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05.03.2009 · IWW-Abrufnummer 090802

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 29.05.2008 – 11 K 69/06

Keine verfassungskonforme Auslegung von § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG zur Vermeidung einer doppelten steuerlichen Erfassung des Vermögenszuwachses beim Erben sowohl bei der Erbschaft- als auch bei der Einkommensteuer.


NIEDERSÄCHSISCHES FINANZGERICHT

URTEIL

vom 29.05.2008

Az.: 11 K 69/06

Tatbestand

Streitig ist die Höhe eines Aufgabegewinns bei Einkünften aus Gewerbebetrieb.

Die Kläger werden als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Kläger ist Alleinerbe seines am 31. Januar 2003 verstorbenen Vaters H. Zu dem Nachlass gehörte u.a. das mit Wohnungen, Lager und Garagen bebaute Grundstück __ in O mit einer Gesamtfläche von 2.045 qm.

Für Zwecke der Erbschaftsteuer ermittelte der Beklagte (das Finanzamt - FA) für das bewertungsrechtlich dem Grundvermögen zuzuordnende gemischtgenutzte Grundstück einen Grundbesitzwert (Bedarfswert) in Höhe von 241.500 EUR:

Wohnungen 166.354 EUR
Lager 48.774 EUR
Garagen 26.662 EUR
Grundbesitzwert 241.500 EUR

Der steuerpflichtige Erwerb betrug 58.400 EUR. Bei einem Steuersatz von 11 % wurde Erbschaftsteuer in Höhe von 6.424 EUR erhoben. Der Erbschaftsteuerbescheid ist bestandskräftig.

Ertragsteuerlich befanden sich Lager und Garagen sowie ein entsprechender Anteil des Grund und Bodens (753 qm) bei H im Betriebsvermögen seines ruhenden Gewerbebetriebes.

Der Kläger überführte diese Wirtschaftsgüter in sein Privatvermögen und ermittelte einen Aufgabegewinn zum 31. Dezember 2003 in Höhe von 73.300 EUR wie folgt:

Gebäudewert Lager 8.298,51 EUR
Gebäudewert Garagen 2.700,00 EUR
10.998,51 EUR
10 % Abschlag (Bewertungsunsicherheit) ./. 1.099,85 EUR
Buchwert ./. 0,00
Stille Reserven Gebäude 9.898,66 EUR
753 qm x 97 EUR (Bodenrichtwert 1.1.1996) 73.041,00 EUR
Buchwert ./. 9.638,40 EUR
Stillen Reserven GruBo 63.402,60 EUR
Aufgabegewinn (gerundet) 73.300,00 EUR

Der Beklagte ermittelte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung einen Bodenrichtwert zum 1. Januar 2004 in Höhe von 115 EUR je qm und erhöhte den Aufgabegewinn entsprechend auf 86.855 EUR. Die für den Veranlagungszeitraum 2003 festgesetzte Einkommensteuer betrug - unter Berücksichtigung des Freibetrages nach § 16 Abs. 4 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sowie von § 34 Abs. 1 EStG - 5.990 EUR.

Hiergegen richtet sich nach Erfolglosigkeit des Einspruchs die Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, er sei durch die Belastung des Aufgabegewinns mit Einkommensteuer in seinen Rechten verletzt, soweit der Wertzuwachs bereits im Rahmen der Erbschaftsteuer der Besteuerung unterworfen worden sei. Hierin liege ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot einer widerspruchsfreien Steuerrechtsordnung. Die Erbschaftsteuer als Erbanfall- und Bereicherungssteuer habe den Charakter einer Einkommensteuer im weiteren Sinn. Das Verhältnis der Einkommensteuer zur Erbschaftsteuer sei vom Grundsatz der alternativen Erfassung eines Vermögenszuflusses geprägt. Die Zielrichtung der Erbschaftsteuer sei auf die Erfassung der Bereicherung ohne wirtschaftliche Betätigung (unentgeltliche Vermögensmehrungen) gerichtet, die der Einkommensteuer auf den aktiv erworbenen Vermögenszuwachs (entgeltliche Leistungsfähigkeitssteigerungen). Demzufolge schlössen sie sich gegenseitig aus.

Entscheide sich der Steuergesetzgeber, einen Vermögenszuwachs beim Empfänger bereits im Rahmen der Erbschaftsteuer zu besteuern, dürfe er diesen Vermögenszuwachs zu einem späteren Zeitpunkt - bei der Aufdeckung der stillen Reserven - nicht nochmals im Rahmen der Einkommensteuer besteuern. Ein zweifacher Steuerzugriff auf denselben steuerlichen Sachverhalt sei nicht hinzunehmen.

Da es sich bewertungsrechtlich nicht um ein Betriebsgrundstück handele, könne erbschaftsteuerlich zudem nicht von der Vergünstigung des § 13a Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) profitiert werden. Bei der Betriebsaufgabe komme es infolge der vom Bewertungsrecht abweichenden Zugehörigkeit des Grundstücks zum Betriebsvermögen nun zu einer doppelten Steuerbelastung. Der Vermögenszuwachs beim Erben sei bereits beim Erbanfall versteuert und werde im gleichen Jahr ebenfalls beim Erben der Einkommensteuer unterworfen.

