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15.07.2002 · IWW-Abrufnummer 020826

Kanzleiführung professionell 08/2002 Seite 112 ff.

Die Bewertung einer Freiberuflerpraxis: Der Einstieg in die Kaufpreisfindung


von StB Dipl.-Betrw. Baldur Hötten, Münster



Bei der Bewertung einer Freiberuflerpraxis kommt es immer wieder zu Streitigkeiten, sei es beim Verkauf der Kanzlei, bei Nachfolgeregelungen innerhalb der Familie oder auch bei Abfindungsansprüchen ausscheidender Gesellschafter. Dies nehmen wir zum Anlass, die in der Praxis gängigen Bewertungsverfahren ausführlich darzustellen. In diesem Beitrag wird zunächst das Umsatzwertverfahren als "vereinfachtes Preisfindungsverfahren" beim Verkauf einer Kanzlei erläutert und mit Hilfe eines Bewertungsbeispiels für eine Steuerberater-Stadtpraxis konkretisiert. In den nächsten Ausgaben werden diesem Verfahren die Bewertungen nach der Ertragswertmethode und nach dem Discounted-Cash-Flow-Verfahren gegenübergestellt.



"Verkehrsfähiger" Kundenstamm bestimmt Marktwert

Zur Ermittlung der Marktpreise für kleinere Dienstleistungsunternehmen sollen insbesondere Umsatzmultiplikatoren angewandt werden. Bei freiberuflichen Praxen wird der Marktwert im Wesentlichen durch den übertragbaren Mandanten-/Patientenstamm bestimmt (vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer (IdW) Standard S 1 über die "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" in WPg 00, 840 f.). Das IdW weist allerdings darauf hin, dass vereinfachte Preisfindungen wie Umsatzmultiplikatoren nicht an die Stelle einer Unternehmensbewertung treten können (vgl. WPg 00, 839).



Fähigkeiten und Engagement des Inhabers entscheidend

Bei personenbezogenen, von den Eigentümern dominierten Klein- und Mittelstandsunternehmen (KMU) ist die Höhe der künftigen finanziellen Überschüsse vom persönlichen Engagement und den individuellen Kenntnissen, Fähigkeiten und Beziehungen der Inhaber abhängig. Nach IdW S 1 hat die Bewertung des "Managementfaktors" erhebliche Relevanz. Bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswertes wird grundsätzlich unterstellt, dass der Unternehmensinhaber weiterhin tätig bleibt. Die Bewertungssituation bei freiberuflichen Unternehmen kann jedoch völlig anders sein, da häufig der geplante "Exit" des Inhabers der Grund für die Praxisübertragung sein dürfte und man daher nur noch bedingt von dessen Erfahrungen profitieren kann. Dies muss natürlich in die Bewertung einfließen.



Bewertungsanlässe bzw. -motive

Praxisbewertungen können auf Grund gesetzlicher Vorschriften, vertraglicher Vereinbarungen oder auch aus sonstigen Gründen erfolgen:



  • Gesetzliche Abfindungsvorschriften: Nach § 738 BGB und den dazu durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind die aus einer Personengesellschaft (z.B. zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis als Gesellschaft bürgerlichen Rechts, §§ 705 ff. BGB) ausscheidenden Gesellschafter abzufinden. Bei der Berechnung des Abfindungsanspruchs ist der Verkauf der gesamten Praxis zu fingieren. Aus dem ermittelten Praxiswert erhält der abzufindende Gesellschafter seinen quotalen Anteil.

    Im Familienrecht entstehen Abfindungsansprüche insbesondere bei Ehescheidungen sowie bei Tod des freiberuflich tätigen Ehegatten, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten. Im Rahmen des Erbrechts sind Praxisbewertungen in erster Linie zur Ermittlung des Pflichtteilsanspruches notwendig.

  • Privatrechtliche Vereinbarungen: Bewertungen auf vertraglicher Grundlage erfolgen insbesondere beim Eintritt und Austritt von Gesellschaftern in/aus einer Personengesellschaft. Hier regelt der Gesellschaftsvertrag (= Satzung) die Ermittlung des Abfindungsguthabens auf Grund aktueller Praxisbewertung durch einen sachverständigen, unabhängigen Gutachter (z.B. Wirtschaftsprüfer). Ein anderer Fall: Eine der Parteien fordert eine Praxisbewertung und die andere Partei kann sich dieser Forderung nicht entziehen, z.B. bei Erbauseinandersetzungen und Erbteilungen sowie bei Abfindungsfällen im Familienrecht.

  • Der häufigste Bewertungsanlass ist jedoch der Kauf bzw. Verkauf einer Praxis bzw. eines Praxisanteils (= Sozietätsbeteiligung).


Beweggründe für die Veräußerung einer Freiberuflerpraxis

Welche Motive einen Praxisinhaber dazu bewegen können, seine Praxis zu veräußern, können Sie der folgenden Checkliste entnehmen:



Checkliste "Veräußerungsgründe"


  • Der Freiberufler will/muss (Bsp: Ärzte verlieren die Kassenzulassung mit Vollendung des 68. Lebensjahres) sich aus Altersgründen zur Ruhe setzen oder wegen Krankheit/Berufsunfähigkeit aus dem Berufsleben zurückziehen.
  • Der Praxisinhaber will die Nachfolge durch einen Familienangehörigen in die Wege leiten.
  • Intention des Praxisinhabers ist die Sicherung des Weiterbestehens der Praxis nach seinem Ausscheiden.
  • Der Freiberufler will sich auch zukünftig noch betätigen, sucht aber ? z.B. aus finanziellen Gründen (Erweiterungsbedarf) oder zur Arbeitsentlastung ? einen (Sozietäts-)Partner.
  • Praxiskäufe und -verkäufe können motiviert sein durch das Streben nach Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (z.B. überregionale Zusammenschlüsse und Zukäufe von Steuerberatungskanzleien), Serviceausweitungen (z.B. Einstieg von Steuerberatern in Rechtsanwaltskanzleien) oder Kapazitätsausweitungen bzw. -auslastungen (Einkäufe in ärztliche Apparategemeinschaften).



