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06.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102034

Landgericht Bochum: Beschluss vom 07.08.2009 – 10 S 15/08

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Bochum

I-10 S 15/08

Tenor:

Die Ablehnung des Sachverständigen S wegen der Besorgnis der Befangenheit wir für begründet erklärt.

Gründe:
I.
In der Sitzung vom 17.10.2008 hat die Kammer einen Beweisbeschluss erlassen und den Sachverständigen G als Sachverständigen bestellt. Dieser Sachverständige wurde abberufen, weil die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.11.2008 Bedenken an der Sachkunde äußerte. Die Klägerin schlug eigene Sachverständige vor. Die Beklagte hatte keine Bedenken gegen den Sachverständigen G, aber Bedenken gegen die von der Klägerin vorgeschlagenen Sachverständigen.
Die Kammer hat sich, da die Parteien sich nicht auf einen Sachverständigen einigen konnten, von der IHK Bochum einen geeigneten Sachverständigen vorschlagen lassen.
Die IHK schlug den Sachverständigen S als Sachverständigen vor. Mit Schriftsatz vom 29.12.2008 teilte die Beklagte mit, dass keine Bedenken gegen den Sachverständigen S bestanden, der daraufhin mit Beschluss der Kammer vom 08.01.2009 als Sachverständiger bestellt wurde.
Unter dem 16.05.2009 erstattete der Sachverständige sein Gutachten. Auf dem Briefkopf gab er hierbei als Internetadresse ######## an. Bestandteil des Gutachtens war als Anlage auch ein Anschreiben an eine Autovermietung im Zuge der Gutachtenerstellung. In diesem wird neben der angegebenen Internetadresse auch die Adresse ######### angegeben.
Das Gutachten wurde den Parteien mit Beschluss vom 25.05.2009 übersandt mit einer Stellungnahmefrist von drei Wochen. Der Beschluss und das Gutachten gingen bei den Beklagtenvertretern ausweislich des in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 05.06.2009 ein.
Mit Schriftsatz vom 26.06.2009, der am selben Tag per Fax bei Gericht einging, nahm die Beklagte zum Sachverständigengutachten Stellung und lehnte den Sachverständigen S wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die Beklagte bezog sich hierbei u.a. auf den Inhalt der angegebenen Internetadresse ######### und #########. Beide zeichneten sich durch eine versicherungsfeindliche Einstellung aus. Wegen der im Einzelnen gerügten Passagen wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 26.06.2009 Bezug genommen (Bl. 338 ff. d.A.).
Der angehörte Sachverständige bestätigte mit Schreiben vom 24.07.2009, dass die Internetadresse ####### seine eigene Homepage sei. Diese sei seiner Ansicht nach nicht versicherungsfeindlich. Zuzugeben sei lediglich, dass diese überarbeitungsbedürftig sei. Der Verweis auf die Internetadresse ####### sei vor längerer Zeit von seinem Briefkopf verschwunden. Der Sachverständige ist der Meinung, dass er weisungsfrei und unvoreingenommen sein Gutachten erstattet hat.
II.
Der zulässige Befangenheitsantrag ist begründet.
1.
Der Befangenheitsantrag ist zulässig, insbesondere auch fristgemäß gestellt worden.
Gem. § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag grundsätzlich spätestens binnen zwei Wochen nach der Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen anzubringen. Dies gilt aber nicht, wenn sich Gründe, auf die die Ablehnung des Sachverständigen gestützt wird, erst aus dessen Gutachten ergeben. Im letzteren Fall ist die Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO maßgeblich. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2005, 1869), der sich die Kammer insoweit anschließt, sind die Ablehnungsgründe in diesem Falle nicht binnen einer kalendermäßigen Frist, sondern grundsätzlich unverzüglich i.S. von § 121 Abs. 1 Nr. 1 BGB nach Kenntnis des Gutachtens geltend zu machen. Das bedeutet, dass der Ablehnungsantrag zwar nicht sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern, das heißt innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist, anzubringen ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. § 121 Rdnr. 3). Zugleich hat der Ablehende glaubhaft zu machen, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. In einem einfach gelagerten Fall können bereits wenige Tage ausreichend sein, um die das Ablehnungsgesuch stützenden Tatsachen zu erkennen und vorzutragen. Hingegen kann sich die Frist je nach Sachlage verlängern, wenn der Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung des Gutachtens zu erkennen ist.
Auch wegen der in diesem Fall erforderlichen inhaltlichen Auseinandersetzung und der Rechtssicherheit ist es nach Auffassung des BGH angezeigt, dass die Frist gem. § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO im Regelfall gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme gem. § 411 Abs. 4 ZPO abläuft. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
Das Gutachten mit der Stellungnahmefrist gem. § 411 Abs. 4 ZPO wurde den Prozessbevollmächtigen der Beklagten am 05.06.2009 zugestellt. Die gesetzte Dreiwochenfrist lief damit am 26.06.2009 ab. Mit Schriftsatz vom selben Tage, der noch vor Fristablauf bei Gericht per Fax einging, wurde der Sachverständige wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Beklagte hat in diesem Schriftsatz auch glaubhaft dargestellt, dass ihr vorher die Homepage des Sachverständigen und seine Affinität zur Internetplattform ###### nicht bekannt gewesen ist. Die Befangenheitsgründe waren auch nur aufgrund eines sorgfältigen Studiums des Gutachtens erkennbar. Die Ablehnung des Sachverständigen war damit nach den oben dargestellten Grundsätzen rechtzeitig.
