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12.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102143

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 16.03.2010 – 9 U 163/09

Der dreijährige Besuch einer Bibelschule eines volljährigen Kindes nach Abitur und Zivildienst stellt sich als berufliche Erstausbildung im Sinne des Bedingungswerkes dar, sodass während des anschließenden Studiums der Physik wegen der Neuorientierung in der Ausbildung keine Mitversicherung in der Privathaftpflichtversicherung der Eltern besteht.


In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln
auf die mündliche Verhandlung vom 16.03.2010
durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Scheffler, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Halbach und den Richter am Amtsgericht Alberts
f ü r R e c h t e r k a n n t :
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 07.10.2009 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 20 O 228/09 – unter Zurückweisung des Anschlussrechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
(abgekürzt nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO )
I. Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen, der die AHB, EHV und BHB zugrunde lagen (Bl. 5 ff AH). Er begehrt Feststellung des Haftpflichtversicherungsschutzes für seinen volljährigen, unverheirateten Sohn, den Zeugen N N (geboren 07.12.1979), der von den Stadtwerken Augsburg wegen der Beschädigung einer Straßenbahn anlässlich eines Verkehrsunfalls vom 12.08.2008 in Anspruch genommen wird. Der Sohn des Klägers hatte mit seinem Fahrrad die Straßenbahn beschädigt und war selbst erheblich verletzt worden.
Die Parteien streiten darüber, ob der Sohn wegen seines Ausbildungsstandes (noch) in der Privathaftpflichtversicherung mitversichert ist.
Nach dem Abitur leistete der Sohn von Oktober 1999 bis August den Zivildienst. Anschließend besuchte er eine Bibelschule in Bad Gandersheim in der Zeit bis Sommer 2003. Hierbei handelt es sich um ein Glaubenszentrum im freikirchlichen Bereich auf der Grundlage einer pfingstlich-charismatischen Glaubensausrichtung. Im Oktober 2003 nahm er ein Lehramtsstudium in den Fächern Mathematik und Physik auf, welches zum Unfallzeitpunkt noch andauerte. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen des von seinem Sohn N N verursachten Schadensereignisses vom 12.08.2008 Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren. Es hat ausgeführt, dass der Zeuge als sich in einer der Schulausbildung unmittelbar angeschlossenen Berufsausbildung befindliches Kind des Klägers in den Versicherungsschutz einbezogen sei. Rechtsanwaltskosten schulde die Beklagte nicht, weil der Kläger nicht dargetan habe, dass er anwaltliche Hilfe erst in Anspruch genommen habe, als Verzug vorgelegen habe.
Gegen das Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Hinsichtlich der Anwaltskosten hat der Kläger Anschlussberufung eingelegt.
II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten ist begründet. Die zulässige Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet.
1. Der Kläger hat auf Grund der Privat- und Familien-Haftpflichtversicherung keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versicherungsschutz wegen der Haftpflichtforderung der Stadtwerke Augsburg gegen den Sohn im Zusammenhang mit dem Schadenereignis vom 12.08.2008.
a) Es besteht hinsichtlich der Haftpflichtforderung keine Mitversicherung des Sohnes nach Nr. 1.4, 2.1c) EHV 09.
In Nr. 2 heißt es u.a.:
„ Mitversichert ist
2.1 die gleichartige gesetzliche Haftpflicht …
c) ihrer unverheirateten und nicht in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Kinder (auch Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder), bei volljährigen Kindern jedoch nur, solange sie sich noch in der Schul- oder sich unmittelbar anschließenden Berufsausbildung befinden (berufliche Erstausbildung – Lehre und/oder Studium-, nicht Referendarzeit, Fortbildungsmaßnahmen und dgl.). Bei Ableistung des Grundwehr- oder Zivildienstes (einschließlich des zusätzlichen freiwilligen Wehrdienstes) vor, während oder im Anschluss an die Berufsausbildung bleibt der Versicherungsschutz bestehen…“
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Versicherungsschutz für unverheiratete und volljährige Kinder besteht nur, „solange sie sich noch in der Schul- oder sich unmittelbar anschließenden Berufsausbildung befinden.“
Die Bedingungen erläutern das durch den Zusatz: „berufliche Erstausbildung –Lehre und/ oder Studium-, nicht Referendarzeit, Fortbildungsmaßnahmen und dgl. Bei Ableistung des Grundwehr – oder Zivildienstes (einschließlich des zusätzlichen freiwilligen Wehrdienstes) vor, während oder im Anschluss an die Berufsausbildung bleibt der Versicherungsschutz bestehen.“ Ausgangspunkt ist also die sich an die Schule anschließende Berufsausbildung, wobei die Zeit des Wehr-/Zivildienstes versichert ist.
