Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

15.01.2009 · IWW-Abrufnummer 090144

Landgericht Mannheim: Urteil vom 21.12.2006 – 25 Qs 14/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Geschäftsnummer:25 Qs 14/06
Landgericht Mannheim

25. Große Strafkammer

Beschluss

vom 21. Dezember 2006

Beschwerdesache des XXX

wegen Verd. d. Steuerhinterziehung

Auf die mit Verteidigerschriftsatz des Rechtsanwalts Dr. L. vorgebrachte Beschwerde des Beschuldigten M. (Markus) G. vom 20. Oktober 2006 wird der Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 18. April 2006 (Az.: 42 Gs 797/06), mit welchem der dingliche Arrest in das Vermögen des Beschuldigten bis zu einer Höhe von 17.727.031,90 € angeordnet wurde, aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit ausscheidbaren notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft hat im Rahmen eines gegen den Beschwerdeführer gerichteten Ermittlungsverfahrens (Az.: 605 Js 27849/04) wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommen- und Körperschaftsteuer einen dinglichen Arrest zur Sicherung der Ansprüche des Steuerfiskus erwirkt, den das Amtsgericht Mannheim mit dem angefochtenen Beschluss in Höhe von 17.727.031,90 € erlassen hat.
Dieser Arrestbetrag setzt sich aus den folgenden Tatkomplexen zusammen, die allesamt Gegenstand der noch andauernden Ermittlungen sind:

- Einkommensteuer M. G. 1999 - 2003: 5.016.014,00 €
- Körperschaftsteuer I. AG 1997 - 2003: 11.501.168,00 €
- Körperschaftsteuer Sparen & Gewinnen BV
sowie S.A.V.P.C SARL 2001: 428.446,19 €
- Körperschaftssteuer Sparen & Gewinnen BV
2002,
SVD SRL 2002 und 2003
EMO Ltd. 2002 - 2004
VH France S.A.S.U. 2002 und 2003 781.403,71 €

Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung des dinglichen Arrestes in vollem Umfang und trägt vor, dass es an dem für die Anordnung des dinglichen Arrestes erforderlichen Sicherungsbedürfnis fehle.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat beantragt, die Beschwerde zurück zu weisen.

Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Mannheim war vollumfänglich aufzuheben:

Bezüglich des Tatkomplexes „Körperschaftssteuer I. AG 1997 - 2003“, der den Hauptanteil des o.g. Arrestbetrages ausmacht, hat die Strafkammer bereits mit Beschluss vom 29.09.2006 (25 Qs 12/06) den wegen des gleich lautenden Sachverhaltes gegen die I. AG angeordneten dinglichen Arrest aufgehoben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen. Die zur I. AG gemachten Ausführungen vom 29.09.2006 gelten insoweit auch für den Beschwerdeführer M. G. persönlich, dem eine Körperschaftssteuerhinterziehung zugunsten der in der Schweiz ansässigen I. AG in den strafbefangenen Jahren 1997 bis 2003 nach dem derzeitigem Stand der Ermittlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden kann. Nach wie vor ist der Umfang der Geschäftsführungstätigkeit der weiteren Verantwortlichen in der Schweiz nicht ausreichend genug aufgeklärt, um eine geschäftliche Oberleitung der I. AG im Inland mit der erforderlichen Sicherheit eines dringenden Tatverdachts nachweisen zu können.

Nachdem der angefochtene Arrestbeschluss gegen M. G. vom 18.04.2006 nunmehr über sechs Monate Bestand hat, hat die Strafkammer dem gesetzlichen Grundsatz des § 111b Abs.3 StPO entsprochen und die Maßnahme insoweit aufgehoben.

