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26.10.2007 · IWW-Abrufnummer 073248

Oberlandesgericht Rostock: Beschluss vom 06.01.2003 – 1 Ws 472/02

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


OLG Rostock

I Ws 472/02

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.


Gründe

I.

In dem Verfahren 11 Ds 220/00 (Förderung der Prostitution) des Amtsgerichtes Greifswald wurde der Betroffene und ehemals Mitbeschuldigte (Einstellung nach § 154 StPO) als Zeuge für die Hauptverhandlung am 22.08.2002 geladen.

Nach Aufruf des Betroffenen wurde er ausweislich des Protokolls "ordnungsgemäß belehrt".

Im Protokoll folgt sodann nach der vorgefertigten Formulierung, dass der Zeuge "einzeln und in Abwesenheit der später abzuhörenden Zeugen wie folgt vernommen" wurde, folgende Feststellung:

"Der Zeuge bei der Belehrung lacht. Das er auf Nachfrage des Richters es witzig findet, das man bei einer Falschaussage mit Freiheitsstrafe bestraft wird."

Unmittelbar im Anschluss daran verkündete der Vorsitzende - ohne nähere Begründung - den angefochtenen Beschluss:

"Dem Zeugen wird ein Ordnungsgeld v. 200 verhängt."

Danach wurde die Sitzung unterbrochen und dann wieder mit der Vernehmung des Betroffenen fortgesetzt.

Das Protokoll enthält hinsichtlich des Beschlusses ansonsten keinerlei weiteren Ausführungen.

Mit Schriftsatz vom 26.08.2002, beim Amtsgericht am 27.08.2002 eingegangen, legte sodann der - ordnungsgemäß bevollmächtigte - anwaltliche Vertreter des Betroffenen "Beschwerde" gegen den Beschluß ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 16.09.2002 insbesondere damit, dass der Betroffene sich nicht ungebührlich verhalten habe, sondern allenfalls aus Anspannung einen als Grinsen mißdeutbaren Gesichtsausdruck aufsetzte.

Das Amtsgericht hat die Beschwerde sodann dem Landgericht Stralsund zur Entscheidung vorgelegt, welches sie im Weiteren mit Beschluss vom 23.09.2002 an das Oberlandesgericht zur Entscheidung verwiesen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 14.10.2002 beantragt, den Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben.

II.

Das gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde (vgl. KK-Diemer, StPO, 4. Aufl., GVG § 181 RN 1; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., GVG § 181 RN 1) auszulegende Rechtsmittel ist statthaft (§ 181 Abs. 1 GVG, § 305 Satz 2 StPO) sowie - unabhängig davon, dass die Rechtsmittelbelehrung nicht erfolgte -

form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig.

1. Die Beschwerde ist auch begründet; sie führt bereits deshalb zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, weil er verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist.

Dem Betroffenen ist vor der Festsetzung des Ordnungsmittels nach dem Protokoll kein rechtliches Gehör gewährt worden. Bereits dieser Verfahrensfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Vor Anordnung einer Maßnahme nach § 178 Abs. 1 GVG - um die es sich vorliegend offensichtlich handelt - ist den davon betroffenen Personen rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. Senatsbeschluss vom 09.05.2001, I Ws 166/01; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 116 [117]; OLG Stuttgart NStE Nr. 9 zu § 178 GVG; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., GVG § 178 RN 13; KK-Diemer, StPO, 4 Aufl., GVG § 178 RN 8; LR-Schäfer/Wickern; StPO, 24. Aufl., GVG § 178 RN 34; Kissel, GVG, 3. Aufl., § 178 RN 45).

Vorliegend ist dem Protokoll nicht zu entnehmen, dass rechtliches Gehör gewährt worden ist. Der Senat konnte daher auch nicht prüfen, ob dem Betroffenen Gelegenheit zu einer Entschuldigung gewährt wurde, durch welche möglicherweise das Verhalten beträchtlich an Gewicht verloren hätte (vgl. KK-Diemer a.a.O. und OLG Stuttgart, Justiz 1996, 108f.).

Von der Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Verhängung des Ordnungsmittels hätte vorliegend auch nicht abgesehen werden dürfen. Von der grundsätzlich unabdingbaren Verfahrensvoraussetzung der vorherigen Anhörung kann lediglich in Ausnahmefällen abgesehen werden (OLG Stuttgart NStE Nr. 9 zu § 178 GVG). Ein solcher ist insbesondere dann gegeben, wenn die Ungebühr und der Ungebührwillen des Betroffenen, wie z.B. bei gröbsten, unflätigen Beleidigungen, völlig außer Frage steht und die Anhörung dem Täter nur zu weiteren Ausfällen Gelegenheit geben würde (Senatsbeschluss a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 238; Meyer-Goßner a.a.O. RN 14).

