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07.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102050

Finanzgericht München: Urteil vom 22.01.2010 – 10 V 2438/09

Auch bei nicht ordnungsgemäßer Buchführung rechtfertigt ein ungeklärter Geldzufluss auf einem privaten Konto eine Hinzuschätzung nur, wenn ein Bezug zwischen der nicht ordnungsgemäßen Buchführung und dem ungeklärten Geldzufluss mit der für eine Schätzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann.


FG München v. 22.01.2010

10 V 2438/09

Tatbestand

Gründe
I.

Die Antragsteller sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Der Antragsteller erzielte in den Streitjahren u.a. gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb des Chinarestaurants X. Die Gewinnermittlung erfolgte durch Betriebsvermögensvergleich.

Der Antragsgegner (das Finanzamt – FA –) führte zunächst endgültige Veranlagungen durch.

Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass Gewinnzuschätzungen vorzunehmen seien. Die Zuschätzungen wurden im Wesentlichen darauf gestützt, dass für den im Jahr 2001 erfolgten Erwerb einer privaten Immobilie ein ungeklärter Geldzufluss auf einem privaten Bankkonto in Höhe von 217.000 DM aus einer Überweisung durch eine Bank in Hongkong vorliege, sich aus den eingereichten Gewinnermittlungen unplausible Schwankungen der Gewinnaufschläge ergäben, sich aus Kontrollmitteilungen nicht verbuchte Wareneinkäufe entnehmen ließen, die Überprüfung des Barzahlungsverkehrs negative Bargeldsalden ergeben habe und Kassenunterlagen nicht vollständig aufbewahrt worden seien.

Das FA erließ unter dem 06.03.2009 nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderte Bescheide zur ESt und unter dem 11.03.2009 zum Gewerbesteuermessbetrag (GewStMB) aus denen sich folgende Festsetzungen ergeben:

Festgesetzt Nachzahlungsbetrag
ESt 2001 22.556,15 EUR 22.556,15 EUR
ESt 2002 8.6312 EUR 7.493 EUR
ESt 2003 3.599 EUR 2.959 EUR
Festgesetzt vor Betriebsprüfung Festgesetzt nach Betriebsprüfung
GewSt MB 2001 132,94 EUR 1.712,83 EUR
GewStMB 2002 0 EUR 338 EUR
GewStMB 2003 20 EUR 140 EUR

Über die hiergegen gerichteten Einsprüche hat das FA bislang nicht entschieden.

Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA mit Bescheiden vom 30.07.2009 ab.

Mit dem vorliegenden Antrag verfolgen die Antragsteller ihr Begehren auf Aussetzung der Vollziehung weiter. Den begehrten Umfang der Aussetzung der Vollziehung haben die Antragsteller zwar nicht beziffert. Sie wenden sich aber inhaltlich nur gegen die sich im Zusammenhang mit den Gewinnzuschätzungen (Tz. 1.5 Buchst. a, Tz. 2 des Betriebsprüfungsberichts betreffend den Betrieb des Antragstellers zu 1)) ergebenden steuerlichen Änderungen.

Die Antragsteller beantragen danach sinngemäß,

die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer vom 06.03.2009 und zum Gewerbesteuermessbetrag vom 11.03.2009 bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung insoweit von der Vollziehung auszusetzen, als sich aus den nach dem Ergebnis der Außenprüfung vorgenommenen Gewinnzuschätzungen bei den gewerblichen Einkünften des Antragstellers zu 1) Nachzahlungsbeträge zur ESt bzw. Erhöhungen des GewStMB ergeben.

Das Finanzamt beantragt,

den Antrag abzulehnen,

hilfsweise

eine Aussetzung der Vollziehung von der Stellung einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.





Gründe

II.

1. Der Antrag ist unzulässig soweit auch die Antragstellerin zu 2) Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über den GewStMB begehrt. Da sich diese Bescheide nur gegen den Betriebsinhaber, den Antragsteller zu 1), richten, fehlt es bei der Antragstellerin zu 2) bereits an der notwendigen Beschwer.

2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet.

Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des Sachverhalts anhand präsenter Beweismittel bestehen ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Absatz 3 und Absatz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der Bescheide (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 24.02.2000 IV B 83/89 , BStBl II 2000, 298) und zwar aus folgenden Erwägungen:

a) Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO ist das FA u.a. dann zu einer Schätzung befugt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Buchführung nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Bücher und Aufzeichnungen unvollständig oder formell oder sachlich unrichtig sind.

