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20.01.2010 · IWW-Abrufnummer 100162

Landgericht Dresden: Beschluss vom 26.11.2009 – 15 Qs 52/09

1. Die Frist in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 VV RVG ist teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie nur auf die Rücknahme der Berufung seitens des Angeklagten Anwendung findet.



2. Zur Mitwirkung i.S. von Nr. 4141 VV RVG, wenn der Angeklagte Revision und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt haben.


15 Qs 52/09
LG Dresden
Beschluss
der 15. Großen Strafkammer vom 26.11,2009
In der Strafsache gegen pp.
hier: Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschluss
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Pirna vom 14.08.2009 wird aufgehoben.
2. Auf die Beschwerde wird der Betrag der dem Verteidiger zu erstattenden Gebühren in Abänderung der Entscheidung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 19.05.2009 auf insgesamt 537,88 Euro festgesetzt.
3. Der auf Antrag bereits festgesetzte und ausgezahlte Betrag i. H. v. 280,84 Euro ist anzurechnen.
4. Die Entscheidung über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
5. Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pirna vom 14.08.2009, mit welchem die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.02.2009, soweit ihr nicht durch Beschluss vom 19.05.2009 abgeholfen wurde, als unbegründet zurückgewiesen wurde. •
Mit Urteil des Amtsgerichts Pirna vom 06.03.2008 wurde lIZIMION wegen unerlaubter Veräußerung von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafen zweier anderer Urteile zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft Dresden wurde das Urteil des Amtsgerichts Pirna durch Urteil des Landgerichts Dresden vom 10.07.2008 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass 11.811.1.18 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt wurde.
Auf die Revision des Beschwerdeführers wurde das Urteil des Landgerichts Dresden vom 10.07.2008 durch Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 03.12.2008 aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dresden zurückverwiesen.
Mit Verfügung des Landgerichts Dresden vom 05.01.2009 wurde der Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 12.01.2009 festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 09.01.2009, eingegangen beim Landgericht Dresden am selben Tag, wurde die Berufung der Staatsanwaltschaft mit der Begründung zurückgenommen, dass pp. nunmehr zwei Haftstrafen verbüßt habe.
Mit Beschluss des Landgerichts Dresden vom 09.01.2009 wurden sodann die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Der Beschwerdeführer begehrt mit Kostenfestsetzungsantrag seines Verteidigers vom 14.01.2009 die Festsetzung der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren i. H. v. 216,00 Euro (Nr. 4124 VV RVG) und der Gebühr für die entbehrliche Hauptverhandlung i. H. v. 216,00 Euro (Nr. 4141 VV RVG), zuzüglich der Pauschale Nr. 7002 VV RVG und der Mehrwertsteuer insgesamt die Erstattung eines Betrages i. H. v. 537,88 Euro (Berufungsverfahren 12 Ns 425 Js 47359/ 07).
Mit Beschluss des Amtsgerichts Pirna- Rechtspflegerin- vom 25.02.2009 wurde der Kostenfestsetzungsantrag vom 14.01.2009 insgesamt zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss legte pp. mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 03.03.2009 sofortige Beschwerde ein.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Pirna- Rechtspflegerin- vorn 19.05.2009 wurde der „sofortigen Beschwerde" i. H. v. 280,84 € (Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren i. H. v. 216,00 € (Nr. 4124 VV RVG) zuzüglich Pauschale Nr. 7002 VV RVG und Mehrwertsteuer) stattgegeben. Im Übrigen (Gebühr für die entbehrliche Hauptverhandlung i. H. v. 216,00 € (Nr. 4141 VV RVG) zuzüglich Mehrwertsteuer) wurde ihr nicht abgeholfen und die Akte zur weiteren Entscheidung dem Landgericht vorgelegt.
Das Landgericht Dresden verfügte am 10.08.2009 die Rückleitung der Akten an das Amtsgericht Pirna, da zunächst eine Vorlage an den zuständigen Richter zur Entscheidung über die als Erinnerung auszulegende „sofortige Beschwerde" hätte erfolgen müssen.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Pirna vom 14.08.2009 wurde die als Erinnerung zu behandelnde sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.02.2009, soweit ihr nicht durch Beschluss vom 19.05.2009 abgeholfen wurde, als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Vergütungstatbestand aus Nr. 4141 VV RVG nicht erfüllt sei. Zwar liege ein Berufungsverfahren, das durch Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft erledigt worden sei, vor, doch sei die Berufungsrücknahme nicht rechtzeitig i. S. d. Abs. 1 Nr. 3 letzter Satz Nr. 4141 VV RVG erfolgt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.10.2009, eingegangen beim Amtsgericht Pirna am selben Tag, hat der Beschwerdeführer gegen die dem Verteidiger am 17.09.2009 zugestellte Entscheidung Beschwerde eingelegt.
