08.05.2008 · IWW-Abrufnummer 081452
Verwaltungsgericht Stuttgart: Urteil vom 10.04.2008 – 4 K 5891/07 und 4 K 6118/07
Für eine selbstständige, eigenverantwortliche Behandlung des Physiotherapeuten auf dem von ihm erlernten Gebiet ist keine Kenntnisüberprüfung nach dem Heilpraktikergesetz erforderlich; der Nachweis der abgeschlossenen Ausbildung reicht für die Erteilung der Heilpraktikererlaubnis aus. Diese kann und muss entsprechend beschränkt werden.
4 K 5891/07
VERWALTUNGSGERICHT STUTTGART
Im Namen des Volkes
Urteil
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Heilpraktikererlaubnis
hat das Verwaltungsgericht Stuttgart - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht XXX, den Richter am Verwaltungsgericht XXX und die Richterin am Verwaltungsgericht XXX sowie durch die ehrenamtlichen Richterinnen XXX und XXX aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 10. April 2008
für R e c h t erkannt:
Der Bescheid des Landratsamts Heilbronn vom 21.05.2007 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.11.2007 werden aufgehoben. Das beklagte Land wird verpflichtet, dem Kläger unter Freistellung von der Verpflichtung zur Führung der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ die Erlaubnis zu erteilen, Heilkunde nach Maßgabe von § 1 Heilpraktikergesetz selbstständig auszuüben, bezogen und beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne von §§ 3 und 8 des Gesetzes zur Regelung der Berufe in der Physiotherapie, mit Ausnahme von Behandlungen zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inklusive Stangerbädern.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Heilpraktikererlaubnis.
Der am 20.04.1952 geborene Kläger erhielt am 28.09.1995 von der Bezirksregierung Weser-Ems die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ zu führen. Bereits am 22.02.1985 hatte er von der Regierung von Schwaben die Erlaubnis erhalten, eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung „Masseur und medizinischer Bademeister“ auszuüben, nachdem er die 2 ½-jährige Ausbildung hierfür absolviert hatte. Er ist freiberuflich in eigener Praxis tätig.
Mit Schreiben vom 24.03.2007 beantragte er die Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde nach Maßgabe von § 1 Heilpraktikergesetz (HeilprG), beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie, mit Ausnahme von Behandlungen zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inklusive Stangerbäder ohne weitere Eignungsprüfung und unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen. Zur Begründung berief er sich darauf, dass bei nichtärztlichen Fachberufen die durchgeführten Ausbildungen und abgelegten Prüfungen eine weitere Überprüfung der Kenntnisse nach der 1. DVO zum Heilpraktikergesetz entbehrlich machten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei auch eine gegenständlich beschränkte Erlaubniserteilung nach § 1 HeilprG zulässig. Aufgrund seiner Ausbildung verfüge er über die notwendigen Kenntnisse. Die vertragsärztlichen Verordnungen im Heilmittelbereich hätten in aller Regel allgemein richtungsweisenden Charakter, während der Physiotherapeut eine Untersuchung und Befundung selbstständig durchführe. Eine Gefahr für die Volksgesundheit bestehe hierbei nicht. Die Gefahr, dass ein notwendiger Arztbesuch versäumt werde, sei nur äußerst unwahrscheinlich und mittelbar.
Mit Bescheid vom 21.05.2007 lehnte das zuständige Landratsamt Heilbronn den Antrag ab. Zur Begründung hieß es, das Heilpraktikergesetz kenne nur die einheitliche Berufsbezeichnung „Heilpraktiker/in“. Eine Ausnahme gelte nach den Richtlinien des Sozialministeriums Baden-Württemberg zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes (HP-RL) nur für Inhaber einer auf das Gebiet der Psychotherapie beschränkten Erlaubnis. Es liege im besonderen Interesse der Öffentlichkeit, dass eindeutige Berufsbezeichnungen im Bereich der Heilkunde bestünden, damit der jeweilige Patient wisse, wie weit die Kompetenz des Behandelnden gehe. Unsicherheiten in diesem Bereich seien auf alle Fälle zu vermeiden. Der Heilpraktiker habe den Auftrag und die Verpflichtung, Krankheiten und Leiden in eigener Verantwortung zu erkennen, sie zu lindern und zu heilen, er übe seinen Beruf in der Diagnose und Therapie eigenverantwortlich aus. Die Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilprG berechtige zur gesamten nichtärztlichen Heilkundeausübung, daher sei die gesundheitsamtliche Kenntnisüberprüfung grundsätzlich unteilbar und nicht auf bestimmte Fachgebiete beschränkbar.
Am 12.06.2007 hat der Kläger Widerspruch erhoben und vorgetragen, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei von einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten eines Antragstellers abzusehen, wenn aufgrund der nachgewiesenen, aufgrund einer staatlichen Ausbildung und Prüfung erworbenen Kenntnisse keine Gefahr für die Volksgesundheit zu erwarten sei. Beim Kläger sei dies der Fall. Es handele sich um einen ausdifferenzierten Teilbereich der Medizin, der aufgrund eines eigenen Berufsgesetzes geregelt sei, wobei die Ausbildung mit einer staatlichen Prüfung und der Zuerkennung der Berufsbezeichnung Masseur und Physiotherapeut ende. Dies ergebe auch die Entscheidung des OVG Koblenz vom 21.11.2006 - 6 A 10271/06 -.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2007, zugestellt am 07.11.2007, wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch mit der Begründung zurück, mit der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Physiotherapeut übernehme der Staat die Gewähr dafür, dass dieser Beruf vom Erlaubnisinhaber aller Voraussicht nach ordnungsgemäß ausgeübt werde. Diese Gewähr könne aber nicht mehr aufrecht erhalten werden, wenn einem Physiotherapeuten ohne Überprüfung zusätzlich noch die Befugnisse eines Heilpraktikers zuerkannt würden, da dieser zur Anwendung jeglicher, auch wissenschaftlich nicht anerkannter Therapien befugt sei. Entscheidend sei, dass der Heilpraktiker selbstständig Diagnosen stellen müsse, während beim Physiotherapeuten ein Arzt vorgeschaltet sei, der die Diagnosen gestellt und weitere Therapieanordnungen verordnet habe. Ohne Überprüfung sei ein Physiotherapeut für diese Diagnosestellung und eine differenzialdiagnostische Abwägung nicht ausreichend qualifiziert. In der Ausbildung werde nur ein medizinisches Grundwissen vermittelt, von 4.500 Stunden entfielen lediglich 390 Stunden auf Krankheitslehre und 380 Stunden auf Anatomie und Physiologie sowie 100 Stunden für Befund- und Untersuchungstechniken. Diese beschränkten sich auf physikalische Verfahren (Inspektion, Palpation, Reflexprüfung). Die Heilpraktikererlaubnis sei auch grundsätzlich unteilbar, methodenbezogene Teilzulassungen würden zu einer völligen Aufsplitterung des HeilprG in Einzelbereiche führen. Anders als bei der Psychotherapie seien alle anderen (somatischen) Fachbereiche nicht gegenständlich abgrenzbar.