Bestimmung der Termini "Praxiswert" bzw. "Praxisbewertung"

Eine gesetzliche Definition für den Praxiswert gibt es nicht. Das Fachschrifttum (z.B. von Borstel/Schoor, Kauf und Bewertung einer Steuerberaterpraxis, 2. Aufl. 01, 20 f.) versteht darunter den immateriellen Wert ("Goodwill") der freiberuflichen Praxis. In Analogie zur Abgrenzung des Geschäfts- oder Firmenwertes eines gewerblichen Unternehmens wird unter dem Praxiswert die über den Substanzwert hinausgehende Gewinnaussicht verstanden, die sich insbesondere aus dem Vertrauen der Mandanten in die Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit des Kanzleiinhabers ergibt (vgl. Breidenbach, DStR 91, 48). Der Gesamtwert einer Praxis umfasst den Goodwill und den Substanzwert (so auch das berufsrechtliche Handbuch der Bundessteuerberaterkammer, Abschn. 5.2.2. Empfehlungen für die Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis.).



Des weiteren ist eine Bestimmung des Begriffs Praxisbewertung notwendig. Gesetzliche Vorschriften gibt es dazu ebenso wenig wie feste Regeln in den einschlägigen Berufsordnungen. Es wird deshalb auf Empfehlungen der Berufsorganisationen, Literaturbeiträge und Rechtsprechungshinweise zurückgegriffen. Bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Methoden wurde in der Vergangenheit weniger auf die theoretisch ausgeprägten Ertragswert- bzw. DCF-Verfahren Bezug genommen, sondern vielmehr das hier dargestellte Umsatzwertverfahren für die Bewertung des Goodwill einer Freiberuflerpraxis präferiert. Der hiernach isoliert ermittelte immaterielle Praxiswert führt in Kombination mit dem ebenfalls getrennt ermittelten Vermögens-(Substanz-)wert zur Preisbestimmung.



Umsatzwertverfahren gängigste Methode beim "Kanzleiverkauf"

Das IdW zählt das Umsatzwertverfahren nicht zu den Bewertungsverfahren, sondern stuft es lediglich als vereinfachtes Preisfindungsverfahren ein. Dennoch kommt in der täglichen Bewertungspraxis ? insbesondere beim Bewertungsanlass "Kauf/Verkauf einer Steuerberatungs-, Anwalts- oder Arztpraxis" ? nicht das vermeintlich einzig zulässige Ertragswertverfahren, sondern das Umsatzwertverfahren zum Einsatz (vgl. Barthel, DStR 96, 1458). Hier wird gerade nicht auf die Ertragslage des Bewertungsobjektes abgestellt, sondern auf die beiden Komponenten "Goodwill" und "Substanzwert".



Anwendung des Umsatzwertverfahrens zur Ermittlung des Goodwill

Dieses Bewertungsverfahren ist einfach zu handhaben: Der Jahresnettoumsatz wird mit einem Berechnungsfaktor multipliziert. Die Höhe bestimmt sich nach den branchenüblichen Faktoren, die aus den in der Vergangenheit realisierten Veräußerungspreisen bei den Praxisverkäufen in dem jeweiligen Berufsstand abgeleitet werden. Der so ermittelte Goodwill stellt den Einstieg in konkrete Kaufpreisverhandlungen dar.



Ermittlung des aussagefähigen Jahresnettoumsatzes als Berechnungsgröße

Zwischen Praxisabgeber und Erwerber sollte Einigkeit über die Qualität des übergehenden Umsatzes bestehen. Es kann nämlich der "übertragbare", der "nachhaltig erzielbare", der "übertragene realisierbare", der "durchschnittliche Umsatz der letzten drei bis fünf Jahre" oder der "um einen kalkulatorischen Unternehmerlohn (modifiziertes Ertragswertverfahren) gekürzte" Umsatz sein.



Der maßgebliche Umsatz ist auf den Übertragungsstichtag möglichst präzise zu ermitteln und darf nicht der von Zufälligkeiten bestimmte steuerliche Umsatz im Rahmen einer Einnahmen-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG sein. Vielmehr muss es sich um den normalisierten, periodisch abgegrenzten Jahresnettoumsatz handeln, von dem angenommen wird, dass er auch in Zukunft zu erzielen sein wird (vgl. Breidenbach, DStR 91, 49). Ausgangswert ist in der Regel der Umsatz der letzten 12 Monate vor dem Übertragungsstichtag. Dieser ist die Summe aus den Einzelumsätzen der Mandatsverhältnisse, nachgewiesen durch Mandantenübersichtslisten (bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten und Notaren), durch Abrechnungsunterlagen der Kassen- bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen bei Ärzten und Zahnärzten oder Auftragsvertragswerken bei Ingenieuren.