Andere Bedenken gegen die Zulässigkeit des Befangenheitsantrages bestehen nicht.
II.
Der Befangenheitsantrag ist auch begründet.
Gem. § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigten. Eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Allein entscheidend ist, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (vgl. hierzu Zöller-Vollkommer, § 406, Rdn. 8 f. m.w.N.).
Die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht der Beklagten ist durch den Verweis auf die Internetseiten ############## und ########### begründet.
1.
Der Sachverständige hat im Rahmen der Gutachtenerstattung einen Briefbogen verwendet, der auch auf ######### verweist. Diese Internetplattform ist nach dem eigenen Anspruch her versicherungsfeindlich eingestellt. So findet sich u.a. folgende Passage auf der Homepage:
"Insbesondere das "Schadensmanagement” vieler Versicherer soll hier eingehend beleuchtet werden, das einzig und allein dem Ziel dient, diesen Versicherungen mehr Profit zu ermöglichen; fast immer natürlich zu Lasten der Geschädigten.
Wenn einzelne Versicherer bei D, bei den Gerichten oder Gerichtsentscheidungen häufiger in Erscheinung treten, dann ist ausschließlich deren Regulierungsverhalten dafür verantwortlich.
D wird aber nicht nur negatives über die Versicherungswirtschaft berichten – auch positives Regulierungsverhalten wird ggf. einen lobenswerten Platz erhalten.
D ist ein Sprachrohr ausschließlich für die Belange der Geschädigten und bieten keinen Raum als Plattform für Interessengruppen aus der Versicherungswirtschaft."
Allein die Verwendung der Internetadresse im Briefkopf durch den Sachverständigen im Rahmen der Gutachtenerstattung durfte bei der Beklagten berechtigterweise die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen erwecken. Dass der Sachverständige den Hinweis mittlerweile entfernt hat, ändert nichts an der Tatsache, dass der Sachverständige durch den Verweis auf die Adresse zum Ausdruck gebracht hat, dass er versicherungskritisch eingestellt ist.
2.
Dieser Eindruck wird durch die eigene unter ########### betriebene Homepage noch verstärkt.
Diese lautet unter der Rubrik "Vorsicht" auszugsweise wie folgt:
"Seien Sie skeptisch, wenn Ihnen die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners die gesamte praktische Abwicklung des Unfallschaden anbietet. Geben Sie nicht Ihr Fahrzeug aus der Hand.
Wer im Schadenfall zahlen muss, wird immer versuchen, die eigenen Interessen durchzusetzen.
Ein Gutachter benötigen Sie im Falle Ihrer unverschuldeten Beteiligung am Unfall, um Ihre Ansprüche aus dem Unfallereignis bei der Versicherung durchzusetzen.
Nach gängiger Rechtsprechung steht es Ihnen zu, zwecks Beweissicherung und Feststellung der Schadenshöhe das Gutachten eines unabhängigen und neutralen Sachverständigenbüros einzuholen. Auch dann, wenn die gegnerische Versicherung ihren hauseigenen Gutachter bereits angekündigt hat.
Nun ist Vorsicht angebracht!
Denn aus Sicht der zahlungspflichtigen Versicherung macht eine solche Maßnahme nur dann einen Sinn, wenn hierdurch Kosten eingespart werden können. Da aber der (Versicherungseigene oder Versicherungsnahe) Sachverständige der Versicherung zunächst auch einmal Geld kostet, rechnet sich eine Nachbesichtigung für die Versicherung nur dann, wenn zusätzlich zu den Kosten des eigenen Sachverständigen noch ein weiterer Betrag eingespart werden kann. Natürlich soll dieser Betrag an Ihrem Fahrzeugschaden eingespart werden! Wo sonst? Tatsächlich zeigt die Regulierungspraxis, dass diejenigen Sachverständigen, die im Dienste der Versicherungen stehen und Unfallschäden nachbesichtigen, d.h. im Klartext, ein eigenes Gutachten über den Schaden am Unfallfahrzeug für die gegnerische Versicherung erstellen, teilweise zu erhebliche niedrigen Schadensummen kommen, als die ursprünglich im Dienste der geschädigten Unfallopfer tätigen freien, neutralen und unabhängigen Kfz-Sachverständigen. Die zahlungspflichtige Versicherung aber wird dann naturgemäß lieber nur den niedrigeren Schadensbetrag an Sie auszahlen, den nämlich, der eigene (Haus) Sachverständige festgestellt hat."
Auch diese Ausführungen auf der eigenen Homepage zeigen, dass der Sachverständige zumindest aus der nachvollziehbaren Sicht der beklagten Versicherungen dieser nicht unbefangen gegenüber steht. Soweit der Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 24.07.2009 ausführt, dass er diese Homepage als Verbraucherschutz und zur Aufklärung der Verkehrsunfallopfer betreibt, ändert dies nichts daran, dass diese Homepage allein wegen der verwendeten Sprache sehr versicherungskritisch seitens der Beklagten eingestuft werden kann. Dies durfte bei der Beklagten berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen.
3.
Der Befangenheitsantrag der Beklagten ist damit insgesamt begründet. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

RechtsgebietBeweisrechtVorschriften§ 406 Abs. 2

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