Die Frage des dringenden Tatverdachts hinsichtlich der übrigen Tatkomplexe „Einkommensteuerhinterziehung 1999 - 2003“ und „Körperschaftsteuerhinterziehung zugunsten verschiedener Auslandsgesellschaften“ kann nach Einschätzung der Strafkammer letztlich offen bleiben, da es jedenfalls an dem für den Erlass des dinglichen Arrestes erforderlichen Sicherungsbedürfnis fehlt:
Gemäß § 111d Abs.1 StPO ist die Anordnung eines dinglichen Arrestes zur Sicherung von Verfall, Einziehung von Wertersatz oder voraussichtlicher Geldstrafen und Verfahrenskosten zulässig. Einen dinglichen Arrest zur Sicherung der Rückgewinnansprüche eines Verletzten sieht der Wortlaut des § 111d StPO zunächst nicht vor. Die mit dem angefochtenen Arrestbeschluss des Amtsgerichts Mannheim gesicherten Ansprüche sind jedoch unzweifelhaft solche der Rückgewinnhilfe zugunsten des Steuerfiskus:

Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur vertritt die Auffassung, der Steuerfiskus könne Verletzter i.S.v. § 73 Abs.1 Satz 2 StGB sein (vgl. LG Aachen NJW 1978,385; LG Berlin wistra 1990, 157; Tröndle/Fischer 53. Aufl., Rn. 13 zu § 73 StGB). Im Wesentlichen wird darauf abgestellt, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 73 Abs.1 Satz 2 StGB der Begriff „Verletzter“ nicht auf Privatpersonen beschränkt sei. In diesem Sinne hat auch der Bundesgerichtshof (Beschluss v. 28.11.2000, abgedruckt in NJW 2001, 693 ff.) ausgeführt, dass Verletzter i.S.v. § 73 Abs.1 Satz 2 StGB derjenige sei, dessen Individualinteressen durch das Strafgesetz - auch durch die Straftatbestände der §§ 370 ff. AO - geschützt werden sollen. Geschützt durch die Steuerstraftatbestände ist jedoch allein der Steuerfiskus. Der Bundesgerichtshof hat demnach in der genannten Entscheidung zu § 73 Abs.1 Satz 2 StGB anerkannt, dass die Vorschrift auch öffentlich-rechtliche Ansprüche wie die hier vorliegenden Steueransprüche erfasse.

Die Strafkammer schließt sich der herrschenden Meinung an, dass der Steuerfiskus, der von dem durch den Verfall begünstigten Justizfiskus zu unterscheiden ist, Verletzter i.S.v. § 73 Abs.1 Satz 2 StGB sein kann und strafprozessuale Rückgewinnhilfe grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen darf.

Problematisch ist nach Ansicht der Strafkammer hingegen im vorliegenden Fall die Sicherung dieses Anspruchs durch einen dinglichen Arrest.

Die Sicherung des Anspruchs des „Verletzten“ auf Rückgewinnhilfe hat der Gesetzgeber ausdrücklich in § 111b Abs.5 StPO geregelt und hierfür die Möglichkeit einer Beschlagnahme vorgesehen.

Danach kann die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme von Gegenständen erwirken, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass diese dem Verfall oder der Einziehung unterliegen - oder eben gerade deshalb nicht unterliegen, weil gemäß § 73 Abs.1 Satz 2 StGB vorrangige Ansprüche Verletzter auf Rückgewinnhilfe zu beachten sind.

Der Gesetzgeber hat es unterlassen, eine dem § 111b Abs.5 StPO entsprechende Regelung auch für den dinglichen Arrest aufzunehmen und hat die Frage, ob zur Sicherung eines reinen Rückgewinnhilfe-Anspruchs - wie im vorliegenden Fall - auch ein dinglicher Arrest i.S.v. § 111d StPO angeordnet werden darf, offen gelassen. Die höchstrichterliche Entscheidung, ob es sich dabei um eine bewusste Regelungslücke handelt, oder ob insoweit eine analoge Anwendung des § 111 b Abs. 5 StPO zulässig und im Einzelfall geboten ist, steht noch aus.
Die Strafkammer hat sich mit dieser Frage wie folgt auseinander gesetzt:

Nach Ansicht des LG Berlin (Beschluss vom 26.02.1990, NStZ 1991, 437) darf der dingliche Arrest auch zur Sicherung des Anspruchs des verletzten Steuerfiskus angeordnet werden, wenn und solange ein Sicherungsbedürfnis besteht. Das Sicherungsbedürfnis entfällt nach Ansicht des LG Berlin (aaO) jedoch, wenn das für die Nachforderung der hinterzogenen Steuern zuständige Finanzamt gemäß § 324 AO vorgegangen ist.

