21.05.2008 · IWW-Abrufnummer 081560
Landgericht Wuppertal: Urteil vom 18.10.2007 – 17 O 88/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Wuppertal
17 O 88/07
Urteil
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin beauftragte die B und U GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), über deren Vermögen am 01.07.2006 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, mit "VOB-Bauvertrag" vom 15.12.2004. Dieser Vertrag enthält in Ziffer 5 Regelungen zu Abschlagszahlungen und in Ziffer 7 Regelungen zu Sicherheitsleistungen. Ziffer 7.1 sieht die Verpflichtung der Insolvenzschuldnerin vor, eine "Erfüllungssicherheit" zu stellen. In der Klausel ist bestimmt, dass die Bürgschaft den Verzicht des Bürgen auf die Rechte aus §§ 768, 770 und 771 BGB enthalten muss. Durch Bürgschaftserklärung vom 07.02.2005 verpflichtete sich die Beklagte als Bürgin unter Verzicht auf die Einreden der Anfechtung, der Aufrechnung und der Vorausklage gemäß § 770 und 771 BGB bis zu einem Höchstbetrag in Höhe von 9.600,00 EUR.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus der Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch. Sie behauptet, ihr stünden Ansprüche wegen bei Abnahme vorbehaltener Mängel in Höhe von insgesamt 26.084,56 EUR zu, während sich der Restvergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin nur auf 7.074,71 EUR belaufe.
Die Beklagte müsse daher die gesamte Bürgschaftssumme auszahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen. Sie errechnet einen höheren Restvergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin, erhebt deshalb die Einrede gemäß § 770 Abs. 2 BGB und bestreitet die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
I.
Der "VOB-Vertrag" vom 15,12.2004 enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen. DIe Beklagte hat (zunächst unwidersprochen) vorgetragen, dass die Regelungen in dem Bauvertrag von der Klägerin in einer Vielzahl von Verträgen verwendet werden (Seite 2 des SS vom 23 07.2007, Bl. 53). Zudem besteht nach den vertraglichen Formulierungen ein Anschein dafür, dass es sich um AGB handelt. Der Vertrag enthält eine Vielzahl von Regelungen, die typischerweise von Auftraggebern verwendet werden und für den Auftragnehmer nachteilig sind (vgl. BGH, NJW 1992, 2160). Hinzu kommt, dass dem Vertrag „Besondere Vertragsbedingungen zum Bauvertrag (BVB)“ angeheftet sind,die bereits nach ihrem Erscheinungsbild AGB sind. Dies gilt auch für den "VOB-Vertrag" selbst.
Schließlich ist zu bedenken, dass zumindest ein Gesellschafter der Klägerin ein Architekt ist, was die Verwendung eines Vertragsmuster nahelegt.
Soweit der Kläger nunmehr in Abrede stellt, Verwenderin des Vertrages zu sein, vermag die Kammer diesem Vortrag nicht zu folgen. Die Klägerin widerspricht insoweit bereits der Erörterung im Termin vom 6.9.2007, in dem sie die Ausführungen der Kammer, bei dem „VOB-Bauvertrag“ handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung der Klägerin bestätigt. Ersichtlich war in dieser Feststellung auch umfasst, daß die Klägerin Verwenderin des Vertragswerk ist.
Denn wäre die Klägerin nicht Verwenderin, so hätte sie dazu, ob es sich um einen Formularvertrag handele oder nicht, keine Angaben machen können. Ein Missverständnis war insoweit ausgeschlossen. Die Kammer hat in ihrer Erörterung den Bevollmächtigten der Klägerin zunächst nach der Grö ße des Bauvorhabens und danach befragt, ob die durchzuführenden Arbeiten einzeln ausgeschrieben worden seien. Sodann hat sie ausgeführt, dass unter den gegebenen Umständen eine Vermutung für die Qualifikation als Allgemeine Geschäftsbedingung bestehe. Wenn danach der Bevollmächtigte der Klägerin bestätigte, dass es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele, so ist es ersichtlich widersprüchlich, wenn die Klägerin nunmehr vorträgt, nicht Verwenderin des "VOB-Bauvertrages" zu sein.