Um Umsatzausreißer zu glätten und gleichzeitig Entwicklungen aufzuzeigen, kann auch auf den Durchschnittsumsatz der letzten drei Jahre abgestellt werden. Dabei kann eine Gewichtung des letzten Jahres mit dem Faktor zwei erfolgen (vgl. Englert, 1996, 59). Zusätzlich sind vom Umsatz die außerordentlichen Einnahmen abzuziehen, die der bisherige Praxisinhaber personenbezogen vereinnahmt hat und die vom Erwerber nicht mehr zu realisieren sind, letztlich aber auch nur mittelbar mit der freiberuflichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen. Nach von Borstel/Schoor (a.a.O., S. 147) zählen dazu beispielsweise Vergütungen aus:



  • der politischen Arbeit bzw. damit im Zusammenhang stehenden Mandaten,
  • Aktivitäten in berufsständischen Organisationen,
  • Mitgliedschaften in Aufsichts- oder Beiräten,
  • schriftstellerischen Tätigkeiten oder
  • Lehrtätigkeiten.


Ebenfalls auszuscheiden sind atypische Einnahmen des Praxisabgebers, auf die der Erwerber ? auch mangels Qualifikation bzw. fehlendem Erfahrungssatz ? nicht hoffen darf; zum Beispiel aus der Tätigkeit als:



  • Insolvenz- oder Zwangsverwalter,
  • Vormund, Pfleger oder Betreuer,
  • Testamentsvollstrecker, Treuhänder oder Vermögensverwalter,
  • Sanierungsberater,
  • Fördermittel- bzw. Subventionsberater,
  • als Gutachter eines Landgerichtes.


(Erwartete) Auftragskündigungen bzw. -erweiterungen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Der Erwerber erwartet, dass zumindest der Umsatz der Vergangenheit von ihm gehalten werden kann.



Erfahrungssätze zur Ermittlung des Goodwill einer Praxis

Bei diesen Erfahrungssätzen (= Multiplikatoren) handelt es sich um einen Mindest-, Höchst- oder mittleren Prozentsatz bezogen auf den "übertragbaren Umsatz" der Praxis. Das Datenmaterial rekrutiert sich aus den Datenbanken spezialisierter Praxenvermittler oder Banken (z.B. die Deutsche Apotheker- und Ärztebank mit etlichen Niederlassungen im Bundesgebiet), sowie den bei den Standesorganisationen/Verbänden geführten Kaufpreissammlungen. Von besonderer Relevanz bei der Feststellung des Multiplikators ist neben der Attraktivität der Region (Neue/Alte Bundesländer) auch die Berücksichtigung wertbildender Merkmale, "insbesondere die Ertragslage sowie die Kontinuität und die Dauer der Mandatsverhältnisse, welche bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bedeutend intensiver und länger als bei Anwaltspraxen sind" (siehe Platz, INF 01, 311). Weitere wertbildende Komponenten sind:



  • Steigerungspotenziale im Honorarniveau,
  • permanentes Wachstum der Mandate bzw. langjähriger Mandantenstamm,
  • Erschließung neuer Beratungssegmente (z.B. beim Steuerberater: betriebswirtschaftliche Beratung ? erstmalige Installation einer Kosten- und Leistungsrechnung ?, beim Rechtsanwalt: Unternehmensnachfolgeberatung, beim Wirtschaftsprüfer: Peer Review, beim Arzt: Naturheilverfahren, Akupunktur),
  • Umsatz- und Kostenstruktur,
  • Mandantenstruktur (Ausgewogenheit, keine Abhängigkeit von "Großmandaten"),
  • Praxisstandort (Kunden- bzw. Mitarbeiterparkplätze),
  • Wettbewerbssituation,
  • Mitarbeiter Know How und Fluktuation,
  • Technischer Ausrüstungsstand (leistungsstarke EDV-Anlage) und Praxisorganistion.


Sind möglichst viele dieser wertbildenden Kriterien realisiert, umso mehr kann der Kaufpreis dem oberen Wert der Bewertungsspanne angenähert werden (vgl. Platz, INF 01, 311). Nachstehend einige ausgewählte Erfahrungssätze zur Ermittlung des Goodwill einer Praxis, ausgehend vom Umsatz (vgl. Barthel, DB 96, 163):























  Mindestsatz Mittelsatz Höchstsatz
Steuerberaterpraxen West/Stadt 100 116 125
Steuerberaterpraxen West/Land 90 100 110
Steuerberaterpraxen Ost/Stadt 70 80 95
Steuerberaterpraxen Ost/Land 60 70 80
Rechtsanwaltspraxen - Stadt 52 62 70
Rechtsanwaltspraxen - Land 28 40 52
Patentanwaltskanzleien 37 54 60
Wirtschaftsprüferpraxen 110 125 140
Architekturbüros 26 43 60
Ingenieurbüros 12 28 44
Allgemeinarztpraxen 30 44 60
Augenarzt 25 37 48
Chirurg 28 40 50
Frauenarzt 26 42 56
HNO-Arzt 27 36 46
Kinderarzt 25 28 47
Urologe 22 34 46
Zahnarztpraxen 20 34 50



Substanzwertermittlung einer freiberuflichen Praxis

Englert (Die Bewertung von Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterpraxen,1996, S. 48 ff.) zählt zur Substanz einer Freiberuflerpraxis vor allem die Praxiseinrichtung, EDV-Anlage und die dazugehörige Software, die Bibliothek (insbesondere Zeitschriftensammlungen) sowie nicht verbrauchte Materialien (z.B. Verbandsmaterial, Röntgenfilme in Arztpraxen, allgemeine Bürobedarfsartikel). Auch vom Erwerber übernommene Verbindlichkeiten (z.B. rückständige Urlaubsansprüche von Mitarbeitern) sind bei der Substanzwertermittlung abzuziehen. Gemietete (z.B. Telefonanlagen) oder geleaste (z.B. Behandlungseinheit eines Zahnarztes) Vermögenswerte sind jedoch nicht zu bewerten. Für sie ist im Praxisübertragungsvertrag der Eintritt in die Vertragsverhältnisse, wie auch hinsichtlich des Bezuges von Fachzeitschriften, Ergänzungslieferungen von Sammelwerken und andere laufende Verträge (z.B. Energieversorgungsvertrag) vorzusehen.