Diese Voraussetzungen liegen bei summarischer Prüfung zwar vor. Denn nach den nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen der Außenprüfung hatte der Antragsteller die Kassenendbons für den Veranlagungszeitraum 2001 nicht vollständig aufbewahrt und vorgelegt. Dies stellt einen wesentlichen Verstoß gegen die sich aus §§ 146 Abs. 1 Satz 1, 147 Abs. 1 Nr. 5 AO ergebenden Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten dar. Ferner wurde anhand Kontrollmitteilungen festgestellt, dass der Wareneinkauf in allen Streitjahren unvollständig (2001: 15.022,49 DM, 2002: 3.504,14 EUR und 2003: 623,27 EUR) aufgezeichnet wurde, was ebenfalls einen erheblichen Mangel der Buchführung beinhaltet.

b) Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist das FA zudem u.a. auch dann zur Schätzung befugt, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt. Bei ungeklärten Geldzuwächsen im Privatvermögen ist eine Schätzung jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist und der Bezug zu dem privaten Konto mit der für eine Schätzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit – einschließlich einer eventuellen Beweismaßreduzierung – nachgewiesen werden kann. Anderenfalls kann das Vermögen in der Regel nur dann als steuerpflichtige Einkünfte zugerechnet werden, wenn mit einer dem Einzelfall angepassten Vermögenszuwachs- und Geldverkehrsrechnung ein ungeklärter Vermögenszuwachs oder Ausgabenüberschuss aufgedeckt wird, mithin feststeht, dass die eingezahlten Beträge nicht aus den sogenannten ungebundenen Entnahmen oder aus anderen versteuerten oder steuerfreien Einkunftsquellen stammen können (vgl. etwa BFH-Urteile vom 28.05.1986 I R 265/83, BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732; und vom 28.01.2009 X R 20/05, BFH/NV 2009, 912 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist das FA bei summarischer Prüfung zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragsteller hinsichtlich des am 06.03.2001 erfolgten Zuflusses von 216.992,40 DM keinen ausreichenden Herkunftsnachweis geführt haben. Denn insoweit haben die Antragsteller nach Aktenlage zum einen im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben gemacht und zum anderen keine überzeugenden Beweismittel für die verschiedenen Herkunftsvarianten vorgelegt.

Der Senat hat jedoch Zweifel, ob ein Bezug zwischen der nicht ordnungsgemäßen Buchführung und dem ungeklärten Geldzufluss auf dem privaten Konto mit der für eine Schätzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann.

Hiergegen spricht vor allem der Umstand, dass das FA den wesentlichen Teil des ungeklärten Geldzuflusses, nämlich 167.000 DM von 217.000 DM dem Veranlagungszeitraum 2001 zugeordnet hat, obwohl der Geldzufluss bereits am 06.03.2001 stattgefunden hat. Insoweit kann rein tatsächlich jedenfalls ausgeschlossen werden, dass es sich um den Rückfluss unversteuerter Einnahmen aus dem Gaststättenbetrieb handelt, die nach dem 06.03.2001 erzielt wurden. Weder aus dem Betriebsprüfungsbericht noch aus der ergänzenden Stellungnahme der Betriebsprüfungsstelle vom 27.07.2009 ergeben sich allerdings Anhaltspunkte, weshalb gerade nur im Januar und Februar 2001 entsprechend hohe Einnahmen nicht erfasst worden sein sollen. Insbesondere beinhalten die Feststellungen zum negativen Bargeldsaldo keine für eine Vermögenszuwachs- und Geldverkehrsrechnung ausreichende Grundlage. Soweit sich das FA darauf beruft, dass in der Rechtsprechung der Finanzgerichte ungeklärte Finanzzuflüsse in Form von Einlagen im Jahr der Einlage als Einnahmen/Gewinnzurechnungen erfasst würden, kann der Senat dem jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht folgen. Zum einen hat der Antragsteller nach den Feststellungen der Außenprüfung den Betrag nicht in das Betriebsvermögen eingelegt und somit selbst gerade keine Verbindung zwischen seinem Privat- und Betriebsvermögen hergestellt. Zum anderen muss jede Schätzung in sich schlüssig, in ihren Ergebnissen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. D.h. der Schluss auf entsprechend hohe Einkünfte aus Gewerbebetrieb ist nur zulässig, wenn der Gewerbebetrieb Betriebseinnahmen und Gewinne in der angenommenen Höhe überhaupt abwerfen konnte (vgl. etwa BFH-Urteile vom 08.09.1994 IV R 6/93, BFH/NV 1995, 573; und in BFH/NV 2009, 912). Schließlich hat das FA aber auch im vorliegenden Verfahren auf den entsprechenden Einwand der Antragsteller keine weitere Erklärung abgegeben, woraus sich die Zuordnung dieses Anteils am ungeklärten Geldzufluss zum Gewinn des Jahres 2001 rechtfertigt. Das FA muss daher zur Stützung seiner Schätzung weitere Feststellungen treffen, die es wahrscheinlich machen, dass der ungeklärte Geldzufluss aus unversteuerten Einnahmen gerade dieses Veranlagungszeitraums und nicht etwa aus früheren Veranlagungszeiträumen oder aus anderen Quellen stammt.

c) Aber auch im Übrigen bestehen Zweifel an der Richtigkeit der durchgeführten Hinzuschätzungen.

