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09.02.2009 · IWW-Abrufnummer 090485

Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 12.08.2008 – 2 K 2024/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Saarland

2 K 2024/03

Nachforderung von Lohnsteuer 1997-2000

In dem Rechtsstreit

...

hat der 2. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes in Saarbrücken

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts Dr. Peter Bilsdorfer als Vorsitzender,

die Richterinnen am Finanzgericht Hörndler und Dr. Anke Morsch,

die ehrenamtliche Richterin Beate Stahl sowie

den ehrenamtlichen Richter Gerhard Güth (Geschäftsführender Gesellschafter)

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag vom 12. November 2001 in Form der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2002 wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger streitet mit dem Beklagten um dessen Berechtigung zur Nachforderung von Lohnsteuern im Rahmen der Grenzgängerregelung nach dem deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA-Frankreich).

Der Kläger war in den Streitjahren 1999 bis 2002 bei der Firma X in Y, als Arbeitnehmer u.a. im Außendienst beschäftigt. Zum 1. Januar 1997 hatte er seinen Wohnsitz vom Inland (H) nach Frankreich (S) verlegt. Der Arbeitgeber hat ihn seitdem als Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich von der deutschen Lohnsteuer freigestellt.

Bei einer Lohnsteueraußenprüfung bei dem Arbeitgeber des Klägers im Jahre 2001 wurde an Hand der Dienstreisebelege des Klägers festgestellt, dass dieser in den Jahren 1997 bis 2000 Dienstreisen außerhalb des Grenzgebietes von mehr als 12 Stunden durchgeführt hatte. Nach den Berechnungen des Prüfers handelte sich 1997 um 67, 1998 um 72, 1999 um 67 und 2000 um 54 Tage. Die Abrechnungen betrafen überwiegend mehrtägige Dienstreisen. Samstage und Sonntage waren bei der Aufstellung des Prüfers nicht mitgerechnet worden. Auf die entsprechenden Aufzeichnungen und Kopien der Dienstreisebelege wird verwiesen (Bl. 16-121 LStAP).

Mit Bescheid vom 12. November 2001 forderte der Beklagte die Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 1997 bis 2000 i.H. von insgesamt 193.487,96 DM vom Kläger als Steuerschuldner nach (Bl. 5 LohnStA). Am 22. November 2001 legte der Kläger gegen den Nachforderungsbescheid Einspruch ein (Bl. 1 RbA I). Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2002 (Bl. 4) wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2003 hat der Kläger Klage erhoben (Bl. 1). Das Schreiben war an das "Finanzamt des Saarlandes, Hardenbergstraße 3, 66119 Saarbrücken" adressiert und ging am 20. Januar 2003 zuerst beim Finanzamt Saarbrücken Am Stadtgraben ein, wo es als "Irrläufer" erkannt und am selben Tag an das Ministerium für Finanzen in Saarbrücken weiter geleitet wurde. Nach Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am Nachmittag des 22. Januar 2003 erfolgte eine (erneute) Weiterleitung der Klageschrift an das Finanzgericht, wo sie am 22. Januar 2003 einging (Bl. 1).

Der Kläger beantragt,

den Nachforderungsbescheid vom 12. November 2001 in Form der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2002 aufzuheben.

Der Kläger macht hinsichtlich des verspäteten Klageeingangs beim Finanzgericht geltend, dieser beruhe auf einem entschuldbaren Büroversehen. Sein Prozessbevollmächtigter habe einer Angestellten im Anwaltsbüro die zutreffende Adresse diktiert. Dieser Angestellten sei dann bei Fertigung des Schriftsatzes der Fehler unterlaufe, statt "Finanzgericht des Saarlandes" "Finanzamt des Saarlandes" zu schreiben. Insoweit sei ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Bl. 19 ff.).

