19.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102234
Finanzgericht München: Urteil vom 26.04.2010 – 7 K 3217/07
Nach § 5 Abs. 2 EStG liegen sofort abzugsfähige Betriebsausgaben für die Herstellung eines immateriellen Wirtschaftsguts und keine aktivierungspflichtigen Anschaffungskosten für ein entgeltlich erworbenes immaterielles Wirtschaftsgut vor, wenn der Stpfl. die Entwicklung eines Wirtschaftsguts von einem Dritten vornehmen lässt, er aber weiterhin das Hertstellungsgeschehen beherrscht und das wirtschaftliche Risiko trägt. Ob das Vertragsverhältnis mit dem Dritten zivilrechtlich als Dienstvertrag oder Werkvertrag zu qualifizieren ist, ist hierbei unerheblich.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine GmbH, die nach ihrem satzungsgemäßem Gesellschaftszweck im Bereich der Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von künstlichen Gelenken, Prothesen, und medizinischen Geräten und Instrumentarien tätig ist und Lizenzen zur Nutzung der selbst entwickelten Patente vergibt und diese vermarktet.
Am 1. Oktober 1999 hat die Klägerin mit der … AG (A-AG) einen so genannten „Entwicklungsvertrag” abgeschlossen. Gegenstand des Vertrags ist die Entwicklung von marktf ähigen Knieimplantaten und von Operationswerkzeugen für deren Einbau auf der Basis von Patenten und Patentanmeldungen, deren Inhaberin die Klägerin ist. Im Rahmen dieser Vereinbarung übernahm die A-AG sämtliche Projektierungs-, Entwicklungs-, Herstellungs- und Zulassungsarbeiten sowie die komplette Projektsteuerung dieser Arbeiten auf eigenes finanzielles und technisches Risiko. Die genaue Aufgabenstellung ist in einer dem Vertrag beigefügten Anlage mit den einzelnen Projektschritten niedergelegt. Das Gesamtvolumen des Entwicklungsauftrages betrug 3.026.336,64 EUR. Die Vergütung war in 44 Teilbeträgen jeweils nach Abnahme der in der Anlage definierten Teilarbeiten durch die Klägerin zur Zahlung fällig. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Entwicklungsvertrag vom 1. Oktober 1999 nebst Anlage und Nachtragsvereinbarung vom 20. März 2002 Bezug genommen.
In der Bilanz zum 31.12.2000 hat die Klägerin für die dem Jahr 2000 zuzurechnenden Entwicklungskosten einen Aktivposten „Aufwendungen zur Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes” in Höhe von 2.970.152 DM (= 1.518.614,60 EUR) gebildet. In der Bilanz zum 31.12.2001 sind die den Jahren 2000 und 2001 zuzurechnenden Entwicklungskosten in Höhe von 2.300.014,32 EUR im Anlagevermögen unter den immateriellen Vermögensgegenständen ausgewiesen und der Aktivposten „Aufwendungen zur Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes” aus dem Vorjahr aufgelöst worden.
Im Rahmen einer bei der Klägerin für die Jahre 1999 bis 2001 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Aufwendungen aus dem Entwicklungsvertrag vom 1. Oktober 1999 mit der A-AG Anschaffungskosten für ein selbst geschaffenes immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens dargestellten, für die das steuerliche Aktivierungsverbot gemäß § 5 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) gelte. Das beklagte Finanzamt behandelte dementsprechend die Aufwendungen aus dem Entwicklungsvertrag entgegen der bilanziellen Behandlung durch die Klägerin in den Steuerbescheiden 2000 und 2001 als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2002 vom 16. Juni 2005 legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, dass eine Bilanzberichtigung zum 1. Januar 2002 vorzunehmen sei, da das Finanzamt die Kosten aus dem Entwicklungsvertrag für 2000 und 2001 zu Unrecht als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben behandelt habe. Vielmehr seien diese als immaterielles Wirtschaftsgut zu aktivieren. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 9. August 2007).
Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, Gegenstand des Vertrags mit der A- AG vom 1. Oktober 1999 sei der Erwerb eines Vermögensgegenstandes, der in der Vermögenssphäre der A-AG entstanden sei. Zwar enthalte der Vertrag auch einige Elemente eines Dienstvertrages. Im Vordergrund habe jedoch gestanden, dass die A-AG den Auftrag erhalten habe, ein Werk herzustellen. Hierfür habe sie die komplette Projektsteuerung und alle erforderlichen Arbeiten übernommen und sei berechtigt gewesen, Dritte mit der Erledigung von Teilarbeitern zu beauftragen. Dabei habe sie die Arbeiten auf eigenes finanzielles und technisches Risiko durchgeführt und die erforderlichen Nutzungsrechte erworben. Schließlich seien Vertragsstrafen vereinbart worden, wenn zu bestimmten Zeitpunkten die Zulassung marktfähiger Knieimplantate und Operationswerkzeuge nicht erreicht worden sei. Nach dem Gesamtbild der Vertragsabwicklung, dem wirklichen Willen der Vertragsparteien und dem tatsächlich erzielten Ergebnis habe es sich bei den Aufwendungen für den zweiten Abschnitt des Entwicklungsvertrages um Aufwendungen für den Erwerb eines immateriellen Vermögensgegenstandes gehandelt. Etwas anderes habe für den vom zweiten Abschnitt unabhängigen ersten Abschnitt des Entwicklungsvertrages gegolten. Dieser sei nur mit wesentlicher Mitwirkung der Klägerin durchführbar gewesen, so dass für diese Aufwendungen eine Aktivierung nicht in Betracht gekommen sei.
Die Klage sei auch nicht unzulässig. Sie sei beschwert, weil die Behandlung der Aufwendungen aus dem Entwicklungsvertrag in den Geschäftsjahren 2000 und 2001 zu einem positiven zu versteuernden Einkommen in 2004 geführt habe. Im Geschäftsjahr 2004 habe man sich nach einem vorangegangenen Rechtsstreit mit der A-AG im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs darauf geeinigt, dass Restforderungen aus Leistungen der A-AG in Höhe von 1.143.019,58 EUR von der Klägerin nicht mehr zu zahlen seien. Die entsprechende Verbindlichkeit habe in 2004 ausgebucht werden müssen. Solange die immateriellen Wirtschaftsgüter aktiviert gewesen seien, habe die Ausbuchung der Verbindlichkeiten gewinnneutral
durch Minderung der Anschaffungskosten der betreffenden Wirtschaftsgüter durchgeführt werden können. Durch die steuerliche Behandlung der Aufwendungen als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben habe am Schluss des Geschäftsjahres 2004 ein Aktivposten gefehlt mit dem die Minderung der Anschaffungskosten habe verrechnet werden können, so dass die Ausbuchung der Verbindlichkeit zu einer entsprechenden Gewinnerhöhung in 2004 geführt habe. Diese Buchgewinne seien den Gesellschaftern der in den Jahren 2003 und 2004 gegründeten atypisch stillen Gesellschaften als steuerpflichtige Einkünfte zugewiesen worden. Diese steuerliche Folge wäre nicht entstanden, wenn der Ertrag aus dem Forderungsverzicht der A-AG mit aktivierten Anschaffungskosten hätte verrechnet werden können.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2002 und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 9. August 2007 dahin zu ändern, dass der verbleibende Verlustabzug nach § 10d Abs. 4 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auf 699.831 EUR festgestellt wird und dabei das Finanzamt zu verpflichten, die unrichtigen Bilanzansätze für die Entwicklungskosten zum 31.12.2002 auf 2.300.014,32 EUR zu berichtigen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen. Es hält die Klage für unzulässig, da durch die Behandlung der Entwicklungskosten als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben zu Gunsten der Klägerin ein höherer Verlust festgestellt worden sei. Die Klägerin sei damit nicht beschwert. Ein Nachteil ergebe sich auch nicht dadurch, dass im Jahr 2004 durch die Ausbuchung der Verbindlichkeiten ein Gewinn entstanden sei, denn dies werde durch das entsprechend höhere Verlustverrechnungsvolumen kompensiert. Da es nur darauf ankomme, ob auf Seiten der Klägerin eine Beschwer bestehe, seien etwaige spätere nachteilige Folgen im Rahmen der dann bestehenden Mitunternehmerschaft unbeachtlich. Im Übrigen werde auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung verwiesen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist zulässig. Zwar wendet sich die Klägerin gegen die Feststellung eines nach ihrer Auffassung zu hohen Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. Dennoch ist die Klagebefugnis nach § 40 Abs. 2 FGO zu bejahen, da nicht völlig auszuschließen ist, dass der steuerliche Vorteile, der sich aus der sofortigen Abzugsfähigkeit der Aufwendungen aus dem Entwicklungsvertrag mit der A-AG ergibt, nach den Grundsätzen des formellen Bilanzzusammenhangs in späteren Jahren in einen noch größeren Nachteil umschlagen kann (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 43).