Anhaltspunkte dafür, dass einer dieser Ausnahmefälle vorgelegen hat, sind hier - ebensowenig wie eine vorherige Androhung des Ordnungsmittels, die ebenfalls die Anhörung gegebenenfalls entbehrlich machen könnte - nicht ersichtlich.

Eine Nachholung des versäumten rechtlichen Gehörs in der Beschwerdeinstanz ist nicht möglich (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05.12.1989, 3 Ws 686/89; OLG Hamm DRiZ 1970, 27; KK-Diemer, a.a.O., GVG § 178 RN 8).

2. Zusätzlich weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Der angefochtene Ordnungsgeldbeschluss wäre auch aufzuheben gewesen, wenn das Amtsgericht das erforderliche rechtliche Gehör vor Erlass des Beschlusses gewährt hätte.

Mangels Beschlussbegründung und ausreichender Protokollierung der Veranlassung ist dem Beschwerdegericht nicht die Nachprüfung ermöglicht, ob das Verhalten des Zeugen tatsächlich als Ungebühr einzustufen ist.

Ist ein Ordnungsmittel wegen Ungebühr festgesetzt worden, so ist nach § 182 GVG der - grundsätzlich zu begründende, § 34 StPO i.V.m. § 181 Abs. 1 GVG - Beschluss des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen. Sinn dieser Vorschrift ist es, den gesamten Geschehensablauf, der zu dem Ordnungsmittelbeschluss geführt hat, unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehens von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer schriftlich niederlegen zu lassen, um dem Beschwerdegericht ein möglichst objektives, von Erinnerungsfehlern freies und so umfassendes Bild des Vorgangs zu vermitteln, dass es Grund und Höhe des Ordnungsmittels ohne weiteres nachprüfen kann (Senatsbeschluss a.a.O.; OLG Düsseldorf JMBlNRW 2001, 91 [92]; LR-Schäfer/Wickern, StPO, 24. Aufl., GVG § 182 RN 3; Meyer-Goßner a.a.O. GVG § 182 RN 1).

Diesen Anforderungen genügen vorliegend weder der angefochtene Beschluss noch die Sitzungsniederschrift.

Der Ordnungsmittelbeschluss enthält keinerlei Begründung. Eine Überprüfung ist daher zunächst nicht möglich.

Dieser Mangel ist zwar ausnahmsweise unschädlich, wenn ausdrücklich oder stillschweigend auf den Protokollvermerk über seine Veranlassung Bezug genommen wird, sich aus diesem Vermerk ergibt, dass die Gründe für die Verhängung des Ordnungsmittels auch für den Betroffenen außer Zweifel standen und der Protokollvermerk dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung des Beschlusses ermöglicht (Senatsbeschluss vom 09.05.2001, I Ws 166/01; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ 1988, 238 und VRS 80, 29; OLG Stuttgart NStE Nr. 9 zu § 178 GVG; Meyer-Goßner a.a.O., GVG § 182 RN 4); wesentliche Lücken des Protokolls können dabei nicht durch dienstliche Erklärungen oder sonstige Beweiserhebungen ausgefüllt werden (Meyer-Goßner, a.a.O., GVG, § 182 RN 1).

Unter Beachtung dieser Voraussetzungen kann vorliegend die fehlende Begründung des Beschlusses nicht durch den Verweis auf das Protokoll ersetzt werden, da dieses selbst - unabhängig von dem fehlerhaften grammatischen Satzbau - lückenhaft und unklar ist.

Unklar ist bereits, ob mit der Verhängung des Ordnungsgeldes das Lachen, die Äußerung oder Beides sanktioniert werden sollte und ob das Verhalten des Betroffenen nach oder während der Belehrung erfolgte. In Verbindung mit dem Fehlen jeglicher weiterer Feststellungen kann eine Prüfung, ob die Voraussetzungen der Ungebühr zu Recht bejaht worden sind, daher nicht erfolgen.

Ungebühr ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizmäßigen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (vgl. OLG Hamm, NStZ 2001, 587; Meyer-Goßner, a.a.O., § 178 GVG RN 2 m.w.N.).

Zwar kann ein Lachen eines Zeugen u.U. geeignet sein, eine solche Ungebühr zu begründen. Allerdings ist zu beachten, dass das Wort "lacht" ein wertender Begriff ist und als solcher eine Überprüfung durch das Beschwerdegericht kaum ermöglicht (vgl. KK-Diemer, a.a.O., GVG § 182 RN 1).