Um diese Lücke zu schließen und systematische Widersprüche auszuräumen, sei § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG über seinen Wortlaut hinaus verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der bei der Wertermittlung nach § 146 Bewertungsgesetz (BewG) ermittelte und der Erbschaftsteuer unterworfene Wert als Wert des Anteils am Betriebsvermögen anzusetzen sei. Danach ergebe sich folgende Berechnung:

Entnahmewert lt. ESt-Bescheid 86.855,00 EUR
Ansatz bei der Bedarfsbewertung (Lager) ./. 48.774,00 EUR
Ansatz bei der Bedarfsbewertung (Garage) ./. 26.662,00 EUR
Aufgabegewinn 11.419,00 EUR

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 9. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2006 zu ändern und die Einkommensteuer derart herabzusetzen, wie sie sich bei Berücksichtigung von Einkünften aus Gewerbebetrieb von insgesamt 16.250,00 EUR (11.419,00 EUR Aufgabegewinn, 4.831,00 EUR laufende Einkünfte) ergibt.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, die eintretende Belastung von Grundstücksteilen mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies sei bereits im System begründet, da beide Steuerarten unterschiedliche Besteuerungstatbestände beträfen. Eine Belastung des „passiven Erwerbs“ von Vermögenswerten mit Erbschaftsteuer beim erbrechtlich Bereicherten einerseits und die Einkommensbesteuerung der bereits in der Person des Erblassers latent erwachsenen gewerblichen Einkünfte andererseits sei nicht systemwidrig.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 9. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2006 ist rechtmäßig und die Kläger sind hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt.

Der Beklagte hat den Gewinn aus der Aufgabe des geerbten ruhenden Gewerbebetriebs zum 31. Dezember 2003 zutreffend mit 86.855 EUR angesetzt und hiervon noch den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG in Höhe von 51.200 EUR abgezogen.

Der Kläger hatte den Betrieb seines Vaters Ende Januar 2003 im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch Erbfall, also unentgeltlich, erworben, § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG wurden die stillen Reserven im Zeitpunkt des Vermögensübergangs bei H nicht aufgedeckt, sondern gingen auf den Kläger als Rechtsnachfolger über. Dieser war nach § 6 Abs. 3 Satz 3 EStG damit an die Buchwerte von H gebunden.

Da der Kläger sich zum 31. Dezember 2003 für die Aufgabe dieses Gewerbebetriebs entschied und die im Betriebsvermögen vorhandenen Wirtschaftsgüter (Garagen, Lager, anteiliger Grund und Boden) in sein Privatvermögen überführte, erzielte er zu diesem Zeitpunkt in Gestalt des Aufgabegewinns Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 16 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.

Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 7 EStG sind die in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter für die Ermittlung des Aufgabegewinns mit dem gemeinen Wert im Aufgabezeitpunkt anzusetzen. Über den diesbezüglichen Wertansatz von 96.493 EUR besteht zwischen den Parteien auch Einigkeit.

Von diesem Wert hat der Beklagte entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG zutreffend die Buchwerte von 9.638 EUR abgezogen und den Aufgabegewinn damit den gesetzlichen Vorschriften entsprechend ermittelt.

Der Senat ist nicht der Ansicht, § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG sei über seinen Wortlaut hinaus dahingehend auszulegen, dass anstelle der Buchwerte der entsprechende Anteil des erbschaftsteuerlichen Bedarfswertes bei der Ermittlung des Aufgabegewinns zu berücksichtigen sei. Die im vorliegenden Fall vorhandene Doppelbelastung des unentgeltlich erworbenen Gewerbebetriebes zunächst mit Erbschaftsteuer und sodann im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe mit Einkommensteuer rechtfertigt die begehrte Abweichung von der bestehenden Gesetzeslage nicht.

Der Bundesfinanzhof (BFH), dem sich der erkennende Senat in dieser Frage anschließt, hat wiederholt zu der Frage des Nebeneinanders von Erbschaft- und Einkommensteuer Stellung genommen und jeweils entschieden, dass diese wegen ihrer unterschiedlichen Besteuerungsgegenstände grundsätzlich kumulativ nebeneinander erhoben werden können (z.B. BFH-Urteile vom 9. August 1983 VIII R 35/80, BStBl II 1984, 27; vom 9. September 1988 III R 191/84, BStBl II 1989, 9; vom 7. Dezember 1990 X R 72/89, BStBl II 1991, 350; BFH-Beschluss vom 5. August 1992 II B 170/91, BFH/NV 1993, 371). Eine mögliche Doppelbelastung ist damit bereits im derzeit herrschende System beider Steuer begründet (Wendt in Herrman/Heuer/Raupach, EStG, § 35 a.F. Anm. 6): Beide Steuern verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen und knüpfen demzufolge an unterschiedliche Tatbestandsmerkmale an.

In bestimmten Konstellationen, zu denen auch der vorliegende Sachverhalt zählt, kann es dazu kommen, dass Vermögensgegenstände, die latent mit Einkommensteuer belastet sind, ausnahmsweise zunächst der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer unterliegen und später auch der Einkommensteuer: Infolge spezieller ertragsteuerlicher Regelungen - wie bspw. vorliegend § 6 Abs. 3 EStG - werden von dem Erblasser erwirtschaftete und bei diesem noch nicht besteuerte Einkünfte zum einen ggf. später beim Erben erfasst. Durch das erbschaftsteuerrechtliche strenge Stichtagsprinzip wird die - auf diesen „übergehenden Einkünften“ lastende - latente Einkommensteuer im Rahmen der Erbschaft- oder Schenkungsteuer zum anderen nicht berücksichtigt (z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. August 2006 II B 144/05, BFH/NV 2006, 2261; vom 6. Dezember 1989 II B 70/89, BFH/NV 1990, 643, jeweils m.w.N.).

Bis zum 31. Dezember 1998 wurde die Doppelbelastung von Erbschaft- und Einkommensteuer im Rahmen der Einkommensbesteuerung des Erben abgemildert - zuletzt durch § 35 EStG a.F., der im Ergebnis bewirkte, dass die auf die latente Einkommensteuer entfallende Erbschaftsteuer angerechnet und damit rückgängig gemacht wurde. Eine Aufhebung dieser Billigkeitsvorschrift hielt der Gesetzgeber aus Vereinfachungsgründen für vertretbar (siehe zur Verfassungsfähigkeit der Aufhebung des § 35 EStG a.F. Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 26. April 2005 13 K 1460/02, juris, sowie Wendt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 35 a.F. Anm. 6). Das grundsätzliche Problem einer möglichen Doppelbelastung von Erbschaft- und Einkommensteuer war dem Gesetzgeber in der Vergangenheit mithin durchaus bewusst.

Die mögliche und nach Aufhebung von § 35 EStG nunmehr ungemilderte Doppelbelastung ist jedoch nicht zwingend verfassungsrechtlich unzulässig, da - unter Zugrundelegung der Rechtsprechung - Erbschaft- und Einkommensteuer unterschiedliche wirtschaftliche Vorgänge erfassen und es somit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung entspricht, auch in der Person des Erben anfallendes, aber vom Erblasser wirtschaftlich geschaffenes Einkommen mit beiden Steuern zu belasten (Wendt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 35 a.F. Anm.6 und 12). Insoweit teilt der Senat die Auffassung des Hessischen Finanzgerichts (a.a.O.).

Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall zunächst nicht infolge der von der ertragsteuerlichen Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen abweichenden bewertungsrechtlichen Qualifizierung nach § 99 Abs. 2 Satz 2 BewG und der damit bedingten Nichtgewährung der erbschaftsteuerlichen Betriebsvermögensprivilegien des § 13a ErbStG. Hierbei handelt es sich um ein erbschaftsteuerliches Problem, das nicht durch verfassungskonforme Auslegung von ertragsteuerlichen Vorschriften wieder glattgezogen werden kann. Diese abweichende Einordnung zum Betriebsvermögen ist letztlich auch nicht Ursache für die grundsätzlich mögliche Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer. Eine solche kann nämlich bspw. auch bei Übergang von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens, bei denen eine Anwendung des § 13a ErbStG von vornherein ausscheidet, auftreten: So z.B. im Falle der unentgeltlichen Übertragung einer privaten Immobilie mit anschließender nach § 23 EStG steuerpflichtiger Veräußerung durch den Erwerber.

Der erkennende Senat stimmt zudem mit der Auffassung des Beklagten überein, nach der die von dem Gesetzgeber erkannte und hingenommene Doppelbelastung noch dem diesem durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zugebilligten weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG-Beschluss vom 8. Januar 1999 1 BvL 14/98, BStBl II 1999, 152) unterfällt, so dass ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht vorliegt. In dieser Entscheidung hat das BVerfG auch hervorgehoben, es gebe keinen Verfassungsrechtssatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt werden müssen, also etwa keine Lücken entstehen dürfen bzw. eine mehrfache Belastung vermieden werden müsse.

Die Kläger werden im vorliegenden Fall letztlich auch nicht übermäßig belastet. Bei den konkreten Verhältnissen ist ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht erkennbar. Unter Berücksichtigung der Entlastung durch Freibeträge liegt die auf die geerbten Grundstücksteile entfallende Erbschaftsteuer - wirtschaftlich betrachtet - bei ca. 2,4 v.H., während die ertragsteuerliche Belastung der aufgedeckten stillen Reserven unter 6,9 v.H. beträgt.

Ob sich an dieser Sichtweise durch die bevorstehende Neuregelung des Erbschaftsteuerrechts, insbesondere der Bewertungsvorschriften, künftig etwas ändert (vgl. zu der neu entfachten Diskussion bspw. Rave/Mannweiler/Kühnold, BB 2008, 753; Röder, ZEV 2008, 169; Crezelius, BB-Special 10/2007), kann hier dahin stehen, da allein das geltende Recht zu beurteilen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

RechtsgebietEStG

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