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Finanzamt hat die Aufwendungen aus dem Entwicklungsvertrag vom 1. Oktober 1999 zutreffend als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben behandeln.
Die Entwicklung der marktf ähigen Knieimplantate und Operationswerkzeuge führt bei der Klägerin zu einem immateriellen Wirtschaftsgut. Nach § 5 Abs. 2 EStG ist für immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens ein Aktivposten nur anzusetzen, wenn sie entgeltlich erworben wurden, daher setzte eine Aktivierung auf Seiten des Unternehmers ein Anschaffungsgeschäft voraus. Wenn er dagegen als Hersteller des immateriellen Wirtschaftsguts anzusehen ist, liegen wegen des Aktivierungsverbots sofort abzugsfähige Betriebsausgaben vor. Hersteller ist, wer das Wirtschaftsgut auf eigene Rechnung und Gefahr herstellt oder herstellen lässt und das Herstellungsgeschehen beherrscht (BFH-Urteil vom 5. März 1992 IV B 178/90, BStBl II 1992, 725). Auch wenn ein Herstellungsvorgang aus einer Abfolge von Anschaffungsvorgängen besteht, wie bei der Vergabe von Unteraufträgen an Subunternehmer durch eine Generalunternehmer, bei dem nur noch das Engineering oder die Kombination zur Gesamtleistung verbleibt, liegt Herstellung und keine Anschaffung vor (Ellrott/Brendt in Beck'scher Bilanzkommentar, 7. Auflage, § 255 Rz. 37).
Im Streitfall hat die Klägerin im Rahmen der Entwicklung von marktfähigen Knieimplantaten und von Operationswerkzeugen für deren Einbau die erforderlichen Projektierungs-, Entwicklungs-, Herstellungs- und Zulassungsarbeiten auf die A-AG übertragen. Aus dem vorgelegten Entwicklungsvertrag ergibt sich jedoch, dass die Klägerin weiterhin das Herstellungsgeschehen beherrscht und letztlich die Entwicklung der Knieimplantate und Operationswerkzeuge auf eigene Rechnung und Gefahr durchgeführt hat. Hierfür spricht, dass die Klägerin zwar einzelne, genau beschriebene Projektschritte von der A-AG durchführen ließ, nicht jedoch die vollständige Entwicklung der Knieimplantate und der hierfür erforderlichen Operationswerkzeuge in dem Sinn, dass diese von der A-AG in marktfähigen Zustand zur Verfügung zu stellen waren. Jeder der insgesamt 44 Projektschritte wurde gesondert abgenommen und vergütet. Eine Gewährleistung übernahm die A-AG nur für die Ausführung der Entwicklungsarbeiten, nicht für die tatsächliche Erreichung des angestrebten Ergebnisses. Daraus wird deutlich, dass die A-AG letztlich nur ein Dienstleister im Rahmen des von der Klägerin ausgeführten Projekts war, sie aber kein fertiges Wirtschaftsgut hergestellt und auf die Klägerin übertragen hat. Die fehlende Übernahme einer Gewährleistung für die Erreichung des angestrebten Ergebnisses, d.h. der zu entwickelnden Knieimplantate und Operationswerkzeuge, wäre bei einem Anschaffungsgeschäft nicht denkbar. Daran ändert auch die Vereinbarung von Vertragstrafen, wenn die Zulassung zu bestimmten Zeitpunkten nicht erreicht wird, nichts, denn die Vereinbarung von Vertragsstrafen ist ein Druckmittel zur termingerechten Fertigstellung und hat damit eine andere rechtliche Qualität als eine Gewährleistung. Auch die Bestimmungen, dass die auf die A-AG übertragenen Arbeiten während ihrer Durchführung in Abstimmung mit einem von der Klägerin bestimmten Arbeitsverantwortlichen und vom Verantwortlichen der A-AG laufend überprüft und den erzielten Zwischenergebnissen angepasst werden und die A-AG nur in Abstimmung mit der Klägerin berechtigt war, wissenschaftlich-technische Institute mit der Erledigung von Teilaufgaben des Entwicklungsvertrag zu beauftragen, zeigt deutlich, das die Klägerin weiterhin Herr des Geschehens war.