Am 21.11.2007 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, aus der zu Psychotherapeuten ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergebe sich allgemein, dass immer dann keine Gefahr für die Volksgesundheit bestehe, wenn Zeugnisse und kontrollierte staatliche Prüfungen vorhanden seien, die den Nachweis entsprechender Kenntnisse auf dem Gebiet, auf dem der Anwärter tätig sein wolle, erlaubten. Eine Gefahr für die Volksgesundheit bestehe auch nicht, weil angeblich differenzialdiagnostische Fähigkeiten bei Physiotherapeuten fehlten. Die Tätigkeiten des Physiotherapeuten, nämlich Massage- und Bewegungstherapie, seien ungefährlich, wenn Kontraindikationen beachtet würden; diese seien dem Physiotherapeuten aufgrund seiner Ausbildung bekannt. Befundung und Behandlung erfolgten selbstständig. Andere als die vom Physiotherapeuten erlernten Diagnoseverfahren seien wie die Labordiagnostik entweder ohne Bedeutung oder - wie bildgebende Verfahren - auch einem Heilpraktiker nicht erlaubt. Eine weitere Kenntnisüberprüfung könne eine eventuell bestehende Gefahr daher nicht verringern. Die ärztlichen Verordnungen im Bereich der Heilmittelversorgung seien oft nur sehr rudimentär und richtungsweisend, der Physiotherapeut stelle dann die genaue Diagnose. Bei einer nicht erkannten Erkrankung des Patienten, die sich dem Behandlungsspektrum des Klägers entziehe, sei es wahrscheinlicher, dass der Physiotherapeut den Arztbesuch anempfehle, als dass der Patient von sich aus einen Arzt aufsuche. Für den Bereich der physiotherapeutischen Behandlung und die erforderliche Befundung seien die Kenntnisse eines Physiotherapeuten vollkommen ausreichend, um zu beweisen, dass medizinische Fehlvorstellungen nicht vorliegen. Eine vorherige ärztliche Diagnostik sei nicht unabdingbar für die Berufsaus übung. Auch Wellness- und Vorsorgebehandlungen erfolgten am gesunden Menschen und würden daher ohnehin ohne ärztliche Verordnung durchgeführt.
Die Erlaubnis sei auch teilbar, denn der Bereich der Physiotherapie/physikalischen Therapie sei hinreichend differenziert, um eine klare Abgrenzung zu ermöglichen, all das, was Gegenstand der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sei, gehöre zum Berufsbild und sei damit Bestandteil der zu erteilenden Erlaubnis. Dies ergebe sich auch aus der „Kassenzulassung“ im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung nach § 124 Abs. 2 Ziff. 1 SGB V. Auch aus Ziffer 17A der Heilmittelrichtlinie ergebe sich eine Definition des Gebiets der physikalischen Therapie. Es gehe um von außen wirkende Mittel und Kräfte, die nebenwirkungsfrei seien und deren Anwendung ungefährlich sei. Die Gefahr einer Zersplitterung der Erlaubnisse habe zurückzutreten, wenn es um die Verwirklichung von Grundrechten gehe. Die für den Patienten unüberschaubare Situation sei vom Gesetzgeber so gewollt, indem er neue Fachberufe im Gesundheitswesen geschaffen habe. Versteckte Tumore könne der Physiotherapeut genau so wenig wie der Heilpraktiker diagnostizieren, da hierfür bildgebende Verfahren erforderlich seien. Erkenne ein Physiotherapeut, dass skeletare Symptome ihre Ursache außerhalb seiner Zuständigkeit hätten, werde er dem Patienten ärztliche Hilfe anraten. Gleiches gelte beim Verdacht einer Borreliose. Auch bei einer unerkannten Osteoporose, deren Symptome der Physiotherapeut behandele, führe eine weitere Kenntnisprüfung zu keinem Gewinn bei der Diagnose. Auch hier seien bildgebende Verfahren notwendig. Bei entwicklungsgestörten Kindern lägen immer ärztliche Verordnungen von Spezialbehandlungen vor. Bei Bandscheibenvorfällen werde die Behandlung mit Mitteln der physikalischen Therapie vorgenommen. Bei schweren Fällen sei der Patient nicht gehfähig und müsse schon deshalb einen Arzt aufsuchen. Heilpraktiker hätten hier keinen Kenntnisvorsprung. Insgesamt sei es so, dass der Patient, der einen Physiotherapeuten aufsuche, keine Diagnostik von Spezialerkrankungen erwarte, sondern Diagnostik, Befundung und Therapie mit physiotherapeutischer Ausrichtung. Eine Überprüfung nach dem Heilpraktikergesetz könne keine Verbesserung bei der Diagnose herbeiführen, im Bereich der Physiotherapie/physikalischen Therapie sei der Therapeut wesentlich besser ausgebildet als ein Heilpraktiker. Auch die Vertragsärzteschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung schulde keine Diagnostik, sondern lediglich die Feststellung einer Indikation. Medizinische Fehlvorstellungen im eigenen Bereich der physiotherapeutischen Tätigkeit lägen beim Kläger nicht vor.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamts Heilbronn vom 21.05.2007 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.11.2007 aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, dem Kläger unter Freistellung von der Verpflichtung zur Führung der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ die Erlaubnis zu erteilen, die Heilkunde nach Maßgabe von § 1 HeilprG selbstständig auszuüben, bezogen und beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne von §§ 3 und 8 des Gesetzes zur Regelung der Berufe in der Physiotherapie, mit Ausnahme von Behandlungen zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inklusive Stangerbädern.
Das beklage Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, eine Beschränkung der Heilpraktikererlaubnisse für verschiedene Teilbereiche würde zu einer Zersplitterung des Heilpraktikerrechts mit erheblichen Problemen bei der Überprüfung und im Verwaltungsvollzug führen. Angesichts der Vielzahl weiterer in Betracht kommender Heilhilfsberufe und denkbarer Differenzierungen innerhalb dieser Berufe werde der Verwaltungsaufwand uferlos. Für den Patienten entstehe eine undurchschaubare Situation, da nicht mehr klar hervortrete, von welcher Fachkompetenz des Behandelnden er ausgehen könne. Eine andere Handhabung in anderen Bundesländern sei nicht Gegenstand des Verfahrens; dies sei eine logische Folge der föderalistischen Struktur. Der Umstand, dass Therapeuten aus dem EU-Ausland in Deutschland selbstständig praktizieren dürften, führe zu keinem anderen Ergebnis, denn dies sei Folge der Berufsqualifikationsrichtlinie 2005/36/EG. Die Ausnahme für Psychotherapeuten sei gemacht worden, als es noch kein Psychotherapeutengesetz gegeben habe. Im vorliegenden Falle existiere aber das Gesetz zur Regelung der Berufe in der Psychotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz - MPhG), so dass kein Bedürfnis bestehe. Auch aus fachlich medizinischer Sicht bestehe ein Unterschied hinsichtlich der Beschränkbarkeit der Erlaubnis bei der Physiotherapie, denn eine am Bewegungsapparat auftretende Symptomatik, die eine physiotherapeutische Behandlung erforderlich mache, könne mannigfaltige Ursachen haben. Es metastasierten viele Tumore in die Wirbelsäule, so dass eine primär physiotherapeutische Behandlung nicht nur nichts nütze, sondern durch die Verzögerung und das Unterbleiben der Diagnostik und Behandlung das Leben des Patienten gefährde. Gleiches gelte bei der Borreliose, wo ein Unterbleiben der Behandlung zu Schäden führen könne. Auch bei einer Osteoporose sei eine sichere Diagnose durch den Physiotherapeuten nicht möglich, denn sie könne durch Hormonstörungen oder eine rheumatische Arthritis bedingt sein. Gefahren bestünden auch bei entwicklungsauff älligen Kindern. All diese Bereiche seien in der Ausbildung der Physiotherapeuten nicht abgedeckt. Nachdem keine klare Abgrenzung vorgenommen werden könnte, könne auch keine auf den Teilbereich der Physiotherapie beschränkte Erlaubnis erteilt werden. Damit biete die erfolgreiche Ausbildung zum Physiotherapeuten keinen ausreichenden Nachweis dafür, dass eine Gefahr für die Volksgesundheit von vornherein nicht bestehe. Trotz des Berufsabschlusses fehlten die diagnostischen und differenzialdiagnostischen Kenntnisse zum Ausschluss von Gefahren. Leistungen der Massage- und Bewegungstherapie seien keinesfalls ungefährlich, was sich auswirken könne, wenn ein Bandscheibenvorfall verkannt werde. Dies werde bei vorhergehender ärztlicher Verordnung durch die ärztliche Voruntersuchung vermieden, die Diagnostik verbleibe im Verantwortungsbereich des Arztes. Der Heilpraktiker sei durch seine Ausbildung in der Lage, zu erkennen, ob ein außerhalb seines Behandlungsbereichs liegendes diagnostisches Verfahren erforderlich sei. Komme ein Patient ohne Arztbesuch zum Physiotherapeuten, hege er eine Erwartungshaltung in die Fähigkeit des Behandelnden, die eine vorherige Überprüfung erforderlich mache.
