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03.12.2008 · IWW-Abrufnummer 083766

Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 18.08.2008 – 2 K 88/08

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT HAMBURG

Aktz: 2 K 88/08
18.08.2008

Urteil

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Widerruf einer Dauerfristverlängerung.

Der Kläger ist als Inhaber der Einzelfirma A mit der Produktion kleiner Serien von ... Bekleidung für ... Anbieter befasst. Diese lassen die Bekleidung nach vorgelegten Schnitten und zur Verfügung gestellten Stoffen durch den Kläger nähen.

Im Jahr 2005 erzielte der Kläger einen Umsatz von 142.399,28 € und einen Gewinn von 37.683,23 €, im Jahr 2006 einen Umsatz von 187.307,78 € und einen Gewinn von 75.876,51 €. Das vorläufige Ergebnis der betriebswirtschaftlichen Auswertung zum 31.12.2007 beläuft sich auf 80.529,16 €, das einer betriebswirtschaftlichen Auswertung zum 30.06.2008 auf 6.739,55 €.
Die Zahlung der Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2007 erfolgte in Teilbeträgen am 19.04., 10.05., 23.05. und 21.06. 2007 (letzte Zahlung von 2.488,82 €).
Nachdem der Kläger eine Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen in Anspruch genommen hatte, widerrief der Beklagte diese mit Bescheid vom 06.06.2007 mit der Begründung, das die Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2007 nicht oder nicht vollständig gezahlt worden sei.
Den hiergegen am 11.06.2007 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit am 28.02.2008 zur Post gegebener Einspruchsentscheidung vom selben Tag als unbegründet zurück.
Per 31.10.2007 bestanden Abgabenrückstände von insgesamt 29.938,64 € (Rechtsbehelfsakte - RbA - Bl. 8), per 06.02.2008 sofort vollstreckbare Steuerrückstände in Höhe von 23.487,92 € zzgl. Säumniszinsen von 1.310,50 € bzw. per 07.02.2008 Gesamtforderungen von 26.781,86 € (Rb Bl. 31, 32).
In der Zeit vom 06.06.2007 bis zum 14.07.2008 hat der Kläger Zahlungen in Höhe von insgesamt 54.602,94 € geleistet (Aufstellung Gerichtsakte- GA - Bl. 42).
Am 09.07.2008 hat der Kläger mit der Vollstreckungsstelle des Beklagten eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen, in der beginnend mit dem 10.08.2008 monatliche Teilzahlungen von 1.500 € auf die Steuerrückstände per 09.07.2008 in Höhe von 14.956,46 € zzgl. Säumniszuschläge in Höhe von 2.699,50 € vereinbart wurden.

Am 03.04.2008 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor:
Der Widerruf der Dauerfristverlängerung sei rechtswidrig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Gefährdung des Steueranspruchs im Sinne von § 46 Abs.1 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) sei der Erlass des Widerrufsbescheides vom 06.06.2007. Zu diesem Zeitpunkt seien auf die Umsatzsteuer für Februar 2007 bereits Teilbeträge geleistet worden. Allein aus der Tatsache noch rückständiger Beträge könne eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht hergeleitet werden, zumal der Kläger mit dem Beklagten wegen einer Ratenzahlungsvereinbarung im Kontakt gestanden habe und die Gewinnsituation des Unternehmens des Klägers allenfalls Zahlungsstockungen, nicht aber die Gefahr eines Steuerausfalls erwarten ließe. Zwar seien die Steuerschulden bis Februar 2008 weiter angewachsen. Dennoch leiste der Kläger im Rahmen des Möglichen. Er habe auch nach dem 16.07.2008 Beträge geleistet, nämlich u.a. 5.000 € am 26.07.2008 und 1.500 € am 07.08.2008. Die hohen Rückstände seien dadurch entstanden, dass die laufenden Vorauszahlungen nicht angepasst worden seien und der Kläger keine Rücklagen für die fälligen Steuerbeträge gebildet habe. Zudem erhalte der Kläger branchenspezifisch im Dezember/Januar weniger Aufträge; im Jahr 2007 habe das "Winterloch" bereits im Oktober eingesetzt und bis März angedauert. Die Einschätzung des Klägers, die Steuerrückstände schon zu einem früheren Zeitpunkt zu begleichen, habe sich nicht bestätigt, weil der Kläger zum einen ein von seiner Familie erwartetes Darlehen nicht erhalten habe und zum anderen sich die erwartete Umsatzentwicklung für das erste Halbjahr 2008 nicht erfüllt habe. Für das 2. Halbjahr zeige sich allerdings eine positive Auftragslage, wenn auch das gute Ergebnis des Jahres 2007 wohl nicht erreicht werde. Zudem werde nunmehr das Familiendarlehen in naher Zukunft in Höhe von 7.000 € fließen, so dass der Ratenzahlungszeitraum abgekürzt werde. Nach dem Widerruf der Dauerfristverlängerung sei es dem Kläger nicht gelungen, die Voranmeldungen in der nun geltenden regulären Frist einzureichen; der Beklagte habe Verspätungszuschläge festgesetzt, gegen die der Kläger regelmäßig Einspruch eingelegt habe. Bei zutreffendem Verständnis des Gesetzes könne zudem angesichts der als Sicherheit zur Verfügung stehenden Sondervorauszahlung von 1/11 der Vorauszahlungen des Vorjahres von einer Gefährdung im Sinne des § 46 S. 2 UStDV nur ausgegangen werden, wenn die Voranmeldungen trotz Dauerfristverlängerung wiederholt verspätet abgegeben worden seien; der Kläger habe seine Voranmeldungen indes pünktlich abgegeben. Darüber hinaus sei es auch naheliegend, das Gesetz in dem Sinne auszulegen, dass die Gefährdung des Steueranspruchs auf der Dauerfristverlängerung beruhen müsse. Schließlich zeige die Ratenzahlungsvereinbarung, dass der Beklagte selbst nicht von einer Gefährdung des Steueranspruchs ausgehe; anderenfalls hätte er nicht auf weitergehende Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid über den Widerruf der Dauerfristverlängerung vom 06.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:
Die wirtschaftliche Situation des Klägers habe sich seit Erlass der Einspruchsentscheidung noch verschlechtert. Per 06.05.2008 habe ein Steuerrückstand in Höhe von 30.219,99 zzgl. Säumniszuschläge von 2.113,50 € bestanden. Der Beklagte habe eine Gewerbeuntersagung beantragt. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich geschlossene Ratenzahlungsvereinbarung werde dieses Verfahren allerdings ruhen. Die Einkommen- und Gewerbesteuervorauszahlungen für das erste Quartal 2008 seien Ende Juni/Anfang Juli 2008 auf Null gesetzt worden worden. Im Wesentlichen hierdurch seien die Steuerrückstände zwischenzeitlich auf den sich aus der Ratenzahlungsvereinbarung ergebenden Betrag reduziert. Eine Abfrage bezogen auf den 28.02.2008 unter Berücksichtigung der angepassten Vorauszahlungen ergebe einen Rückstand von weiterhin 13.511 €. Per 15.07.2008 seien die Rückstände wieder auf 19.318.92 € angestiegen.
Dem Umstand, dass der Kläger seit nunmehr mehr als 9 Monaten nicht in der Lage sei, seine (Umsatzsteuer-) Zahlungen zu bewältigen, müsse Rechnung getragen werden.