In der Sache selbst macht der Kläger geltend, der Beklagte habe die 45-Tage-Regelung unrichtig angewandt. Die Berechnung der schädlichen Tage durch das Finanzamt sei unzutreffend, weil eine Vielzahl unschädlicher Dienstreisen berücksichtigt worden sei. So sei übersehen worden, dass der Kläger bei einigen Dienstreisen am selben Tag noch nach Hause (Frankreich) zurückgekehrt sei. Zu berücksichtigen sei überdies, dass der Kläger auf den Dienstreisen mehrfach erkrankt gewesen sei. Insoweit handele es sich um "unschädliche" Tage im Sinne des DBA-Frankreich.

Die Richtigkeit der Berechnungen des Finanzamtes sei auch im Übrigen nicht nachvollziehbar. So sei generell zweifelhaft, ob Dienstreisen in Drittländer den schädlichen Tagen zuzurechnen seien (Bl. 64 f.).

Bei der Beantragung der Freistellung sei der Kläger auf die Rechtslage von keiner Seite aufmerksam gemacht worden. Die 45-Tage-Regelung bei Dienstreisen sei willkürlich und verstoße gegen das Grundgesetz und Europäisches Recht (Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot).

Die Inanspruchnahme per Lohnsteuernachforderungsbescheid sei rechtswidrig. Insoweit fehle es an einer Rechtsgrundlage.

Der Beklagte beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Arbeitgeber habe den Kläger zu Unrecht als Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich von der deutschen Lohnsteuer freigestellt. Denn der Kläger habe die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Regelung deshalb nicht erfüllt, weil er in sämtlichen Streitjahren mehr als 45 Arbeitstage im Jahr außerhalb der Grenzzone tätig geworden sei. Den diesbezüglichen Berechnungen des Klägers könne nicht gefolgt werden. Sie stünden im Widerspruch zu der Verständigungsvereinbarung vom 3. April 2006, die auf sämtliche noch offenen Fälle, und damit auch den des Klägers, anzuwenden sei. Schädlich seien danach insbesondere auch die Tage der Hinreise und der Rückreise im Zuge mehrtätiger Dienstreisen. Auch zweifelt der Beklagte die vom Kläger behaupteten Erkrankungen während der fernöstlichen Dienstreisen an.

Mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2008, dem Beklagten zugestellt am 19. Mai 2008 (Bl. 205) hat der Senat dem Klagebegehren entsprochen. Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2008, am selben Tag eingegangen, hat der Beklagte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beklagte verweist dabei darauf, dass im Falle des Klägers zwischen der deutschen und der französischen Finanzverwaltung am 1. September 2006 eine Verständigung zustande gekommen sei, der jedoch der Kläger seine Zustimmung verweigert habe. Im Übrigen hätten die deutschen und die französischen Finanzbehörden am 3. April 2006 in Ausführung von Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich eine Verständigungsvereinbarung getroffen, die auch die Gerichte binde. Der Beklagte äußert außerdem Zweifel an der Richtigkeit der vom Kläger vorgelegten (ausländischen) Atteste.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Verwaltungsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Dem Kläger ist hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren. Die Klage ist auch begründet. Der streitige Nachforderungsbescheid ist rechtswidrig, weil er dem Kläger zu Unrecht die Grenzgängereigenschaft abspricht.

1. Zulässigkeit

1.1. Rechtsgrundlagen

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nach § 56 Abs. 1 FGO gewährt werden, wenn die Versäumung der Frist unverschuldet war. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH darf ein Prozessvertreter gewisse minder bedeutsame Routineaufgaben einer als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen, wie z.B. die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen, die Eintragung in das Fristenkontrollbuch und die weitere Kontrolle der Fristen (BFH vom 9. Juli 1992 V R 62/91, BFH/NV 1993, 251, m.w.N.). Unterläuft der Bürokraft hierbei ein Versehen, braucht der Prozessvertreter dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten, wenn er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine Fristversäumnis auszuschließen, und wenn er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Befolgung seiner Anordnungen sorgt (vgl. BFH vom 11. Januar 1983 VII R 92/80, BStBl II 1983, 334).