Die Akten des Beklagten und die Widerspruchsakten liegen dem Gericht vor. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird hierauf und auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn dieser hat Anspruch auf Erteilung einer Heilpraktikererlaubnis im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Erlaubnis ist § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 17.02.1939 (HeilPrG) i.V.m. § 2 Abs. 1 HeilPrG i.V.m. § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilPrG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG. Nach § 1 Abs. 1 HeilPrG bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will; entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 HeilPrG steht die Erlaubniserteilung nicht im Ermessen der Behörden. Vielmehr ist nach verfassungskonformer Auslegung jeder Antragsteller zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung zuzulassen, wenn kein sich aus § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilPrG ergebender - rechtsstaatlich unbedenklicher - Versagungsgrund gegeben ist (BVerwG, Urt. v. 24.01.1957 - 1 C 194.54 -, BVerwGE 4, 250 - ständige Rechtsprechung). Nach § 2 Abs. 1 lit. i der 1. DVO-HeilPrG darf die Heilpraktikererlaubnis nicht erteilt werden, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. In welcher Form und in welchem Umfang die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Heilpraktikeranwärters zu erfolgen hat, ist weder im Heilpraktikergesetz noch in der DVO hierzu geregelt, was im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG bedenklich ist; diese Bedenken lassen sich aber im Wege der verfassungskonformen Auslegung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausräumen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1993 - 3 C 34.90 -, DVBl. 1993, 723; BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 - 1 BvR 482/84 und 1166/85 - BVerfGE 78, 179 = NJW 1988, 2290).
II.
Nach diesen Maßstäben bedarf der Kläger einer derartigen Erlaubnis (1.), seine Tätigkeit bedeutet keine Gefahr für die Volksgesundheit (2.). Die Erlaubnis ist auch teilbar (3.). Schließlich muss der Kläger auch nicht die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ führen (4.).
1. Die vom Kläger begehrte Tätigkeit ist Ausübung der Heilkunde. Nach der gesetzlichen Definition des § 1 Abs. 2 HeilPrG ist Ausübung der Heilkunde i.S.d. Gesetzes jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Weitere Voraussetzung nach der Rechtsprechung ist es, dass die betreffende Behandlung nach allgemeiner Auffassung medizinische (heilkundliche) Fachkenntnisse erfordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1983 - 3 C 21.82 - BVerwGE 66. 367 ff.; BVerwG, Urt. v. 11. November 1993 - 3 C 45.91 - NJW 1994, 3024) und dass sie gesundheitliche Schäden verursachen kann (u.a. BVerwG, Urt. v. 18.12.1972 - 1 C 2.69 - NJW 1973, 579). Nach der Begriffsbestimmung übt der Kläger die Heilkunde aus, denn seine Tätigkeit dient der Heilung und Linderung von Krankheiten und Leiden und wirkt unmittelbar auf den Körper des Patienten ein. Hierzu sind die erlernten Fachkenntnisse notwendig, auch deshalb, um mit der Behandlung verbundene Gefahren auszuschließen.
Allerdings wird die Tätigkeit des Physiotherapeuten nach herkömmlicher Auffassung nicht als Ausübung der Heilkunde aufgefasst, weil „Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich“ gegeben werden sollen (vgl. § 8 MPhG) und dies nach Maßgabe einer ärztlichen Diagnose und aufgrund einer ärztlichen Heilmittelverordnung erfolgt. Deshalb wird in diesen Fällen lediglich der behandelnde Arzt als diejenige Person angesehen, die die Heilkunde aus übt. Im Falle des Klägers ist es allerdings so, dass er die Tätigkeit des Physiotherapeuten eigenverantwortlich und selbstständig ausüben möchte. Hierfür benötigt er die begehrte Erlaubnis, denn die Ausübung der Heilkunde ist nach der gesetzlichen Systematik ausschließlich Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten einerseits und Heilpraktikern andererseits vorbehalten. Hieran mögen Zweifel bestehen, weil der Kläger durch seine Ausbildung die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ gemäß § 1 Abs. 1 MPhG erhalten hat und damit auch zur Erbringung von Leistungen dieses Heilhilfsberufs befugt ist (vgl. hierzu Dünisch-Bachmann, Das Recht des Heilpraktikerberufs und der nichtärztlichen Heilkundeausübung, Kommentar zum Heilpraktikergesetz, RdNr. 6.3.5 zu § 1 sowie die vom Kläger mitgeteilte Auffassung des Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales des Saarlandes, welches eine Erlaubnis für entbehrlich hält), nach Auffassung der Kammer wäre hierfür jedoch eine Gesetzesänderung erforderlich. Genehmigungsrechtlich handelt es sich um ein „Aliud“ (so die Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.11.2006 - 6 A 10271/06. OVG -, MedR 2007, 496). Dass heilkundliche Tätigkeit grundsätzlich nicht erlaubnisfrei sein soll, hat im Hinblick auf die Volksgesundheit unterschiedslos seinen Sinn, gleichgültig welche Vor- und Ausbildung der Bewerber aufweist, denn es geht um eine präventive Kontrolle (so BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.). Dem folgt die Kammer.
2. Die Kammer ist der Überzeugung, dass bei einer selbstständigen Erbringung physiotherapeutischer Leistungen durch den Kläger ohne vorgängige Kenntnisüberprüfung nach den Richtlinien des Sozialministeriums zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes (HP-RL) vom 21.11.2003 (GABl. 2003, 983) keine Gefahren für die Volksgesundheit bestehen. Eine solche Gefahr stellte nach § 2 Abs. 1 Buchstabe i 1. DVO-HeilPrG einen Versagungsgrund für die Erlaubnis nach § 1 Abs. 3 1. Halbsatz HeilprG dar.