Dem Gericht haben ein Band Rechtsbehelfsakten und jeweils Band I der Umsatzsteuer-, Einkommensteuer -und Bilanzakten zur Steuernummer des Klägers vorgelegen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Berichterstatterin entscheidet gem. §§ 79a Abs.3, 90 Abs.2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Widerruf der Dauerfristverlängerung ist im Ergebnis zu Recht erfolgt.
Gem. § 18 Abs.6 Umsatzsteuergesetz (UStG) i.V.m. § 46 Satz 1 UStDV hat das Finanzamt dem Unternehmer auf Antrag die Fristen für die Abgabe der Voranmeldungen und für die Entrichtung der Vorauszahlungen um einen Monat zu verlängern. Gem. § 46 Satz 2 UStDV hat das Finanzamt den Antrag abzulehnen oder eine bereits gewährte Fristverlängerung zu widerrufen, wenn der Steueranspruch gefährdet erscheint. Liegt diese Voraussetzung vor, so ist ein Ermessensspielraum für das Finanzamt nicht eröffnet (vgl. a. FG Baden-Württemberg Urteil vom 25.03.2002 9 K 513/98, EFG 2002, 1003; Stadie in: Rau/Dürrwächter UStG § 18 Lfg. Feb. 2006 Rn. 333).
Für die Prüfung ist auf den Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung (vgl. FG Baden-Württemberg Urteil vom 25.03.2002 a.a.O. Tz.23 bei juris), ggf. auch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren abzustellen (vgl. von Groll in: Gräber FGO 6. Aufl. § 100 Rn.7ff; Tipke in: Tipke/Kruse FGO § 100 Lfg. Aug. 2006 Tz. 6ff). Dabei ist einerseits die Entscheidungsbefugnis der Behörde zu beachten, andererseits aber zu vermeiden, dass eine Entscheidung getroffen wird, die alsbald wieder aufgrund neuer Umstände zu revidieren ist.