Gibt ein Rechtsbehelfsführer die Behörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, fehlerhaft an, begründet dies nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte regelmäßig die Annahme subjektiv vorwerfbarer Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt (vgl. die Nachweise im Beschluss des BVerfG vom 2. September 2002, 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835). Andererseits besteht aber für die Behörden grundsätzlich die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Schreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Hat die unzuständige Behörde die Übermittlung schuldhaft verzögert oder überhaupt unterlassen, kommt im Falle willkürlichen, offenkundig nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (BVerfG vom 2. September 2002, 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835).

1.2. Anwendung im Streitfall

Im Streitfall ging die bereits am 15. Januar 2003 abgesandte Klageschrift am 20. Januar 2003 -und damit einen Tag vor Fristablauf- beim Finanzamt Saarbrücken-Am Stadtgraben ein. Dort hätte ohne Weiteres anhand des Charakters des Schriftsatzes ("Klageschrift") und auch der Adressangabe ("Hardenbergstraße 3") erkannt werden können, wohin das Schreiben tatsächlich gerichtet war. Insoweit war der Weg zum Ministerium der Finanzen zwar eine Möglichkeit, das offenkundig falsch adressierte Schreiben zurück auf den (behördeninternen) Postweg zu bringen. Es war jedoch sicherlich nicht die zutreffende. Es hätte vielmehr nahe gelegen, die Klageschrift bereits am 20. Januar 2003 an das Finanzgericht weiterzuleiten, wo sie dann auch noch rechtzeitig eingegangen wäre. Dies belegt der Umstand, dass die Klageschrift das Finanzgericht am 22. Januar 2003 erreichte, nachdem am Nachmittag dieses Tages der zuständige Beamte des Finanzministeriums die Weiterleitung dorthin initiierte.

Wäre dies bereits von dem Finanzamt Saarbrücken-Am Stadtgraben (am 20. Januar 2003) in gleichem Sinne betrieben worden, wäre die Klageschrift -trotz des Adressierungsfehlers- noch innerhalb der regulären Klagefrist beim Finanzgericht eingegangen.

Mithin war bereits aus diesem Grund die Fristversäumnis entschuldbar. Insoweit erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, inwieweit auch das Schreibversehen (isoliert) eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerechtfertigt hätte.

Insgesamt war jedenfalls von der Zulässigkeit der Klage auszugehen.

2. Rechtmäßigkeit des streitigen Nachforderungsbescheides

2.1. Rechtsgrundlagen

2.1.1. Einkünfte, die ein sog. Grenzgänger aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, können gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nur in dem anderen Vertragsstaat besteuert werden. Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich sind gemäß dessen Buchst. a Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates haben.

Die Grenzgängereigenschaft geht nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 1980, 88 (dort unter 2.), das auf einer Verständigungsvereinbarung mit der französischen Steuerverwaltung beruht, bei einem Arbeitnehmer, der -wie im Streitfall der Kläger- nicht während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist, nicht verloren, wenn er in dieser Zeit höchstens an 20 v.H. der gesamten Werk- bzw. Arbeitstage, jedoch in keinem Fall an mehr als 45 Tagen, nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist. Andernfalls steht das Besteuerungsrecht für die Arbeitseinkünfte dem Staat der Arbeitsausübung zu. Der BFH hat ebenso wie der Senat in Auslegung des Merkmals "in der Regel jeden Tag zurückkehren" (Art. Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich) die 45-Tage-Regelung als solche unbeanstandet übernommen (BFH vom 25. November 2002 I B 136/02, BStBl II 2005, 375; FG Saarland, Urteil vom 29. April 2004, 2 K 305/00, EFG 2004, 1060).