a) Diese Überprüfung ist ihrer Rechtsnatur nach eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie soll Personen von der Ausübung der Heilkunde ausschließen, bei denen schwerwiegende Fehlvorstellungen in medizinischer Hinsicht bestehen. Sie bietet damit einen Minimalschutz für Patienten und soll vor Kurpfuschertum schützen (vgl. Kurtenbach, Erläuterungen zum Heilpraktikergesetz in: Das Deutsche Bundesrecht, I K 11, Anm. zu § 2 Abs. 1 Buchstabe i 1. DVO-HeilPrG). Eine solche Überprüfung erscheint im Regelfall erforderlich, weil für den Beruf des Heilpraktikers kein gesetzlich fest umrissenes Berufsbild existiert, sondern nur ein Berufsfeld, für das es keine staatlich reglementierte Ausbildung gibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.). Anders ist dies im Falle des Physiotherapeuten, welcher die im Masseur- und Physiotherapeutengesetz umschriebene Ausbildung durchlaufen und mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen haben muss. Damit ist dokumentiert, dass der Physiotherapeut den beruflichen Anforderungen in Theorie und Praxis vollauf gewachsen ist und dass auf seinem Betätigungsfeld keine Fehlvorstellungen in medizinischer Hinsicht bestehen (vgl. dazu überzeugend OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.11.2006, a.a.O.). Die so erworbene Berufsqualifikation berechtigt nur zur Ausübung der erlernten Tätigkeiten innerhalb des Berufsbilds. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass der Physiotherapeut in der weit überwiegenden Zahl der Fälle auf Verordnung des Arztes und als dessen Helfer tätig werden wird. Er verfügt dabei nach seiner Ausbildung nach dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz über Kenntnisse, die durchweg in Übereinstimmung mit den Grundsätzen evidenzbasierter Medizin stehen. Mit anderen Worten betätigt er sich - anders als der Heilpraktiker - innerhalb des Bereichs der Schulmedizin. Dagegen berechtigt die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz grundsätzlich im gesamten heilkundlichen Bereich zur Erstellung von Diagnosen und Durchführung von Therapien. Hierbei können eben wegen der fehlenden geregelten Ausbildung und der Freiheit bei der Wahl der Behandlungsmethoden vielfältige und unüberschaubare Gefahren für die Gesundheit der Patienten auftreten.
b) Im Rahmen seiner Ausbildung werden dem Physiotherapeuten neben Kenntnissen und Fertigkeiten in der physikalischen Therapie auch Kenntnisse in allgemeiner und spezieller Krankheitslehre sowie physiotherapeutische Befund- und Untersuchungstechniken vermittelt. Damit lernt der Auszubildende, Behandlungsindikationen und Kontraindikationen selbstständig zu erkennen. Der Kläger weist überzeugend darauf hin, dass er oftmals nicht aufgrund einer exakten Diagnose des Arztes, sondern nur wegen eines von diesem angegebenen Beschwerdebildes behandelt, weswegen er zunächst eine Befundung vornehmen muss. Demgegenüber werden bei Heilpraktikern gemäß 4.3.3 HP-RL Grundkenntnisse in der allgemeinen Krankheitslehre, Erkennung und Unterscheidung von häufigen Krankheiten, insbesondere der Stoffwechselkrankheiten, der Herz-Kreislauf-Krankheiten, der degenerativen und übertragbaren Krankheiten, der bösartigen Neubildungen sowie seelischer Erkrankungen und gemäß 4.3.6 Technik der Anamneseerhebung, Methoden der unmittelbaren Krankenuntersuchung überprüft. Eine bestimmte Zahl an Unterrichtsstunden ist nicht vorgeschrieben, Fehler bei den im Multiple-Choice-Verfahren gestellten Fragen können durch richtige Antworten auf anderen Gebieten ausgeglichen werden. Damit ist schon vom Grundsatz her nicht erkennbar, inwiefern der Physiotherapeut über schlechtere Fähigkeiten im Bereich der Differenzialdiagnose, d. h. bei der Erkennung von Beschwerdebildern, für deren Behandlung er nicht befähigt ist, verfügte. Dies gilt gerade auch bei den vom Landratsamt Heilbronn angeführten Krankheitsbildern, bei denen der Patient an einer von ihm selbst nicht erkannten, aber durch einen Arzt behandlungsbedürftigen Krankheit leidet. Der Kläger hat hierzu im Einzelnen überzeugend ausgeführt, dass es für die Diagnose derartiger Krankheiten entweder bildgebender Verfahren bedarf, über die auch ein Heilpraktiker nicht verfügt, oder es sind die Krankheitsbilder bereits so schwer oder so speziell, dass sich ein Arztbesuch ohnehin aufdrängt; im Zweifelsfall würde ein Physiotherapeut eben wegen seiner Nähe zur Schulmedizin nach Auffassung des Gerichts mit höherer Wahrscheinlichkeit als ein Heilpraktiker den Besuch eines Arztes anempfehlen.
c) Es kann schließlich auch nicht außer Acht bleiben, dass es im vorliegenden Fall nur um mittelbare Gefahren für die Volksgesundheit gehen kann, die darin liegen, dass eine verborgene Krankheit bei der Behandlung durch den Physiotherapeuten nicht erkannt wird und sich dadurch die gebotene Behandlung des unerkannten Leidens durch den Arzt verzögert. Bei einer solchen mittelbaren Gefahr ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 17.07.2000 - 1 BvR 254/99 -, NJW 2000, 2736) bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten, weil sich Verbot (im vorliegenden Fall: Erfordernis der Kenntnisüberprüfung) und Schutzgut weit voneinander entfernen. Die vom Landratsamt in diesem Zusammenhang genannten Gefährdungskonstellationen, zumal unerkannte Tumorerkrankungen, können aber auch im Falle der bei Heilpraktikern üblichen Kenntnisüberprüfung nach den HP-RL nicht besser und einfacher erkannt und der weiteren Untersuchung durch den Facharzt zugeführt werden, weil auch Heilpraktiker nicht über die erforderlichen Untersuchungsmethoden verfügen. Im Übrigen erlernt es der Physiotherapeut in seiner Ausbildung, darauf zu achten, ob die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zum Erfolg führen oder eine andere, nicht abgeklärte Ursache der Erkrankung nahelegen. Im Lichte der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG wäre eine Kenntnisüberprüfung daher weder geeignet noch verhältnismäßig. Von daher ist eine verfassungskonforme Reduktion (OVG Rheinland-Pfalz a.a.O.) des Regelungsgehaltes des § 2 Abs. 1 Buchstabe i HeilPrG-DVO erforderlich. Dies macht zwar nicht die Überprüfung an sich entbehrlich, stellt jedoch eine Prüfung der vorgelegten Zeugnisse und sonstigen Nachweise „nach Aktenlage“ an den Anfang, um dann die Art der weiteren Ermittlungen zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1993 a.a.O.). Auch das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.) erwähnt die Möglichkeit, dass der Nachweis der abgeschlossenen Ausbildung ausreichen kann; ebenso spricht das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 21.12.1995 - 3 C 24.94 -, DVBl. 1996, 811) davon, dass bei Diplompsychologen, die eine staatlich anerkannte und überprüfte akademische Ausbildung absolvierten, sich einer Zusatzausbildung unterzogen haben und nur Psychotherapie ausüben wollen, von einer schriftlichen und mündlichen Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten abgesehen werden könne. Diese Konstellation ist auf den vorliegenden Fall nach Auffassung des Gerichts übertragbar, so dass - da nicht erforderlich - von jeder weiteren Überprüfung abzusehen ist.
Therapieformen, bei denen eine vorherige ärztliche Untersuchung des Patienten unerlässlich ist, wie Traktionsbehandlungen der Wirbelsäule und Vollbäder als Thermalbäder, hat der Kläger bereits durch die Einschränkung seines Antrags von der selbstständigen Betätigung ausgenommen.
3. Die begehrte Erlaubnis ist auch auf den bezeichneten Bereich beschränkbar. Zwar sieht das Heilpraktikergesetz eine solche gegenständlich beschränkte Erlaubnis nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht geht aber seit dem Urteil vom 21.01.1993 (a.a.O.) in Änderung seiner Rechtsprechung von einer Teilbarkeit der Erlaubnis aus. Es weist in jener Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass sich die Berufsbilder auf dem Sektor der Heilberufe seit dem Erlass des Heilpraktikergesetz in damals nicht voraussehbarer Weise ausdifferenziert hätten, so dass Anlass bestehe, das Heilpraktikergesetz im Wege der Auslegung an die gegenwärtigen Gegebenheiten anzupassen. Dies gilt auch für im Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie beschriebene Aufgabenfelder des Masseurs und medizinischen Bademeisters einerseits, sowie des Physiotherapeuten andererseits. Dieses Gesetz definiert und grenzt die Aufgaben hinreichend ab. Eine Grenzziehung ist damit möglich und aufgrund der Berufsfreiheit auch geboten, auch wenn die Abgrenzung - wie vom Landratsamt vorgetragen - nicht ohne verwaltungstechnische Schwierigkeiten durchzuführen sein wird.