Ausstehende Forderungen sowie der Wert der noch nicht abgerechneten erbrachten oder begonnenen Leistungen (i.d.R. beim Arzt/Zahnarzt häufig vorkommend) sind nur dann in den Substanzwert einzubeziehen, wenn der Praxiserwerber sie auf eigene Rechnung einziehen kann, was in der Praxis jedoch eher unüblich ist. Im Rahmen der vertraglich festgelegten "wirtschaftlichen Abgrenzung" verbleiben diese Honoraransprüche überwiegend beim Praxisabgeber.



Die Bewertung der Vermögenswerte erfolgt auf Grundlage des Inventarverzeichnisses ? welches integraler Bestandteil des Praxisübernahmevertrages ist ? gemäß dem Grundsatz der Einzelbewertung. Das gilt auch für die Bewertung etwaiger Schuldpositionen (vgl. Barthel, DStR 96, 1460). Bewertungsnorm ist der tatsächliche (Sach-) Zeitwert, konkret für das betriebsnotwendige Vermögen der Wiederbeschaffungswert abzüglich Abschreibungen (= Reproduktionsaltwert) und für das nicht betriebsnotwendige Vermögen der Liquidationswert. In der Praxis wird z.B. für die Ermittlung der Zeitwerte von betriebsnotwendigem Vermögen einer Zahnarztpraxis auf die (kostengünstige) Bewertung durch ein Dental-Depot zurückgegriffen.



Bewertungsbeispiel für eine Steuerberater-Stadtpraxis

Wie die Bewertung einer Steuerberatungskanzlei nach der Umsatzwertmethode in der Praxis aussehen könnte, wird nun ? allerdings unter Außerachtlassung des Einflusses von wertbildenden Merkmalen und bei einem angenommenen Substanzwert von 150.000 EUR ? anhand folgender Auswertungsdaten verdeutlicht:









Praxisparameter für Netto-Umsatzerlöse Kosten Reingewinne
1995 793.500 EUR 555.000 EUR 238.500 EUR
1996 689.500 EUR 445.500 EUR 244.000 EUR
1997 627.000 EUR 415.500 EUR 211.500 EUR
Durchschnitt (ungewichtet) 703.334 EUR 472.000 EUR 231.334 EUR



Lösung: Das Bewertungsspektrum für Steuerberater-Stadtpraxen in den alten Bundesländern liegt zwischen 100 und 125 Prozent, d.h. der Faktor zur Multiplikation mit dem durchschnittlichen Jahresnettoumsatz ist zwischen 1,0 und 1,25 anzusetzen. Unter Zugrundelegung eines Faktors von 1,2 ergibt sich für den Goodwill der Praxis ein Wert von 844.000 EUR. Unter Addition des (nachgewiesenen) Substanzwertes i.H.v. 150.000 EUR beträgt der Praxiswert 994.000 EUR.



Hinweis der Redaktion: Der nach der Umsatzwertmethode ermittelte Praxiswert stellt nur einen Einstieg in die Kaufpreisfindung dar. Zu Vergleichszwecken können andere gängige Bewertungsverfahren wie zum Beispiel die modifizierte Ertragswertmethode herangezogen werden. Diese werden wir in einer der nächsten Ausgaben von "Kanzleiführung professionell" ausführlich besprechen und dabei auf Vor- und Nachteile der beiden Verfahren eingehen.



Kaufpreisfindung bei Freiberuflerpraxen: "Modifizierte Ertragswertmethode" oder "Umsatzwertverfahren"?



Der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IdW) hat am 28.6.00 seinen Standard S 1 über die "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" verabschiedet (WPg 00, 825 ff.) und dabei auch umfangreiche Ausführungen zur Bewertung nach der Ertragswertmethode und nach dem so genannten Discounted-Cash-Flow-Verfahren gemacht. In beiden Fällen wird als Unternehmenswert ? anders als beim in KP 02, 33 ff. dargestellten Umsatzwertverfahren ? der Barwert zukünftiger finanzieller Ertrags- bzw. Einzahlungsüberschüsse ermittelt. Da die Ertragswertmethode in ihrer modifizierten Form eine weitere Alternative der Praxiswertermittlung darstellt und damit bestens geeignet ist, die Umsatzwertmethode bei der "Kaufpreisfindung" zu ergänzen, werden wir sie im folgenden Beitrag ausführlich analysieren.



1. Die Ertragswertmethode

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika (hier überwiegt das "Discounted-Cash-Flow-Verfahren") wird in Deutschland für die (gewerbliche) Unternehmensbewertung hauptsächlich die Ertragswertmethode angesetzt. Der Wert einer Unternehmung ist hierbei als der Barwert aller zukünftigen Nettoeinnahmen (also Einnahmen minus Ausgaben) zu verstehen, die aus dem Unternehmen erzielbar sind. Unter den Prämissen einer unbegrenzten Lebensdauer des Unternehmens und konstanter zukünftiger Erfolge entspricht die Gewinnermittlung einer so genannten "ewigen Rente", die eine Diskontierung auf den gegenwärtigen Rentenbarwert verlangt. Der zukünftige Gewinn und der Kalkulationszinsfuß beruhen dabei auf Schätzungen (Plan-Gewinn- und Verlustrechnung und Finanzbedarfsrechnung bzw. Zinssatz für eine risikofreie Kapitalmarktanleihe, entsprechend der Rendite von Anteilen der öffentlichen Hand plus Risikozuschlag). Es gilt die folgende Kapitalisierungsformel (= Rentenmodell):



