe einsehen können, dann habe er zu Überholen begonnen. Während der gesamten Zeit habe der Kläger weder geblinkt noch abgebremst; er sei vielmehr ohne Blinken abgebogen. Diese Angaben stimmen im Übrigen zumindest teilweise such mit den Angaben der Zeugin überein, die diese im Bußgeldverfahren gemacht hat (vgl. oben).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

RechtsgebieteZPO, BGB, StVG, StVOVorschriftenZPO § 543 Abs. 1 ZPO § 141 ZPO § 286 ZPO § 91 Abs. 1 BGB § 823 StVG § 18 Abs. 1 StVG § 7 Abs. 2 StVG § 17 Abs. 1 StVG § 18 StVO § 9 Abs. 5 StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1

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