4. Der Kläger hat schließlich auch nicht die Verpflichtung, nach § 1 Abs. 3 2. Halbsatz HeilPrG die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen. Bei verfassungskonformer Auslegung konzentriert sich die Titelführungsvorschrift auf den Personenkreis der Heilpraktiker ohne spezielle heilkundliche Berufsausbildung, dem nur eine umfassende Heilpraktikererlaubnis erteilt werden kann. Einen sachlichen Grund, die Berufsbezeichnung ohne Ausnahme auf das gesamte Berufsfeld der nicht approbierten Heilbehandler anzuwenden, gibt es nicht; sie wäre irreführend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.). Mit der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ verbinden sich nämlich Vorstellungen, deren Übertragung auf den Absolventen einer qualifizierten heilkundlichen Berufsausbildung diskriminierend sein kann, so dass es gerechtfertigt erscheint, den Titelführungszwang jedenfalls insoweit zu lockern. Dies kann auch aus Gründen des Verkehrsschutzes angezeigt sein, um Irritationen zu vermeiden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Berufung war gem äß § 124 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine Kenntnisüberprüfung bei Physiotherapeuten für die selbstständige Ausübung ihres Berufs erforderlich ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
Beschluss vom 10. April 2008
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
€ 15.000,00
festgesetzt (Nr. 14.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327).
Az.: 4 K 6118/07
VERWALTUNGSGERICHT STUTTGART
Im Name des Volkes
Urteil
In der Verwaltungsrechtssache XXX
wegen
Heilpraktikererlaubnis
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. April 2008 durch
XXX
am 10. April 2008 für Recht erkannt:
Der Bescheid des Landratsamts Heilbronn vom 22.05.2007 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 02.11.2007 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kl äger ohne weitere Eignungsprüfung unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen, die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung bezogen und beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne des § 8 des Gesetzes zur Regelung der Berufe in der Physiotherapie mit Ausnahme der Behandlung zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inkl. Stangerbäder zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Heilpraktikererlaubnis. Nachdem der 1962 geborene Kläger seine Ausbildung zum Krankengymnasten an der medizinischen Hochschule Hannover und Berufsfachschule für Krankengymnastik in Bückeburg beendet hatte, wurde ihm mit Urkunde der Bezirksregierung Hannover vom 01.04.1990 die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Krankengymnast“ verliehen und die Erlaubnis erteilt, eine Tätigkeit unter dieser Berufsbezeichnung auszuüben. 1997 schloss er die Ausbildung zum Cyriax - Therapeuten, 1999 zum Manualtherapeuten und 2002 die Ausbildung in medizinischem Aufbautraining jeweils mit Zertifikat ab. Von 2002 bis 2003 durchlief er die Ausbildung zum Sportphysiotherapeuten mit Zertifikat und beendete 2006 eine fünfjährige Ausbildung zum Osteopathen (BAO Richtlinien) ebenso wie die Ausbildung zum Referenten für rückengerechte Verhältnisprävention. Er ist seit 01.01.1990 als Krankengymnast bzw. Physiotherapeut und seit 2000 in eigener Praxis selbstständig tätig.
Mit Schreiben vom 15.05.2007 beantragte er die Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne der §§ 3 und 8 des Gesetzes zur Regelung der Berufe in der Physiotherapie mit Ausnahme der Behandlungen zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder incl. Stangerbäder ohne weitere Eignungsprüfungen und unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen.
Mit Bescheid vom 22.05.2007 lehnte das Landratsamt Heilbronn den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, das Heilpraktikergesetz kenne nur die einheitliche Berufsbezeichnung „Heilpraktiker/in“. Die einzige Ausnahmeregelung gebe es aufgrund der Richtlinien des Sozialministeriums Baden-Württemberg zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes (HP-RL v. 21.11.2003, GABl. V. 22.12.2003) für Inhaber einer auf das Gebiet der Psychotherapie beschränkten Erlaubnis. Weitere spezielle Berufs- bzw. Tätigkeitsbezeichnungen seien vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Es liege im besonderen Interesse der Öffentlichkeit, dass eindeutige Berufsbezeichnungen im Bereich der Heilkunde bestünden, damit der jeweilige Patient wisse, wie weit die Kompetenz des Behandelnden gehe. Unsicherheiten in diesem Bereich seien zu vermeiden. Eine Befreiung von der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ würde aber zu solchen Unsicherheiten führen. Daher sei die gesundheitsamtliche Kenntnisüberprüfung grundsätzlich unteilbar und nicht auf bestimmte Fachgebiete beschränkbar, denn die Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilPrG berechtige zur gesamten nichtärztlichen Heilkundeausübung. Sie dürfe grundsätzlich nicht eingeschränkt werden.
Der Kläger erhob am 14.06.2007 Widerspruch und verwies zur Begründung auf die Entscheidung des OVG Koblenz vom 21.11.2006 P– 6 A 10271/06 -, wonach die Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilPrG auch beschränkt für bestimmte Fachgebiete erteilt werden dürfe, wenn dort eine Ausdifferenzierung der Berufsbilder zu verzeichnen sei. Es entfalle auch die Eignungsprüfung nach § 2 Abs. 1 i 1. DV HeilPrG, wenn sich die Erlaubnis auf ein Gebiet beschränke, auf dem die heilkundliche Betätigung wie bei der Tätigkeit als staatlich geprüfter Physiotherapeut vom Bestehen einer speziellen berufseröffnenden Prüfung abhängig sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2007, dem Kläger zugestellt am 07.11.2007, wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, die genannte Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz trage den rechtlichen Vorgaben des Heilpraktikergesetzes nicht ausreichend Rechnung und beruhe auf einer Fehleinschätzung der differenzialdiagnostischen Fähigkeiten der Physiotherapeuten. Mit der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Physiotherapeut übernehme der Staat die Gewähr dafür, dass dieser Beruf vom Erlaubnisinhaber aller Voraussicht nach ordnungsgemäß ausgeübt werde. Diese Gewähr könne aber nicht mehr aufrecht erhalten werden, wenn einem Physiotherapeuten ohne Überprüfung zusätzlich die Befugnisse eines Heilpraktikers zuerkannt würden, da er zur Anwendung jeglicher, auch wissenschaftlich nicht anerkannter Methoden befugt sei. Entscheidend sei, dass der Heilpraktiker selbständig Diagnosen stellen müsse, auch wenn eine nur auf die Physiotherapie beschränkte Heilpraktikererlaubnis erteilt werden solle. Im Gegensatz zum Physiotherapeuten habe er keinen vorgeschalteten Arzt, der die Diagnosen gestellt und weitere Therapieanordnungen verordnet habe. Ohne vorherige Überprüfung seiner fachlichen Kenntnisse bestehe keine ausreichende Gewähr dafür, dass selbständig die richtige Diagnose gestellt werde unter Abwägung von Differenzialdiagnosen. Hierfür und für eine differenzial-diagnostische Abwägung sei ein Physiotherapeut nicht ausreichend qualifiziert. In seiner Ausbildung bekomme er nur für seinen Bereich ein medizinisches Grundwissen vermittelt, von 4500 Stunden entfielen lediglich 390 Stunden auf allgemeine (30 Stunden) und spezielle (360 Stunden) Krankheitslehre. In weiteren 380 Stunden Anatomie und Physiologie werde biologisches Basiswissen vermittelt. Nur 100 Stunden seien für Befund- und Untersuchungstechniken vorgesehen. Diese beschränkten sich auf physikalische Verfahren (Inspektion, Palpation, Reflexprüfung). Der Vergleich mit den Anforderungen der medizinischen Fachkenntnisse zur Abwehr von Gefahren für die Volksgesundheit zeige deutlich, dass die Ausbildung zum Physiotherapeuten lediglich ein spezifisches Segment eines möglichen Krankheitsgeschehens abdecken könne. Die Heilpraktikererlaubnis sei auch nicht teilbar. Dies habe bereits das Bundesverwaltungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung festgestellt. Die spätere abweichende Auffassung beschränke sich auf das Gebiet der Psychotherapie und sei zu einer Zeit ergangen, als das Psychotherapeutengesetz noch nicht erlassen worden sei. Die Grundsätze dieses Urteils könnten zudem nur für Psychotherapeuten gelten, nicht aber für die Teilzulassung zu anderen Bereichen, da hierin umfassende medizinisch-diagnostische Fähigkeiten erforderlich seien. Anders als bei der Psychotherapie seien im Bereich der Physiotherapie alle anderen somatischen Fachbereiche nicht gegenständlich abgrenzbar.