Ertragswert = Gewinn Kalkulationszinsfuß
x 100

2. Bewertung mit "modifizierter" Ertragswertmethode

Da der Praxiswert bei Freiberuflern hauptsächlich von der Person des Inhabers geprägt wird, lässt sich die reine Ertragswertmethode nur in modifizierter Form bei der Bewertung einsetzen. Ausgangspunkt der modifizierten Ertragswertmethode ist die Unterstellung, dass der Praxiserwerber einige Jahre benötigt, um sich eine vergleichbare Praxis aufzubauen. Daher ist es angebracht, dass er den in dieser Aufbauzeit (für eine Steuerberaterpraxis in der Regel 6 bis 8 Jahre) erzielten Nettoüberschuss dem Praxisveräußerer als Kaufpreis für den Praxiswert bezahlt. Hier wird also kein Ewigkeitsertrag berücksichtigt, sondern nur der Differenzbetrag, den die bereits bestehende Praxis gegenüber einer Praxis abwirft, die sich der Erwerber auch selbst aufbauen könnte. Dieser Betrag zuzüglich des Substanzwertes bildet den Gesamtwert der Praxis (vgl. von Borstel/ Schoor, "Kauf und Bewertung einer Steuerberaterpraxis", 2001, S. 164 mit Bezugnahme auf Breidenbach DStR 91, 50). Der Praxiswert wird als Barwert der Nettoüberschüsse der Praxis für vorangegangene Perioden ermittelt, wobei der Nettoüberschuss als Jahresumsatz abzüglich tatsächlicher und kalkulatorischer Kosten (z.B. Zinsen, Abschreibungen, Unternehmerlohn, Miete) definiert ist.



3. Umsatzwert- und Ertragswertmethode im Vergleich

Wie die Bewertung einer Steuerberatungskanzlei nach der Umsatzwertmethode in der Praxis aussehen könnte, hatten wir unter Bezugnahme auf folgende Auswertungsdaten bereits in KP 02, 33 ff. verdeutlicht:









Praxisparameter für Netto-Umsatzerlöse Kosten Reingewinne
1995 793.500 EUR 555.000 EUR 238.500 EUR
1996 689.500 EUR 445.500 EUR 244.000 EUR
1997 627.000 EUR 415.500 EUR 211.500 EUR
Durchschnitt (ungewichtet) 703.334 EUR 472.000 EUR 231.334 EUR



Lösung 1: Der durchschnittliche Jahresnettoumsatz wurde mit dem Faktor 1,2 multipliziert und es ergab sich für den Goodwill der Praxis ein Wert von 844.000 EUR. Unter Addition des (nachgewiesenen) Substanzwertes i.H.v. 150.000 EUR betrug der Praxiswert 994.000 EUR.



Lösung 2: Auf Grundlage der oben aufgeführten Zahlen ergibt sich nach dem modifizierten Ertragswertverfahren folgende Berechnungsmethode für die Kaufpreisfindung:







Reinertrag (= durchschnittlicher Jahresertrag für 1995 bis 1997) 231.334 EUR
./. Kalkulatorischer Unternehmerlohn 84.000 EUR
= Nettoüberschuss 147.334 EUR
  • Als kalkulatorischer Unternehmerlohn sind nach dem BGH-Urteil vom 25.11.98 (XII ZR 84/97, NJW 99, 784) zum Goodwill einer Steuerberatersozietät im Zugewinnausgleich 75.000 EUR* gerechtfertigt; indiziert auf das hier maßgebende Jahr 1997 ergeben sich somit 75.000 EUR x 1,1191 = 84.000 EUR (aufgerundet).

  • Alternativ kann auch das Gehalt eines angestellten Steuerberaters (45.000 EUR bis 60.000 EUR zzgl. 40 % für den Anspruch auf Altersversorgung) oder das Salär eines Finanzamtsleiters zu Grunde gelegt werden (vgl. von Borstel/Schoor, a.a.O., S. 166; ähnlich Heid, DStR 98, 1570).


Lösung 2: Bei einem ? für Fremdkapital geltenden ? Zinssatz von p = 8 Prozent p.a. und einem angenommenen Vergütungszeitraum von n = 7 Jahren (vgl. Heid, 1998, 1568) ist der Nettoüberschuss von 147.334 EUR mit dem Rentenbarwertfaktor 5,2064 zu multiplizieren. Der Praxiswert beträgt demnach 767.077 EUR (entspricht 109,06 Prozent vom Durchschnittsumsatz der Jahre 1995 bis 1997). Addiert man 150.000 EUR für den Substanzwert hinzu, dann erhält man als Praxiswert 917.077 EUR.



Zum Vergleich: Beträgt n = 8 Jahre, ergibt sich ein Rentenbarwert von 846.666 EUR (entspricht 120,37 Prozent bezogen auf den Durchschnittsumsatz 1995 bis 1997).



Fazit: Der Praxiswert ist von der Wahl des Abzinsungsfaktors (p) und der Dauer des zu vergütenden Zeitraumes (n) abhängig. Hierin mag auch das Abweichen des Ergebnisses nach dem Umsatzwertverfahren von dem nach der modifizierten Ertragswertmethode begründet sein. Starke Abweichungen bedürfen einer näheren Analyse. Immerhin besteht jedoch jetzt ein Zahlenwertkorridor, der es ermöglicht, kurzfristig den auch von subjektiven Einschätzungen geprägten Kaufpreis zu finden. Es kann sich beispielsweise auf den Mittelwert aus den beiden Bewertungsverfahren verständigt werden.