Die Gebühr sei antragsgemäß festzusetzen, da der Verteidiger an der Rücknahme des Rechtsmittels aufgrund der eingelegten Revision, der entsprechenden Revisionsbegründung sowie der Gegenerklärung mitgewirkt habe. Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft die Berufung kurz vor der Hauptverhandlung zurückgenommen hat, könne nicht ausschlaggebend sein. Die Mitwirkung des Verteidigers müsse honoriert werden.
Das Amtsgericht Pirna hat der Beschwerde am 05.10.2009 nicht abgeholfen.
Mit Beschluss vom 30.10.2009 hat die Einzelrichterin die Sache zur Entscheidung der Kammer übertragen.
Der Beschwerdegegner hatte Gelegenheit, zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Auf die Einzelheiten der Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 23.11.2009 wird verwiesen.
II.
1. Grundsätzlich entscheidet nach § 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 S. 1 2. Hs. RVG die Kammer durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter.
Die Einzelrichterin hat vorliegend das Verfahren gemäß § 33 Abs. 8 S. 2 RVG der Kammer übertragen, da die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweist bzw. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, so dass in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden ist.
2. Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht eingelegt, § 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 S. 3 RVG.
Die Beschwerde begehrt noch die Festsetzung eines Betrages i. H. v. 257,04 Euro (Gebühr für die entbehrliche Hauptverhandlung i. H. v. 216,00 € (Nr. 4141 W RVG) zuzüglich Mehrwertsteuer), so dass auch der Beschwerdewert von mehr als 200 Euro erreicht ist, § 33 Abs. 3 5.1 RVG.
3. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Tatbestand für die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG, sog. Befriedungsgebühr, ist erfüllt.
Zum einen findet die in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 2. Hs. VV RVG geregelte Frist hier keine Anwendung, zum anderen hat der Verteidiger an der Rücknahme der Berufung seitens der Staatsanwaltschaft mitgewirkt.
Nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 1. Hs. W RVG entsteht die zusätzliche Gebühr u. a., wenn sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Berufung des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten erledigt. Ist bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, so entsteht die Gebühr nach Hs. 2 nur, wenn die Berufung früher als zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wird. Entscheidend für die Fristwahrung ist der Eingang der Rücknahmeerklärung bei Gericht.
Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, den Anreiz zu erhöhen, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, und damit zu weniger Hauptverhandlungen zu führen. Wird diese rechtzeitig durch die Tätigkeit des Verteidigers entbehrlich, ist damit das gesetzgeberische Ziel erreicht, dass das Gericht eine Hauptverhandlung vorbereiten und durchführen muss, für die dem Verteidiger eine erneute Terminsgebühr zustehen würde. Der Gesetzgeber honoriert dies anders als im Fall der Berufungsrücknahme in der laufenden Hauptverhandlung oder während einer Unterbrechung.
a) Vorliegend hat sich das Berufungsverfahren durch Rücknahme der Berufung seitens der Staatsanwaltschaft erledigt.
b) Zwar erfolgte diese Rücknahme erst am 09.01.2009, d. h. nur drei Tage vor dem anberaumten Hauptverhandlungstermin am 12.01.2009, und somit nicht in der von Abs. 1 Nr. 3 2. Hs. zu Nr. 4141 VV RVG geforderten Frist, doch ist diese Fristenregelung teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie nur auf die Rücknahme der Berufung seitens des Angeklagten Anwendung findet.
Der Wortlaut der Norm selbst erfasst auch die Rücknahme eines Rechtsmittels anderer Verfahrensbeteiligter, allerdings ist der Gesetzestext dahingehend planwidrig zu weit geraten, soweit er die Frist für die Rechtzeitigkeit der Rechtsmittelrücknahme auch auf Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erstreckt.
Eine Anwendung auch auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft würde es in die Hand der Staatsanwaltschaft legen, ob die Befriedungsgebühr Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG entsteht oder nicht. Nach Sinn und Zweck der Frist, nämlich einen Anreiz gerade für den Verteidiger zu schaffen, Verfahren ohne Hauptverhandlung und deren unmittelbaren Vorbereitung vor dem Hauptverhandlungstermin zu erledigen, kann die Vorschrift denknotwendig nur auf eine fristgebundene Rücknahme seitens des Angeklagten abstellen.