Darüber hinaus ist das bloße Bestreiten der Klägerin bezüglich der Verwendung des "VOB-Bauvertrages" nicht erheblich. Wie bereits ausgeführt besteht angesichts der die Klägerin begünstigenden Regelungen des Vertrages eine Vermutung dafür, dass es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Diese Vermutung erstreckt sich auch darauf, dass die Klägerin Verwenderin ist, weil der Anschein dafür spricht, dass den Auftraggeber (hier: die Klägerin) begünstigende Regelungen von ihm selbst und nicht dem Vertragsgegner eingebracht werden. Die gegen sie sprechende Vermutung hat die Klägerin nicht widerlegt. Sie beschränkt sich auf einfaches Bestreiten und tritt auch keinen Beweis dazu, dass sie nicht Verwenderin sei.
Dass die Klägerin Verwenderin des Vertrages ist, folgt im übrigen auch aus folgenden Umständen: In Ziffer 5.3 ist eine vorformulierte Rechnungsadresse für die Klägerin angegeben. Es wäre aber völlig untypisch, wenn in einem Vertragsformular der Insolvenzschuldnerin die Rechnungsadresse des Auftraggebers bestimmt wäre. Zudem enthält das Vertragsformular in der Unterschriftzeile bei der Unterschrift des Auftraggebers die Angabe "E" als Sitz der Klägerin, während für den Auftragnehmer ein Leerfeld offengelassen ist. Auch dies widerspricht eindeutig der Behauptung, der Vertrag könnte nicht von der Klägerin stammen. Letzte Zweifel werden schließlich dadurch beseitigt, dass es in den BVB (auf die der "VOB-Bauvertrag" Bezug nimmt) heißt:
"BVB anerkannt, E, den 2004
Auftragnehmer (AN)"
Es wäre widersinnig, wenn die Insolvenzschuldnerin als Auftragnehmer von ihr selbst gestellte BVB anerkennen sollte.
Ohne Belang ist, dass in dem den Speicherort bezeichnenden "Pfad" der Dateiordner "xxx" erscheint. Wie aus dem "Pfad" ersichtlich (nämlich wegen des Ordners "Temp") ist die Datei per e-mail versandt worden. Danach lässt sich aus dem "Pfad" aber allenfalls ableiten, dass der Vertrag bei der Insolvenzschuldnerin etwa nach Verhandlungen über den Inhalt - ausgedruckt worden ist, was indessen nichts dazu besagt, wer Verwender ist.
Nach alledem handelt es sich bei den Regelungen im "VOB-Bauvertrag" um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die von der Klägerin gestellt worden sind.
II.
Die im "VOB-Vertrag" in Ziffer 7.1 getroffene Vereinbarung zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft ist gemäß § 307 BGB unwirksam.