4. Beurteilung der Bewertungsverfahren durch Berufsorganisationen


4.1 Die Ansichten des Institutes der Wirtschaftsprüfer

Zur Bewertung von Wirtschaftsprüferpraxen bezieht das Institut der Wirtschaftsprüfer in dem von ihm herausgegebenen Wirtschaftsprüfer-Handbuch 2000, Band I (S. 148 f.) Stellung. Die Hinweise sind jedoch weder verbindlich, noch handelt es sich um allgemeingültige Richtsätze. Danach wird zur Ermittlung des Goodwill grundsätzlich das Umsatzwertverfahren präferiert. Die Praxiseinrichtung ist gesondert zu bewerten. In den Wirtschaftsprüfer-Handbüchern 1963 bis 1985 wurde noch die modifizierte Ertragswertmethode empfohlen, welche jedoch heute nicht mehr den Erfahrungen des praktischen Alltages entsprechen soll. Stellungnahmen oder Erläuterungen zur Praxisbewertung werden vom Berufsstand der Angehörigen des wirtschaftsprüfenden Berufes eher selten publiziert (vgl. Englert, "Die Bewertung von Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterpraxen, 1996, S. 55).



4.2 Die Ansichten der Bundessteuerberaterkammer

Die von der Bundessteuerberaterkammer herausgegebenen "Empfehlungen für die Ermittlung des Werts einer Steuerberaterpraxis" vom 14./15.1.90 (Loseblattwerk "Berufsrechtliches Handbuch der Bundessteuerberaterkammer, Ziffer 5.2.2, S. 1-11) sind ebenfalls für die Berufsangehörigen nicht bindend und stellen nur unverbindliche Arbeitshilfen dar. Vorgestellt wird zunächst das Umsatzwertverfahren (mit Modifikationen = weiteren wertbildenden Komponenten, jedoch ohne konkrete Angaben über die Höhe von Umsatzprozentsätzen. Diese sollen aus den Kaufpreisen vergleichbarer Praxen abzuleiten sein (vgl. Ziffer 5.2.2, S. 3). Ergänzend zum Umsatzwertverfahren empfiehlt die Bundessteuerberaterkammer zur Kontrolle der auf diesem Wege ermittelten Ergebnisse die Anwendung der modifizierten Ertragswertmethode, weil hier die tatsächliche Kostenstruktur der einzelnen Praxen berücksichtigt wird. Als Abzinsungssatz sieht die Kammer den für die Bereitstellung des erforderlichen Fremdkapitals durch den Erwerber zu entrichtenden Zinssatz vor (Ziffer 5.2.2, S. 4). Der so genannte kalkulatorische Unternehmerlohn wird jedoch nicht weiter konkretisiert.



4.3 Die Ansichten der Bundesrechtsanwaltkammer

Auch die von der Bundesrechtsanwaltkammer definierten Bewertungsrichtlinien stellen keine verpflichtenden Berufsleitsätze dar, sondern sollen zwecks einheitlicher Beurteilung der Angemessenheit des Goodwill bei Praxenübernahmen bzw. Gutachten (z.B. für den Zugewinnausgleich in Scheidungsfällen) von den Berufsangehörigen zitiert werden können (BRAK-Mitteilungen 1992, S. 24-28). Als besonders geeignet wird das Umsatzwertverfahren angesehen, wobei von dem durchschnittlichen gewichteten Umsatz der letzten drei Jahre (ohne Umsatzsteuer) auszugehen ist. Der Umsatz des letzten Jahres vor dem Bewertungsstichtag soll allerdings doppelt gewichtet werden!



In die Durchschnittswertermittlung sind nur Honorarerlöse einzubeziehen, mit deren Wiederholung gerechnet werden darf. Der danach ermittelte durchschnittliche Umsatz ist mit einem von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Faktor zwischen 0,5 und 1 (vgl. auch die Tabelle in KP 02, 37, die einen deutlichen Rückgang der Faktoren erkennen lässt) zu multiplizieren (BRAK-Mitteilungen, S. 26). Von dem nunmehr ermittelten Wert ist noch ein fiktiv ermittelter kalkulatorischer Anwaltslohn eines Jahres zu subtrahieren. Zur Feststellung dieses kalkulatorischen Anwaltslohns wird vergleichsweise die Richterbesoldung (Stufe R 1, R 2 bzw. R 3 zuzüglich Ortszuschlag) herangezogen, erhöht um 40 Prozent als Ausgleich für die Altersversorgung und die Beihilfen. Die Erhöhung soll den Aufwendungen entsprechen, die der freiberuflich tätige Rechtsanwalt als Vorsorge für Krankheit, Invalidität und Altersversorgung tätigen muss. Der hiernach verbleibende Wert ist der eigentliche ideelle (innere) Wert, der in Kombination mit dem Substanzwert den Kanzleiwert ausmacht. Sind die zu berücksichtigenden Umsätze nicht höher als die vergleichbare Richterbesoldung, hat die Rechtsanwaltspraxis keinen Goodwill zu verzeichnen.