Zur Anwendung dieser Verständigungsregelung vertrat die Finanzverwaltung in Abstimmung mit der französischen Finanzverwaltung (Erlass des FinMin Saarland vom 11. Juni 1981, vgl. auch FinMin Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 8. Juli 1981, wiedergegeben in Handbuch des Außensteuerrechts 2002, S. 856) die Auffassung, zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone zählten auch solche, an denen ein Arbeitnehmer sich auf einer Dienstreise außerhalb der Grenzzone befinde. Halte er sich dort nicht während des ganzen Tages auf, so zählten solche Tage als Tage der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone, wenn der Arbeitgeber dem Grenzgänger hierfür ein volles Tagegeld gewähre. Dies gelte jedoch nicht, wenn sich die Dienstreise außerhalb der Grenzzone über Sonn- und Feiertage erstrecke. Auch wenn für diese Tage vom Arbeitgeber volles Tagegeld gezahlt werde, zählten sie nicht zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone.

2.1.2. Der BFH ist dieser Auffassung im Beschluss vom 25. November 2002 I B 136/02, BStBl II 2005, 375 entgegen getreten. Danach zählen zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone nur ganze Arbeitstage. Es kommt danach weder darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer außerhalb der Grenzzone tätig ist, noch ob und in welchem Umfang ihm der Arbeitgeber für eine Dienstreise außerhalb der Grenzzone ein Tagegeld gewährt. Der Senat hat sich dieser Auffassung angeschlossen (FG des Saarlandes, Urteil vom 29. April 2004 2 K 305/00, EFG 2004, 1060). Auf den Beschluss des BFH vom 25. November 2002 sowie auf das Urteil des Senats vom 29. April 2004 wird zur näheren Begründung Bezug genommen.

2.1.3. Die Finanzverwaltung, vertreten durch das Bundesfinanzministerium, hat im Anschluss an die Veröffentlichung des BFH-Beschlusses vom 25. November 2002 im BStBl II 2005, 375 mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzministerium am 16. Februar 2006 eine Verständigungsvereinbarung zur 183-Tage-Regelung (Artikel 13 Abs. 4) und zur Anwendung der Grenzgängerregelung (Artikel 13 Abs. 5) des DBA-Frankreich getroffen (vgl. BMF-Schreiben vom 3. April 2006, DStR 2006, 845; Bl. 155 f.). Als Arbeitstage gelten danach die vertraglich vereinbarten Arbeitstage (Kalendertage abzüglich der Tage, an denen der Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag nicht zu arbeiten verpflichtet ist, wie z.B. Urlaubstage, Wochenendtage, gesetzliche Feiertage) sowie alle weiteren Tage, an denen der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt. Daneben gelten auch Krankheitstage nicht als Tage der Nichtrückkehr. Bei mehrtägigen Dienstreisen gelten die Tage der Hinreise sowie der Rückreise stets zu den Nichtrückkehrtagen. Die Regelung soll nach dem Willen der Vertragsparteien auf alle noch nicht bestandskräftigen Fälle Anwendung finden.

2.1.4. Diese Auslegung von Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich in der Verständigungsvereinbarung vom 16. Februar 2006 bindet entgegen der Auffassung des Beklagten den Senat nicht. Der BFH hat sich zu Recht dahingehend geäußert, dass derartige Vereinbarungen -trotz ihrer möglichen völkerrechtlichen Bindung- das nach Art. 59 Abs. 2 GG zwingend vorgeschriebene Zustimmungsgesetz nicht ändern können und daher innerstaatlich gesehen unverbindlich seien (BFH vom 10. Juli 1996 I R 4/96, BStBl II 1997, 15; vom 1. Februar 1989 I R 74/86, BStBl II 1990, 4; s.a. Finanzgericht Köln vom 30. Januar 2008, 4 V 3366/07, EFG 2008, 593).

