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23.02.2010 · IWW-Abrufnummer 100650

BGH: Urteil vom 08.12.2009 – X ZR 65/05

Das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln kann
nicht schon dann als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend
bewertet werden, wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von
im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen, sondern
diese Wertung setzt voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung
gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen.



Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die
mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2009
durch
den Vorsitzenden Richter
Scharen und
die Richter Asendorf, Gröning, Dr. Berger und Dr.
Grabinski
für Recht erkannt:




Tenor:


Die Berufung gegen das am 11. Januar 2005 verkündete Urteil
des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.




Tatbestand


1


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 12. August
2000 angemeldeten deutschen Patents 100 39 462 (Streitpatents). Die
Streitpatentschrift ist nach Durchführung eines
Beschränkungsverfahrens geändert worden. Die danach geltende Fassung
des Streitpatents umfasst zwölf Ansprüche, deren erster (ohne
Bezugszeichen) wie folgt lautet:



"1.

Öse zum Verstärken des Randbereichs um ein Loch
in einer Trägerbahn, mit einem scheibenlosen Ösenteil, der aus einem
auf der Schauseite der Trägerbahn aufliegenden Teller, aus einem das Loch
durchsetzenden rohrförmigen Hals und aus einem bogenförmigen
Übergang zwischen Teller und Hals besteht, wobei das freie Endstück
des Halses mit Vorsprüngen versehen ist, und mit einer auf der
Rückseite der Trägerbahn sich abstützenden Bördelung des
Halses des Ösenteils, d a-d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass
die Halsvorsprünge in axialer und/oder radialer Richtung verlaufen, dass
die vollzogene Umbördelung des Halses sich über mehr als ein
geschlossenes Ringprofil erstreckt, weil das die Halsvorsprünge
aufweisende Endstück spiralartig im Ringprofil-Inneren integriert ist,
dass unter Zwischenschaltung des Lochrandbereichs der Trägerbahn die
Halsvorsprünge im Spiralinneren des Ringprofils an vom Teller oder vom
Übergang gebildete Widerlagerflächen angedrückt sind und
flächige Andruckstellen an der erfassten Trägerbahn erzeugen, gegen
die sich die Trägerbahn bei Zugbelastungen stellt, und dass die
Trägerbahn sich segmentartig dem Profil anpasst und im Ringprofil-Inneren
über die flächigen Andruckstellen hinaus bis zu ihrer Lochkante
weiterläuft."



2


Wegen der weiteren Ansprüche wird auf die
Streitpatentschrift in der Fassung der C2-Schrift Bezug genommen.


3


Mit ihrer Nichtigkeitsklage hat die Klägerin die
Ansprüche 1 bis 9 angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand von
Anspruch 1 des Streitpatents sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber, wie auch
die angegriffenen Unteransprüche, nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit. Die Klägerin hat sich dafür unter anderem auf die
deutsche Gebrauchsmusterschrift 299 03 124 (D 1) und die amerikanischen
Patentschriften 2 107 375 (D 2) und 4 479 287 (D 12) sowie auf offenkundige
Vorbenutzung berufen. Wegen der weiteren erstinstanzlich in das Verfahren
eingeführten Entgegenhaltungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils Bezug genommen.


4


Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent im Umfang
der Ansprüche 1 bis 9 für nichtig zu erklären; die Beklagte hat
es mit der Maßgabe verteidigt, dass im Anspruch 1 die Worte "und/oder
radialer" entfallen und die Ansprüche 2 bis 9 sich auf diese
geänderte Fassung beziehen, und im Übrigen Klageabweisung
beantragt.


5


Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig
erklärt, soweit es über die noch verteidigte Fassung hinausgeht, und
die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der
Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag in Bezug auf die
verteidigte Fassung des Streitpatents weiterverfolgt.


6


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, und
verteidigt das Streitpatent hilfsweise dahingehend, dass Patentanspruch 1
einleitend lautet (Ergänzung in Fettdruck):



"1.


Öse zum Verstärken des Randbereichs (21), um
ein an seinem Umfang ausgeschnittenes oder eingestanztes Loch (22) in einer
Trägerbahn ..."


7


Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. P. G. , Institut
für Produktionstechnik und Umformmaschinen der Technischen
Universität D. , ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der
mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.




Entscheidungsgründe


8


Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht
begründet.


9




I.



1.

Das Streitpatent betrifft, soweit für das
Nichtigkeitsverfahren von Interesse, eine einteilige Öse zum
Verstärken des Randbereichs um ein Loch in einer Trägerbahn. Der
Streitpatentschrift zufolge sind im Stand der Technik einund zweiteilige
Ösen bekannt. Die in Figur 5 der amerikanischen Patentschrift 2 901 800 (D
5) gezeigte einteilige Öse bestehe aus einem Teller und einem kurzen Hals,
an dessen Stirnseite sich in radialem Abstand zueinander sitzende, als
Vorsprünge des Halses fungierende Zacken befänden. Bei Vernietung
dieses Ösenteils unter Zuhilfenahme eines zusätzlichen
hülsenförmigen Nietelements oder in einer Nietpresse würden nur
die Zacken und nicht der Hals des Ösenteils gegen den Teller umgebogen, um
das zu perforierende Tuchmaterial (Trägerbahn) zu befestigen. Die
Festigkeit sei unbefriedigend, weil sie nur durch die vereinzelten Zacken
gewährleistet werde, die eine Auszugsbewegung des Blatts am
ösenverstärkten Loch nicht verhindern könnten, weil die
Zackenspitzen in Richtung einer solchen Auszugsbewegung wiesen. Aus der
europäischen Patentanmeldung 673 611 (D 3) sei eine einteilige Öse
aus einem Ösenkragen mit Halbkreisprofil und einem Ösenhals mit
gleichförmig umlaufendem V-Querschnitt an der Stirn des Ösenhalses
bekannt. Beim Bördeln entstehe ein C-Profil, welches nur so weit
geschlossen werde, bis die Trägerbahn im verbleibenden Spalt zwischen der
Außenkante des Ösenkragens und dem Stirnende des Ösenhalses
eingeklemmt sei. Infolge der vorgeschlagenen Geometrie im Inneren des
Ösenkragens mit einer zusätzlichen, umlaufenden Ringrippe werde
innerhalb des C-Profils nach der Bördelung ein Labyrinth für die
Trägerbahn geschaffen. Nach der in der Streitpatentschrift
geäußerten Einschätzung ist die Ausreißfestigkeit der
Trägerbahn bei diesem Vorschlag gleichwohl unzureichend, weil ihre
Oberseite lediglich von der Außenkante des Ösenkragens und die
Unterseite der Trägerbahn nur vom Stirnende des Ösenhalses
berührt würden. Das in der deutschen Gebrauchsmusterschrift 299 03
124 (D 1) gezeigte freie Endstück einer einteiligen Öse werde vom
Bördelwerkzeug in einzelne laschenartige Halteelemente zerschnitten und
dabei radial nach außen umgelegt. Diese Halteelemente bildeten, nach
ihrer Anbringung an der Trägerbahn, im Querschnitt gesehen mit dem
Ösenteller ein V-förmiges Faltprodukt, wobei die zwischen den
V-Schenkeln eingeklemmte Trägerbahn darin aber nur unzureichend
festgehalten werde.


10




2.

Dem Streitpatent liegt das Problem zugrunde, eine
preiswerte, schnell ansetzbare Öse zu entwickeln, die sich nach ihrer
Anbringung an der Trägerbahn durch eine hohe Reißfestigkeit
auszeichnet. Dafür wird mit Patentanspruch 1 in der noch verteidigten
Fassung eine zum Verstärken des Randbereichs um ein Loch in einer
Trägerbahn geeignete Öse vorgeschlagen,



1.


aus einem scheibenlosen Ösenteil, bestehend
aus



2.


wobei sich der gebördelte Hals des Ösenteils in
der Weise auf der Rückseite der Trägerbahn abstützt, dass 2.1
die vollzogene Umbördelung des Halses sich über mehr als ein
geschlossenes Ringprofil erstreckt, weil das die Halsvorsprünge
aufweisende Endstück spiralartig im Ringprofil-Inneren integriert
ist,


11


Die Figuren 1 bis 3 der Zeichnung des Streitpatents zeigen
Ansichten einer Ausführungsform:


12


Figur 1 zeigt die Außenseite (Schauseite) einer
Trägerbahn mit dem darauf, nach Lochung der Bahn und Einführung eines
Ösenteils, aufliegenden Teller (10, 11). Figur 2 zeigt eine Draufsicht auf
das gebördelte Ösenteil von der Innenseite der Trägerbahn her.
Der rohrförmige Hals erhält durch die Bördelung die Gestalt
eines aus dieser Perspektive erkennbaren ringförmigen Rohres (50). Figur 3
stellt einen Schnitt durch die Trägerbahn und die Ösen nach
vollzogener Bördelung entlang den Linien III - III in Figur 1
dar.


13




3.

a)

Soweit das freie Endstück des Halses mit "in axialer
Richtung" verlaufenden Vorsprüngen versehen ist (Merkmal 1.2.1), meint die
Klägerin, dass dieses Merkmal - wie alle Merkmale des Streitpatents - auf
die Öse im umgeformten Zustand zu lesen sei. Eine solche Festlegung ist
Patentanspruch 1 indes auch unter Berücksichtigung des Umstands nicht zu
entnehmen, dass nach seinem Wortlaut vor der beschränkten Verteidigung des
Streitpatents im Nichtigkeitsverfahren wahlweise auch ein radialer Verlauf der
Halsvorsprünge vorgeschlagen war. Die kumulative Verwendung der
Konjunktionen "und" sowie "oder" in dieser Anspruchsfassung i. V. mit den
sonstigen Merkmalen in ihrer Gesamtheit gab dem Fachmann vielmehr lediglich zu
verstehen, dass die Ausrichtung der Halsvorsprünge für sich selbst
genommen so oder so gewählt werden kann und nicht von entscheidender
Bedeutung ist, solange nur die zentralen Anweisungen der Lehre beachtet werden
und die Bördelung über mehr als ein geschlossenes Ringprofil
vollzogen wird (Merkmal 2.1) und die Vorsprünge im Spiralinneren des
Ringprofils an vom Teller oder vom Übergang gebildeten
Widerlagerflächen angedrückt werden (Merkmal 2.2.1) und flächige
Andruckstellen an der erfassten Trägerbahn erzeugen (Merkmal 2.2.2). Um
die erstrebte Ausreißfestigkeit zu erreichen, instruiert das Streitpatent
den Fachmann des Weiteren, die Trägerbahn so in die Spiralbildung
einzubeziehen, dass bei einer Bördelung um mehr als 360 Grad die aus Figur
3 ersichtliche Sandwichstruktur (Hals - Trägerbahn - Hals) entsteht, bei
der das Trägerbahnmaterial im Spiralinneren zudem, zur Lochkante hin,
über die Spitzen der Vorsprünge ein Stück vorragt, indem die
Trägerbahn im Ringprofil-Inneren über die flächigen
Andruckstellen hinaus bis zu ihrer Lochkante weiterläuft (Merkmal 2.3.2)
und sich dabei ringsegmentartig dem Ringprofil und den miteingerollten
Vorsprüngen anpasst (Beschreibung Sp. 2 Ziff. 57 ff.).


14


b)

Die um mehr als einen Vollkreis und zudem nach Maßgabe
von Merkmal 2.2.1 ausgeführte Bördelung bewirkt eine Kompression
(Dickenreduktion) des nachgiebigen, in die Spiralbildung einbezogenen
Trägerbahnstoffs im gesamten Bereich der Andruckflächen, nicht nur an
den Spitzen der Vorsprünge. Die Ausreißfestigkeit gegen die
Zugbelastungen, denen die Trägerbahn im bestimmungsgemäßen
Gebrauch typischerweise ausgesetzt ist (Pfeile 52 in Figur 1), wird durch die
streitpatentgemäße Bördelung in mehrerlei Hinsicht
unterstützt: Die Trägerbahn dehnt sich hinter den Vorsprüngen
stufenförmig wieder aus (Figur 3 Bezugszeichen 53). Die gestuften
Trägerbahnabschnitte stellen sich bei Zugbelastungen gegen die
Andruckstellen (Merkmal 2.2.2), wodurch ein Ausreißen des Stoffes
erschwert wird. Die Sperrwirkung dieser Stufenbildung wird durch das
wellenförmige Profil, das das obere Ende der Hälse durch die
Vorsprungsbildung erhält, im Vergleich zu einer glatt abgeschnittenen
Ausbildung gesteigert, weil dadurch die Umfangslänge der Stirnseite und
dementsprechend die gesamte Länge der umlaufenden Trägerbahnstufe
vergrößert wird. Schließlich erzeugt die Bördelung um
mehr als 360 Grad einen besonderen Widerstandseffekt gegen Zugbelastungen.
Während sich eine kürzer ausgebildete Spirale unter der üblichen
Zugbelastung aufdrehen und sich der Druck auf die eingefasste Trägerbahn
infolgedessen verringern würde, bewirkt die streitpatentgemäße
Weiterführung der Spirale über einen Vollkreis hinaus, dass diese
sich nicht ohne weiteres aufdrehen kann, sondern im Bereich der Vorsprünge
gegen die Widerlagerflächen gepresst wird und sich flächige
Andruckstellen bilden, die unter der Einwirkung der Zugkräfte umso
stärker gegen die Trägerbahn drücken, wodurch sich der dem
Ausreißen des Trägerbahnstoffes entgegenwirkende Reibungswiderstand
erhöht.


15




II.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist, was die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr infrage
gestellt hat, neu (§ 3 PatG). Der Erwähnung bedürfen insoweit
allenfalls die US-Patentschriften 2 107 375 (D 2) und 4 479 287 (D 12); die
übrigen Entgegenhaltungen liegen weiter ab vom Streitpatent. Die erstere
Schrift offenbart jedenfalls keinen spiralförmig über mehr als einen
Vollkreis gebördelten Ösenhals und der Fachmann liest einen solchen -
worauf zurückzukommen sein wird - auch nicht gegebenenfalls bei gedachtem
dünneren Material, in das die Öse hineingearbeitet wird, mit. Bei der
letzteren Veröffentlichung fehlt es jedenfalls an der Offenbarung der
Merkmalsgruppe 2.2. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Neuheit gegenüber
dieser Schrift auch deshalb bejaht werden müsste, weil sie zudem kein
ausgestanztes bzw. ausgeschnittenes Loch offenbart. Vielmehr wird die
Trägerbahn an den Stellen, an denen Ösen platziert werden sollen,
geschlitzt, wobei durchschnittlich bis zu zehn Schnitte gesetzt werden sollen
(Übers. S. 7 mittlerer Abs.), so dass tortenstückähnliche Zungen
entstehen, die mit dem Einführen des Ösenhalses durch die so
entstandene Öffnung zum Teller hin umgebogen werden.


16




III.

Nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen (§ 286 ZPO) vermag der Senat nicht die Wertung zu treffen, dass der Gegenstand von
Patentanspruch 1 dem Fachmann, der über eine abgeschlossene Techniker-
oder Fachhochschulausbildung im Maschinenbau und mehrjährige
Berufserfahrung auf dem Gebiet der Herstellung von Ösen und dazu
gehörigen Werkzeugen verfügt, durch den Stand der Technik nahegelegt
war.


17




1.

Die US-Patentschrift 2 107 375 (D 2) zeigt zwar eine
wellenförmige Struktur des Ösenhalsendes, das eine gewisse
äußerliche Ähnlichkeit mit der mit Vorsprüngen versehenen
Stirnseite einer streitpatentgemäßen Gestaltung aufweist. Die - auf
Schuhleder oder Textilien als Werkstoff (Trägerbahn) bezogene - Schrift
lehrt die Festklammerung einer Trägerbahn im Wege des Rollnietens in der
Weise, dass sich der gestauchte und genietete Hals mit seinem oberen Rand mehr
oder weniger senkrecht in den Werkstoff eingräbt, und zwar mit den Spitzen
der Vorsprünge naturgemäß tiefer als mit den
"Wellentälern". Die Schrift gibt aus fachmännischer Sicht aber keinen
Anlass zur Ausführung einer Bördelung in der vom Streitpatent
vorgeschlagenen Weise, bei der sich die Vorsprünge gegen
Widerlagerflächen abstützen, um der Gefahr des Ausreißens der
Trägerbahn besonders wirkungsvoll zu begegnen (vgl. oben I 3 b). Figur 3
der Zeichnung zeigt eine Öse, die durch Rollnieten um mehr oder weniger
180 Grad umgebogen ist, so dass das Halsende sich annähernd senkrecht in
den Werkstoff gräbt. Dies ist das Maß an Umformung, das die
Entgegenhaltung als das übliche ansieht (Seite 2 re. Spalte Zeile 32 ff. =
Übersetzung Seite 8 untere Hälfte). Zu einer spiralförmigen
Ausführung einer Bördelung um mehr als einen Vollkreis in der Weise,
dass die Halsvorsprünge an Widerlagerflächen angedrückt werden,
gibt die Entgegenhaltung dem Fachmann auch dann keinen Anlass, wenn es darum
geht, bei standardisiert vorgegebenen Halslängen mit der Einsetzkraft zur
Anbringung von Ösen in dünnere Werkstoffe als den in der Zeichnung
gezeigten zu experimentieren. Zwar wird in der Beschreibung angemerkt, dass
eine etwas weiter vorangetriebene Bördelung in Richtung auf einen Kreis
hin möglich ist (Seite 2 re. Spalte Zeile 46 ff. = Übersetzung Seite 8 untere Hälfte). Wie die Erörterung mit dem Sachverständigen
aber zur Überzeugung des Senats ergeben hat, erhält der Fachmann
durch diesen Hinweis keinen Anstoß zur Ausführung einer so
weitgehenden Bördelung, wie sie nach Merkmalsgruppe 2 des Streitpatents
erforderlich ist. Das hängt damit zusammen, dass das wellenförmige
Stirnprofil der Halsenden von nach dieser Entgegenhaltung produzierten
Ringösen durch Einsatz eines in der Schrift gezeigten (Figuren 5 und 6)
und beschriebenen Einkerbwerkzeugs im Wege der Kaltverformung erzeugt wird und
die Halsenden dadurch eine spezifische Festigkeit erhalten, die der weiteren
Verformung entgegensteht. Eine streitpatentgemäße Spiralbildung
würde aber eine radiale Verkleinerung der Halsenden mit sich bringen, der
sich das Material, wie der Fachmann aufgrund seiner Materialkundigkeit sofort
erkennt, aufgrund der bereits eingetretenen Verfestigung widersetzt. Er wird
deshalb bei der in der Entgegenhaltung erörterten zusätzlichen
Bördelung allenfalls geringfügig weiter gehen, als in deren Figur 3
illustriert, um nicht die Gefahr der - in der Schrift auch angesprochenen -
Materialspaltung heraufzubeschwören. Eine weitere gefahrlose Umformung
wäre technisch nur unter Hitzeeinfluss möglich und scheidet aus
fachmännischer Sicht wegen des damit verbundenen Kostenaufwands aus.
Dementsprechend ist die Einschätzung der Klägerin, die der
US-Patentschrift 2 107 375 zu entnehmenden Vorschläge hinderten den
Fachmann nicht daran, die streitpatentgemäße Lösung
auszuführen, schon vom Offenbarungsgehalt der Schrift her nicht
gerechtfertigt. Zudem kann das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen
Handeln nicht schon dann als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit
beruhend bewertet werden, wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage
treten, von im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand dieser Lehre zu
gelangen, sondern diese Wertung setzt voraus, dass das Bekannte dem Fachmann
Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen.


18




2.

Eine Anregung für die Auffindung der Lehre von
Patentanspruch 1 ist auch der US-Patentschrift 4 479 287 (D 12) nicht zu
entnehmen. Sie erstrebt eine höhere Ausreißfestigkeit durch
Verstärkung des Randbereichs in der Weise, dass die für die Ösen
bestimmten Öffnungen in der Trägerbahn nicht durch Herausstanzen oder
-schneiden erzeugt, sondern dass durch Schlitzen des Materials umzuklappende
Zungen hergestellt werden, wodurch im Umschlagbereich Wülste bzw. Rollen
aus Trägerbahnmaterial entstehen, die für einen erhöhten
Widerstand gegen Ausreißen der Bahn sorgen sollen. Die bei Bördelung
nach diesem Vorschlag entstehende Spirale des Ösenhalses zeichnet sich,
anders als die streitpatentgemäße Lösung, nicht dadurch aus,
dass der gebördelte Hals sich gegen Ösenteller oder -hals
abstützt und einem Ausreißen der Trägerbahn gerade auch dadurch
besonders entgegengewirkt wird, sondern eine in der in dieser Entgegenhaltung
gezeigten Weise gebördelte Spirale dreht sich bei entsprechenden
Belastungen, wie die Erörterung mit dem Sachverständigen ergeben hat,
auf und kann der Ausreißgefahr somit nicht auf die für das
Streitpatent typische Weise entgegenwirken. Die Klägerin hat sich in der
mündlichen Verhandlung auf diese Entgegenhaltung auch nicht mehr
gestützt.


19




3.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war dem Fachmann auch
nicht durch die von der Klägerin vorgetragene offenkundige Vorbenutzung
nahegelegt. Nach ihrem Vorbringen soll der als Zeuge benannte
Geschäftsführer der H. GmbH & Co. KG, B. , im Jahre 1999
festgestellt haben, dass das italienische Unternehmen L. Containerplanen anbot,
bei denen Ösen ohne Kragenscheibe in die Plane eingesetzt worden waren.
Dem Zeugen sei seinerzeit aufgefallen, dass das gebördelte Halsende auf
der Rückseite der Planen anders ausgesehen habe als bei mit Kragenscheiben
versehenen Ösen, wo das Halsende gleichsam auf Stoß an die
Kragenscheibe heranreicht (Anl. BK 13 zum Schriftsatz v. 26.10.2009, obere
Bilder). Im Unterschied zu der Bördelung zweiteiliger Ösen sei bei
den einteiligen die freie Stirnkante des Halsendes von außen nicht
sichtbar, sondern zwischen der Außenseite des gebördelten
Ösenhalses und der Trägerbahn ein ansonsten nicht vorhandener Zwickel
ausgebildet gewesen.


20


Mit diesem Vorbringen ist eine offenkundige, die erfinderische
Tätigkeit im Streitfall infrage stellende Vorbenutzung -
Neuheitsschädlichkeit kommt schon mangels Behauptung einer dem Merkmal
1.2.1 entsprechenden Ausgestaltung des Halsendes nicht in Betracht - nicht
dargetan. In das Wissen des Zeugen ist nicht mehr gestellt, als die Sicht auf
eine Trägerbahn mit gebördelter (einteiliger) Öse, bei der nicht
ein am Ösenteller anstoßendes Halsende sichtbar ist, sondern ein
umlaufender Zwickel. Diesen mag der Fachmann noch mit einer weitergehenden
Krümmung des Halses in Zusammenhang bringen. Das ist aber bereits weder
für sich allein noch in der Zusammenschau mit der US-Patentschrift 2 107
375 geeignet, den Fachmann zu der weitgehenden Bördelung nach
Maßgabe der Merkmalsgruppe 2 anzuregen. Die vom Streitpatent vollzogenen
Schritte, die Bördelung über mehr als ein geschlossenes Ringprofil
spiralförmig so auszuführen, dass der obere Halsbereich an vom Teller
oder Übergang gebildeten Widerlagerflächen angedrückt wird und
die Halsenden zudem mit Vorsprüngen zu versehen, werden einem
durchschnittlichen Fachvertreter auch sonst nicht durch die bloße Sicht
auf besagten Zwickel nahegelegt.


21




4.

Die Unteransprüche 2 bis 8 haben im unmittelbaren oder
mittelbaren Rückbezug auf Patentanspruch 1 in der vor dem Patentgericht
verteidigten Fassung Bestand.


22




IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V. mit § 97 Abs. 1 ZPO.


Scharen
Richter am Bundesgerichtshof Asendorf
ist in Ruhestand getreten und kann deshalb nicht unterschreiben.
Scharen
Gröning
Berger
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grabinski kann
urlaubsbedingt nicht unterschreiben. Scharen


Von Rechts wegen

Verkündet am: 8. Dezember 2009

VorschriftenPatG § 4, EPÜ Art. 56

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