4.4 Die Ansichten der Bundesärztekammer

Die von der Bundesärztekammer veröffentlichte Richtlinie (1987, B 671 ? B 673; zitiert bei Englert, a.a.O., S. 62) betreffend die Bewertung einer Praxis weist Parallelen zur Richtlinie der Bundesrechtsanwaltkammer auf. Nach Ansicht der Bundesärztekammer soll ein Drittel (entspricht einem Multiplikator von 0,33) des durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten drei Kalenderjahre für die Goodwillermittlung zu berücksichtigen sein. Von dem für die Praxis ermittelten Jahresumsatz wird allerdings noch ein kalkulatorischer Arztlohn für den Praxisinhaber abgesetzt, der sich an dem Jahresgehalt eines Oberarztes nach 1b BAT (Brutto), verheiratet, zwei Kinder und Erreichen der Endstufe (ohne Mehrarbeitsvergütung) orientiert. Es gilt folgendes Berechnungsschema:



Durchschnitt der Umsätze der letzten drei Jahre

./. kalkulatorischer Arztlohn (= Jahresgehalt eines Oberarztes)

= Bemessungsgrundlage x 0,33

= Goodwill der Praxis.



Es werden gemessen an den nachfolgenden Umsatzgrößen (ca. 25.000 EUR/50.000 EUR/100.000 EUR/150.000 EUR) jeweils die nachfolgenden Prozentsätze des zu Grunde gelegten Oberarztgehaltes abgezogen (25/50/75/100). Zusammen mit dem materiellen Wert ergibt sich der Praxiswert.



5. Kritische Anmerkungen

In der Betriebswirtschaftslehre wird die Anwendung von Multiplikatoren zur Unternehmensbewertung (Umsatzwertverfahren) überwiegend abgelehnt, da der Multiplikator in der Regel nicht auf der Grundlage einer umfassenden Analyse von Referenzunternehmen oder -transaktionen ermittelt wurde. Es handelt sich dabei vielmehr um eine allgemein akzeptierte "Faustregel", die lediglich als Kontroll- und Vergleichsgröße bzw. als Verhandlungseinstiegswert dienlich sein kann (vgl. Barthel, DB 96, 161). Dem Verfahren haftet der Verdacht der Willkür bei der Bestimmung der Erfahrungssätze an. Insbesondere Ballwieser ("Unternehmensbewertung mit Hilfe von Multiplikatoren", 1991, S. 46 ff.) hat bereits zu Anfang der Neunziger Jahre konstatiert, dass die Multiplikatormethode und die Ertragswertmethode nur dann zum gleichen Ergebnis kommen, wenn



  • die Bezugsgröße, auf die der Multiplikator angewandt wird, mit dem Einkommensstrom der Ertragswertmethode übereinstimmt,
  • von einem Rentenmodell ausgegangen wird und
  • der Multiplikator (z.B. 5) dem Abzinsungsfaktor (z.B. 20) der Ertragswertmethode entspricht.


5.1 Unterschiedliche Basis und Bezugsgrößen

Die Ertragswertmethode berücksichtigt bei der Zukunftserfolgswertermittlung einen Einkommensstrom als Nettogröße (Ertrag = Umsatz minus Kosten), während bei der Umsatzwertmethode mit dem Umsatz ausschließlich eine Bruttogröße und damit eine unterschiedliche Basis zu Grunde gelegt wird.



Das Rentenmodell impliziert einen linearen Bezugsgrößenstrom über den gesamten Betrachtungszeitraum. Zeitraumbetrachtungen finden aber im Umsatzwertverfahren gerade keine Berücksichtigung.
Schließlich lässt sich auch der Multiplikator nicht ohne Weiteres in den Kapitalisierungszins der Ertragswertmethode überführen. Insofern lässt sich eine Fundierung der Höhe eines Multiplikators nur mit dem Hinweis auf Marktgegebenheiten rechtfertigen; logisch lässt sich das Umsatzwertverfahren nicht in die Ertragswertmethode integrieren (vgl. Englert, BB 97, 146).



5.2 Akzeptanz der Marktteilnehmer entscheidend

Auch wenn die direkte Ableitung der Ertragswertmethode aus der Investitionstheorie als entscheidender Vorteil angesehen wird, wird sich in der alltäglichen Praxis der Preis aus Angebot und Nachfrage bilden. Aus den Kaufpreissammlungen lassen sich insbesondere für den bezahlten Goodwill feste Relationen bezogen auf den Umsatz ableiten, die von der überwiegenden Anzahl der Marktteilnehmer akzeptiert werden. Ferner lassen sich unter den Aspekten Praktikabilität, Zeitdruck, Informationsdefizite und hoher Kosten der Informationsbeschaffung vereinfachende Annahmen im Rahmen der Wertermittlung rechtfertigen. Denn Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität geht vor Exaktheit der Methode.



5.3 Erfahrungssätze in bestimmten Branchen konstant geblieben

Im Übrigen sind "market multiples" bzw. Erfahrungssätze nicht als Umkehrwert des Kapitalisierungszinsfußes aufzufassen, da das Umsatzwertverfahren nur den Goodwill konkretisieren will und gerade nicht den Gesamtwert des Unternehmens. Es sollen nach Barthel (DStR 96, 1460) auch keine Abhängigkeiten bestehen zwischen der Höhe des Erfahrungssatzes einerseits und Zinsen bzw. Gewinnen andererseits. Erfahrungssätze können sich in einzelnen Branchen sehr unterschiedlich entwickeln:



  • Nachgewiesenermaßen sind Erfahrungssätze in bestimmten Freiberuflerpraxen (z.B. Steuerberaterpraxen) über die Jahre relativ konstant geblieben, während sich die Zinslandschaft zeitweise erheblich verändert hat.

  • Bei den Rechtsanwaltspraxen stiegen in den Jahren nach der Wiedervereinigung zwar die Gewinne, die Multiplikatoren sanken jedoch auf Grund der publizierten Marktsättigungsprognosen in den jungen Bundesländern.