Die vorgenommenen Zuschätzungen basieren auf einer Art Nachkalkulation, die sich an Rohgewinnaufschlagssätzen orientiert. Insoweit ist jedoch zum einen nicht ersichtlich, dass die nicht erfassten Wareneinkäufe Eingang in die Berechnung gefunden haben. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, woraus sich die für 2002 und 2003 hinzu geschätzten Umsatzerlöse in Höhe von 35.000 EUR und 10.000 EUR ergeben.

Nachkalkuliert wurde zwar der durchschnittliche Aufschlagssatz für Getränke. Eine Nachkalkulation des durchschnittlichen Aufschlagssatzes für andere – unterschiedlich preiskalkulierte – Warengruppen, insbesondere des Bereiches Speisen, ist dagegen nicht ersichtlich. Insbesondere kann eine solche Nachkalkulation nicht der durchgeführten Überprüfung des Mittagsgerichts „Gebratener Reis mit Hühnerfleisch” entnommen werden. Ebenso kann der Berechnung der Anteil der einzelnen Warengruppen am Gesamtumsatz nicht entnommen werden. Im Rahmen einer Nachkalkulation wären daher die nicht erfassten Wareneinkäufe der einschlägigen Warengruppe zuzuordnen. Unter Anwendung des für die Warengruppe im Betrieb ermittelten Aufschlagssatzes könnten dann entsprechende Hinzuschätzungen erfolgen.

Keine substantiierte Stellungnahme hat das FA bislang auch zu der von den Antragstellern vorgetragenen Einwendung des nach 1998 gestiegenen Anteils an niedrig kalkulierten Mittagsgerichten abgegeben. Der allgemeine Erfahrungssatz (Mittagsmenüs seien erst später eingeführt worden) ist weder an sich belegt noch dessen Übertragbarkeit auf den Betrieb des Antragstellers dargelegt worden. Nicht nachvollziehbar ist auch, woran sich der Vergleich der Aufschlagssätze orientiert, nachdem auch nach Korrektur des Berechnungsfehlers bei den Aufschlagssätzen an der absoluten Höhe der Zuschätzungen festgehalten wurde. Unklar ist schließlich auch, ob sich aus dem teilweisen Fehlen von Kassenendbons für das Jahr 2001 – z.B. aus Zeitreihenvergleichen – Anhaltspunkte für Einnahmeverkürzungen ergeben, die über das hinausgehen, was sich bereits aus dem nicht verbuchten Wareneinsatz ergibt.

Gegen die übrigen nach dem Ergebnis der Außenprüfung vorgenommenen Änderungen haben die Antragsteller keine Einwendungen erhoben.

Da dem Senat aufgrund des unvollständigen Sachverhalts eine eigene Schätzung nicht möglich ist, waren die Änderungsbescheide in Höhe der durch die Gewinnzuschätzung bewirkten Nachzahlungsbeträge zur ESt bzw. der Erhöhungen des festgesetzten GewStMB von der Vollziehung auszusetzen.

Dem FA wird die Berechnung übertragen, in Höhe welcher (Teil-)Beträge die Aussetzung der Vollziehung geboten ist (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

3. Von der Anordnung einer Sicherheitsleistung hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung der ESt-Bescheide sieht der Senat ab. Die Aussetzung gegen Leistung einer Sicherheit ist nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO angezeigt, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung der Vollziehung gefährdet oder erschwert erscheint. Insofern hat jedoch weder das FA konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueranspruchs vorgetragen noch sind solche anderweitig ersichtlich. Über die Anordnung einer Sicherheitsleistung hinsichtlich GewSt ist bei der Aussetzung des Folgebescheids zu entscheiden (§ 69 Abs. 2 Satz 6 FGO).

4. Die Entscheidung über die Verwirkung der Säumniszuschläge hat ohne Antrag von Amts wegen zu erfolgen (s. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

RechtsgebietAOVorschriftenAO § 162 Abs. 2 AO § 146 Abs. 1 S. 1 AO § 147 Abs. 1 Nr. 5

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