Um prüfen zu können, ob hierdurch die Würde des Gerichts, z.B. durch eine erhebliche Störung des Ablaufs der Sitzung oder eine erhebliche Provokation, verletzt worden ist, wären daher nähere Angaben zu der konkreten Form und Art des "Lachens" (etwa lauthals oder eher still, Dauer etc.), die genaue Angabe des Zeitpunktes des "Lachens" (bei konkret welchem Satz oder welchem Wort der Belehrung) und Hinweise dazu, ob durch das Lachen die Belehrung etwa unterbrochen bzw. gestört wurde, erforderlich gewesen.

Auch in Verbindung mit der offensichtlichen Meinungsäußerung des Betroffenen - dass er es witzig fände, bei einer Falschaussage bestraft werden zu können - können die Voraussetzungen einer Ungebühr nicht bejaht werden. Dass der Betroffene das Gericht insoweit etwa z.B. herausfordern oder der Lächerlichkeit preisgeben wollte, ist nicht eindeutig ersichtlich. Unklar bleibt bereits, wie der Betroffene den wertenden Begriff "witzig" verstanden wissen wollte bzw. worauf genau er diesen bezog. Die entsprechende Klärung wäre zur Beurteilung eines ungebührlichen Verhaltens aber erforderlich gewesen. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene z.B. auch gedacht hat, dass er sich - als ehemaliger Mitbeschuldigter - nun selbst belasten müsse und sich damit letztlich, egal wie er sich verhalten würde, einer möglichen Bestrafung ausgesetzt sah.

Diese Feststellungen wären darüber hinaus auch erforderlich gewesen, um dem Beschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Verhängung des Ordnungsgeldes zur - unzulässigen - Erzwingung einer wahrheitsgemäßen Aussage ausgeschlossen werden kann.

Mangels näherer Begründung und Feststellungen liegt es nicht fern, dass das Verhalten des Betroffenen als versteckte Ankündigung der Verweigerung einer wahrheitsgemäßen Aussage gewertet und aus diesem Grund das Ordnungsgeld verhängt wurde. Eine wahrheitsgemäße Aussage darf jedoch nicht durch die Anordnung von Ordnungsmitteln oder Beugehaft - auch nicht nach § 70 StPO - erzwungen werden (vgl. BVerfG, 2 BvR 761/90; BGH, 3 StR 217/56, BGHSt 9, 362f), weil als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage der Eideszwang bestimmt ist (BVerfG a.a.O.).

b) Neben dem Anlass der Verhängung des Ordnungsmittels bleibt aber auch die Festsetzung seiner Höhe unklar und mangels Begründung nicht nachvollziehbar. Das Amtsgericht hat den Betrag zwar dem gesetzlichen Rahmen (zwischen 5,- und 1.000,- Euro, § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. Art 6 Abs. 1 Satz 1 EGStGB) entnommen. Unabhängig davon, dass entgegen der gesetzlichen Regel nicht zugleich bestimmt worden ist, in welchem Maße Ordnungshaft an die Stelle des Ordnungsgeldes für den Fall der Nichteintreibung tritt, wird nicht deutlich, warum gerade die Höhe von 200 Euro angemessen erschien, zumal es an der eindeutigen Feststellung fehlt, auf welches Verhalten des Angeklagten mit dem Ordnungsmittel reagiert werden sollte (vgl. Senatsbeschluss a.a.O.).

Ebenfalls ist über die individuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen, denen bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 178 GVG grundsätzlich ausreichend Rechnung zu tragen ist (vgl. KG Berlin, 1 AR 167/00 - 4 Ws 44/00), nichts bekannt .

III.

Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hat zur Folge, dass die Verhängung des Ordnungsmittels gegen den Beschwerdeführer wegen seiner protokollierten Äußerung und seines protokollierten Verhaltens endgültig entfällt. Eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht kam nicht in Betracht, weil dessen sitzungspolizeiliche Gewalt mit dem Schluss der Sitzung endete (Senatsbeschluss a.a.O.; OLG Düsseldorf JMBlNRW 2001, 91 [93]; OLG Hamm, NStZ-RR 2001, a.a.O.; LR-Schäfer/Wickern a.a.O. GVG § 181 RN 10).

IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 467 StPO. Das Beschwerdeverfahren selbst ist gerichtsgebührenfrei (Senatsbeschluss a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; KK-Diemer a.a.O. GVG § 181 RN 6).

RechtsgebietUngebührVorschriften§ 178 GVG

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