14.05.2002 · IWW-Abrufnummer 020573
Landgericht Kiel: Urteil vom 09.01.2002 – 13 T 263/01
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Amtsgericht Kiel
Beschluss
In dem Rechtsstreit hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Kiel am 9. Januar 2002 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird das Amtsgericht angewiesen, von seinen Bedenken gegen den Erlass des Versäumnisurteils Abstand zu nehmen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte nach einem Wert von 384,00 Euro.
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 336 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache auch Erfolg. Zu Recht berufen sich die Kläger darauf, dass der Erlass des beantragten Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren nicht mit der Begründung abgelehnt werden kann ,vor Ablauf der zweimonatigen Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 n.F. BGB könne ein Versäumnisurteil auf Räumung nicht ergehen. Die Frage des Erlasses eines Versäumnisurteils vor Ablauf der sog. Schonfrist ist bereits zu § 554 Abs. 2 Nr. 2 a.F. BGB, der durch die neue Fassung des BGB zu § 569II Nr. 2 inhaltlich nur insoweit abgeändert worden ist, dass die Frist von einem auf zwei Monate erhöht wurde, unterschiedlich beantwortet worden. Unter Heranziehung sozialpolitischer Erwägungen wurde zum Teil die Auffassung vertreten, dass vor Erlass eines Versäumnisurteils auf Räumung der Ablauf der Schonfrist abzuwarten sei (vgl. Hans. OLG ZMR 1988, 225, 226; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. IV Rdn. 424; Soergel-Heintzmann 1997, § 554 a.F. Rdn. 24). Nach der Gegenmeinung, der sich die Kammer anschließt, ist das erkennende Gericht unter den Voraussetzungen des § 331 Abs. 3 ZPO verpflichtet, auch vor Ablauf der Schonfrist ein Versäumnisurteil zu erlassen (vgl. LG Kiel NJW 1971, 1222 f.; Staudinger-Emmerich 1995 § 554 a.F. Rdn. 82; MK-Voelsko, 3. Aufl., 1995, § 554 a.F. Rdn. 23; Schmidt-Futterer, 7. Aufl. Mietrecht 1999 § 554 a.F. Rdn. 85). Wie schon durch § 554 a.F. BGB wird auch jetzt dem Mieter nur eine Chance gewährt, die Mietschulden innerhalb der genannten Frist zu begleichen oder eine Übernahmeerklärung des Sozialamtes zu erreichen, nicht dagegen ein Anspruch auf Nutzung der Wohnung bis zum Ablauf einer Frist eingeräumt, die dadurch bestimmt wäre, dass vor Ablauf von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs ein Titel nicht erlassen und erst darauf folgend die Vollstreckung eingeleitet werden dürfte, obwohl weder Mietrückstände ausgeglichen wurden noch jedenfalls eine Übernahmeerklärung vorläge. Auch gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 n.F. BGB ist die ausgesprochene Kündigung gerade nicht schwebend unwirksam, sondern bis zur Begleichung der Mietschulden bzw. bis zur Übernahmeerklärung voll wirksam. Eine gesetzliche Grundlage, dem Kläger den Erlass eines auf Räumung gerichteten Versäumnisurteils zu versagen, besteht danach nicht. Wenn der Gesetzgeber aus sozialpolitischen Gründen hätte verhindern wollen, dass es vor Ablauf der Schonfrist aufgrund Versäumnisurteils zu einer Räumungsvollstreckung kommt, die in der Schonfrist angesichts deren Verlängerung auf zwei Monate im Einzelfall durchaus in Betracht kommen mag, wäre im Zuge der Änderung der Zivilprozessordnung zum 1. Januar 2001 eine gesetzliche Klarstellung erfolgt, was indes trotz der seit Jahren zu 554 Abs. 2 Nr. 2 a.F. BGB bestehenden Meinungsverschiedenheiten gerade nicht geschehen ist. Auch aus dem Kabinettsbeschluss vom 19. Juli 2000 zur Einführung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 n.F. BGB (abgedruckt in RIPS-Eisenschmid, Neues Mietrecht, S. 367 ff., 440) ergibt sich kein Hinweis darauf, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers aus der materiellrechtlichen (Neu- )Regelung zugleich eine prozessuale Sperrwirkung folge. Die Begründung des Kabinettsbeschlusses ergibt vielmehr klar, dass Sinn der Fristverlängerung war, die Möglichkeiten der Sozialhilfebehörden zu verbessern, zur Vermeidung von Obdachlosigkeit einzuschreiten. Es wird somit verstärkt Aufgabe der Behörden sein, auf Grund der ihnen gleichzeitig mit Eintritt der Rechtshängigkeit zugehenden Mitteilungen gemäß der Anordnung über Mitteilung in Zivilsachen zu prüfen, ob Zahlungen geleistet oder Übernahmeerklärungen abgegeben werden sollen, und die Mietschuldner zur dazu notwendigen Mitwirkung anzuhalten.