Der Kläger hat am 06.12.2007 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, den angefochtenen Bescheiden lasse sich zunächst die nach Art. 12 GG gebotene Interessenabwägung nicht entnehmen. Nachdem im Zuge der Gesundheitsreform ärztliche Überweisungen strengeren Reglementierungen und Restriktionen unterlägen und sich somit ein verstärktes Bedürfnis nach privat zu vergütenden Heilmittelleistungen ergebe, benötige der Kläger die begehrte Erlaubnis im Wesentlichen, um die ihm durch ärztliche Überweisung vermittelten Patienten weiterhin als Privatzahler in Zeiträumen behandeln zu können, in denen entsprechende Sachleistungen der gesetzlichen Krankenkassen aus Kostengründen einzustellen seien. Es sei zwingend zu prüfen, ob die vom Kläger beantragte gegenständliche beschränkte Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz Gefahren für das Gemeinschaftsgut der Volksgesundheit mit sich bringen würde. Aus dem von ihm vorgelegten Behandlungskatalog ergebe sich, dass er keinesfalls Tätigkeiten beabsichtige, die über das aktuell praktizierte Spektrum hinausgingen. Eine Gefahr für die Volksgesundheit sei schon deshalb nicht zu befürchten, weil die Leistungen der physikalischen Therapie, die er anbiete, für die Volksgesundheit ohne Risiko seien. Ein entsprechender Eignungsnachweis sei bereits in Form der Staatsprüfung erbracht worden. Dies lasse sich der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, insbesondere dem Katalog der Ausbildungsgegenstände in der Anlage I zu § 1 entnehmen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamts Heilbronn vom 22.05.2007 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 02.11.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm ohne weitere Eignungsprüfung unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen, die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung bezogen und beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne des § 8 des Gesetzes zur Regelung der Berufe in der Physiotherapie mit Ausnahme der Behandlung zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inkl. Stangerbäder zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, eine inhaltliche Beschränkung der Heilpraktikererlaubnis würde zu einer Zersplitterung des Heilpraktikerrechts mit erheblichen Problemen bei der Überprüfung und im Verwaltungsvollzug führen. Angesichts der Vielzahl weiterer in Betracht kommender Heilhilfsberufe und denkbarer Differenzierungen würde der Verwaltungsaufwand uferlos. Für den Patienten entstünde eine undurchschaubare Situation, da nicht mehr klar sei, von welcher Fachkompetenz des Behandelnden er ausgehen könne. Ein Bedürfnis für eine Ausnahme sei anders als im Bereich der Psychotherapie zu einer Zeit, als es noch kein Psychotherapeutengesetz gegeben habe, nicht erkennbar. Auch aus fachlich medizinischer Sicht bestehe ein Unterschied hinsichtlich der Beschränkbarkeit der Erlaubnis auf das Gebiet der Psychotherapie im Gegensatz zum Gebiet der Physiotherapie, denn eine am Bewegungsapparat auftretende Symptomatik, die eine physiotherapeutische Behandlung erforderlich mache, könne mannigfaltige Ursachen haben. Es metastasierten viele Tumoren in die Wirbelsäule, so dass eine primär physiotherapeutische Behandlung gefährlich sein könne, da sie durch die Verzögerung und durch Unterbleiben der Diagnostik und Behandlung das Leben des Patienten gefährde. Sie könne auch an sich eine Gefährdung des Patienten bedeuten. Knochentumore wie z.B. das Plasmozytom müssten durch eine Blutuntersuchung diagnostiziert werden. Infektionskrankheiten wie z.B. Borreliose verursachten Schäden am Bewegungsapparat. Eine unterbleibende Behandlung könne zu dauerhaften Schäden an anderen Organen führen. Eine Osteoporose könne durch Hormonstörungen oder eine rheumatische Arthritis bedingt sein. Im Bereich der Pädiatrie könnten Entwicklungsstörungen auf Schäden am Zentralnervensystem hindeuten. Eine sichere Diagnose sei durch einen Physiotherapeuten jedoch nicht möglich. All diese Bereiche der Diagnostik seien in der Ausbildung der Physiotherapeuten nicht abgedeckt. Nachdem keine klare Abgrenzung vorgenommen werden könne, könne auch keine auf diesen Teilbereich beschränkte Erlaubnis erteilt werden. Eine Freistellung von der Pflicht zur Führung der Berufsbezeichnung Heilpraktiker sei ebenfalls nicht möglich, denn im Gegensatz zur Psychotherapie gehe aus der Berufsbezeichnung Physiotherapie nicht hervor, dass die Behandlungspraktiken selbständig und ohne ärztliche Verordnung durchgeführt werden dürften. Eine Überprüfung der Kenntnisse sei auch erforderlich, um potentielle Gefahren für die Volksgesundheit auszuschließen, da die Ausbildung zum Physiotherapeuten erhebliche Defizite in den für die selbständige Ausübung der Heilkunde erforderlichen Kenntnissen aufweise.
Die Akten des Beklagten und die Widerspruchsakten liegen dem Gericht vor. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird hierauf und auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn dieser hat Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikererlaubnis) im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Erlaubnis ist § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 17.02.1939 (HeilPrG) i.V.m. § 2 Abs. 1 HeilPrG i.V.m. § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilPrG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG. Nach § 1 Abs. 1 HeilPrG bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will; entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 HeilPrG steht die Erlaubniserteilung nicht im Ermessen der Behörden. Vielmehr ist nach verfassungskonformer Auslegung jeder Antragsteller zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung zuzulassen, wenn kein sich aus § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilPrG ergebender - rechtsstaatlich unbedenklicher - Versagungsgrund gegeben ist (BVerwG, Urt. v. 24.01.1957 - 1 C 194.54 -, BVerwGE 4, 250 - ständige Rechtsprechung). Nach § 2 Abs. 1 lit. i der 1. DVO-HeilPrG darf die Heilpraktikererlaubnis nicht erteilt werden, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. In welcher Form und in welchem Umfang die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Heilpraktikeranwärters zu erfolgen hat, ist weder im Heilpraktikergesetz noch in der DVO hierzu geregelt, was im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG bedenklich ist; diese Bedenken lassen sich aber im Wege der verfassungskonformen Auslegung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausräumen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1993 - 3 C 34.90 -, DVBl. 1993, 723; BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 - 1 BvR 482/84 und 1166/85 - BVerfGE 78, 179 = NJW 1988, 2290).