Die Entscheidung gem. § 46 Satz 2 UStDV setzt eine Prognoseentscheidung über die künftige Liquidität voraus, die naturgemäß auch die Entwicklung in der Vergangenheit zu berücksichtigen hat. Auch wenn man über den Wortlaut hinaus entsprechend der Stundungsregelung in § 222 Abgabenordnung - AO - ("durch die Stundung") verlangte, dass die Gefährdung auf der Dauerfristverlängerung beruht (vgl. in diesem Sinne Mößlang in: Sölch/Ringleb UStG § 18 Lfg. April 2006 Rn. 48), so bedeutete dies letztlich nichts anderes als dass für die Gefährdungsprognose auf den späteren hinausgeschobenen Fälligkeitszeitraum abzustellen ist (vgl. Rüsken in: Klein AO 9. aufl. § 2222 Rn. 42). Von einer Gefährdung kann ausgegangen werden, wenn der Unternehmer seine Umsatzsteuervoranmeldungen nicht oder nicht rechtzeitig abgibt oder angemeldete Vorauszahlungen nicht entrichtet. Die Gefährdung kann sich auch aus dem Umstand ergeben, dass der Unternehmer andere Steuern nicht rechtzeitig entrichtet oder das Finanzamt von Zahlungsschwierigkeiten erfährt (Stadie a.a.O. Rn. 339). Dabei sind jedenfalls nachhaltige, nicht nur vorübergehende Steuerrückstände beachtlich (Rotenberger in: Hartmann/Metzenmacher UStG § 18 Lfg 6/03 Rn. 46: regelmäßig bei Abgabenrückstand von 6 Monaten oder mehr; vgl. zu § 48b EStG Kirchhof Rn.6). Die im Zusammenhang mit der Dauerfristverlängerung zwingend zu leistende Sondervorauszahlung von 1/11 der Vorauszahlungen des Vorjahres führt zu keiner anderen Betrachtung. Sie mag von ihrer Wirkung hier eine Sicherheit für den Steuereingang darstellen (vgl. BTDrs. 8/1779 S. 45 und Rau a.a.O. Rn. 346), schließt die Annahme einer Gefährdung allein durch verspätete Vorauszahlungen oder andere Steuerzahlungen nicht aus. Zum einen ist sie anders als die in die Zukunft wirkende Dauerfristverlängerung betragsmäßig auf einen ungefähr einem Voranmeldungsbetrag entsprechenden Bruchteil beschränkt. Zum anderen ist ihre Verwertung gem. § 48 Abs.4 UStDV auf die Anrechnung für die letzte Vorauszahlung des Jahres beschränkt.

Für die Gefährdung spricht im Streitfall, dass der Kläger auch im Jahr 2007 ein gutes, gegenüber dem für 2008 erwarteten zudem besseres Jahresergebnis erzielt hat, ohne dass er die fälligen Steuerschulden hat begleichen können. Zwar sind die nicht unerheblichen Zahlungen des Klägers positiv zu bewerten. Auch ist die Reduzierung der bis zum 07.02.2008 fälligen sowie etwaiger zwischenzeitlich fällig gewordenen Steuern bis zum 09.07.2008 auf 14.956,46 € zzgl. Säumniszinsen bzw. zuvor bis zum 28.02.2008 auf 13.511 € zugunsten des Klägers zu würdigen. Die verbliebenen Steuerrückstände sind allerdings auch bei Betrachtung des Verhältnisses der rückständigen Beträge zu den von dem Kläger dargelegten (vorläufigen) Ergebnissen für 2007 und 2008 nicht als unerheblich oder geringfügig zu werten. Auch ist die Tatsache, dass der Kläger seinen guten Willen durch Kontaktaufnahme zur Vollstreckungsstelle und Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung zeigt, nicht geeignet, einer objektiven Gefährdung des Steueranspruchs durch zukünftig mangelnde Liquidität entgegenzuwirken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der von dem Kläger als maßgebliche Begründung für die Steuerrückstände u.a. angeführte Umstand des sog. Winterlochs kein einmaliger Umstand ist, dessen Wiederholung in Zukunft nicht zu erwarten ist. Insbesondere ist für den Aspekt der Nachhaltigkeit zu beachten, dass bezogen auf den Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung Steuerrückstände betr. Umsatz- und andere Steuern seit wenigstens 6 Monaten in erheblicher Höhe bestanden bzw. sich zu einem erheblichen Betrag aufsummiert haben und damit die Gefahr eines Steuerausfalls in dieser Höhe drohte. Dass es sich hierbei ggf. nicht während des gesamten Zeitraums um dieselben Steuerrückstände handelte, sondern die Art der rückständigen Steuern durch zwischenzeitliche Tilgung einerseits und Neuentstehung von Steuerschulden anderseits gewechselt hat, ist unbeachtlich.
Die damit zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung bestehende Gefährdung des Steueranspruchs ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt beseitigt worden, wie sich aus der Aufstellung der rückständigen Steuern in der Ratenzahlungsvereinbarung ergibt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgetragenen weiteren Zahlungen nach dem 16.07.2008, zumal diesen Zahlungen naturgemäß auch wieder fällig gewordene weitere Forderungen gegenüber stehen. Eine eine Gefährdung ausschließende Sicherheit, dass der Kläger die angebotenen Tilgungsbeträge aus eigener Kraft oder mit Hilfe familiärer Unterstützung wird leisten können, ist nicht ersichtlich.
Ob der Beklagte auf die Möglichkeit der Vollstreckung verwiesen werden kann, kann unentschieden bleiben. Zur Beurteilung etwaiger Vollstreckungsmöglichkeiten sieht sich das Gericht mangels hinreichender Anhaltspunkte - deren konkrete Darlegung dem Kläger oblegen hätte - nicht in der Lage.

II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs.1, 115 Abs.2 FGO.

RechtsgebietUStGVorschriften§ 18 Abs. 6 UStG, § 46 UStDV

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