Eine teleologische Reduktion ist daher aufgrund des zu weit gefassten Wortlautes der Vorschrift in diesem Sinne vorzunehmen.
Unterstützt wird die Auffassung der Kammer von der sinn- und zweckgerechten Anwendung von Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. In der Vorgängervorschrift (§ 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BRAGO) war die Befriedungsgebühr nur für die Rücknahme des Strafbefehls vor der Hauptverhandlung vorgesehen. Insoweit konnte die Frist (zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war) in der Tat die Vergütung (ausschließlich) für denjenigen Verteidiger verbessern, "dessen rechtzeitige Prüfung dazu führt, dass eine Hauptverhandlung und die damit verbundene Vorbereitung des Gerichts aber auch ggf. der Zeugen und Sachverständigen entbehrlich werden", wie es die Gesetzesmaterialien ausführen (Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/6962). Im nunmehr erfassten Fall der Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft passt diese Begründung nicht, weil der Verteidiger auf den Zeitpunkt der Rücknahme keinen Einfluss hat. Dieses Problem ist in den Gesetzesmaterialien des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, soweit ersichtlich, nicht behandelt worden (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, BT-Drucks. 15/1971, S. 227/228).
c) Der Verteidiger des Beschwerdeführers hat an der Rücknahme des Rechtsmittels hinreichend mitgewirkt.
Geht es um die Rücknahme der Berufung eines anderen Verfahrensbeteiligten — wie hier der Staatsanwaltschaft —, so gilt die Vorschrift für den Verteidiger grundsätzlich auch in einem solchen Fall. Jedoch muss der Verteidiger an der Rücknahme des Rechtsmittels mitgewirkt haben.
Dieses Erfordernis ergibt sich aus der Überschrift des Gebührentatbestandes, die lautet: „Durch die anwaltliche Mitwirkung wird die Hauptverhandlung entbehrlich".
Zudem entsteht nach Nr. 4141 VV RVG Abs. 2 die Gebühr nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist.
Weichen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat und welche Tätigkeit der Rechtsanwalt erbringt, ist dabei unerheblich. Entscheidend ist nur, dass der Rechtsanwalt überhaupt zur Vermeidung der Hauptverhandlung beigetragen hat. Auch muss die Mitwirkung nicht ursächlich für die Rücknahme sein. Es genügt jede auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit.
Zudem ist es unerheblich, in welchem Verfahrensabschnitt der Rechtsanwalt die Mitwirkung erbringt. Es genügt ein früherer Beitrag, der zur Erledigung in einem späteren Verfahrensabschnitt führt (vgl. hierzu Burhoff in Gerold/ Schmidt, RVG, 18. Aufl., 4141 VV, Rn. 4 bis 11 mwN).
Es ist festzustellen, dass der Verteidiger durch seine erfolgreiche Revisionseinlegung daraufhin gewirkt hat, dass die Entscheidung des Landgerichts vom 10.07.2008 aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen wurde. Damit hat er im Ergebnis dazu beigetragen, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund der erfolgreichen Revision ihre damals eingelegte Berufung zurückgenommen hat und die Entscheidung des Amtsgerichts Pirna vom 06.03.2008 in Rechtskraft erwachsen ist.
Denn erst durch die erfolgreich eingelegte Revision wurde der Anreiz und die Tatsachengrundlage für die Staatsanwaltschaft geschaffen, ihre Berufung zurückzunehmen. Dies wird auch nicht dadurch erschüttert, dass die Staatsanwaltschaft selbst ihre Rücknahme damit begründet, dass der Beschwerdeführer inzwischen zwei Haftstrafen verbüßt hätte.
Anzumerken ist schließlich, dass die anwaltliche Mitwirkung nach der Formulierung in VV 4141 Abs. 2 gesetzlich vermutet wird. Die Darlegungs- und Beweislastlast für das Fehlen der Mitwirkung liegt beim Gebühren- oder Erstattungsschuldner, hier also der Staatskasse.
Entsprechendes wurde durch den Beschwerdegegner aber nicht detailliert vorgetragen.
Der bloße Hinweis darauf, dass die Hauptverhandlung nur allein deshalb entbehrlich geworden sei, weil die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor dem anberaumten Termin zurückgenommen habe (Bi. 342 d. A.), genügt jedenfalls nicht.
Im Übrigen wurde die Ablehnung der Festsetzung nicht auf eine fehlende Mitwirkung, sondern auf die Nichteinhaltung der in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 2. Hs. RVG geregelten Frist gestützt (BI. 349 d. A.).
III.
1. Nach § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG ist das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei, wobei Kosten nicht erstattet werden.
2. Die weitere Beschwerde war nach § 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 S. 1 RVG zuzulassen, da die zur Entscheidung stehende Frage grundsätzliche Bedeutung hat.

RechtsgebietGebührenrecht VorschriftenNr. 4141 VV RVG

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