II.
Nach diesen Maßstäben bedarf der Kläger einer derartigen Erlaubnis (1.), seine Tätigkeit bedeutet keine Gefahr für die Volksgesundheit (2.). Die Erlaubnis ist auch teilbar (3.). Schließlich muss der Kläger auch nicht die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ führen (4.).
1. Die vom Kläger begehrte Tätigkeit ist Ausübung der Heilkunde. Nach der gesetzlichen Definition des § 1 Abs. 2 HeilPrG ist Ausübung der Heilkunde i.S.d. Gesetzes jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Weitere Voraussetzung nach der Rechtsprechung ist es, dass die betreffende Behandlung nach allgemeiner Auffassung medizinische (heilkundliche) Fachkenntnisse erfordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1983 - 3 C 21.82 - BVerwGE 66. 367 ff.; BVerwG, Urt. v. 11. November 1993 - 3 C 45.91 - NJW 1994, 3024) und dass sie gesundheitliche Schäden verursachen kann (u.a. BVerwG, Urt. v. 18.12.1972 - 1 C 2.69 - NJW 1973, 579). Nach der Begriffsbestimmung übt der Kläger die Heilkunde aus, denn seine Tätigkeit dient der Heilung und Linderung von Krankheiten und Leiden und wirkt unmittelbar auf den Körper des Patienten ein. Hierzu sind die erlernten Fachkenntnisse notwendig, auch deshalb, um mit der Behandlung verbundene Gefahren auszuschließen.
Allerdings wird die Tätigkeit des Physiotherapeuten nach herkömmlicher Auffassung nicht als Ausübung der Heilkunde aufgefasst, weil „Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich“ gegeben werden sollen (vgl. § 8 MPhG) und dies nach Maßgabe einer ärztlichen Diagnose und aufgrund einer ärztlichen Heilmittelverordnung erfolgt. Deshalb wird in diesen Fällen lediglich der behandelnde Arzt als diejenige Person angesehen, die die Heilkunde ausübt. Im Falle des Klägers ist es allerdings so, dass er die Tätigkeit des Physiotherapeuten eigenverantwortlich und selbstständig ausüben möchte. Hierfür benötigt er die begehrte Erlaubnis, denn die Ausübung der Heilkunde ist nach der gesetzlichen Systematik ausschließlich Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten einerseits und Heilpraktikern andererseits vorbehalten. Hieran mögen Zweifel bestehen, weil der Kläger durch seine Ausbildung die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ gemäß § 1 Abs. 1 MPhG erhalten hat und damit auch zur Erbringung von Leistungen dieses Heilhilfsberufs befugt ist (vgl. hierzu Dünisch-Bachmann, Das Recht des Heilpraktikerberufs und der nichtärztlichen Heilkundeausübung, Kommentar zum Heilpraktikergesetz, RdNr. 6.3.5 zu § 1 sowie die vom Kläger mitgeteilte Auffassung des Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales des Saarlandes, welches eine Erlaubnis für entbehrlich hält), nach Auffassung der Kammer wäre hierfür jedoch eine Gesetzesänderung erforderlich. Genehmigungsrechtlich handelt es sich um ein „Aliud“ (so die Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.11.2006 - 6 A 10271/06. OVG -, MedR 2007, 496). Dass heilkundliche Tätigkeit grunds ätzlich nicht erlaubnisfrei sein soll, hat im Hinblick auf die Volksgesundheit unterschiedslos seinen Sinn, gleichgültig welche Vor- und Ausbildung der Bewerber aufweist, denn es geht um eine präventive Kontrolle (so BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.). Dem folgt die Kammer.
2. Die Kammer ist der Überzeugung, dass bei einer selbstständigen Erbringung physiotherapeutischer Leistungen durch den Kläger ohne vorgängige Kenntnisüberprüfung nach den Richtlinien des Sozialministeriums zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes (HP-RL) vom 21.11.2003 (GABl. 2003, 983) keine Gefahren für die Volksgesundheit bestehen. Eine solche Gefahr stellte nach § 2 Abs. 1 Buchstabe i 1. DVO-HeilPrG einen Versagungsgrund für die Erlaubnis nach § 1 Abs. 3 1. Halbsatz HeilprG dar.
a) Diese Überprüfung ist ihrer Rechtsnatur nach eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie soll Personen von der Ausübung der Heilkunde ausschließen, bei denen schwerwiegende Fehlvorstellungen in medizinischer Hinsicht bestehen. Sie bietet damit einen Minimalschutz für Patienten und soll vor Kurpfuschertum schützen (vgl. Kurtenbach, Erläuterungen zum Heilpraktikergesetz in: Das Deutsche Bundesrecht, I K 11, Anm. zu § 2 Abs. 1 Buchstabe i 1. DVO-HeilPrG). Eine solche Überprüfung erscheint im Regelfall erforderlich, weil für den Beruf des Heilpraktikers kein gesetzlich fest umrissenes Berufsbild existiert, sondern nur ein Berufsfeld, für das es keine staatlich reglementierte Ausbildung gibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.). Anders ist dies im Falle des Physiotherapeuten, welcher die im Masseur- und Physiotherapeutengesetz umschriebene Ausbildung durchlaufen und mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen haben muss. Damit ist dokumentiert, dass der Physiotherapeut den beruflichen Anforderungen in Theorie und Praxis vollauf gewachsen ist und dass auf seinem Betätigungsfeld keine Fehlvorstellungen in medizinischer Hinsicht bestehen (vgl. dazu überzeugend OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.11.2006, a.a.O.). Die so erworbene Berufsqualifikation berechtigt nur zur Ausübung der erlernten Tätigkeiten innerhalb des Berufsbilds. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass der Physiotherapeut in der weit überwiegenden Zahl der Fälle auf Verordnung des Arztes und als dessen Helfer tätig werden wird. Er verfügt dabei nach seiner Ausbildung nach dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz über Kenntnisse, die durchweg in Übereinstimmung mit den Grundsätzen evidenzbasierter Medizin stehen. Mit anderen Worten betätigt er sich - anders als der Heilpraktiker - innerhalb des Bereichs der Schulmedizin. Dagegen berechtigt die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz grundsätzlich im gesamten heilkundlichen Bereich zur Erstellung von Diagnosen und Durchführung von Therapien. Hierbei können eben wegen der fehlenden geregelten Ausbildung und der Freiheit bei der Wahl der Behandlungsmethoden vielfältige und unüberschaubare Gefahren für die Gesundheit der Patienten auftreten.
