21.01.2003 · IWW-Abrufnummer 030124
Landgericht Trier: Urteil vom 05.06.2001 – 1 S 18/01
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Trier
Aktenzeichen:
1 S 18/01 LG Trier
8 C 361/00 AG Trier
Verkündet am: 05.06.2001
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit XXX
wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Trier
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2001
durch den Präsidenten des Landgerichts Kann
und die Richter am Landgericht Körperich und Hardt
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 25. Januar 2001 ? 8 C 361/00 ? wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Entscheidungsgründe:
(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)
I.
Der Beklagte zu 1) veranstaltete am 06.03.2000, ... den örtlichen Karnevalumzug, an dem auch eine Fußgruppe des Beklagten zu 2) teilnahm. Die Klägerin war Zuschauerin des Umzuges. Sie befand sich an der Gehsteigkante auf dem Bordstein in Höhe des Hauses Nr. 34 in der ...straße, als der Umzug dort gegen 15.30 Uhr vorbei kam. Die Fußgruppe des Beklagten zu 2) führte zwei Weinbergskanonen unterschiedlicher Größe und Bauart mit sich.
Am 07.03.2000 begab sich die Klägerin in fachärztliche Behandlung wegen eines Knalltraumas im rechten Ohr. Ab dem 10.03.2000 klagte sie über einen gelegentlich wiederkehrenden Tinnitus, welcher ab dem 11.03.2000 als sehr störendes, permanentes Rauschen beschrieben wurde. Insgesamt befand sich die Klägerin 7 Tage lang in stationärer Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Infusionstherapie, die sodann ambulant fortgesetzt wurde, was mit 26 weiteren Arztbesuchen verbunden war.
Mit der Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldnern Ersatz der von ihr aufgewandten Kosten der ärztlichen Behandlung in Höhe von 238,20 DM, ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe sie mit mindestens 5.000,00 DM angibt und Feststellungen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr allen materiellen und immateriellen weiteren Schaden zu ersetzen.
Die Klägerin hat vorgetragen,
als sich die Fußgruppe des Beklagten zu 2) unmittelbar vor ihr befunden habe, sei in dieser Gruppe eine kleine Kanone gezündet worden, die einen so lauten Knall erzeugt habe, dass sofort Schmerzen und ein Summgeräusch im Gehörgang hervorgerufen worden seien. Die Kanone sei sehr klein und für sie nicht erkennbar gewesen. Der Knall sei für sie besonders überraschend gekommen. Hierdurch sei der Hörschaden eingetreten.
Der Tinnitus dauere noch an und führe zu ganz erheblichen Einschränkungen in ihrer Lebensqualität.
Die von dem Beklagten zu 2) mitgeführte Kanone erzeuge einen Schalldruckpegel von mehr 110 dB.
Auch eine weitere Zuschauerin des Karnevalumzuges habe durch die kleine Kanone der Beklagten zu 2) einen Hörschaden erlitten.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 238,20 DM und ein angemessenes Schmerzensgeld, nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 13.09.2000 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der aus dem Vorfall mit der Kanone des Beklagten zu 2) während des Umzuges am 06.03.2000 in Schweich noch entstehen werde.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben entgegnet,
der Beklagte zu 2) habe mit den Kanonen lediglich Konfetti verschossen, was keinen lauten Knall verursache. Unmittelbar vor der Fußgruppe des Beklagten zu 2) habe sich eine andere Karnevalsgruppe in dem Umzug befunden, die zwei Weinbergskanonen mit sich geführt und daraus geschossen habe. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Hörschaden der Klägerin durch die Weinbergskanonen dieser Gruppe verursacht worden sei. Durch die vom Beklagten zu 2) benutzten Kanonen können keineswegs ein Schalldruckpegel von mehr als 110 dB erzeugt werden. Bei einem so lauten Knall hätten alle Zuschauer und Teilnehmer einen Hörschaden erlitten.
Im übrigen habe die Klägerin auf eigenes Risiko gehandelt, da es bei Karnevalsumzügen bekanntermaßen sehr laut zugehe und die Klägerin auch gewußt habe, dass dort Kanonen mitgeführt werden.
Das Amtsgericht hat nach Vernehmung von 8 Zeugen mit Urteil vom 25.01.2001 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt,
es könne unterstellt werden, dass die Klägerin sich als Zuschauerin bei dem Umzug einen Hörschaden zugezogen habe, der durch den Knall einer Kanone verursacht worden sei. Nicht nachgewiesen sei aber aufgrund der Bekundungen der vernommenen Zeugen, dass dieser Knall von einer Kanone des Beklagten zu 2) herrühre.
Damit scheide auch ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1) als Organisator des Karnevalsumzugs aus.
Gegen das ihr am 26.01.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.02.2001 Berufung eingelegt und diese am 21.03.2001 begründet.
Sie trägt vor,
das Amtsgericht habe die von ihm erhobenen Beweise unrichtig gewürdigt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Bekundungen der vernommenen Zeugen ergebe sich, dass von der kleinen Kanone, die von dem Beklagten zu 2) mitgeführt wurde, der Knall verursacht worden sei, der zu ihrem Hörschaden geführt habe.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte zu 1) als Organisator des Rosenmontagsumzuges habe dafür Sorge tragen müssen, dass Kanonen, deren Gebrauch zu Schäden bei den Zuschauern führen, nicht hätten mitgeführt werden dürfen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das erstinstanzliche Urteil und die darin vorgenommene Beweiswürdigung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat den Streitfall richtig entschieden und mit zutreffenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten aus den §§ 823, 831, 847 und 31 BGB verneint.