Demnach wäre nach Rechtsansicht des LG Berlin ein dinglicher Arrest immer dann nachrangig (evtl. sogar unzulässig?), wenn die Finanzverwaltung von der Möglichkeit, einen dinglichen Arrest gemäß § 324 AO zu erlassen, Gebrauch gemacht hat. Die zitierte Entscheidung des LG Berlin kann jedoch nicht - erst recht nicht im Hinblick auf den hier vorliegenden Sachverhalt - verallgemeinert werden: Das LG Berlin verkennt nämlich, dass aufgrund der besonderen Fallkonstellation des dort zugrunde liegenden Sachverhalts (es war ein aus 1000-DM-Scheinen bestehender Bargeldbetrag beschlagnahmt worden) weniger ein dinglicher Arrest gemäß § 111d StPO als eine Beschlagnahme gemäß § 111b Abs.5 StPO auszusprechen war.

Das LG Hamburg hat in seiner Entscheidung (NStZ-RR 2004, 215 ff.) vom 13.04.2004 die Anordnung eines dinglichen Arrestes zum Zwecke der Rückgewinnhilfe zugunsten des Steuerfiskus grundsätzlich für zulässig erachtet und auch ausdrücklich ein Rechtsschutzbedürfnis bejaht, obwohl dem geschädigten Steuerfiskus die Möglichkeit nach § 324 AO vorzugehen, eröffnet war. Im Ergebnis hat jedoch auch das LG Hamburg der Vorinstanz, die den Erlass eines dinglichen Arrestes abgelehnt hatte, recht gegeben und das Vorliegen eines Arrestgrundes i.S.v. § 111d Abs.2 StPO, 917 ZPO verneint.

In der Fachliteratur hat sich jüngst Kunz (BB 2006, 1198 ff.) vermittelnd geäußert. Danach dürfe dem Sicherstellungsbedürfnis der Finanzbehörden kein zwangsläufiger Vorrang vor dem Eigentumsrecht des Beschuldigten eingeräumt werden. Vielmehr müsse die Arrestanordnung (Anm.: gemeint ist die strafprozessuale Arrestanordnung) den Vorrang des Sicherstellungsbedürfnisses ausdrücklich begründen.

Webel befasst sich mit der Kernfrage „Rückgewinnungshilfe in Steuerstrafverfahren - unzulässig oder unverzichtbar und zwingend?“ (wistra 2004, 249 ff.) und kommt zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeit des strafprozessualen Arrestes neben der nach § 324 AO bestünde, ein Sicherungsbedürfnis i.S.v. §§ 111 b, 111 d StPO hingegen nur dann bestehe, wenn das zuständige Finanzamt zunächst einen dinglichen Arrest nach § 324 AO erlassen hatte, diesen aber in der Folge auf einen Einspruch gegen die Arrestanordnung hin wieder aufheben musste. In einer solchen Situation sei der Anspruch des geschädigten Steuerfiskus erneut nicht gesichert, so dass das Sicherstellungsbedürfnis für einen strafprozessualen Arrest von neuem gegeben sei.