Ziel der Vorschrift ist, dass Kinder solange in der Privathaftpflichtversicherung der Eltern mitversichert sein sollen, wie sie sich im Rahmen eines durchgängigen, zusammenhängenden Ausbildungsweges (Schule/Berufsausbildung = Lehre oder Studium) noch in der notwendigen einheitlichen (Erst-) Ausbildungsphase zu einem Beruf befinden und deshalb noch nicht zur Finanzierung einer eigenen Versicherung in der Lage sind (vgl. OLG Köln, 5. Senat, VersR 1993, 430; OLG Düsseldorf VersR 1998, 966; VersR 1994, 1172; OLG Schleswig VersR 1993, 736; vgl. auch Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., Privathaftpfl. Nr. 2 Rn 4).
Entscheidend ist, ob nach der Schulausbildung und dem zu berücksichtigenden Zivildienst eine Unterbrechung und Neuorientierung in der Ausbildung erfolgt ist oder ob von einem einheitlichen Erstausbildungsweg gesprochen werden kann.
Eindeutig ist im Bedingungswerk der vorliegenden EHV 09 – möglicherweise abweichend von anderen Versicherungsbedingungen, vgl. OLG Düsseldorf VersR 1998, 966 - von einer „beruflichen Erstausbildung“ die Rede. Das zeigt, dass eine zweite Ausbildung – wie auch eine Fortbildung nach einer Erstausbildung - nicht versichert sein soll. So liegt es hier.
Der Besuch der Bibelschule ist in keiner Weise Voraussetzung für ein Lehramtsstudium. Auch stellt sich das Absolvieren der Bibelschule und die spätere Lehramtsausbildung nicht als ein zusammenhängender einheitlicher Ausbildungsweg dar. Betrachtet man die Inhalte der Ausbildung in der Bibelschule (1. Jahr Jüngerschaftsschule, 2. Jahr Mitarbeiterschule, 3. Jahr Leiterschule (nunmehr school of missions, school of worship) ) so ergibt sich, dass es sich um einen abgeschlossenen Ausbildungsweg handelt. Dem entspricht auch die dem Sohn des Klägers erteilte Bescheinigung des Glaubenszentrums vom 04.11.2008 (Bl. 12 AH), wonach der Unterricht dort stufenweise an „spätere Aufgaben heranführt, mit deren Erwerbstätigkeit der Lebensunterhalt bestritten werden kann“. Ziel der Ausbildung ist demnach nicht der Lehrerberuf an öffentlichen oder anderen Schulen, sondern die Vorbereitung auf Aufgaben in den in der Bescheinigung genannten Bereichen Evangelisation, Mission, Diakonie, Predigtdienst, Kinder- und Teenagerarbeit und Musikdienst. Kinder- und Teenagerarbeit bedeutet in diesem Zusammenhang - wie die Auslegung unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs ergibt – nicht Arbeit als Lehrer an einer Schule, sondern religiöse Arbeit. Die Teilnahme an den Ausbildungskursen der Bibelschule ist danach eine eigenständige endgültige Ausbildung. Auf die Umstände der Finanzierung des Studiums kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Diese Sicht der Ausbildung in der Bibelschule wird durch die Angaben des Zeugen N vor dem Landgericht bestätigt. Er hat nach seiner Bekundung die Ausbildung in der Bibelschule als Alternative zum Studium der Physik angesehen. Erst nach Ablauf der drei Jahre des Absolvierens der Bibelschule hat er sich nach seiner Darstellung für eine neue Ausbildung entschlossen, nämlich zum Lehramt für Mathematik und Physik.
b) Ein andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten, die möglicherweise bei der Auslegung des Bedingungswerkes zu berücksichtigen wären. Es ist anerkannt, dass eine fortdauernde Unterhaltspflicht der Eltern ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn der Beruf aus gesundheitlichen Gründen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann; ferner, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war, oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde (vgl. BGH NJW 2006, 2984). Diese Anforderungen sind erkennbar nicht erfüllt.
Dass der Sohn des Klägers durch das Schadenereignis selbst schicksalhaft schwere Verletzungen davongetragen hat, ändert an der Beurteilung der Deckungspflicht in der Privaten Haftpflichtversicherung nichts.
Nach alledem ist für die in Rede stehende Haftpflichtforderung ein Haftpflichtversicherungsschutz nicht gegeben.
2. Ein Anspruch auf Ersatz von Anwaltskosten nach § 280 BGB besteht mangels Deckungspflicht der Beklagten nicht.
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Entscheidung hat keine über den Einzelfall mit seinen Besonderheiten hinausgehende Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 14.000,00 €

RechtsgebieteVersicherungsrecht, Privathaftpflichtversicherung

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