b) Im Rahmen seiner Ausbildung werden dem Physiotherapeuten neben Kenntnissen und Fertigkeiten in der physikalischen Therapie auch Kenntnisse in allgemeiner und spezieller Krankheitslehre sowie physiotherapeutische Befund- und Untersuchungstechniken vermittelt. Damit lernt der Auszubildende, Behandlungsindikationen und Kontraindikationen selbstständig zu erkennen. Der Kläger weist überzeugend darauf hin, dass er oftmals nicht aufgrund einer exakten Diagnose des Arztes, sondern nur wegen eines von diesem angegebenen Leitsymptoms behandelt, weswegen er gerade selbständig und eigenverantwortlich tätig werden muss. Demgegenüber werden bei Heilpraktikern gemäß 4.3.3 HP-RL Grundkenntnisse in der allgemeinen Krankheitslehre, Erkennung und Unterscheidung von häufigen Krankheiten, insbesondere der Stoffwechselkrankheiten, der Herz-Kreislauf-Krankheiten, der degenerativen und übertragbaren Krankheiten, der bösartigen Neubildungen sowie seelischer Erkrankungen und gemäß 4.3.6 Technik der Anamneseerhebung, Methoden der unmittelbaren Krankenuntersuchung überprüft. Eine bestimmte Zahl an Unterrichtsstunden ist nicht vorgeschrieben, Fehler bei den im Multiple-Choice-Verfahren gestellten Fragen können durch richtige Antworten auf anderen Gebieten ausgeglichen werden. Damit ist schon vom Grundsatz her nicht erkennbar, inwiefern der Physiotherapeut über schlechtere Fähigkeiten im Bereich der Differenzialdiagnose, d. h. bei der Erkennung von Beschwerdebildern, für deren Behandlung er nicht befähigt ist, verfügte. Dies gilt gerade auch bei den vom Landratsamt Heilbronn angeführten Krankheitsbildern, bei denen der Patient an einer von ihm selbst nicht erkannten, aber durch einen Arzt behandlungsbedürftigen Krankheit leidet. Zu Recht hat der Kläger auch darauf hingewiesen, dass bei Vorhandensein eines Bronchial-, Prostata- oder Mammakarzinoms auch für den Heilpraktiker der Bereich überschritten ist, wo er ohne externe Untersuchungen zum einen eine zutreffende Diagnose stellen und zum anderen eine erfolgreiche Heilbehandlung durchführen kann. Hinzu kommt, dass im Zweifelsfall ein Physiotherapeut eben wegen seiner Nähe zur Schulmedizin nach Auffassung des Gerichts mit höherer Wahrscheinlichkeit als ein Heilpraktiker den Besuch eines Arztes empfehlen würde.
c) Es kann schließlich auch nicht außer Acht bleiben, dass es im vorliegenden Fall nur um mittelbare Gefahren für die Volksgesundheit gehen kann, die darin liegen, dass eine verborgene Krankheit bei der Behandlung durch den Physiotherapeuten nicht erkannt wird und sich dadurch die gebotene Behandlung des unerkannten Leidens durch den Arzt verzögert. Bei einer solchen mittelbaren Gefahr ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 17.07.2000 - 1 BvR 254/99 -, NJW 2000, 2736) bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten, weil sich Verbot (im vorliegenden Fall: Erfordernis der Kenntnisüberprüfung) und Schutzgut weit voneinander entfernen. Die vom Landratsamt in diesem Zusammenhang genannten Gefährdungskonstellationen, zumal unerkannte Tumorerkrankungen, k önnen aber auch im Falle der bei Heilpraktikern üblichen Kenntnisüberprüfung nach den HP-RL nicht besser und einfacher erkannt und der weiteren Untersuchung durch den Facharzt zugeführt werden, weil auch Heilpraktiker, worauf der Kläger zu Recht hinweist, nicht über die erforderlichen Untersuchungsmethoden verfügen. Im Übrigen erlernt es der Physiotherapeut in seiner Ausbildung, darauf zu achten, ob die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zum Erfolg führen oder ob ggf. eine andere Ursache der Erkrankung abgeklärt werden müsste. Im Lichte der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG wäre eine Kenntnisüberprüfung daher weder geeignet noch verhältnismäßig. Von daher ist eine verfassungskonforme Reduktion (OVG Rheinland-Pfalz a.a.O.) des Regelungsgehaltes des § 2 Abs. 1 Buchstabe i HeilPrG-DVO erforderlich. Dies macht zwar nicht die Überprüfung an sich entbehrlich, stellt jedoch eine Prüfung der vorgelegten Zeugnisse und sonstigen Nachweise „nach Aktenlage“ an den Anfang, um dann die Art der weiteren Ermittlungen zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1993 a.a.O.). Auch das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.) erwähnt die Möglichkeit, dass der Nachweis der abgeschlossenen Ausbildung ausreichen kann; ebenso spricht das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 21.12.1995 - 3 C 24.94 -, DVBl. 1996, 811) davon, dass bei Diplompsychologen, die eine staatlich anerkannte und überprüfte akademische Ausbildung absolvierten, sich einer Zusatzausbildung unterzogen haben und nur Psychotherapie ausüben wollen, von einer schriftlichen und mündlichen Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten abgesehen werden könne. Diese Konstellation ist auf den vorliegenden Fall nach Auffassung des Gerichts übertragbar, so dass - da nicht erforderlich - von jeder weiteren Überprüfung abzusehen ist.
Therapieformen, bei denen eine vorherige ärztliche Untersuchung des Patienten unerlässlich ist, wie Traktionsbehandlungen der Wirbelsäule und Vollbäder als Thermalbäder, hat der Kläger bereits durch die Einschränkung seines Antrags von der selbstständigen Betätigung ausgenommen.
3. Die begehrte Erlaubnis ist auch auf den bezeichneten Bereich beschränkbar. Zwar sieht das Heilpraktikergesetz eine solche gegenständlich beschränkte Erlaubnis nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht geht aber seit dem Urteil vom 21.01.1993 (a.a.O.) in Änderung seiner Rechtsprechung von einer Teilbarkeit der Erlaubnis aus. Es weist in jener Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass sich die Berufsbilder auf dem Sektor der Heilberufe seit dem Erlass des Heilpraktikergesetz in damals nicht voraussehbarer Weise ausdifferenziert hätten, so dass Anlass bestehe, das Heilpraktikergesetz im Wege der Auslegung an die gegenwärtigen Gegebenheiten anzupassen. Dies gilt auch für im Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie beschriebene Aufgabenfelder des Masseurs und medizinischen Bademeisters einerseits, sowie des Physiotherapeuten andererseits. Dieses Gesetz definiert und grenzt die Aufgaben hinreichend ab. Eine Grenzziehung ist damit möglich und aufgrund der Berufsfreiheit auch geboten, auch wenn die Abgrenzung - wie vom Landratsamt vorgetragen - nicht ohne verwaltungstechnische Schwierigkeiten durchzuführen sein wird. Diese Grenzziehung beruht aber wesentlich darauf, dass sie sich eng an dem im Gesetz zur Regelung der Berufe in der Physiotherapie normierten Berufsbild und dem nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung eröffneten Tätigkeitsspektrum orientiert. Sie umfasst nicht die Anwendung weiterer, von diesem Berufsbild nicht abgedeckten Tätigkeiten, die sich der Kläger zusätzlich aufgrund Eigeninitiative erworben hat.
4. Der Kläger hat schließlich auch nicht die Verpflichtung, nach § 1 Abs. 3 2. Halbsatz HeilPrG die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen. Bei verfassungskonformer Auslegung konzentriert sich die Titelführungsvorschrift auf den Personenkreis der Heilpraktiker ohne spezielle heilkundliche Berufsausbildung, dem nur eine umfassende Heilpraktikererlaubnis erteilt werden kann. Einen sachlichen Grund, die Berufsbezeichnung ohne Ausnahme auf das gesamte Berufsfeld der nicht approbierten Heilbehandler anzuwenden, gibt es nicht; sie wäre irreführend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 a.a.O.). Mit der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ verbinden sich nämlich Vorstellungen, deren Übertragung auf den Absolventen einer qualifizierten heilkundlichen Berufsausbildung diskriminierend sein kann, so dass es gerechtfertigt erscheint, den Titelführungszwang jedenfalls insoweit zu lockern. Dies kann auch aus Gründen des Verkehrsschutzes angezeigt sein, um Irritationen zu vermeiden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine Kenntnisüberprüfung bei Physiotherapeuten für die selbstständige Ausübung ihres Berufs erforderlich ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
Beschluss vom 10. April 2008
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
€ 15.000,00
festgesetzt (Nr. 14.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327).