22.01.2003 · IWW-Abrufnummer 030133
Finanzgericht München: Urteil vom 24.07.2002 – 4 K 558/02
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: 4 K 558/02
Finanzgericht München
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache XXX
wegen Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO
hat der 4. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten des Finanzgerichts ○○○○
des Richters am Finanzgericht ○○○○ und des Richters am Finanzgericht ○○○○ sowie der ehrenamtlichen Richter ○○○○ und ○○○○
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2002
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen.
Bei der Einlegung und Begründung der Beschwerde muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Buch-prüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089 / 92 31-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs über die Zulassung der Revision ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Gründe:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Antrags auf Erlass der Erbschaftsteuer wegen eines nach dem Erbfall eingetretenen Kursverfalls von Aktien (§§ 163, 227 Abgabenordnung -AO-; §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 11 Erbschaftsteuergesetz -ErbStG-).
I.
Der am 16. Mai 1999 in München verstorbene Erblasser ○○○○○○○○○○○○○○○○ hat in seinem Testament vom 1. August 1997 ein Vermächtnis für die Klägerin angeordnet.
Gemäß dieser Anordnung sollte die Klägerin u.a. alle in den Bankdepots befindlichen ○○○○-○○○○-Aktien erhalten. Dies waren am Todestag 6.231 Stück mit einem Kurswert von 90,40 ? je Aktie bzw. einem Gesamtkurswert des Erwerbs von 1.101.684,62 DM. Da der Alleinerbe ○○○○○○○○○○○○○○○○○○ im Ausland (Österreich) wohnte und die depotführende Bank das Depot bis zur Vorlage einer steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts wegen der Haftung nach § 20 Abs. 6 ErbStG nicht sofort dem Erben herausgab, erfüllte dieser das Vermächtnis erst am 13. September 1999, nachdem das Finanzamt die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung am 6. September 1999 versandt hatte, die am 11. August 1999 bei der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung (s. Bl. 10 FA-Akte) beantragt worden war.
Die Erbschaftsteuer setzte der Beklagte, das Finanzamt (FA), mit Änderungsbescheid vom 22. Oktober 2001 für einen steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 1.101.684 DM auf 358.700 DM fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig durch Rücknahme des Einspruchs am 13. Dezember 2001 (s. Bl. 103 FA-Akte).
Am 25. November 1999 stellte die Klägerin Anträge auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO bzw. auf Erlass eines Teilbetrags aus dem Steuerschuldverhältnis auf der Basis des Kurswertes von 878.300 DM (Tag der Aktienumschreibung durch den Erben), was einer Steuerschuld von 251.807 DM bzw. einem Erlass in Höhe der Differenz von 106.893 DM entspricht.
Die Klägerin brachte vor, dass sie zum Todeszeitpunkt keinerlei faktische Einwirkungsmöglichkeit auf das Vermächtnis gehabt habe und somit zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereichert gewesen sei.
Durch das Verschulden des FA (Sicherstellung) sei sie in ihrer Verfügungsmöglichkeit über das Aktivenvermögen eingeschränkt worden. Sie habe dem Wertverlust der Aktien vom Todestag des Erblassers im Mai 1999 bis zur endgültigen Verfügbarkeit im September 1999 tatenlos zusehen müssen. So habe der Kurswert in Aktien
am 17. Mai 1999 87,55 ? = 1.066.952,30 DM
am 13. September 1999 (Vermächtniserfüllung, s. Bl. 54 FA-Akte)) 72,07 ? = 878.301,00 DM
am 17. September 1999 (Verkauf durch die Klägerin 68,35 ? = 832.966,19 DM
betragen.
Den Antrag vom 25. November 1999 (Bl. 63 FA-Akte) auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO lehnte das FA am 3. Januar 2000 (Bl. 65 FA-Akte) und den Antrag auf Erlass eines Teilbetrages der Erbschaftsteuer nach § 227 AO am
14. Januar 2000 (Bl. 74 FA-Akte) ab.
Die dagegen erhobenen Einsprüche blieben erfolglos (s. zusammengefasste Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2000).
Mit der Klage trägt die Klägerin vor, dass ein Erlass gerechtfertigt sei, weil sie bis zum 9. September 1999 wegen der fehlenden Unbedenklichkeitsbescheinigung des Erben nicht über das Depot habe verfügen können. Ihr Angebot an das FA, für ihre Steuerschuld eine Bankbürgschaft zu bringen, sei abgelehnt worden, weil die Erbschaftsteuerschuld des Alleinerben noch nicht festgestanden habe. Da die Verfügungsbeschränkung der Klägerin sich aus den steuerrechtlichen Vorschriften hinsichtlich der Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung ergebe, sei dies ein wesentlich stärker zur Unbilligkeit führender Umstand, als wenn etwa eine testamentarische Erbeinsetzung von einem Dritten angefochten werde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,unter Aufhebung der Ablehnung der Erlassanträge vom 3. Januar und 14. Januar 2000 und der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2002 das FA zu verpflichten, aus Billigkeitsgründen die mit Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 22. Oktober 2001 festgesetzte Erbschaftsteuer in Höhe von 358.700 DM in Höhe von 106.900 DM zu erlassen bzw. hilfsweise 42.200 DM durch Anrechnung des niedrigeren Tarifs von 29 % auf den Erwerb zu erlassen; bzw. bei Abweisung der Klage Revision zum BFH zuzulassen.