1. Die konkrete Vertragsgestaltung führt zur Übersicherung.
Die Klägerin darf gemäß Ziffer 5.1 jeweils 10 % von den Abschlagszahlungen einbehalten, bis die Sachmängelsicherheit gemäß Ziffer 7.2. in Höhe von 5 % der Bruttoabrechnungssumme erreicht ist. Zusätzlich muss die Insolvenzschuldnerin gemäß Ziffer 7.1 eine Erfüllungssicherheit in Höhe von 10 % des Pauschalfestpreises stellen. Im Ergebnis erhält somit die Klägerin durch die Kumulation der vertraglichen Regelungen eine Sicherheit in Höhe von 15 % des Werklohns zur Absicherung ihrer Gewährleistungsansprüche und anderer Ansprüche. Diese Kumulation ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht deshalb ausgeschlossen, weil die "Vertragserfüllungsbürgschaft" allein die vor Abnahme festgestellten Mängel, die "Gewährleistungsbürgschaft" dagegen nur innerhalb der Gewährleistungsfrist festgestellte Mängelansprüche sichere. Denn nach der konkreten Vertragsgestaltung - für die es auf die Bestimmung des Sicherungszwecks ankommt - überschneiden sich die Sicherungszwecke der Erfüllungssicherheit gemäß Ziffer 7.1 und der Sachmängelsicherheit gemäß Ziffer 7.2. Die Erfüllungssicherheit dient gemäß Ziffer 7.1 "zur Absicherung aller sich aus diesem Vertrage ergebenden Leistungspflichten des AN". Davon sind alle Gewährleistungsansprüche umfasst, gleich ob Mängel vor oder nach Abnahme gerügt worden sind. Auch die Regelung in Ziffer 7.2 differenziert nicht danach, ob Mängel vor oder nach Abnahme gerügt sind. Der Klägerin steht damit für ihre Gewährleistungsansprüche eine Sicherung in Höhe von 15 % des Werklohns zu, solange die Erfüllungssicherheit von ihr nicht zurückgewährt worden ist. Hinzu kommt noch ein "faktischer" Einbehalt, der sich daraus ergibt, dass zwischen der letzten Abschlagszahlung und der Schlussrechnung weitere Leistungen von der Insolvenzschuldnerin ausgeführt hätten werden müssen; dies hätte es der Klägerin ermöglicht, Gegenansprüche auch im Hinblick auf den Werklohn für diese Leistungen zu erheben, was im Ergebnis einer Sicherung der Klägerin gleichsteht (vgl. Kapellmann/Messerschmidt- Thierau, VOB, 1. Auflage, B § 17 Rz. 44).
Die Vereinbarung einer Sicherheit in Höhe von 15 % ist unangemessen hoch und widerspricht dem gesetzlichen Leitbild des § 632a BGB, wonach Abschlagszahlungen grundsätzlich in voller H öhe zu zahlen sind (vgl. Schmitz, Sicherheiten für die Bauvertragsparteien, ibr-online [Stand: 24.07.2007], Rz. 88; Kapellmann/Messerschmidt-Thierau, a. a.O., B § 17 Rz. 44; Ingenstau/Korbion-Joussen, VOB, 16. Auflage, § 17 Nr. 1 Rz. 33; die Kommentierung der letztgenannten FundsteIle wird von der Klägerin unrichtig wiedergegeben: Nach der dort vertretenen Ansicht führt jede Überschreitung von 10 % der Auftragssumme zur Unwirksamkeit und "erst recht" sei die Kumulation von 10 %iger Vertragserfüllungsbürgschaft und 10 % Abzug von jeglicher Zahlung unwirksam). So hat auch der BGH (NVwZ 2004, Seite 1017 [1018]) eine Sicherheitsabrede dahin überprüft, ob die Kumulation von Vertragserfüllungssicherheit und Gewährleistungssicherheit dazu führt dass dem Auftraggeber eine unangemessen hohe Sicherheit zusteht. Dies hat e~ bei einer Sicherung von höchstens 6 % im Hinblick darauf verneint dass der Sicherungszweck der in Rede stehenden Klausel nicht nur Gewährleistungsansprüche sondern auch Ansprüche aus Überzahlungen umfasse. Hier stehen dem Auftraggeber aber 15 % zur Verfügung. Dies ist auch unter Berücksichtigung des Sicherungsinteresses des Auftraggebers nicht angemessen im Sinne von § 307 BGB.