1.
Zwar hat der Beklagte zu 1) als Veranstalter des Karnevalsumzugs eine Verkehrssicherungspflicht, wonach derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat. Da aber eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muß nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintrittes Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst, wenn sich für einen sachkundig Urteilenden die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (vgl. Palandt, BGB, 60. Aufl., § 823 Rn. 58, m. w. N.).
Demnach kann dem Beklagten zu 1) als Veranstalter nicht zur Last gelegt werden, dass er den Teilnehmern des Umzugs keine Anweisungen hinsichtlich des Gebrauchs von Weinbergskanonen erteilt hat. Es ist bei Karnevalsumzügen üblich, dass Kanonen zum Verschießen von Konfetti oder zur Abgabe von Böllerschüssen mitgeführt werden.
Erkennbare Besonderheiten sind von den Verkehrsteilnehmern auch ohne Sicherung und Warnung hinzunehmen, wenn es ihnen möglich ist, sich entsprechend darauf einzustellen (vgl. Geigel-Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl., Kapitel 14 Rn. 37, m. w. N.). Bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt ist ein Zuschauer in der Lage, etwaige von diesen Kanonen ausgehende Gefahren zu erkennen und sich entsprechend einzurichten. Dementsprechend hätte die Klägerin sich auf die erkennbare Gefahrensituation einstellen und gegebenenfalls weiter zurücktreten müssen, zumal sie ? bei gehöriger Aufmerksamkeit ? die herannahenden Kanonen hätten wahrnehmen müssen. Nach dem Ergebnis der vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme und nach allgemeiner Erfahrung ist davon auszugehen, dass der Karnevalsumzug sich langsam dem Standort der Klägerin näherte und die nach den Bekundungen des Zeugen ... regelmäßig abgefeuerten Böllerschüsse der mitgeführten Weinbergskanonen schon von weitem zu hören waren. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich im Falle der Verletzung der Klägerin eine atypische oder gar verdeckte Gefahr verwirklicht hat, sind nicht dargetan.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann von dem Veranstalter eines Karnevalsumzugs keinesfalls verlangt werden, dass dieser sämtliche mitgeführten Gerätschaften zuvor mittels Sachverständigengutachten im Rahmen einer Schalldruckmessung untersuchen läßt. Solche Maßnahmen gingen weit über das für einen Karnevalsverein wirtschaftlich zumutbare hinaus.
2.
Eine grundsätzlich denkbare Haftung des Beklagten zu 2) für einem Dritten zugefügte Schäden durch seine Mitglieder im Rahmen des § 31 BGB kommt deshalb nicht in Betracht, weil der Kl ägerin der ihr obliegende Beweis dafür nicht gelungen ist, dass der erlittene Hörschaden durch die Kanone der Fußgruppe des Beklagten zu 2) verursacht wurde.
Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden.
Zwar haben der Ehemann der Klägerin und die Zeugin ... glaubhaft bekundet, dass die Klägerin in dem Moment aufgeschrieben habe, als die Kanone des Beklagten zu 2) unmittelbar vor ihr gezündet worden sei. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere der Ehemann der Klägerin sich irrt und der Schaden am Gehör der Klägerin durch eine Kanone einer anderen Fußgruppe in dem Karnevalsumzug verursacht wurde. Insoweit haben die vom Beklagten zu 2) benannten Zeugen übereinstimmend bekundet, dass sie die im Rahmen der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht in Augenschein genommene Kanone benutzt haben, während der Ehemann der Klägerin ausgesagt hat, die beim Amtsgericht präsentierte Kanone sei in dem Karnevalsumzug von dem Beklagten zu 2) nicht benutzt worden.
Zudem haben alle von dem Beklagten zu 2) benannten Zeugen zu der vom Ehemann der Klägerin gefertigten Skizze, die die schadenverursachende Kanone darstellt, glaubhaft bekundet, dass sich eine solche weder im Besitz des Beklagten zu 2) befinde, noch im Karnevalsumzug mitgeführt worden sei.
Damit ist nicht mit der für eine Verurteilung des Beklagten zu 2) erforderlichen Gewißheit nachgewiesen, dass der Schaden am Gehör der Klägerin von einem Mitglied des Beklagten zu 2) verursacht wurde. Es ist ebenso denkbar, dass der Schaden durch eine vorherige Fußgruppe oder einen sonstigen Teilnehmer des Umzuges verursacht wurde, zumal der Zeuge ... glaubhaft bekundet hat, dass die 2. oder 3. Gruppe im Umzug vor der des Beklagten zu 2) ebenfalls Weinbergskanonen mitführte, die auch abgefeuert wurden, wobei diese um ein vielfaches lauter gewesen seien, als die Kanonen des Beklagten zu 2).
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 8.238,20 DM (Zahlung: 238,20 DM; Schmerzensgeld: 5.000,00 DM, Feststellungsklage: 3.000,00 DM).