Die Auseinandersetzung von Rechtsprechung und Literatur mit dem Verhältnis des strafprozessualen dinglichen Arrestes zu seinem Pendant in der Abgabenordnung ist demnach vielfältig und kommt zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen.
Grundsätzlich gilt - und darüber besteht kein Meinungsstreit -: Die Anordnung eines dinglichen Arrestes steht im Ermessen der zuständigen Behörde, wie auch die Beschlagnahmeanordnung. Sie muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen (vgl. OLG Köln NStZ 2004, 571; OLG Thüringen StV 2005, 90).
Die Strafkammer ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall bei der Ausübung dieses Ermessens vor allem zwei Gesichtspunkte ins Gewicht fallen:

Zum einen handelt es sich, wie bereits zuvor dargestellt, vorliegend nicht um den gesetzlichen Regelfall der Sicherung einer Geldforderung zum Zwecke des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz bzw. wegen einer Geldstrafe oder voraussichtli-cher Verfahrenskosten, sondern um den vom Gesetzgeber nicht geregelten Fall der Sicherung einer Geldforderung zum alleinigen Zweck der Rückgewinnhilfe.
Zum anderen begehrt diese Sicherung vorliegend ein Gläubiger - nämlich der Steuerfiskus -, der zwar von der überwiegenden Meinung als „Verletzter“ i.S.v. § 73 Abs.1 Satz 2 StPO anerkannt wird, der jedoch (im Gegensatz zu sonstigen „Verletzten“) über ausreichend eigene gesetzliche Instrumentarien verfügt, um sich die gewünschte Sicherung selbst zu verschaffen. Die Vorschrift des § 324 AO sieht vor, dass die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde zur Sicherung von Geldforderungen den Arrest in das Vermögen des Steuerschuldners anordnen kann, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Gemäß § 324 Abs.1 Satz 2 AO ist die Anordnung des Arrestes auch dann schon möglich, wenn die Forderung noch nicht zahlenmäßig feststeht.

Nach alledem ist die Strafkammer der Auffassung, dass vorliegend kein Sicherungsbedürfnis besteht, das so gewichtig wäre, dass die Anordnung eines dinglichen Arrests von über 17 Millionen € in das Vermögen des Beschwerdeführers verhältnismäßig wäre. Wenngleich es Fallkonstellationen geben mag, in denen auch der Steuerfiskus auf eine Sicherung der zu erwartenden Rückgewinnhilfe über § 111d StPO angewiesen ist, scheint dies im vorliegenden Fall nicht angezeigt.
Entgegen der o.g. Entscheidung des LG Hamburg hält die Strafkammer es für geboten, dass der Steuerfiskus, der einen dinglichen Arrest zu Sicherung seiner Forderung begehrt, dieses Ziel mit den ihm zustehenden eigenen Mitteln des § 324 ff. AO vorrangig zu erreichen versucht. Die in der Praxis inzwischen immer häufiger anzutreffende analoge Anwendung des § 111b Abs.5 StPO auf die Vorschriften über den dinglichen Arrest - und damit die Ausdehnung seines Anwendungsbereiches auf die reine Rückgewinnhilfe - ist nach Auffassung der Strafkammer wie jede Analogie restriktiv zu handhaben:

Jedenfalls für den Steuerfiskus, dem die Abgabenordnung ausdrücklich die Möglichkeit eines selbständig zu erwirkenden dinglichen Arrestes einräumt, scheint der Anwendungsbereich für diese Analogie gen Null zu tendieren.

Die Strafkammer findet ihre o.g. Auffassung bestätigt in der Kommentierung von Meyer/Goßner (49. Aufl., Rn.4 zu § 111d StPO):

Dort heißt es zur Frage, ob die Anordnung eines dinglichen Arrestes zum Zwecke der reinen Rückgewinnhilfe möglich sei: „In der Regel wird jedoch der Staat nach einhelliger Auffassung keinen Anlass zur Sicherung der Ansprüche des Verletzten haben. Steht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 Abs.1 Satz 2 StGB fest, sollte daher nach h.M. von der Anordnung nach § 111d StPO abgesehen werden (KK-Nack Rn 18 zu § 111 b StPO)“.

Diese dort ganz allgemein gehaltene Einschätzung gilt nach Auffassung der Strafkammer umso mehr, als vorliegend der Steuerfiskus als „Verletzter“ Forderungen aus Einkommen- und Körperschaftsteuer erhebt, deren Sicherung er sich auf ande-rem Wege verschaffen könnte.

Nach alledem war der Beschwerde in vollem Umfang statt zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs.2, 467, 473 StPO.

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr