03.12.2008 · IWW-Abrufnummer 083778
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 06.06.2008 – 5 K 24/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FINANZGERICHT HAMBURG
Aktz: 5 K 24/07
06.06.2008
Urteil
Tatbestand
Die Kläger begehren die Berücksichtigung von Operationskosten für die Klägerin als außergewöhnliche Belastungen.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die ... geborene Klägerin ließ sich am ... 2005 in einer Operation durch einen Facharzt für plastische Chirurgie eine Fettschürze mit Gewebeerschlaffung und -überdehnung nach zwei Schwangerschaften - die Kinder waren ... und ... geboren - entfernen. Die körperlichen Beeinträchtigungen führten nach Darstellung der Klägerin für sie zu einer belastenden seelisch-psychischen Lebenssituation, aufgrund derer ihr Hausarzt - Facharzt für Allgemeinmedizin - am 15.11.2006 die Operation als medizinisch notwendig beurteilte. Auf das ärztliche Attest vom 15.11.2006 wird Bezug genommen.
In der am 31.07.2006 eingereichten Einkommensteuererklärung 2005 erklärten die Kläger außergewöhnliche Belastungen in H öhe von 8.998 €. Hiervon entfallen 6.400 € auf die Operation; dieser Betrag wurde für das ärztliche Honorar, die Benutzung des Operationssaals und die Verwendung von Material, für die stationäre medizinische Nachbehandlung, für die postoperative Betreuung und für ein Kompressionsmieder gezahlt. 758,10 € zahlte die Klägerin an die Fachärzte für Anästhesie (Gesamtsumme: 7.208,10 €). Eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse erfolgte insoweit nicht.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 26.10.2006 die Einkommensteuer auf 20.260 € fest. Dabei berücksichtigte er einen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 90.995 €; er erkannte außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes - EStG - aber lediglich in Höhe von 1.665 € - vor Berücksichtigung der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG - an, ohne die Aufwendungen für die Operation der Fettschürze berücksichtigt zu haben. In den Erläuterungen führte der Beklagte aus, dass die Aufwendungen für die plastische Chirurgie aufgrund fehlender Zwangsläufigkeit nicht berücksichtigt werden könnten.
Mit Schreiben vom 21.11.2006, eingegangen am darauf folgenden Tag, legten die Kläger Einspruch ein und fügten das ärztliche Attest vom 15.11.2006 bei. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.01.2007 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen haben die Kläger am 22.02.2007 Klage erhoben.
Die Kläger tragen vor:
Bei dem ärztlichen Attest vom 15.11.2006 handele es sich nicht um eine Bescheinigung aus "reiner Gefälligkeit"; dieses widerspräche dem Berufsrecht der Ärzte. Auch wenn heute eine Begutachtung nicht mehr möglich sei, gelinge es ihnen dennoch, die Notwendigkeit der Maßnahme zu beweisen. Es seien zur Gerichtsakte gereichte Fotos vor und nach dem Eingriff aufgenommen worden, die anschaulich belegten, dass eine Operation unumgänglich gewesen sei. Die einzige Alternative hätte in der Akzeptanz des Status Quo bestanden. Gerade dies sei ihr, der Klägerin, nicht möglich gewesen, da der seelische Druck angewachsen und letztlich unerträglich geworden sei. Für sie habe es keine Alternative zur Operation gegeben.
Sie, die Kläger, hätten nicht wissen können, dass es notwendig sei, vor dem Eingriff eine amtsärztliche Untersuchung zu beantragen. Zwar sei allgemein bekannt, dass ein solches Attest zum Beispiel vor Antritt einer Kur einzuholen sei. Im vorliegenden Fall jedoch hätten sie keine Zweifel daran gehabt, dass sie die Kosten für die Heilbehandlung selbst zu tragen hätten und diese nicht von dem Sozialversicherungsträger übernommen werden könnten. Der Irrtum über die Notwendigkeit einer amtsärztlichen Bescheinigung sei entschuldbar.
Die Oberfinanzdirektionen hätten klargestellt, dass für die mittels Lasertechnik durchgeführten Augenoperationen ein vorher erstelltes amtsärztliches Attest zur Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht notwendig sei, da in diesen Fällen immer eine Krankheit vorliege. Im Streitfall sei zu bedenken, dass es sich nicht um eine selbstverschuldete Fettleibigkeit handelte, diese vielmehr durch einen medizinischen Vorgang ausgelöst worden sei. Übergewichtigkeit ziehe auch schwere Folgeerkrankungen an Herz und Gelenken nach sich.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Bescheid über Einkommensteuer und über Solidaritätszuschlag für 2005 vom 26.10.2006 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.01.2007 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer um 1.856 € und der Solidaritätszuschlag um 101,86 € niedriger festgesetzt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung ergänzend vor:
Für Operationen, die nicht aus medizinischen, sondern aus ästhetischen Gründen und aus Gründen des seelischen Wohlbefindens des Betroffenen durchgeführt würden, könne nicht angenommen werden, dass sie aus tatsächlichen Gründen unumgänglich seien. Gerade in diesen Fällen seien besonders strenge Anforderungen an den Nachweis einer medizinischen Notwendigkeit zu stellen. Aufwendungen im Bereich der Schönheitschirurgie seien deshalb nicht als außergewöhnliche abziehbar, wenn der Steuerpflichtige vor Beginn der Maßnahmen kein amtsärztliches Attest eingeholt habe, aus dem sich die medizinische Indikation zweifelsfrei ergebe. Es sei der Klägerin auch zuzumuten gewesen, fachlichen Rat für die Frage einzuholen, unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen f ür derartige Operationen steuerlich berücksichtigungsfähig seien. Auch genüge das ausgestellte Attest des Hausarztes auch inhaltlich nicht den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen, da es keine Informationen über vorhergehende Behandlungszeiten bzw. über nicht Erfolg versprechende Behandlungsmethoden enthalte; bereits aus diesem Grunde sei es ungeeignet, die Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen festzustellen.
Am 06.06.2008 hat ein Erörterungstermin stattgefunden; auf die Niederschrift über diesen Termin wird Bezug genommen. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin gemäß § 79a Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO - einverstanden erklärt.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten Band I und die Rechtsbehelfsakten, jeweils zur Steuernummer .../.../..., vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Berichterstatterin entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO an Stelle des Senats und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
I.
Die Klage ist unzulässig, soweit die Kläger die Herabsetzung des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer 2005 beantragen.
Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer 2005 ist eine Folgebescheidsfestsetzung zur Einkommensteuer (Grundlagenbescheid). Gemäß § 351 Abs. 2 AO können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheides angegriffen werden. In Konsequenz dessen ist eine Klage wegen der Festsetzung des Solidaritätszuschlags unzulässig, wenn und soweit sich der Steuerpflichtige mit seinem Begehren allein gegen die Besteuerungsgrundlagen des Steuerbescheides (hier: Einkommensteuer) wendet. Die Kläger haben keine Ausführungen gemacht, die sich eigenständig gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags 2005 wenden.
II.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber nicht begründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2005 vom 26.10.2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.01.2007 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat zu Recht die geltend gemachten Operationskosten nicht gemäß § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung anerkannt.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 29.09.1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).
2. Aufwendungen für Maßnahmen zur Behandlung von Krankheiten können als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden (§ 33 EStG). Die Voraussetzungen des § 33 EStG liegen indes im Streitfall nicht vor. Die Kläger haben den Nachweis, dass es sich bei der Operation der Fettschürze um eine Maßnahme zur Behandlung einer Krankheit handelte, nicht erbracht; es liegen Aufwendungen der Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 EStG vor, die vom Abzug ausgeschlossen sind.
a) Im Streitfall handelt es sich um einen operativen Eingriff, der seiner Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dient, sondern auch auf ästhetischen bzw. kosmetischen Beweggründen beruhen kann. Da die medizinische Erforderlichkeit solcher Maßnahmen schwer zu beurteilen ist, ist grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung zweifelsfrei ergibt, erforderlich (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Urteile vom 14.02.1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, vom 01.02.2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543).
aa) Ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten vor Durchführung der Operation einzuholen, hat die Klägerin versäumt. Das hausärztliche Attest, das mehr als ein Jahr nach Durchführung der Operation ausgestellt und von der Klägerin vorgelegt wurde, reicht für den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit der durchgeführten Maßnahme nicht aus.
Aufwendungen für ärztliche Maßnahmen, bei denen nicht eindeutig feststeht, ob sie zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich sind und die auch zu nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnten, hat der BFH seit jeher nur als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, wenn durch ein amtsärztliches Gutachten vor der Behandlung die medizinische Indikation nachgewiesen war. Durch die Einschaltung eines Amts- oder Vertrauensarztes - oder eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers wie einer Beihilfestelle oder einer gesetzlichen Krankenkasse - sollen Gefälligkeitsgutachten vermieden werden, die z. B. zu befürchten sind, weil auch Maßnahmen der Lebensführung die physische und psychische Gesundheit bessern können und ein langjährig behandelnder Arzt deshalb im Interesse seines Patienten die therapeutische Zwangsläufigkeit weniger streng beurteilen könnte (BFH Urteil vom 15.03.2007 III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841).
bb) Nur ausnahmsweise reicht ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Gutachten dann als Nachweis aus, wenn das Erfordernis einer vorherigen amtlichen Begutachtung für bestimmte Aufwendungen erstmals höchstrichterlich aufgestellt worden war und vom Steuerpflichtigen deshalb nicht erwartet werden konnte, dass er dieses Erfordernis kennt (vgl. BFH Urteil vom 21.04.2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, Beschluss vom 24.11.2006 III B 57/06, BFH/NV 2007, 438). Für die Fälle aber, in denen - wie im Streitfall - die medizinische Erforderlichkeit von Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können, zu beurteilen ist, verlangt der BFH seit seiner Entscheidung vom 14.02.1980 VI R 218/77 (BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295) grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten (vgl. BFH Beschluss vom 24.11.2006 III B 57/06, BFH/NV 2007, 438).
b) Der Klägerin war es auch zuzumuten, zur Beurteilung des Erfordernisses einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung rechtzeitig vor Durchführung der Operation eine fachliche Beratung in Anspruch zu nehmen (vgl. BFH Urteil vom 14.08.1997 III R 67/96, BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732).
Bei Operationen, die - wie im Streitfall - häufig nur aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, ist es dem Steuerpflichtigen zuzumuten, fachlichen Rat einzuholen, unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen für derartige Operationen steuerlich berücksichtigt werden. Schließlich zeigt die Zunahme der in den vergangenen Jahren durchgeführten Schönheitsoperationen, dass ein hoher Prozentsatz dieser Art durchgeführter Operationen medizinisch nicht indiziert ist, sondern kosmetische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Es ist deshalb gerade im Bereich der Schönheitsoperationen erforderlich, dass ein medizinisches Gutachten vor der Durchführung der Operation erstellt wird. Denn nur so kann sicher beurteilt werden, ob eine Maßnahme medizinisch erforderlich ist.
c) Schließlich ist der Streitfall auch nicht vergleichbar mit dem Urteil des BFH vom 15.03.2007 III R 28/06 (a. a. O.) zu Grunde liegenden Sachverhalt. Denn die Klägerin kann gerade nicht - objektive, apparatemedizinische - Untersuchungen eines Arztes vor der durchgeführten Operation vorweisen, die die Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit der Operation auch nachträglich noch zuverlässig darlegen würden. Eine psychotherapeutische Behandlung vor der durchgeführten Operation, die zu Aufzeichnungen eines von ihr aufgesuchten Facharztes oder Psychologen geführt hätte, hat sie nicht in Anspruch genommen. Auch die von ihr im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegten Fotos aus der Zeit vor und nach der Operation vermögen das Erfordernis der Vorlage objektiver, voroperativer Untersuchungsergebnisse durch einen Facharzt nicht zu ersetzen. Unabhängig von der Erkennbarkeit der Entfernung der Fettschürze nebst adipösen Ansätzen kann auf der Grundlage dieser Fotos nicht beurteilt werden, ob die physische Beschaffenheit der Klägerin vor der Operation zu psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert geführt hat. Eben hierfür wäre die Einholung eines amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens vor der Operation erforderlich gewesen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 115 Abs. 2 FGO.