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04.02.2010 · IWW-Abrufnummer 100455

Bundesfinanzhof: Urteil vom 22.09.2009 – VIII R 31/07

Ein als Systemadministrator tätiger Diplom-Ingenieur für technische Informatik kann einen freien Beruf ausüben.





Gründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte an der Berufsakademie S in der Studienrichtung Technische Informatik die Abschlussprüfung erfolgreich ab. Er ist danach berechtigt, die Bezeichnung Diplom-Ingenieur (Berufsakademie --BA--) zu führen. Nach der Berufsausbildung war er auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) zunächst im Angestelltenverhältnis und später, so auch im Streitjahr 2003, selbständig berufstätig.

Die Tätigkeit des Klägers bestand im Einzelnen darin, Rechnernetzwerke durch Installation und Konfiguration von Windows-Software einzurichten, zu betreuen, Störungen im Netzwerk zu beheben und die eingesetzte Software im Einzelfall zu modifizieren. Außerdem hatte er das System gegen unbefugten Zugriff zu sichern. Die Überwachung der Server erfolgte mittels vom Kläger selbst entwickelter Hilfs- und Dienstprogramme (Skripte). Als Systemadministrator oblag ihm die Anwendung der vorhandenen Hard- und Software.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) und das Finanzgericht (FG) beurteilten seine Tätigkeit als Gewerbebetrieb. Zur Begründung führte das FG in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1884 veröffentlichten Urteil an, der Kläger sei zwar Ingenieur, aber nicht als solcher tätig gewesen. Er habe nicht System- oder Anwendersoftware durch eine klassische ingenieurmäßige Vorgehensweise auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt, sondern eine Tätigkeit als Netzwerk- und Systemadministrator ausgeübt. Administrative Arbeiten dieser Art würden im Regelfall nicht von Ingenieuren durchgeführt.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene FG-Urteil und den Bescheid für 2003 über den Gewerbesteuermessbetrag in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es schließt sich im Wesentlichen der Argumentation der Vorinstanz an.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

II.

Die Revision ist begründet. Der Senat entscheidet gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache und gibt der Anfechtungsklage statt.

Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid ist rechtswidrig. Der Kläger unterhält keinen Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 EStG), sondern erzielt als Ingenieur Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.

1.

Ingenieur im Sinne dieser Vorschrift ist, wer über die erforderliche Berufsqualifikation verfügt und eine Ingenieurtätigkeit auch tatsächlich ausübt.

a)

Über die persönliche Qualifikation als Ingenieur verfügt derjenige, der wegen der Prägung des Berufsbildes des Ingenieurs durch die Ingenieurgesetze der Länder aufgrund seiner Ausbildung an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule oder eines Betriebsführerlehrganges an einer Bergschule befugt ist, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270; vom 18. April 2007 XI R 29/06, BFHE 218, 65, BStBl II 2007, 781). Dem steht das Studium an einer staatlichen Berufsakademie gleich, wenn sein Abschluss --wie hier-- zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur berechtigt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Sächsischen Ingenieurgesetzes vom 23. Februar 1993, Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1993, 236).

b)

Eine Tätigkeit als Ingenieur zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt wird. Welche Aufgaben für den Beruf des Ingenieurs i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG typisch sind, bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung und unterliegt insoweit umfassender revisionsrechtlicher Nachprüfung. Hingegen ist die Feststellung, ob die vom Steuerpflichtigen tatsächlich ausgeübte Tätigkeit in diesem Sinne ingenieurtypisch geprägt ist, Aufgabe des FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), an dessen tatsächliche Feststellungen der BFH grundsätzlich gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO).

aa)

Zu den Aufgaben des Ingenieurs gehört es, auf der Grundlage naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (BFH-Urteil vom 5. Juni 2003 IV R 34/01, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761, m.w.N.). Typisch für den Beruf des Ingenieurs sind aber auch überwachende, kontrollierende und rein beratende Tätigkeiten, soweit sie nicht auf bloße Absatzförderung gerichtet sind (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270). Kernbereiche des Ingenieurberufs sind im Einzelnen: Forschung und Lehre, Entwicklung, Konstruktion, Planung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung, Vertrieb, Beratung, Versuchs- und Prüfungswesen, technische Verwaltung und Betriebsführung, Produktions- und Prozesssteuerung, Sicherheit, Patent- und Normenwesen (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; vom 7. September 1989 IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359; Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., Stichwort "Ingenieur"; www.wikipedia.de, Stichwort "Ingenieur", Abschn. Berufsbild).

bb)

Auf dem Gebiet der EDV und der Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren nicht nur die Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software (vgl. dazu BFH-Urteile vom 7. Dezember 1989 IV R 115/87, BFHE 159, 171, BStBl II 1990, 337; vom 7. November 1991 IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324; vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; vom 18. April 2007 XI R 57/05, BFH/NV 2007, 1854). Die Tätigkeit eines Ingenieurs umfasst auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme (zum Ganzen: Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Berufe "Ingenieur - Elektrotechnik/technische Informatik" und "Ingenieurinformatik").

2.

Nach diesen Grundsätzen war der Kläger im Streitjahr als Ingenieur tätig.

a)

Als Absolvent der BA S verfügt der Kläger über einen qualifizierten Studienabschluss und ist berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieur (BA) zu führen.

b)

Der Kläger hat eine freiberufliche Tätigkeit auch tatsächlich ausgeübt. Diese war davon geprägt, dass er für den freien Beruf des Informatik-Ingenieurs typische Aufgaben wahrgenommen hat. Er war unstreitig nicht fachfremd, sondern im Bereich der EDV berufstätig. Nach den bindenden Feststellungen des FG hat er als Systemadministrator Rechnernetze mit mehreren tausend Nutzern überwacht, optimiert, betreut und verwaltet. Er war zudem für die Fehleranalyse und -beseitigung verantwortlich. Derartige Tätigkeiten werden vom Berufsbild des Informatik-Ingenieurs erfasst.

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