2. In der Sicherungsabrede ist der Ausschluss der Rechte des Bürgen aus § 768 BGB vorgesehen. Dies führt dazu, dass der Bürgschaftsgläubiger (hier die KIägerin) von der Bürgin (hier der Beklagten) einredefrei Zahlung wegen Mängelansprüchen verlangen könnte, selbst wenn der Hauptschuldnerin Zahlungsansprüche zustehen sollten. Auf § 320 BGB könnte sich die Bürgin wegen des Ausschlusses von § 768 BGB nicht berufen. Dabei ist der Bürge noch schlechter gestellt als bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Denn bei dieser ist der Bürge nur vorläufig mit Einwendungen ausgeschlossen, die er zu einem späteren Zeitpunkt im Rückforderungsprozess noch geltend machen könnte. Demgegenüber ist bei einem Verzicht auf die Einrede des § 768 BGB ein Rückforderungsprozess nicht eröffnet. Die Klausel führt somit zu einer garantieähnlichen Haftung des Bürgen. Dies führt zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede insgesamt (vgl. Schmitz, a. a. 0., Rz. 127 ff.; LG Wiesbaden, Urt. v. 24.08.2007 - 3 0 221/06). Denn haftet der Bürge garantieähnlich, so wird der Bürgschaftsgläubiger - wie bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern - in den Stand gesetzt, die Bürgschaft zu missbrauchen. Er kann kurzfristig Zahlung etwa wegen unstreitiger Gewährleistungsansprüche erlangen und entzieht so dem Hauptschuldner Liquidität, weil dieser die Bürgschaftssumme dem Bürgen erstatten muss. Zusätzlich verweist er den Hauptschuldner auf den Rückforderungsprozess und erlegt ihm das Insolvenzrisiko auf.
3. Eine geltungserhaltende Reduktion oder ergänzende Vertragsauslegung dahin, dass die Klausel lediglich insoweit nichtig ist, als § 768 BGB ausgeschlossen ist, kommt nicht in Betracht. Die diesbezügliche Argumentation der Klägerin (SS vom 19.09.2007, Seite 3, BI. 85 d. A.) verkennt, dass der BGH für die Vereinbarung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern lediglich für den Zeitraum bis zu dem Bekanntwerden seiner Entscheidung vom 04.07.2002 (NJW 2002, Seite 3098) einen Vertrauensschutz dahin anerkannt hat, dass unwirksame Regelungen über Vertragserfüllungsbürgschaften auf erstes Anfordern als "einfache" Bürgschaften aufrechtzuerhalten sind. Der hier vorliegende Vertrag datiert auf den 15.12.2004, mithin auf den Zeitraum nach Bekanntwerden der Entscheidung. Danach besteht aber kein Anlass, den für die Bürgschaft auf erstes Anfordern gewährten Vertrauensschutz auf den vorliegenden Fall zu beziehen. Im übrigen kommt von vornherein eine geltungserhaltende Reduktion nicht in Betracht, soweit die vertraglichen Vereinbarungen zu einer Übersicherung der Klägerin führen.
4. Der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede steht nicht entgegen, dass die Beklagte in der Bürgschaftsurkunde tatsächlich nicht auf die Einrede gemäß § 768 BGB verzichtet hat. Die Wirksamkeit der Sicherungsabrede ist im Verhältnis Auftragnehmer/Auftraggeber zu beurteilen.
5. Die Beklagte kann sich darauf berufen, dass die Sicherungsabrede unwirksam ist. Infolge der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede steht der Insolvenzschuldnerin ein Anspruch gemäß § 812 BGB auf Herausgabe der Sicherheit zu und zusätzlich ein vertraglicher Anspruch, die Inanspruchnahme der Bürgschaft zu unterlassen. Hierauf kann sich wegen der Akzessorietät der Bürgschaft auch die Beklagte als Bürgin gemäß § 768 BGB berufen (vgl. BGHZ 143, S. 381). Die Berufung auf § 768 BGB ist nach der Bürgschaftsurkunde nicht ausgeschlossen. Es ist auch nicht treuwidrig, wenn sich die Beklagte auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung beruft. Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. Soweit sich die Beklagte gegen die Inanspruchnahme der Bürgschaft in der Sache verteidigt hat, mag dies darauf beruhen, dass ihr die Unwirksamkeit der Vereinbarung über den Sicherheitseinbehalt - die ihr nicht einmal bekannt gewesen sein muss - nicht bewusst war. Derartiges begründet kein schützenswertes Vertrauen dahin, die Beklagte werde sich auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede nicht mehr berufen. Schließlich bedarf es keiner besonderen Geltendmachung der Einrede, da es sich um einen vertraglichen Anspruch auf Unterlassen der Inanspruchnahme handelt, mithin die rechtliche Würdigung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen in Rede steht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.