Der von der Gegenmeinung zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Rechtsgedanke des § 89 der Einleitung zum preußischen Allgemeinen Landrecht (vgl. Sternel a.a.O.) rechtfertigt nicht die Annahme, dass aus der Gewährung der Schonfrist auch eine prozessuale Sperrfrist folge. Die in Bezug genommene Bestimmung besagt, dass demjenigen, dem die Gesetze ein Recht geben, diese auch ein Mittel bewilligen, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann. Dieser Grundsatz wäre auch nach der hier vertretenen Auffassung indes nicht verletzt. Denn Inhalt des § 569 II Nr. 2 BGB ist nur, dass die Voraussetzungen des Kündigungsrechts und damit des Räumungsanspruchs nachträglich entfallen können. Grundsätzlich besteht der Räumungsanspruch zunächst uneingeschränkt und nicht etwa aufschiebend bedingt. I.ü. stehen dem beklagten Mieter hinreichend effektive prozessuale Möglichkeiten zur Verfügung, eine Räumung vor Ablauf der Schonfrist zu verhindern und den Sozialhilfestellen eine Ausschöpfung der Frist zu ermöglichen, wenn die Voraussetzungen des § 569 II Nr. 2 BGB vorliegen bzw. eintreten. So ergeht ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren nicht, wenn der beklagte Mieter rechtzeitig seine Verteidigungsbereitschaft gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO anzeigt, was ihm vor den - insoweit zuständigen - Amtsgerichten auch ohne Beauftragung eines Anwaltes möglich ist. Wird dies versäumt, kann er gegen ein ergangenes Versäumnisurteil - ohne Anwalt - Einspruch einlegen, den er später, wenn das Sozialamt nicht einschreitet, in gleicher Form kostensparend zurücknehmen kann. Er geht vor Ablauf der Sperrfrist ein streitiges Urteil, was wegen des sich ergebenden Zeitbedarfs nicht die Regel sein wird, besteht die Möglichkeit, mit zuvor rechtzeitig gestelltem Antrag gemäß § 721 Absatz 1 ZPO über die Schonfrist hinaus eine Räumungsfrist zu erwirken, Berufung einzulegen, bzw. Vollstreckungsgegenklage zu erheben (vgl. Sternel a.a.O.; Soergel-Heintzmann a.a.O.) und vorläufigen Vollstreckungsschutz gemäß § 769 ZPO zu beantragen. Schließlich kommt auch ein Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO nebst Möglichkeit der Einstweiligen Anordnung in Betracht. Das jeweilige Prozesskostenrisiko, das daraus folgt, dass die Sozialhilfestellen die fälligen Mieten nicht übernimmt, trägt dabei zwar der Mieter. Dies ergibt sich bereits aus § 569 Abs. II Nr. 2 ZPO. Nach der bisherigen Gesetzeslage, nach der bis zur Begleichung der Mietrückstände eine wirksame Kündigung vorliegt, ist auch nach dem Prozessrecht davon auszugehen, dass dieses Risiko dem Mieter auferlegt sein soll. Der Erlass des beantragten Versäumnisurteils kann nach alledem nicht mit der Begründung versagt werden, die Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 n.F. BGB sei noch nicht abgelaufen. Obwohl mit der vorliegenden Entscheidung von derjenigen des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 23.02.1988 (a.a.O.) abgewichen wird, ist die Kammer nicht zuvor zur Herbeiführung eines Rechtsentscheides verpflichtet, weil sie mit der zu entscheidenden Frage nicht als Berufungsgericht gemäß § 541 ZPO befasst ist. Auf die Frage, ob sie im Übrigen nach der genannten Vorschrift dazu angehalten wäre, kommt es daher nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Kiel, 10. Januar 2002 Landgericht, 13. Zivilkammer
..., Vorsitzender Richter am Landgericht
..., Richterin am Landgericht
..., Richterin