5.4 Stärken und Schwächen des Umsatzwertverfahrens

Barthel (DStR 96, 1464) prognostiziert, dass auf Grund der Mängel der ertragswertbasierten Bewertungsverfahren ? insbesondere dem Komplexitäts- und dem unlösbaren Prognoseproblem ? das Umsatzwertverfahren in der Ex-ante Betrachtung noch größere Verbreitung genießen wird, nicht zuletzt wegen der vergleichsweise leicht nachprüfbaren Bemessungsgrundlage "Umsatz".



Dagegen kritisiert Englert (in Peemöller, "Praxishandbuch der Unternehmensbewertung", 2001, S. 495) die fehlende Bezugnahme der Umsatzwertmethode auf die Kos-tenstruktur der einzelnen Praxis. Wie statistisch nachweisbar, unterliegt die Kostenzusammensetzung erheblichen Schwankungen und lässt deshalb eine lineare Relation Umsatz zum Gewinn nicht zu. Wird jedoch die Kostenstruktur einer Praxis im Rahmen einer Bewertung ausgeblendet und die Goodwillermittlung ausschließlich am Umsatz festgemacht, bleibt der Goodwill unverändert gleich, obwohl sich in Folge von Kostenstrukturänderungen auch die Einkommenssituation des Praxisinhabers (merklich) verändert hat. Konsequenz der fehlenden Kostenstrukturanalyse ist das Risiko einer fehlerhaften Bewertung. Englert deutet auf ? einzelne ? Literaturmeinungen hin, die den Praxisgewinn zur Goodwillermittlung heranziehen möchten.
Deutlich weist Breidenbach (DStR 91, 50) darauf hin, das der Umsatz lediglich als eine Bezugsgröße zu interpretieren ist, auf die sich der Goodwill als Prozentsatz bezieht. Unterschiede im Umsatz werden sich über den Prozentsatz wieder ausgleichen. Der Umsatz kann demnach unverändert gelassen werden und Veränderungen in der Zusammensetzung und Höhe der Praxiskostenarten durch eine Kontrollrechnung nach der modifizierten Ertragswertmethode berücksichtigt werden.



6. Abschließende Betrachtung

Für die Bewertung von gewerblichen Unternehmen dürften sich nach Veröffentlichung des IdW-Standards S 1 die reinen Ertragswertverfahren endgültig durchgesetzt haben. Dies gilt jedoch m.E. noch lange nicht bei der Bewertung personenbezogener Unternehmen; insbesondere freiberuflicher Praxen. Hier dominieren nach wie vor das Umsatzwertverfahren bzw. die modifizierte Ertragswertmethode. Auch die Standesvertretungen und Fachorganisationen fokussieren sich in ihren Verlautbarungen und Richtlinien nur auf die genannten branchentypischen Wertfindungsmethoden. Herausgestellt wird dabei die einfache Handhabung und das überschaubare Verlangen nach Informationsdaten. Damit ist deren Praktikabilität gewährleistet. Kritische Äußerungen ? insbesondere von Vertretern der Betriebswirtschaftslehre ? die Verstöße gegen die allgemeinen Bewertungsgrundsätze in Bezug auf die Subjekt-, die Erfolgs- und die Zukunftsbezogenheit der Wertermittlung anmahnen ? werden (noch) negiert.



Die Rechtsprechung zu dieser Thematik verfolgt keine klare Linie: Der BGH (25.11.98, NJW 99, 784) neigt dazu, die klassische Ertragswertmethode auf die Bewertung von Freiberuflerpraxen nicht anzuwenden und verweist auf die Standesrichtlinien. Ein Verfahren, nach dem der zukünftige Nutzen festgestellt und dieser dann kapitalisiert werde, wurde von dem Sachverständigen ? und somit auch mittelbar durch das Gericht ? abgelehnt. "Ein solches Verfahren ... sei ungeeignet, da es wegen der Berücksichtigung der subjektiven Elemente nicht zu einem objektiven Verkehrswert führe" (NJW 99, 787). Das Gericht sah keine Veranlassung, den Verkehrswert des Praxisanteils nach einer anderen Methode bestimmen zu lassen.



Nach meiner Auffassung sind in den letzten 25 Jahren sämtliche Argumente sowohl von der Praktikerseite, als auch von (betriebswirtschaftlichen) Vertretern der (Investitions-) Theorie ausgetauscht worden. Wesentliche neuere Erkenntnisse sind nicht mehr zu erwarten. Entscheidende Veränderungsimpulse können m.E. nur von den Berufsverbänden ausgehen. Diese sollten es als ihre originäre Aufgabe ansehen, ihren Kammerangehörigen weitere Bewertungsalternativen im Hinblick auf die zeitgemäße Praxisbewertung an die Hand zu geben. Zumindest die kritische Auseinandersetzung mit den Ertragswertverfahren dürfte in den Bewertungsausschüssen der einzelnen Berufskammern mittlerweile "angelaufen" sein.



Hinweis der Redaktion: Um vor allem den aktuellen (Umbruch-)Tendenzen in der Unternehmensbewertung Rechnung zu tragen, wird der Verfasser in einem Folgebeitrag das Discounted-Cash-Flow-Verfahren anhand der Bewertung einer Steuerberaterpraxis darstellen. Er wird dabei einen wesentlichen Mangel der branchentypischen Bewertungsverfahren ? nämlich die Nichtbeachtung des Zukunftserfolges entsprechend der Relevanz der zukünftigen Erfolgsaussichten im Rahmen von Ertragswertbetrachtungen ? herausstellen. Mit diesem gesamten Instrumentarium dürfte Ihnen zukünftig der Einstieg in die Kaufpreisfindung bei Freiberuflerpraxen sehr viel einfacher gelingen.



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