Diese fehlende Bindungswirkung wird auch durch Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich nicht beseitigt. Nach dieser Regelung haben sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Fällen, die in dem DBA nicht geregelt sind, sowie zur Beseitigung von Schwierigkeiten und Zweifeln, die bei der Anwendung des DBA auftreten, zu verständigen. Der Senat schließt sich diesbezüglich dem Finanzgericht Köln (Beschluss vom 30. Januar 2008, 4 V 3366/07, EFG 2008, 593) an. Danach berechtigt diese Klausel die Verwaltungsbehörden lediglich zur Auslegung und Lückenfüllung, nicht aber zu einer inhaltlich substantiellen Änderung. Und um eine solche handelt es sich, wenn eine Verständigungsvereinbarung einer innerstaatlichen Rechtsprechung entgegen wirken soll. Schon vor dem Hintergrund dieser Überlegung verbietet sich eine Bindung der Gerichte an Verständigungsvereinbarungen, mögen diese seitens der Verwaltung auch auf Regelungen wie die des Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich gestützt werden. Verträte man eine hiervon abweichende Auffassung, wäre als Konsequenz festzustellen, dass die Finanzgerichte, also die dritte Gewalt, an Akte der Verwaltung, also der zweiten Gewalt, gebunden wären. Dies würde dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und der Bindung der Rechtsprechung (lediglich) an "Gesetz und Recht" (nicht aber an Verwaltungsregelungen) widersprechen (Art. 20 Abs. 3 GG). Insoweit erübrigen sich aus der Sicht des Senats weitere Ausführungen auch zu der im Übrigen mangels Zustimmung des Klägers nicht wirksam gewordenen (individuellen) Verständigungsvereinbarung vom 1. September 2006.

Es kann deshalb desweiteren dahin gestellt bleiben, ob die rückwirkende Anwendung der Verständigungsvereinbarung -würde man ihre Bindungswirkung bejahen- nicht dieselben Zweifel aufwerfen würde, wie dies ein entsprechendes Gesetz tut (vgl. dazu den Vorlageschluss des BFH vom 19. April 2007 IV R 4/06, BStBl II 2008, 140).

2.2. Anwendung auf den Entscheidungsfall

Der Senat vermag sich der Auffassung des Klägers, wonach Reisen in Drittländer generell nicht zu "schädlichen" Tagen i.S. des DBA-Frankreich führen können, nicht anzuschließen. Im Allgemeinen muss ein Steuerpflichtiger, um als Grenzgänger zu gelten, im Grenzbereich eines Staates wohnen und im Grenzbereich des anderen Staates arbeiten. Insoweit wird es für unschädlich angesehen, wenn dieser Arbeitnehmer in eingeschränktem Umfang den Grenzbereich verlässt. Demzufolge kann es keine Rolle spielen, ob dieses (unschädliche) Verlassen des Grenzbereichs sich im Inland (also im Tätigkeitsstaat) vollzieht oder in einem Drittland. Andererseits würde etwa dann, wenn ein Arbeitnehmer in Frankreich wohnt, er bei einem inländischen Arbeitgeber (im Grenzbereich) angestellt ist, aber ständig -etwa auf ausländischen Baustellen- außerhalb der Grenzregion und außerhalb Deutschlands arbeitet, noch als Grenzgänger gelten, selbst wenn er während des gesamten Jahres unter diesen Umständen seiner Tätigkeit nachgeht. Insoweit verweist der Senat auf den Beschluss des BFH vom 10. Dezember 2001 I B 94/01, BFH/NV 2002, 479. Der Senat schließt sich diesbezüglich der Auffassung des Beklagten an, wonach auch in Drittländern verbrachte Arbeitstage dem Grunde nach zu den "schädlichen" Nichtrückkehrtagen im Sinne des DBA-Frankreich rechnen.

Dies führt indessen nicht dazu, sämtliche Reisetage des Klägers als "schädliche" Tage zu betrachten. Der Beklagte mag seine diesbezüglichen Berechnungen der "schädlichen" Tage (unter Einbeziehung der An- und Abreisetage) auf die ihn bindende Anweisung im BMF-Schreiben vom 3. April 2006 stützen. Diese Berechnung ist indessen nach den Ausführungen unter Tz. 2.1.4. dieser Entscheidung für den Senat nicht bindend. Vielmehr folgt der Senat bei der Entscheidung der unter Tz. 2.1.2. zitierten Rechtsprechung, wonach insbesondere bei der Feststellung der "schädlichen" Tage im Falle mehrtägiger Dienstreisen die Tage der An- und Abreise als Tage der Rückkehr (und damit als "nicht schädliche" Tage) gelten.