Gegen das vorgenannte Ergebnis, dass die Klägerin Herstellerin und nicht Erwerberin der Vermögensgegenstände gewesen ist, spricht auch nicht, dass gemäß dem Entwicklungsvertrag die A-AG die Arbeiten auf eigenes finanzielles und technisches Risiko durchgeführt hat. Das von der A-AG getragene Risiko beschränkte sich auf die von ihr übernommenen Arbeiten, nicht jedoch auf das gesamte Projekt. Insbesondere dadurch, dass die A-AG für das tatsächliche Erreichen des angestrebten Ergebnisses keine Gewährleistung übernommen hat, trug sie insoweit auch kein Risiko; dieses Risiko hat vielmehr die Klägerin getragen. Damit ist die Klägerin auch durch die Übernahme der Projektierungs-, Entwicklungs-, Herstellung- und Zulassungsarbeiten durch die A-AG nicht von ihrem Kostenrisiko völlig freigestellt worden, so dass sie Herstellerin blieb (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 1976 III R 167/73, BStBl II BStBl 1973 II S. 1976, BStBl 1973 II S. 728).
Auch aus der Bestimmung im Entwicklungsvertrag, dass die Entwicklungsergebnisse erst nach vollständiger Zahlung des Honorars in das Eigentum der Klägerin übergehen und sie ein ausschließliches, übertragbares und unbeschränktes Nutzungsrecht erwirbt (§ 6 Abs. 1), folgt nicht, dass die Klägerin als Erwerberin der hier in Frage stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter anzusehen ist, denn erst bei ihr wurden die Entwicklungsergebnisse aus den einzelnen, insgesamt 44 Projektschritten, zusammengeführt. Nur bei ihr konnte das fertige Produkt „marktfähige Knieimplantate und Operationswerkzeuge für deren Einbau” als immaterielles Wirtschaftsgut entstehen, denn nur sie war Inhaberin der hierfür erforderlichen Patente.
Für die Frage, ob der Besteller (hier: die Klägerin) oder der Unternehmer (hier: die A-AG) als Hersteller im Sinne des Bilanzrechts anzusehen ist, kommt es – worauf Scharfenberg/Marquardt (in DStR 2004, 195/198) zu Recht hinweisen – nicht entscheidend darauf an, ob das Vertragsverhältnis als Dienstvertrag oder als Werkvertrag zu qualifizieren ist. Denn der Besteller kann auch dann als Hersteller anzusehen sein, wenn seine unternehmerische Leistung lediglich in der Koordinierung der von fremden Unternehmen durchgeführten Arbeiten besteht (Adler/Düring/Schmalz – ADS –, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 255 HGB Rz. 120). So ist es auch im Streitfall. Die Klägerin ist als Herstellerin der streitgegenständlichen immateriellen Wirtschaftsgüter anzusehen, da sie trotz Auslagerung der wesentlichen Produktionsarbeiten auf einen Dritten nach wie vor diejenige geblieben ist, bei der die einzelnen Arbeitsergebnisse, die jeweils gesondert abzunehmen und zu vergüten gewesen sind, zusammengeführt und damit koordiniert worden sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.