Das FA beantragt Klageabweisung.
Am 24. Juli 2002 hat vor dem Senat mündliche Verhandlung in öffentlicher Sitzung stattgefunden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
II.
Die Klage ist nicht begründet.
Der Senat sieht von einer ins Einzelne gehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist insoweit auf die Begründung der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2002, die keinen Rechtsfehler erkennen lässt und der er sich anschließt. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:
Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann sich entweder
aus sachlichen oder aus persönlichen (wirtschaftlichen) Gründen ergeben.
Die Entscheidung über einen Erlassantrag stellt eine Ermessensentscheidung dar, die der finanzgerichtlichen Nachprüfung nach § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) nur insoweit unterliegt, ob das FA von dem ihm eingeräumten Ermessen bestimmungsgemäßen Gebrauch gemacht hat, ob also seine Entscheidung nicht auf einer Ermessensüberschreitung oder einem Ermessensfehlgebrauch beruht.
Ein derartiger Verstoß ist in der Streitsache nicht erkennbar.
Eine Unbilligkeit i.S. von § 163 AO kann entweder auf sachlichen Gründen oder aber auf persönlichen Gründen beruhen. Eine sachliche Unbilligkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn (unabhängig von der Wirtschaftslage des Steuerschuldners) nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des begehrten Erlasses entschieden haben würde. Eine persönliche Unbilligkeit der Steuerfestsetzung liegt dagegen vor, wenn sich aus den persönlichen Verhältnissen des Steuerschuldners, insbesondere aus seiner Wirtschaftslage, ergibt, dass die Zahlung der Steuer seine Existenz gefährden würde.
Gründe für eine persönliche Unbilligkeit in diesem Sinn sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Die Steuerfestsetzung ist aber auch nicht sachlich unbillig.
Das Erbschaftsteuerrecht wird nach dem Willen des Gesetzgebers vom Stichtagsprinzip beherrscht. Diese strikte Geltung des Stichtagsprinzips führt dazu, dass Wertveränderungen nach dem Stichtag bei der Ermittlung der erbschaftsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage selbst bei einer erheblichen Differenz und auch bei einer Beschränkung des Verfügungsrechts des Erben z.B. infolge Testamentsvollstreckung nicht berücksichtigt werden können. Der Senat verweist insoweit auf die ständige Rechtsprechung des BFH, der er sich anschließt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. September 1999 II B 130/97, BFH/NV2000, 320 m.w.N.).
Hiernach ist die Erfassung der streitbefangenen Aktien mit ihrem Kurswert zu Beginn des Todestages nicht zu beanstanden.
Aufgrund der klaren Entscheidung des Gesetzgebers, auf die Wertverhältnisses zum Todestag des Erblassers abzustellen, scheidet eine sachliche Unbilligkeit bei Kursverlusten grundsätzlich aus, die Gerichte (und auch die Finanzbehörden) sind nicht befugt, die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung abzuändern (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1977II R 150/71, BStBI II 1977, 425-426 letzter Absatz, BFHE 121, 500 und FG Nürnberg vom 24. Januar 1991 IV 180/87, EFG 1991, 548).
Ein Billigkeitserlass wird vor allem in den Fällen gefordert, in denen die Verfügungsmöglichkeit für längere Zeit ausgeschlossen war und in dieser Zeit ein Wertverlust eintrat und die nach dem Stichtagswert berechnete Steuer, bezogen auf den verbliebenen Wert des zuge-wendeten Vermögens, eine Besteuerungsquote ergibt, die den Höchststeuersatz der anzuwendenden Steuerklasse oder den Steuersatz der nächst höheren Steuerklasse übersteigt (so Moench, ErbStG, § 11 Rz. 7). Das FG Köln (Urteil vom 23. Oktober 1997, 9 K 3954/89, EFG 1998, 1603) hält einen Erlass für möglich, wenn das dem Erwerber wegen fehlender Verfügungsmöglichkeit tatsächlich verbleibende Vermögen weniger als die Hälfte des Vermögens beträgt, das der Gesetzgeber dem Erwerber bei korrekter Anwendung des Erbschaftsteuergesetzes und nach Abzug der Erbschaftsteuer belassen will. Troll hingegen sieht jedoch nur als zwingenden Billigkeitsgrund eine Steuerlast an, die ?erdrosselnde" Wirkung hat (Troll, ErbStG, § 11 Tz. 27).
Derartige Ausnahmefälle liegen hier nicht vor, so dass der Senat offen lassen kann, ob er in solchen Fällen einen Erlass für geboten hält.
Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.