Im Streitfall hat der Beklagte überdies zu Unrecht die vom Kläger angegebenen Krankheitstage nicht als "unschädliche" Tage im Sinne des DBA-Frankreich gewertet (dazu BFH vom 16. März 1994 I B 186/93, BStBl II 1994, 696; FG Baden-Württemberg vom 1. April 2008 11 K 90/06, EFG 2008, 1181, 1185). Insoweit hat der Kläger zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass er tatsächlich an den betreffenden Reisetagen erkrankt war. Der Senat sieht keinen Anhalt dafür, an der Richtigkeit der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen zu zweifeln. Die vom Beklagten hiergegen im Verwaltungsverfahren erhobenen Einwände (fehlende Übersetzung) greifen spätestens seit dem Zeitpunkt nicht mehr, zu dem der Kläger entsprechende Übersetzungen vorgelegt hat (Bl. 81 ff.) und die Bescheinigung von drei unterschiedlichen Stellen stammen. Und auch der bloße Hinweis auf den ungewöhnlichen Vortrag, wonach der Kläger auf jeder der insgesamt 13 Fernost-Reisen erkrankt sei, reicht nicht aus, um die Überzeugung des Senats zu erschüttern. Gerade auf Fernost-Reisen besteht -nicht zuletzt aufgrund der meist anderen Ernährung- ein erhöhtes Gesundheitsrisiko (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/China/Sicherheitshinweise.html.t7). Ob der Kläger die Krankheitstage auch gegenüber seinem Arbeitgeber geltend gemacht hat, spielt für die steuerliche Betrachtung im Übrigen keine Rolle. Ohne weiteres nachvollziehbar ist angesichts der Position des Klägers, dass dieser seine Krankheitstage als solche nicht gegenüber dem Arbeitgeber in Ansatz gebracht hat, zumal die tatsächlichen Konsequenzen angesichts der Abwesenheit des Klägers im Fall der Krankmeldung und bei Nicht-Krankmeldung nicht differieren. Letztlich sind damit die Schlussfolgerungen des Beklagten aus diesem Umstand (arbeitsrechtlich nicht geltend gemachter Krankheitstag = Arbeitstag) jedenfalls nicht zwingend. Insoweit ist vielmehr nach Auffassung des Senats der diesbezüglichen Berechnung des Klägers zu folgen.

Dies gilt im Übrigen auch für die vom Kläger angesetzten Nicht-Arbeitstage wegen Taifun-Warnung. Insoweit ist für den Senat ohne Weiteres nachvollziehbar, dass an diesen Tagen eine Arbeit (gerade im Bereich von Schiffswerften) nicht möglich war. Sonst bedürfte es keiner solchen Warnung. Letztlich kann indessen die Berücksichtigung dieser "Taifun-Warnungs-Tage" dahinstehen, da selbst bei Nichtansatz dieser Tage (es geht lediglich im Streitjahr 1998 um vier Nicht-Arbeitstage) die Grenzgängereigenschaft des Klägers nicht in Frage stünde.

Insgesamt folgt damit der Senat den Berechnungen des Klägers (Bl. 76 ff.) und gelangt auf diese Weise in den jeweiligen Streitjahren zu einer Zahl "schädlicher" Tage, die unter dem "Grenzwert" von 45 liegt.

3. Dies führt in der Folge dazu, dass der Kläger in den Streitjahren 1997 bis 2000 als Grenzgänger anzusehen war. Demzufolge war der streitige Nachforderungsbescheid, der dem Kläger zu Unrecht die Grenzgängereigenschaft abspricht, aufzuheben.

Die Kosten des Verfahrens waren dem Beklagten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO zuzulassen. Der Senat misst der Frage, inwieweit die Regelung des Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich eine Bindung der Gerichte im Falle einer Verständigungsvereinbarung bewirkt, grundsätzliche Bedeutung bei (dazu auch Herrlinghausen, EFG 2008, 595).

RechtsgebietDBA FrankreichVorschriftenDBA Frankreich Art. 13 Abs. 5

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